Briefspiel:Königsturnier/Schwarze Tage
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Die folgenden Begebenheiten ereignen sich am Rande des Königsturniers im Rahja 1038 BF.
Schwarzer Ritter
Am 17. Rahja, zu später Stunde in einer Schenke in Castarosa.
„Noch eine Runde!“, brüllte Kazanyo Trapani. In seinem schmalen Schnurrbart hing noch der Schaum des letzten Weizengolds. Der Almadaner hatte in den letzten Tagen seine Liebe zum Bier entdeckt, welche die zum Wein zumindest zeitweise verdrängt hatte.
'Der einzige Zahlmeister Yaquiriens, der seine Söldner an Freigibigkeit noch übertrifft', dachte sich Mondino von Calven und erinnerte sich an die zumeist knauserigen Vertreter dieses Berufsstandes. 'Wenn er gesoffen hat, ist ihm alles zuzutrauen. Nüchtern ist er ein Genie. Nur ist er zu selten nüchtern.'
Sollte er Trapani maßregeln? Wenn er eine Runde spendierte? 'Sei nicht dumm, Mondino.' Die Männer und Frauen murrten, einige hatten die Truppe schon verlassen. Er war nicht der Graf von Bomed. Genau betrachtet war er ohne die Söldner ein Niemand. Aber sollte ihn das veranlassen, zu allem Treiben nur noch den Mund zu halten und sie gewähren zu lassen? 'Verdammich, für solchen Wankelmut hätte ich mich vor einem Jahr noch ausgelacht.' Die neue Verantwortung war nicht spurlos an ihm vorüber gegangen.
Leutnanta Barberini rettete ihn zunächst vor einer Entscheidung. Sie packte den schmächtigen Trapani an der Schulter und zog ihn von den drei Rekrutinnen weg.
„Gibst den Mädels von ihrem eigenen Sold einen aus, hm? Sind sie dankbar nach, was? Kommt Dich billiger als 'ne Dirne aus eigener Tasche… Aber Kaz! Kannst so'n Pferdchen doch auch gleich aus der Soldkasse kaufen, Dummerchen!“
„Elende…“ Trapani stockte und ließ die Faust sinken, als er sah, dass Larissa Barberini ihren Langdolch gezogen hatte.
Der Tavernenwirt, der sich vor den Söldnern vorsichtigerweise hinter seine Theke zurückgezogen hatte, blickte mit gerunzelten Brauen hinüber. Mondino musste handeln. Nicht aus Angst vor dem hageren Inhaber dieser Kaschemme, das sicher nicht – sondern um seiner Autorität Willen.
Vielleicht nicht einmal Stellung in dem Streit nehmen – wieder war es nur eine lächerliche Sache, die die beiden entzweit hatte. Heute rauften sie, und morgen wäre die Angelegenheit vergessen. Er beschloss, einfach ein neues Thema anzuschneiden. Das war schwer genug, zumal in dieser angespannten Lage. Aber einmal musste er ihnen sagen, was er vorhatte, zumindest den sichtbaren Teil. Er musste seinen Leuten erklären, was sie so tief in den Kernlanden zu suchen hatten.
„Bestieri! Ich habe euch 'was zu sagen!“ Mondino erhob sich. Die lauten Gespräche erloschen und Mondino wurde von ringsumher misstrauisch beäugt.
„Hört, hört! Seine allerknabenhafteste Durchlauchtigkeit wollen eine Volksrede halten...“, hörte Mondino, aber zu undeutlich, als dass er hätte ausmachen können, wer solch eine Insubordination verübt hatte.
„Es ist keine condotta, die uns nach Arivorien zieht. Es ist etwas anderes.“ Das Murren wurde lauter, die Blicke argwöhnischer. Viele der Reiter waren deutlich magerer als noch vor Monaten.
„Und wir reiten auch nicht gen Sorbik. Nein, wir ziehen nach Arivor selbst.“
Das Murmeln verstummte schlagartig. War ihr Capitano vollkommen verrückt geworden? Sorbik mochte ein lohnendes Ziel sein. Aber Arivor angreifen? Das Stahlherz Yaquiriens? Die Lager der Horaslegion?
