Briefspiel:Auf dem Kaiserturnier

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: Anfang Praios 1041 BF Schauplatz: Gareth Entstehungszeitraum: August-September 2017
Protagonisten: Yandriga von Urbet, ihre Knappin u.w. Autoren/Beteiligte: Haus Urbet.png Gonfaloniere

Die vorliegende Briefspielgeschichte Auf dem Kaiserturnier handelt von der Teilnahme Yandrigas von Urbet am großen Garether Turnier 1041 BF.

Anmeldung

1. Praios morgens

Gareth war überwältigend!
Yandriga hatte diesen Moloch von einer Stadt überhaupt erst einmal gesehen, und das war über zehn Jahre her, während ihres mehrjährigen almadanischen Intermezzos als Gemahlin des Dalias-Junkers. Damals lockte sie ihr Interesse an Streitwagen vor dem Donnersturmrennen kurz hierher. Danach hatte sie die Almadanische Pforte für ein Jahrzehnt nicht mehr von Norden her gesehen. Es gab wenig, was sie, die Horasierin, die Ritterin aus dem Arivorer Land, eine Reise ins Herz des Mittelreichs hätte unternehmen lassen. Außer dem Großen Kaiserturnier vielleicht … wenn es zeitlich nicht immer so nah am Arivorer Turnier gelegen hätte …
Arivor war nicht mehr. Die Katastrophe vor etwas mehr als einem Jahr hatte sie überlebt. Und nun war sie, weil es das „wichtigere“, das Arivorer Turnier nicht mehr gab, doch hier, in Gareth, der größten Stadt Aventuriens.
Von ihrem Quartier auf dem Heldenberg (natürlich!), in dem sie die letzten der Namenlosen Tage verbracht hatte, brach sie im weiten Bogen zum Turnierfeld vor der Alten Residenz auf, umrundete das Schloss inmitten der Stadt weitläufig. Ihr Weg führte sie über den Eisenmarkt am Ingerimm-Tempel vorbei zum Eslamsbogen und Geburtshaus Kaiser Rauls, des Mörders ihrer Ahnfrau Lutisana, dem sie in den nächsten Tagen noch einen Besuch abstatten wollte, weiter zum größten Rondra-Tempel Aventuriens und über den Platz der Zwölfgötter schließlich bis vors Westtor der Alten Residenz.
Als unverkennbare Tjosterin – ihre Knappin Isha und der Knecht Azzo ritten bzw. führten die drei anderen Pferde neben ihr – war sie selbst den neugierigen Garethern eine Sehenswürdigkeit. Und anders als manch übermäßig standesbewusster Ritter winkte sie den Menschen, die ihr zujubelten, auch zurück. Vor dem eigentlichen Turniergelände hielt sie inne, stieg ab und machte eine kleinere Runde durch den Trubel des Volksfestes mit seinen Feuerschluckern, Jongleuren, Schaukämpfern und Barden. Das hatte es in Arivor nie gegeben, jedenfalls nicht in dieser konzentrierten Form, weil der Turnierboden auf dem Schwerterfeld auch viel weitläufiger war als hier in Gareth.
Erst unmittelbar vor dem Tor stieg sie wieder aufs Pferd mit der langen grün-weißen Schabracke, und kramte endlich nach den Dokumenten, die ihr von ihrem Vetter, dem Baron von Cindano, in Vinsalt mit auf die Reise gegeben worden waren. Eins überreichte sie ihrer Knappin, das andere, für den Sohn des Barons bestimmte, verstaute sie vorerst wieder. Ein drittes, überaus langes, nicht vom Baron in Vinsalt ausgefertigtes, sondern von ihrem „edlen Schwager“, Ranudo di Dalias, dem Baron von Nemento in Almada erstelltes, das sie im Zweifelsfall als Angehörige seines Hauses ausweisen würde, ließ sie gleich in der Satteltasche zurück.
„Dies ist Cavalliera Yandriga von Urbet“, stellte ihre Knappin sie schließlich bei der Anmeldung vor, „und dies ein vom Comto Seneschall des Horasreichs höchstselbst gesiegelter Brief, der ihre höchstadlige Abkunft bezeugt, falls euch der Almanach de Bomed gerade nicht zur Hand sein sollte …“ Dabei überreichte sie den Amtsleuten der Kaiserin des Mittelreichs das besagte Dokument.

