Briefspiel:Mein Stein am Fluss

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Stadt Urbasi.png Briefspiel in Urbasi / Geschichten am Rand des Kriegs der Farben Weiße.png
Datiert auf: Anfang Hesinde 1041 BF Schauplatz: Urbasi, v.a. im Magistratspalast Entstehungszeitraum: Herbst 2018
Protagonisten: Duridanya Zorgazo, Carolan ya Malachis, Istirde von Urbet, Leonore Dalidion, Therengar Aspoldo Autoren/Beteiligte: Familie Aspoldo.png Aspoldo, Familie ya Malachis.png Cassian, Haus Urbet.png Gonfaloniere, Familie Dalidion.png Storai, Familie Zorgazo.png Toshy


Das vorliegende Briefspiel Mein Stein am Fluss behandelt die ersten Reaktionen des urbasischen Patriziats auf die Ende Boron 1041 BF im laufenden Krieg der Farben erfolgte, handstreichartige Eroberung der Nachbarstadt Sikramara durch den Condottiere Travian di Faffarallo.

Duridanya Zorgazo, amtierende Gonfaloniera Urbasis

Prolog

Wütend läutete die Stadtglocke vom Campanile della Signoria, dem höchsten Turm Urbasis, hinunter in die Menge, die sich vor dem Palazzo Magistrale versammelt hatte. Die urbasische Bevölkerung hatte eine schmale Gasse gebildet, durch die gehetzte Würdenträger und Adlige zur Sondersitzung der Signoria eilten – begleitet von Rufen und Forderungen aufgebrachter, verängstigter Einwohner. Die Ereignisse rund um die Felsenstadt Sikramara hatten sich im benachbarten Urbasi verbreitet wie ein Lauffeuer und versetzten die Menschen in Angst und Ratlosigkeit. Noch waren nicht alle in der Stadt befindlichen Mitglieder der Signoria eingetroffen und auch der Renascentia-Platz füllte sich immer noch mit Menschen, die an diesem Vormittag keine andere Nachricht kannten, als die von der Besetzung Sikramaras durch einen scheinbar marodierenden Söldnerhaufen.
Eine dieser fehlenden Personen war die Initiatorin der Sondersitzung. Die gerade erst ins Amt zurück gewählte Gonfaloniera Urbasis, Duridanya Zorgazo, eilte schnellen Schrittes durch eine Nebengasse auf die Mauer eines Hinterhofs zu. Ihren dunkelgrünen Umhang mit Kapuze tief ins Gesicht gezogen, verschwand sie kurz darauf auf einer Kellertreppe in der Dunkelheit.