„Aber nicht wir alle. Die meisten von Euch werden vor der Stadt lagern. Doch für Eure Unterhaltung ist gesorgt: Ich reite auf den Schwerterfeldern von Arivor! Ich trete zum Lanzengang um den Siegeslorbeer des Horas an!“
Einige Augenblicke lang waren die Söldner vollkommen still. Manch einer war zu betrunken, um die Worte zu verstehen, doch die meisten waren nur zu überrascht. Mondinos Herz schlug bis zum Hals, wie es in der Schlacht noch nie gepocht hatte. Er brauchte den Schutz seiner Leute – würden sie auch diese Entscheidung mittragen, die sie in Gefahr brachte und die, aus ihrer Sicht zumindest, eine bloße Extravaganz darstellte? Mondino blickte seine Leute an. Sie blickten zurück.
Da, auf einmal, erhob einer der alten Haudegen, ein gebürtiger Phecadier mit einem halben Ohr, den Humpen und rief: „Hoch Mondino! Der Capitano siegt für die Bestie!“ Und erst einer, dann noch einer, dann alle, die es noch konnten, fielen ein, bis die Taverne widerhallte: „Hoch Mondino!“ Und Mondino sah endlich wieder Stolz in ihren Augen. „Eine Runde für alle!“
Diese erste Hürde war geschafft. Der erste Schritt nach Hause war gemacht.
Schwarze Reiter
Am 18. Rahja, auf der Seneb-Horas-Straße kurz vor Arivor.
Die Bauern des Umlandes, den Anblick Bewaffneter durchaus gewohnt, verschlossen ihre Türen vor den herannahenden Söldnern. Es war im Verlauf des Tages stetig wärmer geworden, doch der Wind blies von den Bergen her frisch über das flache Land südlich des Yaquir und ließ das große Pantherbanner der Eskadron flattern.
„Es dürfte nicht leicht werden, hier ein Lager zu finden. Die Leute mögen keine fremden Bewaffneten. Dazu das Turnier. Wir werden viel bieten müssen“, meinte Schwester Khorena, die Kaplanin des Trupps. Sie ritt zu Mondinos Linker, während die hühnenhafte Barberini ihr Pferd zu seiner Rechten hielt. Die Leutnantin spuckte aus.
„Das liegt an den verdammten Kettenhemdlern. Die setzen den Bauern in den Kopf, alle Leute mit einem Schwert in der Hand seien bewaffnete Strauchdiebe – außer ihnen.“
„Wenn man Euch so ansieht, kann man es ihnen nicht verdenken. Wo habt Ihr eigentlich diese Hühner ergaunert?“, feixte die Kaplanin. Leutnanta Barberini würdigte die Anspielung auf die drei toten Vögel, die seitlich an ihrem Sattel baumelten, nur mit einer verächtlichen Handbewegung. Mondino hatte von alledem wenig mitbekommen.
„Im Yaquirbruch fand man überall Unterschlupf“, murmelte er. „Seltsam eigentlich: Hier hat ihnen doch nie ein Söldling die Kinder genommen, dort ist das Alltag…“
Larissa Barberini war nicht für derlei philosophische Erwägungen zu haben, so dass sie nur sagte: „Dann sollten wir schleunigst wieder zurück, wenn Du den Siegpreis geholt hast, Capitano.“
Trotz ihrer rauhen Art schätzte sie ein weiches Bett und eine warme Mahlzeit.
Wie von Schwester Khorena befürchtet, wechselte eine schmerzhafte Menge Silbertaler den Besitzer, bevor die Bestia Negra ihre Zelte auf einem brachliegenden Acker in der Nähe einiger Apfelbäume aufschlagen durfte. Es waren viel weniger der ledernen Unterkünfte nötig als noch vor wenigen Jahren, bevor die Bomeder Buntröcke zur Schwarzen Bestie geworden waren. Erst in der letzten Woche waren zwei altgediente Reiter von der Fahne gegangen.
Zur Verwunderung seiner Leute versuchte Mondino diesmal nicht, die beiden ausfindig zu machen. Keiner von ihnen kannte seine wahren Motive. Keiner würde sie verstehen.
„Leutnanta! Irgendwelche Nachrichten von meinen Verwandten?“
Die Barberini sah ihn spöttisch an.
„Keine Spur, Capitano. Wieso fragst Du? Was soll da auch auf einmal kommen? Da kam doch noch nie was… Bis auf das eine Mal.“
Mondino hasste es, wenn sie ihn duzte, er hasste es, wenn sie seine Befehle hinterfragte. Die Jahre im gleichen Rang konnte sie immer noch nicht abschütteln. Er reagierte kalt.