Erste Forderung

1. Praios nachmittags

„Das, Isha, ist der anstrengende Teil des Turniers … der Teil, wo die Politik gemacht wird.“ Die horasische Cavalliera verzog das Gesicht, als sie zu dieser Erklärung ansetzte, während ihre Knappin ihr die Lanze reichte, mit der sie gleich ihren Auftaktgegner aussuchen musste. Musste, nicht durfte! Wäre sie zu den Trutzern gelost worden, hätte ihr dies einige Umstände erspart, auf die sie gerade nicht so erpicht war. „Ganz ehrlich, Isha, über die Fallstricke, die das Fordern beim Turnier mit sich bringt, halten sie an der Universalschule in Methumis Seminare! Frag Auricanius, wenn wir ihn das nächste mal sehen, falls du mir nicht glaubst …“ Ihr Bruder, der Praios-Geweihte, diente der Cavalliera in letzter Zeit besonders gerne als Referenz, auf die man verweisen konnte – vor allem um sich selbst manch langatmige Ausführungen zu sparen.
„Sein Gesicht würde ich gerne sehen, wenn ich jetzt den Schild des Herzogs auswähle …“ Dabei zwinkerte sie ihrer Knappin verschwörerisch zu, auch wenn sie nicht wirklich daran dachte, diesem Gedanken Taten folgen zu lassen. Ebensolche Gedanken halfen ihr aber dabei, die eigentliche Anspannung abzuschütteln, unter der sie, die fremde Horasierin als Reizerin in einem ihr weitgehend nichtssagenden Feld mittelreichischer Ritter in diesem Augenblick stand. Schon die Tatsache, dass die Reizer nicht streng nach Rang sortiert waren und vom bedeutendsten zum unwichtigsten hinab ihre Forderungen aussprachen, irritierte sie. Nichtsdestotrotz hätte sie einfach ganz bis zum Schluss warten und den letzten verbliebenen Trutzer auswählen können. Allein … das hätte ihr Leiden in diesem für sie unangenehmen Moment nur noch verlängert. „Man wächst an seinen Prüfungen“, pflichtete sie sich mehr selbst zu, als dass sie zu ihrer Knappin sprach, und ließ ihren Dunkelfuchs einen Satz nach vorn machen. Jetzt gab es kein Zurück mehr! Erst jetzt, als sie sich den fein säuberlich aufgereihten Wappen der Trutzer näherte, fiel ihr immerhin ein ihr bekanntes auf: das silberne streitzig’sche Ross auf blauem Grund, geviert zu einem roten Greifen. Die Streitzigs waren ihr mal mindestens aus ihrer Zeit in Almada ein Begriff. Dass das Ross zum Greifen geviert war, deutete sie so, dass es einem minder bedeutenden Mitglied der Familie gehören musste … oder ‘ner abseitigen Nebenlinie. Wozu aufwändig Heraldik auswendig lernen, wenn man sich das meiste sowieso mit gesundem Menschenverstand herleiten kann … Hochzufrieden mit ihrer spontanen Wahl, schlug sie so mit der Lanze gegen den Schild Corians von Streitzig!

Etwas später:

„Dass das so ein Jungspund ist, hättest du mir ja vorher mal sagen können, Isha …“
„Nicht nur das, er ist wohl auch Baron von Uslenried … oder so … und Oberhaupt des gesamten jüngeren Hauses“, warf ihre Knappin ein.
„Oberhaupt? Dieser Jüngling …? Der kann doch gerade mal den Ritterschlag erhalten haben …“
„Sein Vater ist noch kein ganzes Jahr tot, Herrin, war wohl der stellvertretende Marschall Garetiens.“
„Marschall Garetiens? Überhaupt, was ist denn das jüngere Haus? Wer gehört da noch dazu?“
„Fast alle Streitzigs, die nicht in Almada leben, wenn ich das richtig verstanden habe …“
„Na, das kann ja interessant werden“, überkamen die Cavalliera allmählich Zweifel, wirklich eine gute Wahl getroffen zu haben.