Mein Stein am Fluss

Niccola Valletti verzierte mit ruhiger Hand einige Trüffelpralinen mit dunkler Schokolade, als das Knarren der Kellertreppe ihn aus seinen Gedanken riss. Er legte sein Werkzeug auf den mehlverschmierten Tisch, der in seiner kleinen Werkstatt neben der Bäckerei Zorgazo stand, und schaute zur Tür, die in seinen Speisekeller führte. Quietschend wurde sie aufgeschoben und eine zierliche Person, gehüllt in einen dunkelgrünen Umhang, schlüpfte in den Werkraum. Niccola kannte seine Besucherin, nahm sich einen Lappen und putzte sich die schokoladen- und mehlverkrusteten Hände.
„Duridanya“, nickte er ihr zu, als hätte er die Patriarchin der Kornhandelsfamilie erwartet.
„Meister Niccola“, erwiderte diese mit ihrer bekannt piepsigen Stimme und schob die Kapuze vom Haupt. Ihre langen, blonden Haare schlängelten sich wie ein Nest voll goldener Schlangen über ihren Rücken herab. „Ich hätte gern gewusst was hier schief gegangen ist. Hatte ich nicht ausdrücklich Anweisungen gegeben, die Lage im Auge zu behalten und beim kleinsten Anzeichen von Bedrohung sofort zu handeln?“ Die Gonfaloniera wirkte aufgebracht und ihr Tonfall war scharf. „Und jetzt dieses Debakel. Was ist los mit euren kleinen Singvögeln? Warum sind die alle stumm?“
Der Pralinenmeister lehnte sich lässig an seinen Werktisch und beobachtete die nervös wirkende Zorgazo, wie sie durch seine Werkstatt schlich und sich vergewisserte, dass sie alleine sind.
„Wir sind unter uns“, antwortete er auf die unausgesprochene Frage, die Duridanya auf der Stirn stand. „Was unsere Quellen betrifft, so muss ich gestehen, dass wir seit einigen Tagen keine Nachrichten mehr aus den umkämpften Gebieten erhalten haben. Dort ist schlichtweg Chaos und unseren Vögelchen war es wohl nicht möglich entscheidende Informationen zu erhalten. Wahrscheinlich waren die meisten von ihnen damit beschäftigt nicht zwischen die kämpfenden Parteien zu geraten.“
Duridanya schnaufte verächtlich.
„Ich gebe euch Gold, ich gebe euch Macht, ich gebe euch Einfluss. Und was bekomme ich dafür? In dem Moment wo es darauf ankommt, ziehen alle Füchse vom Sikram den Kopf ein und bemerken nicht, wie eine Streitmacht an ihnen vorbei zieht.“
Meister Valletti ertrug die Schimpftiraden ohne Regung.
„Duridanya, ihr müsst verstehen, dass nicht jede Quelle und nicht jeder Informant von uns ein ausgebildeter Spitzel ist. Die meisten von ihnen sind Hirten, Feldarbeiter, Tagelöhner oder Handwerker. Einfache Leute, die für ein paar Münzen unsere Augen und Ohren sind. Es liegt doch auf der Hand, dass diese Leute erst einmal ihre eigene Haut retten. Unsere eigenen Spitzel haben dadurch den Kontakt zu ihren Quellen verloren und waren daher auf einem Auge blind. Bedauerlich, aber nicht zu ändern.“
„Bedauerlich, aber nicht zu ändern“, piepste Duridanya zurück. „Gut, es ist nicht mehr zu ändern. Schauen wir nach vorne. Haben wir noch Quellen und Spitzel in Sikramara?“
Der Tonfall der Gonfaloniera hatte sich deutlich geändert und Nicolla nickte zustimmend.
„Einen unserer Männer haben wir dort noch. Allerdings konzentrierte sich seine Arbeit bisher auf euren Cousin Debero und seine Frau. Er bewegt sich daher im Dunstkreis der Villa Mythraela und hat Schwierigkeiten uns brauchbare Informationen über das Vorgehen der Belagerer zu liefern. Glücklicherweise haben wir ihm erst vor wenigen Tagen einen größeren Betrag Dukaten zukommen lassen, mit deren Hilfe er Informanten im Kreise des Podestaten für unsere Sache anwerben sollte. Unser Mann ist einer der Besten und er hat dank der Dukaten einige Möglichkeiten, so dass wir in naher Zukunft mit brauchbaren Informationen rechnen. Er geht allerdings gern umsichtig vor und überstürzt nichts, so dass wir an dieser Stelle geduldig sein müssen.“
„Zeit und Geduld sind etwas, das wir derzeit nicht haben“, unterbrach Duridanya ihren Pralinenmeister. Die Gonfaloniera wirkte nachdenklich bevor sie erneut das Wort ergriff. „Überdenken wir unsere weiteren Schritte. Die euch zufallende Aufgabe wird es sein, alle Füchse, Vögelchen und Informanten, die ihr greifen könnt, um Sikramara zu positionieren. Ich will wissen wer meinen Stein betritt und ihn wieder verlässt. Das ist mein Stein an meinem Fluss und ich werde nicht hilflos dasitzen und zusehen, wie diese Kreaturen mein Eigentum besudeln. Vermasselt es nicht wieder.“
Die Patriarchin schaute nachdenklich aus dem Fenster.
„Ich muss zur Signoria. Eure Aufgaben sind, denke ich, klar. Schickt Nachricht wenn sich etwas tut.“
Nicolla Valletti nickte verstehend mit dem Kopf und blickte Duridanya nach, als sie im Türspalt verschwand wie sie gekommen war.

Sondersitzung der Signoria

Kurze Zeit später erreichte Duridanya die Menschenmenge vor dem Palazzo Magistrale. Ängstliche, aufgebrachte Urbasier redeten auf Duridanyas Vorgänger im Amt des Gonfaloniere der Stadt ein. Carolan ya Malachis beruhigte die Menge, die ihn mit ihren Ängsten und Sorgen überschüttete. Beschwichtigend ging er die Stufen hoch in den Palazzo Magistrale. Duridanya nutzte die Gunst und eilte fast unerkannt durch einen Schlauch von Menschen ehe auch sie sich dem Eingangsportal näherte. Hastig schritt sie hinein, als sie aus der Menge Menschen ihren Namen rufen hörte. Sie griff im Vorbeigehen Carolans Schulter und schob ihn hinein, während sie mit der anderen Hand den Wachen andeutete, die Tür zu schließen.
„Wir sprechen uns später“, sagte die Gonfaloniera, als ihr Vorgänger etwas zu ihr sagen wollte, und erntete ein einfaches Nicken. Beide hasteten dem Saal entgegen aus dem lautstarker Trubel zu hören war und schlossen hinter sich die Tür.