„Aha. Ich werde nun in die Stadt. Isonzada und Phecadio kommen mit mir. Ihr bürgt dafür, dass die Leute hier keinen Unsinn machen. Und ihr seid morgen zur vereinbarten Stunde mit den Leuten am Turniergelände. Vollzählig und nüchtern. Das wäre dann alles, Leutnanta.“
„Jawohl, Capitano.“
Schwarze Worte
Am 21.Rahja, in einer biederen Taverne in Arivor.
Die Siege während des Turniers hatten Mondinos eigentümliche Hochstimmung verstärkt. Zwar hatte er sich Luca di Onerdi geschlagen geben müssen und das Publikum schien – noch! - andere Favoriten zu haben, aber sein Ziel war nahe. Umso besser, dass sein jüngerer Bruder ihm zwei Tage zuvor endlich brieflich bedeutet hatte, sie könnten die Angelegenheit, um die er ihn ersucht hatte, an diesem Abend klären – schneller als gedacht.
Nun saßen die beiden Männer schon eine Weile in einer jener heiligennamenbemalten Tavernen, in denen sie im Gewühl der Leute nicht weiter auffielen. Während Leophex im Gegensatz zu seiner sonstigen Art einsilbig blieb, war Mondino ins Erzählen geraten. Seine Rede steuerte soeben auf ihren End- und Schlusspunkt zu.
„… und so habe ich beschlossen, auf euer Angebot einzugehen, Leophex.“
Leophex von Calven sah seinen Bruder betroffen an. Er blickte einige Momente in das Gewirr der Dachbalken, die mit göttergefälligen Sinnsprüchen verziert waren. Beiläufig steckte er sich einen schmalen Cigarillo an und sog gierig den Rauch ein. Mondino wurde ungeduldig.
Schließlich antwortete Leophex gedehnt.
„Ich fürchte, es wird nicht gehen.“
„Wie meinst Du das?“
„Nun, vor anderthalb Jahren, als ich zu Dir ins Söldnerlager gereist bin – was weder einfach noch angenehm war – da habe ich Dir ein Angebot überbracht. Und ich habe Dir gesagt, dass es nicht für ewig gelten wird. Ich bin hierher gekommen, weil ich …“
„Aber…“ In diesem Augenblick fühlte sich Mondino seinem jüngeren Bruder hilflos ausgeliefert. „Aber – warum?“
„Marino hat ausdrücklich angewiesen, dass jedes Familienmitglied seinem Wort zu folgen hat. Das gilt für alle. Und Dich hat er sogar nach Hause gebeten. Du hast mich ausgelacht. Damit hast Du ihn ausgelacht. Das wirst Du verstehen, in Deiner Lage. Er sitzt so fest im Sattel nicht. Er muss sich Respekt verschaffen… Ich bin hierher gekommen, um zu sehen, ob… Ob es eine andere Lösung geben kann. Ich habe schon kurz mit Signore Tarquinio sprechen können...“
„Ich kann keine andere Lösung brauchen, Leophex! Weder von Tarquinio noch von Dir!“ Er war unbeabsichtigt laut geworden und versuchte nun, seine Stimme zu beherrschen.
„Ich habe mich doch nur deshalb zum Turnier angemeldet… Hier ein paar Siege, ein wenig Ruhm… Marino soll mich absolvieren, sich bei den Comites und den Kirchen für mich einsetzen, dann komme ich nach Hause und führe wie ihr ein biederes Leben im Kreise meiner Lieben...“ Mondino hatte versucht, dem letzten Halbsatz den Anhauch von Sarkasmus zu geben. Stattdessen klang er nur verzweifelt.
„Bruder, es geht nicht. Der Schirmer der Flut hat es ausdrücklich untersagt. Und die Söldlinge… Die Eteria war schon über Luntfelds Cavallieri jenseits des Flusses nicht erfreut. Wie viel weniger noch über eine Bestie im Vorgarten?“
„So! Was sollte ich von einem Advocaten“, und Mondino spuckte das Wort seinem Bruder förmlich vor die Füße, „wohl erwarten. Betrug und Treulosigkeit! Du Hund!“
Leophex' Miene erkaltete.