Kaiserball

1. Praios spätabends

Yandriga sog die kühle Nachtluft ein, als wäre dies der erste Atemzug, den sie sich seit Stunden gönnte. Die im Großen Saal der Alten Residenz aufgespielte Musik des Kaiserballs nahm sie kaum noch wahr. Ihr Abschied vom festlichen Teil des Turniers konnte aufmerksamen Beobachtern nur wie eine Flucht erscheinen. So sehr dies bei einer Cavalliera aus dem Horasreich auch überraschen mochte – das höfische Parkett war eindeutig nicht ihre Welt. Jedenfalls kein Ort, an dem sie sich wirklich wohl fühlen konnte. Und so ließ sie sich bereits kurz nach der Eröffnung des Balls für den weiteren Abend entschuldigen.
Auf ihrem Weg zurück zum Zeltlager sinnierte sie über das bisher Erlebte dieses in ihren Augen so ungewöhnlichen, weil gänzlich tjostlosen Turniertags. Sie dachte an die vielen Menschen zurück, die sich bereits am Morgen vor dem Tor zum Turniergelände versammelt hatten, die Marketender und Gaukler, besonders aber die Gassenkinder, die die Ritter aus ganz Aventurien mit großen Augen bewunderten. Sie dachte daran, wie die kaiserlichen Amtsleute bei der Anmeldung mit dem Dokument des Comto Seneschalls, das ihr Vetter ihr in Vinsalt mitgegeben hatte, zunächst nicht viel anfangen konnten – weil sie schon mit dem Amtstitel des höchsten Heraldikers des Horasreichs wohl nicht vertraut waren – ehe es dann doch ganz schnell ging, nachdem ein älterer Amtsmann einschritt.
Als sie an die zunächst unglücklichen Bemühungen ihrer Knappin und ihres Knechts bei der Errichtung des Zelts auf dem Lagerplatz zurückdachte, musste sie kurz schmunzeln. Im Zeltlager wurde ihr aber auch zum ersten Mal so richtig gewahr, mit welch umfangreicher Entourage manche Turnierteilnehmer angereist waren – oder in welcher Zahl regelrechte Gruppen von Tjostern auftraten. Das Große Kaiserturnier schien ganzen Provinzen gemeinsame Bühne zur Macht- oder Loyalitätsdemonstration zu sein. Im Horasreich hatte der ritterliche Wettkampf diese Bedeutung längst verloren. Manche Ritter wurden auch von eigenen Barden, teils gleich mehreren auf einmal begleitet. Einer, ihr Landsmann Haldur di Malavista, hatte anscheinend ein ganzes Orchester mitgebracht. An ihm war ihr dabei sehr deutlich geworden, wie sehr sie sich selbst von manch anderen Turnierstreitern aus ihrer Heimat unterschied.
Trotz ihrer hohen Abkunft – ihre Familie herrschte seit Jahrhunderten über Ländereien, die viele Barone des Mittelreichs schwindelig machen würden – fühlte sie sich den landlosen, einfachen Rittern wie Koromar von Liobas Zell am ehesten verbunden. Den Nordmärker, dessen Knappe ihr Neffe (oder Cousin?) Poldoron war, hatte sie im Getümmel des Turniers bislang nur zweimal kurz gesehen – und auch noch keine Gelegenheit gefunden, Poldoron seines Vaters Brief zu überreichen. Dies galt es unbedingt nachzuholen.
Vom Betragen der Barone des Mittelreichs hingegen war sie teils regelrecht erschrocken. Dass man als Baron hier zum Hochadel zählte, schien eine Erklärung dafür zu sein. Im Horasreich waren Barone die gemeinhin mächtigsten Niederadligen, aber gerade kein Teil des Hochadels. Ein kleiner, wenn auch feiner Unterschied, der aufs Selbstverständnis aber große Auswirkungen zu haben schien.
Gerne dachte Yandriga an den Gottesdienst zurück, der ihr gerade in der Länge sehr angemessen in Erinnerung blieb. Mit den Ansprachen Kaiserin Rohajas hatte sie weniger anfangen können – dafür bedeutete ihr die Frau, die immerhin nicht ihr Souverän war, wohl auch zu wenig. Wobei sie das von ihrem eigenen Kaiser, dem jungen Horas, nicht einmal groß unterschied …
Die Gedanken der Cavalliera schweiften weiter, zu den Turnierstreitern und ihren teils in Übungskämpfen schon sehr anschaulich dargebotenen Fähigkeiten, zu ihrem jungen Gegner am morgigen Tag, dem Baron Corian von Streitzig, mit dessen so früh geerbter Rolle als Hausoberhaupt sie keinesfalls tauschen wollen würde, und den übrigen Personen, derer sie auf dem Turniergelände schon ansichtig geworden war. Besonders Thorn Eisinger, der berühmte Schmied der hundert (?) Helden, war ihr im Gedächtnis geblieben. Welchen Recken dieser alles schon die Waffen geschmiedet hatte! Kurz hatte sie überlegt, den Meister selbst wegen einer Waffe für sich anzusprechen, diesen Gedanken aber schnell wieder verworfen. Am Ende war es nicht der Stahl, der die Helden auszeichnete, redete sie sich dabei ein. Nein, es waren die Herzen, der Mut und die Tapferkeit, die sie zu Helden gemacht hatten!
Yandriga hielt abrupt inne, als wollte sie diesen Gedanken noch für einen Moment bewahren – und wurde erst dann gewahr, dass sie tatsächlich gerade jetzt auch das Zeltlager der Ritter auf dem Turniergelände erreicht hatte. Es lag, da die meisten der Turnierteilnehmer noch auf dem Ball waren, ziemlich verlassen da. Yandriga zog es ohnehin noch weiter, fort vom Turnierplatz, um „Stadtluft“ zu schnuppern, vielleicht gar noch ein paar „normale“ Leute kennenzulernen, derer sie sich wahrhaft lange erinnern würde …