Carolan zügelte seine Ungeduld und ließ sich von der Zorgazo in den Saal schieben. Er hätte sie brennend gerne gefragt, ob sie Neuigkeiten aus der besetzten Stadt hatte. Ob sie wusste, wie es seiner Tochter und seinem Enkel ging. Aber die Gonfaloniera war viel zu aufgebracht, um für solche Sorgen gerade Muße zu haben. Carolan kannte ihr Temperament und seufzte. Er würde warten müssen, bis nach der Sitzung. Während er seinem Platz zustrebte, blickte er über die Stuhlreihe um zu sondieren, wer schon alles da war.

Istirde von Urbet, die Vertreterin des Hauses Urbet

Istirde von Urbet hatte sich nach der ihr übermittelten Aufforderung der Gonfaloniera zum Erscheinen auf der Sondersitzung beeilt, diesem Wunsch nachzukommen – und befand sich bereits unter den im Saal wartenden Signori. Sie befürchtete, dass diese Sitzung für sie unangenehm genug werden würde – angesichts der Ereignisse, die den Faffarallo erst in die Urbasiglia geführt hatten, und vor allem der Rolle, die ihre Familie dabei gespielt hatte. Sie wollte durch ein Zuspätkommen jetzt aber auch keinen weiteren Unmut heraufbeschwören. So harrte sie eher im Hintergrund dessen, was sich nun weiter ereignen würde.

Leonore Dalidion war mit regungslosem Gesicht und flankiert von zwei ihrer Eulengardisten durch die verunsicherte Menschenmenge gegangen. Sie wollte Ruhe und Kraft ausstrahlen. Dinge, die Ihrer Meinung nach jetzt dringend gebraucht wurden. Drinnen ging sie zielstrebig zur Schreibstube in der zu dieser Zeit vermutlich noch Gylduria Deraccini eifrig-hastig die Sitzungsunterlagen vorbereitete. Ihre Vermutung war richtig. Gylduria kam soeben mit zwei ihrer Untersekretäre aus der Schreibstube und versuchte beim Anblick Leonores sofort an ihr vorbei zu tauchen. Beide Frauen wussten was jetzt vor der Tür bis in den Sitzungssaal passieren würde.
“Leonore, nicht jetzt, ich…” versuchte die Baronessa die Cavalliera abzuwimmeln.
“Gylduria, du weißt genau warum das hier passiert ist. Genauso gut wie jede andere Person hier im Raum. Es muss doch einen Weg geben Panthinos Sitz unter diesen Umständen für vakant zu erklären und….”
“Das mag sein, aber ich muss die Sitzung vorbereiten und wir haben das schon Praios-weiß-wie-viele-Male besprochen; ich…”
So diskutierten beide Frauen energisch mit der jeweils Anderen, bis die Sitzung allmählich begann und Leonore sich auf Ihren Platz zurückzog.

Derweil bahnte sich Ingalfa Dalidion langsam und Zuversicht verbreitend ebenfalls einen Weg durch die Menge. Die Hesinde-Geweihte sprach den Menschen Mut zu und versuchte sie zu beruhigen. Viele dachten im Angesicht möglicher Kämpfe an die Marudreter Fehde oder an die Schreckensherrschaft Travianos, sollte jetzt auf einmal ein Söldnerführer ihr schönes Urbasi angreifen und erobern. Für jede besorgte Miene nahm sich die Hochgeweihte einen Moment und ein paar weise, beruhigende Worte Zeit. Als sie es endlich in den Magistrat geschafft hatte, atmete Ingalfa einmal ruhig durch und ging dann mit sorgenvoller Miene in den Saal der Signoria. Was, wenn der Popolo Recht hatte?

Therengar Aspoldo war hingegen bereits im Ratssaal angekommen, konnte aber nicht still sitzen, oder gar stehen, sondern stampfte mit hochrotem Kopf umher und war auch nur zu kurzen Gesprächen zu bewegen.
“Dieser dreckige Mörder”, konnte man ihn immer mal wieder, recht laut, murmeln hören. Obwohl er die siebzig überschritten hatte, strahlte der bullige Mann nach wie vor eine kraftvolle Präsenz aus. Therengar schien jedenfalls eher in Stimmung für eine Keilerei, oder eine Schlacht, statt einer Ratssitzung zu sein.