„Diese Worte werde ich vergessen, im Namen der milden Travia, die die Familie beschützt. Ich will Dir nichts böses, Mondino. Ich werde stets tun, was ich für Dich tun kann. Aber ich habe meine Anweisungen.“
Schwarzer Stein
Abends am 22. Rahja, an einem alten Schrein vor Arivor.
Jadira strich über den verwitterten Stein. Schemenhaft war im fleckigen Halbdunkel ein Relief zu erahnen, mehr zu spüren, als dass man es sah. Hier unter dem üppigen Blätterdach einer mehrhundertjährigen Platane war die Luft kühler. Mondino schien diesen Ort gesucht zu haben. Sein Hemd war von den Anstrengungen des Kampfes und der brütenden Wärme des gerondratischen Frühsommers schweißnass und verströmte einen herben Geruch.
Der jungen Zahori aber fror.
Ihr Ausritt war ungewöhnlich lang gewesen. Einige Meilen trennten sie mittlerweile von der Stadt. Die ganze Zeit hatten sie kein Wort gewechselt. Jadira hätte gedacht, Mondino müsse nach den Siegen der letzten Tage froh sein. Aber auch darin hatte sie sich getäuscht, wieder einmal. Er wirkte geradezu benommen. Es war lange her – Jahre – dass sie große Begeisterung bei ihrem Geliebten wahrgenommen hatte. Spätestens nach dem Tode Horasios hatten nur Zynismus und Verachtung Platz im Herzen des Schwarzen Calven gehabt: eine rauhe Söldnerseele, nur geringfügig ummantelt von adliger Erziehung und akademischer Bildung.
Sie hatte gehofft, der Sieg über gleich zwei Verwandte des verhassten Comto Erlan könne das Feuer in ihm wieder angezündet haben. Er hatte selbst gesagt, es sei die Rache, die ihn nach Arivor getrieben habe. Doch seine Augen, die mit ihrem Blau die septimanische Herkunft Mondinos verrieten, die sonst so klar und willensstark leuchteten, waren müde.
Mondino hatte sich an einem nahen Bach erfrischt und lehnte nun an dem mächtigen Baumstamm. Er starrte auf die Stele. Wen sie einst hatte ehren sollen, war kaum zu entscheiden. Von den sechs schlanken Säulen, die vor langen Jahren ein Dach getragen haben mochten, waren nur noch efeuumrankte Stümpfe geblieben. Steinblöcke lagen ringsum, als seien sie Spielzeug von Riesenkindern gewesen, Scherben zerbrochener Dachziegel ragten hier und da aus der feuchten, bemoosten Erde.
Jadira lehnte sich neben ihm an den Baum. Sie strich mit ihrer Hand sanft über seine Unterarme. Die schwarzen Lederschienen, die er gewöhnlich dort trug, musste er am Bach vergessen haben.
„Du bist sehr schweigsam, primero.“
Mondino blickte unverwandt in die Ferne. Hatte er ihre Worte überhaupt gehört?
„Mondino, was ist mit Dir?“
„Wir werden weit fort müssen.“
„Wie meinst Du das?“
„Ich ertrage es nicht.“
Jadira war entsetzt. Solche Worte hatte sie von Mondino noch nie vernommen. Er schien ihr fast… verletzlich. Er blickte sie endlich an, doch sie konnte nichts erwidern.
„Jadira, die Schwarze Bestie wird keinen Frieden finden. Ich werde keinen Frieden finden. Dieses Turnier… Ich weiß nun, warum ich mitreite. Ich wollte zurück in diese Welt, die Welt meiner Jugend. Ich rede es mir stets ein, aber es ist eine Lüge: Ich ertrage es nicht, ein Geächteter zu sein. Doch nichts anderes bin ich.“
„Wir werden zurückgehen und Buße tun, wenn Du es willst. Ich werde mich meiner Sippe vor die Füße werfen, wenn es nötig ist, ich werde Rimon anbetteln...“
„Schweig, Weib! Du weißt gar nichts. Du kannst deinen Frieden haben. Aber ich … Dein Frieden ist nicht mein Frieden. Ich werde keine Freundschaft mehr mit diesen Menschen schließen.“
Jadira blickte zu Boden. Ihre Wange schmerzte von der heftigen Ohrfeige. Sie wollte nicht weinen, doch es gelang ihr nicht, die Tränen zu verbergen. Mondino starrte in die Ferne. Er riss achtlos Rinde vom Baumstamm und zerbröselte sie. Mit dem Reitstiefel zertrat er einen morschen Ast. Schließlich seufzte er.