Erster Tjost

2. Praios nachmittags

„Danke, Herrin“, sandte Yandriga ihre ersten Gedanken gen Alveran, nachdem sie den jungen Streitzig im zweiten Anlauf aus dem Sattel geworfen hatte. Sie dankte der himmlischen Leuin für den eigenen Erfolg und ebenso dafür, dass dieser nicht auf Kosten schwerer Verletzungen des Gegners ging. Dass Corian tatsächlich der jüngste Tjoster des Turniers war, hatte er sich zum Glück nicht anmerken lassen. Er hatte sich gut geschlagen, befand Yandriga – wohlwissend, dass ihre eigenen beiden Anritte ihr eben noch besser gelungen waren. Und sie wusste aus leidvoller Erfahrung, wie wenig selbstverständlich dies selbst für erfahrene Turnierstreiter war. Am Ende hing es eben auch immer von der Gunst der Göttin ab, ob alles zur rechten Zeit zusammenführte, wie es sollte … oder eben nicht.
Als sie ihrer Knappin am Ende der Turnierbahn Lanze, Schild und Helm überreichte, dem längst wieder aufgestandenen garetischen Jungbaron dann anerkennend zunickte, dachte sie an ihren morgendlichen Besuch im großen Tempel der Hl. Ardare zurück. Vor allem der Umstand, dass sie dabei tatsächlich auf dem heiligen Boden stand, auf dem sich die Heilige viele Jahrhunderte zuvor gegen viele Feinde für ihren Kult geopfert hatte, hatte Yandriga sehr beeindruckt. Anders als früher hatte sie sich von der Ehrfurcht jedoch nicht mehr überwältigen lassen. Konzentriert war sie den weiteren Tag angegangen, hatte die Turnieratmosphäre, die sie so sehr liebte, in sich aufgesogen, und ihren ersten eigenen Auftritt zu einem erfolgreichen Ende gebracht. Ein zufriedenes Lächeln der Cavalliera war sichtbarer Ausdruck ihrer Dankbarkeit hierfür.
Dass es das Publikum in der großen Mehrheit gerne anders gesehen hätte, war dem verhaltenen Applaus anzumerken, konnte aber auch nicht überraschen. Yandriga war für die Garether eine Unbekannte, eine Ausländerin, eine Horasierin … die einen Garetier bezwungen hatte … Und sie war die letzte Horasierin von vieren, die nun allesamt in die nächste Runde des Turniers eingezogen waren. Das machte sie einerseits stolz, auch wenn sie für ihren direkten Vorgänger, den in ihren Augen allzu geckenhaft auftretenden di Malavista nicht die größten Sympathien hatte, ging ein Stück weit aber auch mit einer im Grunde seltsamen Erleichterung einher. Als erste Horasierin auszuscheiden, hätte sie sicher noch für Tage gewurmt.
So sah sie fast entschuldigend zu den Tribünen, als sie ihrem Streitross mit leichtem Schenkeldruck endlich das Zeichen gab, das Turnierfeld zu räumen. Erst jetzt fielen ihr in der Masse der so verhalten begeisterten Zuschauer aber diejenigen auf, die es allen Umsitzenden zum Trotz nicht waren. „Bellissima! Bellissima! Bellissima!“, brüllten einige Unerschütterliche am seitlichen Rand der westlichen, eher fürs einfache Volk reservierten Tribüne, und klatschten begeistert Beifall. Der Garether Akzent schwang in dem erst in der Nacht zuvor einstudierten Horathi-Begriff deutlich mit. Yandriga selbst hatte ihn den abenteuerlich aussehenden Gestalten beigebracht, die sie sofort als ihre Trinkgefährten aus dem „Schwert und Panzer“ wiedererkannte, ihre jüngsten Bekannten in der Kaiserstadt. Als sie auf ihrer Höhe war, stoppte sie kurz, straffte sich im Sattel und verneigte sich dann ganz deutlich vor ihnen. Wo sie am Abend auf ihren Sieg anstoßen würde, hatte sich damit immerhin auch schon entschieden …

