Archiv:Aufruhr im Hafen (BB 40)

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Aufruhr im Hafen

von Geron Einhand

Die Ereignisse überschlugen sich. Nach dem Ernteausfall im Peraine stiegen in Sewamund die Preise für allerhand Nahrungsmittel in Höhen, die sich mancher einfache Arbeiter nicht mehr leisten konnte. Besonders traf es die Arbeiter der Werft. Erste Hunde und Katzen verschwanden, aber weiter sollte es bei der Umgestaltung des Speiseplans nicht kommen.
Die Schiffskonstrukteure der Werft, Lastenträger wie Tischler, Zimmerleute und Seiler, sie legten alle einvernehmlich die Arbeit nieder. Der Streik passte der Familie Degano offenbar gar nicht, da ihr somit ihre wichtigste Einkommensquelle im Nu versiegte. Es ist nun nicht ganz klar, was hernach genau geschah. Manche sagen, sie hätten Seesoldaten inkognito dabei beobachtet, wie sie mit Knüppeln auf die Arbeiter losgingen und diese zur Arbeit zwangen. Wenig später sorgte die Belegschaft des Hospitals, Personal vom Haus des Gastes und Geweihte des Peraine-Tempels dafür, dass die Arbeiter ausreichend Nahrung erhielten – woher auch immer diese plötzlich stammen mochte.
So ganz reibungslos schien das Problem aber nicht gelöst worden zu sein. Im Monde Ingerimm ging das Kontor der Familie Cortesinio in Flammen auf, als es der aufgebrachte Pöbel nächtens stürmte und ausrauben wollte. Diesmal griff die Garde hart durch und statuierte ein Exempel, um dem wilden Mob zu zeigen, dass er zu weit gegangen war. Blut floss – in allem Eifer sicherlich auch das von Unbeteiligten.

Man glaubte schon, dass es nicht schlimmer werden konnte, doch es kam schlimmer. Nach angespannten Tagen des unterschwelligen Dahinbrodelns der Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeiterschaft, städtischen Ordnungskräften und Patriziat, nach halbherzigen Verhandlungen und offenkundigem Standesdünkel, probte das Volk den Aufstand. Im allgemeinen Chaos gab es wohl niemanden, der den Überblick behalten konnte. Der einzige, der dazu von seiner Position her vielleicht in der Lage gewesen wäre, Drugon di Yaladan von Oberfels und Lumiân, besichtigte an jenem Tage zufällig den Leuchtturm im Hafen, von wo er bestimmt einen famosen Ausblick hatte. Nur steckte die verrückte Horde in ihrer Wut den Turm an, wobei alle, die sich darin aufhielten, eines grausamen Erstickungstodes starben. Mit dem Tode Drugons stirbt das altehrwürdige Haus aus.
Er sollte nicht der einzige namhafte Tote an jenem Tag bleiben. Holdur Degano war, wie so oft in den letzten Jahren, selbst auf dem Werftgelände zugegen. Er besichtigte im Kreise seiner großen Familie ein fast fertiges Schiff, als dieses ungeplant und unerlaubt rasch zu Wasser gelassen wurde. Aufgebrachte Leute enterten es sogleich, töteten wahllos jeden, der sich ihnen in den Weg stellte und nicht mit ihnen gemeinsame Sache machen wollte, knüpften Holdur gar am Mast auf. Die Meuterer lenkten den Kahn auf hohe See hinaus, wobei sie offenbar Hilfe von den Fischern der Stadt erhielten, die mit ihren Booten den Segler in tiefere Gewässer schleppten. Es ist wirklich sehr schwer, nach all diesen Dingen jemanden zu finden, der keine Schuld trägt.
Das ungetaufte Schiff gilt seitdem als auf See verschollen. Die Garde ist – mal wieder – überfordert.

Die erst im Praios eröffnete Aldigonenser-Abtei in der Neustadt mahnte das Sewamunder Volk zu mehr Gottesfürchtigkeit. Es solle doch nicht vergessen, wer laut den Gesetzen des Praios das Sagen habe – und wer nicht. Wenn ihr mich fragt, die Praioten sollen froh sein, dass sie nicht gleich auch noch die Gewalt der Menge zu spüren bekommen haben.