Sie waren schneller entkleidet als sonst. Nur kurz dachte sie darüber nach, ob es ein Frevel sein konnte, was sie taten. Doch Mondino ließ ihr keine Zeit, diesen Gedanken zu Ende zu führen. Als sie später erschöpft auf dem Stein lehnten, war das Symbol darauf klarer als zuvor zu sehen: Eine schreitende, brüllende Löwin.
Da hörte sie ein Wort aus Mondinos Mund, dass sie noch nie von dort vernommen hatte.
„Entschuldige.“
Schwarze Sinne
In den sehr frühen Morgenstunden des 24. Rahja, am Rande des Turnierfeldes.
Schwester Khorena war nervös, als sie sich auf dem Weg ins Zeltlager der Turnierteilnehmer befand. Dass der Capitano sie in sein Zelt rief, um mit ihr etwas dringend zu besprechen, kam nicht oft vor, insbesondere in diesen frühen Morgenstunden.
Sie war keine junge Novizin mehr und reiste nun schon ein gutes Jahr mit der Schwarzen Bestie umher, aber ganz sicher fühlte sie sich in dem Söldnerhaufen immer noch nicht. Insbesondere diese Barberini mochte sie nicht, und die konnte sie gut beim jungen Calven angeschwärzt haben. Dennoch wollte sie auch nicht weggeschickt werden, "nicht schon wieder", seufzte sie innerlich in Gedanken an das Kloster von Mantrash'Mor. Der wachende Bestiero nickte ihr zu und trat zur Seite, als sie sich vor ihm aus dem Morgennebel schälte.
Sie strich den schweren Ledervorhang zur Seite. Mondino saß auf seinem Feldbett und stierte düster ins Leere. Um seine Knie geschlungen und halbnackt befand sich die junge Zahori.
"Signore, Capitano, Ihr wolltet mich sprechen?"
"Es hat ja lange genug gedauert..." Mondino wandte sich der Kaplanin zu und schüttelte Jadiras Umarmung ab, während er sich erhob. "Sei es, wie es sei. Ihr seid eine Priesterin, jedenfalls für meine Begriffe. Und Ihr seid die Beichtmutter der Schwarzen Bestie..."
Mondino starrte sie nun an. Er schien abzuwarten. Schwester Khorena nickte steif.
"Gut, dann wisst ihr sicherlich, dass die Euch anvertrauten... Geheimnisse auch solche bleiben sollen. Dann lest."
Er reichte ihr ein einfaches und grob zerknülltes, aber auf eine unbestimmte Art wohlduftendes Pergament herüber. Die Handschrift darauf war wohlgeformt, aber nicht von einem Lohnschreiber erstellt worden, verriet Khorena ihr geübtes Auge.
"Nun lest schon!"
Ihre Augen weiteten sich, als ihr beim Auseinanderfalten die Unterschrift ins Blickfeld geriet. Sie las:
Werter Mondino von Calven,
ich habe Euch dieses Schreiben über Eure Gefährtin zukommen lassen, da es mir tatsächlich ein wichtiges Anliegen ist, mit Euch zu sprechen!
Doch zuvörderst möchte ich Euch im Namen Travias, Tsas und aller Zwölfe um Verzeihung bitten. Meine Gratulation nach Eurem Sieg war vielleicht nicht von der Weisheit Hesindes geprägt. Dafür möchte ich mich bei Euch entschuldigen.
Es ist an der Zeit, alte Streitigkeiten beizulegen. Daher schlage ich Euch ein gemeinsames Treffen vor. Ihr entscheidet über den Ort, den Zeitpunkt und über die weiteren Modalitäten.
Möge Rondra mit Euch im weiteren Verlauf des Turnieres sein, gezeichnet...
Sie verharrte einen Augenblick.
... Erlan Sirensteen, von eigener Hand stand dort als Abschluss in geschwungenen Lettern. "Alle Götter...", entfuhr es ihr.
Mondino grinste schief. "So, Kaplanin. Ich rechne auf Eure Verschwiegenheit. Ihr habt das Angebot dieses Hundes in Händen. Auf dem Turnierplatz ist er mir unterlegen. Ich nehme an, Ihr ahnt wie ich eine Falle?"
"Das ist zuerst einmal... eine Chance..." Schwester Khorena musterte das Papier und legte die Stirn in Falten.