Duridanyas Donnerschlag

Eronia war froh über das Erscheinen ihrer Cousine. Die aufdringlichen Adligen, die eben noch um die junge Adlige herumschwirrten wie Motten um das Licht, verstummten und richteten ihre Aufmerksamkeit auf Duridanya. Eronia seufzte vor Erleichterung. Die Erklärungen, wieso sich die Gonfaloniera wohl verspätete, waren ihr ausgegangen. Außerdem hatte Duridanya ihre Stellvertreterin sowieso nicht über ihre Absichten informiert.
Der Saal war voller als sonst. Das unübersichtliche Stellvertretersystem der Signoria führte manchmal dazu, dass sich Unbefugte einschlichen. Vor allem bei wichtigen Abstimmungen war dies ein zeitraubendes Ärgernis. Aber heute wurde nichts abgestimmt, so dass dieser Umstand mit offenen Augen einfach ignoriert wurde. Als sich die große Flügeltür schloss, brummten die Glockenschläge dumpf in den Wänden nach, und Eronia hatte kurz das Gefühl, im Bauch eines Monsters gefangen zu sein. Als Duridanya dann das Wort ergriff, verstummte jegliches Gemurmel abrupt und alle Augen waren auf sie gerichtet.

„Wir befinden uns im Krieg. Wir haben ihn nicht gewollt. Wir haben ihn nicht gesucht. Er hat uns einfach gefunden. Am gestrigen Tag wurde Sikramara vor unserer Nase durch uns feindlich gesinnte Kräfte im Handstreich erobert. Näheres liegt uns derzeit noch nicht vor. Nach Beratung eines eilends zusammengerufenen Kriegsrats, an dem auch der Priore militaris teilnahm, sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass wir in Urbasi vorerst sicher sind. Die Truppen des Heiligenmörders sind augenscheinlich zu gering um eine Eroberung oder Belagerung Urbasis durchzuführen. Daher gilt unser Augenmerk derzeit der größten Bedrohung, die von dort ausgeht. Uns könnte dasselbe widerfahren wie Sikramara und sie überrumpeln uns im Schlaf.
Daher haben wir einige Notmaßnahmen in Kraft treten lassen. Es gilt eine Ausgangssperre mit heraufziehender Dunkelheit. Die Stadtgarde bemannt die Mauern mit zusätzlichen Männern. Um die Garde aufzuwerten, sind aus jeder der Stadtlanzen [Anm.: gemeint sind die Milizen der Nachbarschaften] eine Handvoll Freiwilliger bewaffnet worden. Diese sollen dabei helfen die Stadttore zu verstärken und eine Nachtwache zu bilden. Dabei patrouilliert jede der Lanzen durch ihren eigenen Stadtteil. So erhoffen wir uns das Einschleichen von Spionen zu verhindern und einer Sabotage vorzubeugen.“
Duridanya machte eine Pause und blickte mit ernstem Blick über die Anwesenden.
„Liebe Freunde. Ich spreche zu euch als von euch gewählte Anführerin. Doch in diesen Stunden bin ich genauso von den Ereignissen überrumpelt wie ihr. Ich habe versagt euch vor der Situation zu beschützen, die gerade über uns hereinbricht. Alle Maßnahmen, die unsere Sicherheit gewährleisten sollten, wurden wie durch eine Naturgewalt über den Haufen geworfen. Ich trage dafür die Verantwortung. Daher stelle ich mit sofortiger Wirkung mein Amt als Gonfaloniera zur Verfügung, wenn ihr mir das Vertrauen entzieht.“
Im Saal kam Tumult auf. Eronia Zorgazo fiel die Kinnlade runter. Wieso hatte Duridanya ihr nicht angekündigt, was sie vor hat? Eine Kurzschlussreaktion? Eronia war schockiert.
Duridanya ergriff erneut das Wort.
„Ich habe am Ausgang zwei Urnen aufstellen lassen. Jeder der Anwesenden erhält beim Hinausgehen einen Kieselstein. Werft ihr ihn in die schwarze Urne, dann seid ihr der Meinung, dass eine Duridanya Zorgazo die beste Wahl ist um der Situation gewachsen zu sein. Werft ihr ihn in die rote Urne, dann entzieht ihr mir euer Vertrauen. Sollten mehr Steine in der roten als in der schwarzen Urne sein, so werde ich zurücktreten und eine Neuwahl veranlassen, so dass der oder die Beste für diese schwere Zeit gefunden werden kann. Solltet ihr mir diese schwere Aufgabe jedoch zutrauen, so habt ihr mein Wort, dass ich alles in meiner Macht tun werde um jeden Stein dieser Stadt vor seinen Feinden zu beschützen. Ich werde nicht ruhen, bevor jeder Feind Urbasis zerschmettert wurde.“
Duridanya schritt entschlossen hinaus. Einige zustimmende Jubel begleiteten sie aus dem Saal. Eronia blickte ihr nach. ‘Was war dies nur für ein Spiel von Duridanya?’, dachte ihre Cousine und versuchte dann einige Stimmungen der Anwesenden einzuschätzen.