Zweite Forderung

2. Praios abends

„So gefällt mir das schon besser“, befand Yandriga, als sie sich diesmal auf der Seite der Trutzer aufstellte. Das Reizen am vorigen Tag hatte ihr doch mehr Kopfzerbrechen bereitet, auch nach ihrer spontanen Wahl noch, als dass sie sich über dieses Los wirklich hatte freuen können. Andererseits war diesmal auch der berühmte Weidener, der Blauenburger, ein Trutzer … wahrscheinlich wäre ihr die Wahl da leichter gefallen. „Vielleicht später“, wischte sie den Gedanken schnell beiseite und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihre möglichen Gegner am nächsten Tag.
Fast zwei Dutzend Tjoster waren es, die das Los zu Reizern gemacht hatte. Ein weiterhin großes Feld ihr überwiegend fremder Gesichter und unvertrauter Wappenschilde. War sie selbst, die horasische Cavalliera, einem von ihnen schon soweit aufgefallen, dass er sie fordern würde, solange unter den Trutzern noch eine Auswahl war? Sie vermochte es nicht zu sagen. Diese Unsicherheit steigerte ihre Neugier noch, ließ sie die Reizer umso interessierter mustern.
Ihr Blick blieb an einer jungen Ritterin auf einer weißen Stute hängen – oder besser: an einer weißen, unruhig tänzelnden Shadif-Stute mit einer jungen Ritterin. Denn vor allem das Tier weckte in Yandriga Erinnerungen … an ihr Tulamidengespann, mit dem sie einst bei den 1000 Meilen von Yaquiria angetreten war … direkt nach dem Thronfolgekrieg in ihrer Heimat, vor über zehn Jahren! Wie lange das schon her war … Inzwischen war ihr damaliges Gespann längst der Zucht ihres Hauses zugeführt worden. Dass die eleganten Rösser der Herde in Leucano zur Zierde gereichten, machte Yandriga stolz, auch wenn sie es – das wurde ihr nun wieder sehr bewusst – vermisste selbst mit ihnen über die Lindwurmfelder bei Urbet zu preschen. Dass die Stute hier der ganze Stolz ihrer Reiterin sein musste, stand für sie außer Frage. Und dass die junge Ritterin ihren Auftaktgegner am heutigen Tag im ersten Lanzengang aus dem Sattel gefegt hatte, fiel ihr nun auch wieder ein.
Als Padora dem eigenen Ross das Zeichen zum Aufbruch gab, verfolgte Yandriga dies aufmerksam. Sie war sich sicher: Die junge, reitgewandte Koscherin könnte im Turnier noch manch gestandenen Recken überraschen. Als sie mit ihrer Lanze ausgerechnet gegen den Schild mit dem Basilisken stieß, Yandrigas eigenen Schild, erwiderte die Cavalliera das Lächeln ihrer nächsten Gegnerin nur zu gerne und nickte zurück. Es war die Vorfreude auf eine sicherlich spannende Begegnung, die sie strahlen ließ.