"Eine Chance? Alte Streitigkeiten beilegen? Was soll das heißen?"
"Nun, wenn Comto Erlan Eure Freundschaft will, warum solltet Ihr sie ihm dann verweigern, zumal er sein Anliegen doch in artige Worten kleidet."
"Artige Worte! Er bittet mich um Verzeihung dafür, dass er mir ungeschickt gratulierte. Großartig! Hat er sich jemals bei den Kindern des Grafen dafür entschuldigt, dass sie um seinetwillen ohne Vater aufwachsen? Dafür, dass er das Werkzeug war, dass meinen Herren tötete und mich zum Strauchritter machte?"
"Euer Zorn auf diesen Mann ist groß und Euer Hass geht tief. Aber geht auch mit Euch ins Gericht. Der lichte Herr schätzt den Hass nicht. Es ist vielleicht die Zeit gekommen, den Krieg ruhen zu lassen."
Der Schwarze Calven hatte sich abgewendet. Jadira blickte abwechselnd zwischen den Stehenden hin und her.
Khorena setzt abermals an: "Es muss ja nicht zu Eurem Nachteil sein."
Jadira sah, dass der Schwarzfisch die Augen geschlossen hielt. Er seufzte. "Ich habe Eure Meinung verstanden. Ich benötige Euch nun nicht weiter, Schwester. Habt Dank. Ich brauche nur noch etwas Schlaf."
Schwarzer Mantel
Abends am 25. Rahja, an einem alten Schrein vor Arivor.
Irgendetwas hatte Mondino zu der Kultstätte unter der Platane zurückgeführt. Der Abend nach der Siegerehrung hatte sich in Arivor zu einem rauschenden Fest entwickelt. Nicht einmal Jadira hatte er gesagt, wo er hin war. Die Nacht hier draußen versprach Abkühlung, nicht nur eine des Körpers. Er war der Sieger des Turniers. Der Streiter des Reiches sollte er sein, ausgerechnet er.
Über den in den Palazzi des Yaquirbruch geflucht und gespottet wurde. Auf den die Almadaner ein Kopfgeld ausgesetzt hatten, das einen Mann oder eine Frau bequem über ein oder zwei Jahre bringen konnte. Der am Ende gewesen war. Und immer noch am Ende war. Den bejubelte der vergessliche Popolo.
Er hatte einen Schwur geleistet, die Kamarilla um den Gräfling zu bekämpfen. Er hatte versprochen, die Kinder Horasios zu schützen und zu stützen, wo es ging. Er konnte sich Erlan nicht unterwerfen, niemals!
Mondino warf einen Stein ins Dunkel. Das Madamal war hinter den mittlerweile aufgezogenen, dichten Wolken nicht zu sehen. Warum wollte Erlan ihn nicht fordern, ihn angreifen, ihn gar meucheln lassen? Damit hätte er umgehen können. Den Kampf war er gewohnt, den Frieden nicht.
Der Sieg machte das Problem nur noch drängender. Der Streiter des Reiches, so war verkündet worden, sollte keinen Hader im Reich stiften. Aber der Streit war doch sein Geschäft!
Mondino sank auf die Knie. Um ihn herum war das laute Zirpen der Zikaden und das leise Rascheln der Blätter. Lange hatte er nicht mehr gebetet. Leise klangen ihm noch die Litaneien von der Kadettenschule im Ohr. Doch in dieser Umgebung kamen ihm eigene Worte, ganz von allein. Alle Götter flehte er an, aber weder als dankender Sieger noch als geläuterter Jünger. Seine Worte waren kaum hörbar, gleichwohl waren sie ein Schrei und eine Klage.
Als er sich erhob, war sicher eine Stunde vergangen. Es war merkwürdig still, als sich aus dem Schatten des mächtigen Stammes eine Gestalt löste. Mondino wandte sich erschrocken um und zog in einer schnellen Bewegung das Rapier.
Die Figur hatte die Rechte abwehrend und beruhigend erhoben. Der dunkle Umhang umhüllte sie nahezu vollständig. Mondino verharrte angespannt in Abwehrposition. So vergingen einige Momente, als der Erschiene mit einer angenehmen Baritonstimme zu sprechen begann.
"Mondino von Calven. Wir haben Euch erwartet."
Ihm stockte der Atem, als der Fremde die Kapuze zurückschlug.