Reaktionen

Istirde folgte den Ausführungen Duridanyas mit zunehmendem Entsetzen, auch wenn sich dies hinter ihrer vor den Mund geschlagenen Hand nur erahnen ließ. Sie hatte erwartet, dass diese Sondersitzung primär zur Erörterung der Lage in Sikramara und zur Absprache weiteren Vorgehens dienen sollte. Daran war die Gonfaloniera offensichtlich aber gar nicht interessiert. Wenn es ihre Absicht gewesen war, Tatkraft zu demonstrieren, indem sie der Signoria alle wichtigen Entscheidungen bereits vorwegnimmt, dann war dieses Unterfangen jedenfalls gegenüber Istirde deutlich misslungen. Dass der Urbeterin dieses Vorgehen vorerst einige peinliche Fragen zur Rolle ihrer eigenen Familie ersparte, geriet für sie dabei auch vollends zur Nebensache. Gekrönt wurde das rätselhafte Verhalten Duridanyas aber noch von ihrem so unprovoziert wirkenden Misstrauensvotum.
Irgendwo schnappte Istirde im danach wieder aufkommenden Gemurmel den Begriff “Censori” auf. ‘Natürlich’, dachte sie, ‘die sind ja auch eigentlich für Amtsenthebungen zuständig.’ Aber war Duridanya in deren Visier geraten, und versuchte sie nun weiteren Schritten gegen ihre eigene Person zuvorzukommen? Istirde waren keinerlei Gerüchte geläufig, die darauf hindeuteten … Doch was steckte dann dahinter? Waren es Selbstzweifel der Gonfaloniera, die sie hierzu antrieben? Auch das erschien wenig plausibel, wenn sie die an sich so selbstbewusste, oft schon selbstgefällige Zorgazo-Matriarchin richtig einschätzte. Falls nicht, gab Istirde diese mögliche Erklärung aber auch keine weitere Zuversicht, dass Duridanya in diesem Moment tatsächlich die richtige Gonfaloniera wäre.
Eine dritte Erklärung verfing bei Istirde noch am stärksten: dass es nämlich reines Kalkül der Gonfaloniera war, dieses Votum anzustrengen, in einer Situation, in der sie kaum mit einem abschlägigen Bescheid seitens der Signoria rechnen musste, um ihr eigenes Mandat zur Führung der Fürstlichen Gemeinde noch zu stärken. Plötzlich dachte die Urbeterin an ihren eigenen Vetter, den Despoten Traviano, zurück und ebenso an die Warnung eines Dozenten der Universität Methumis, die dieser ihr und ihren Kommilitonen vor Jahren mit auf den Weg gab – dass bestehende Herrschaftssysteme nämlich am häufigsten in Kriegszeiten überworfen werden, und das nicht einmal zwangsläufig durch deren äußere Widersacher …
Bestürzt sah sich Istirde unter den Anwesenden um, streifte dabei kurz den abschätzenden Blick Eronias, bei der sie sich allerdings selbst nicht sicher war, welche Rolle diese im Spiel ihrer Base einnahm, und suchte dann vor allem nach ihrer ehemaligen Kommilitonin, nach Pamina di Bassalo, von der sie sich an diesem Tag bislang vor allem aus Rücksichtnahme ferngehalten hatte. Sie wollte diese nicht durch eine allzu aufdringliche Nähe zum “Haus Urbet”, das Istirde hier nun eben repräsentierte, in Verlegenheit bringen. Ursprünglich. Jetzt galt es aber ihre eigenen Befürchtungen mit ihrer Kommilitonin zu teilen.