Zweiter Tjost

3. Praios mittags

„Dan…“, wollte es der horasischen Cavalliera bereits entfahren, als sie sich auch im dritten Lanzengang gegen ihre zwar jüngere, aber hoch eingeschätzte Gegnerin mühelos im Sattel hielt. Erst dann bemerkte sie, dass Padoras letzter Stoß doch gereicht hatte, die eigene Lanze splittern zu lassen … Die Taubheit, die sie mit dieser Erkenntnis überfiel, war eine rein mentale. Denn der Tjost war – um Haaresbreite wohl, nur wen interessierte das schon – verloren.
Während ihr Streitross wie von selbst den Weg zum Ende der Turnierbahn fortsetzte, gingen Yandriga die Gedanken durch den Kopf. Hatte sie zu viel Respekt vor der jungen Koscherin gehabt anstatt sich auf die eigenen Stärken zu verlassen? Hatte sie die Herrin, deren Tempel sie am frühen Morgen wieder aufgesucht hatte, irgendwie verärgert? Warum hatte sie sich nicht auch für die Einhandwaffenkämpfe angemeldet? Gab es für sie hier jetzt überhaupt noch etwas zu tun? Sie fieberte an und für sich auch bei anderen Kämpfen mit … aber vier Tage in Folge, um am Ende einem ihr gänzlich Fremden zuzujubeln?
Sie musste sich zusammenreißen! Die Grüblerei war nun wirklich nicht ihre Stärke, das wusste sie, und auch, dass sie selten wirklich etwas brachte. So griff sie die Zügel wieder fester, gab ihre eigene ungebrochene Lanze an ihre am Ende des Turnierfelds wartende Knappin ab, wendete ihr Ross und ritt die Turnierbahn sogleich noch ein viertes Mal lang. Erst, als sie vor ihrer Gegnerin angekommen war, brachte sie ihr Ross zum Stehen, klappte das Visier des Stechhelms hoch … und gratulierte: „Ein guter Stoß, Ritterin, zum Wohlgefallen der Leuin! Mögt ihr weit kommen!“

Nach dem Ausscheiden

3. Praios, am frühen Nachmittag

„Bravo, Bellissima“, polterte es plötzlich im Rücken der horasischen Cavalliera.
„Bravo, Bravo, Bravo!“
Yandriga erkannte die Stimme sofort, auch wenn sie ihr Auftreten hier am Rande des Zeltplatzes überraschte. Sie gehörte Heldor, einem ihrer neuesten Bekannten aus dem „Schwert und Panzer“, einem vollbärtigen Hünen, der ihr bereits am Vortag allen Umstehenden zum Trotz eifrig zugejubelt hatte. Da hatte sie allerdings ihren Tjost auch gewonnen … Als sie sich zum Bärtigen umdrehte, ließ sich dessen schelmisches Lächeln unter der Haarpracht nur erahnen.
„Ihr seid nicht vom Pferd gefallen, immerhin …“
Yandriga blickte den Hünen finster an.
„Und wir haben trotzdem gejubelt, auch wenn das der werten Frau Ritterin … ähm Cavalliera … diesmal wohl entgangen sein muss“, wurde sie von ihrem Gegenüber eher scherzhaft getadelt.
„Horathi, Lektion 2 … Bravo … Bellissima“, zwinkerte ihr der Bärtige zu.
Yandriga atmete einmal tief aus, ehe sie erwiderte: „Lektion … bestanden!“ Endlich konnte auch sie wieder kurz lächeln.
„Und nun?“
„Nun bereue ich es doch, mich nicht für die Einhandwaffen angemeldet zu haben“, schüttelte sie den Kopf, „800 Meilen für zweimal Tjosten … und es werden noch wieder 800 zurück …“ Sie atmete tief ein.
„Das war wohl kein gutes Geschäft …“, kommentierte der Hüne salopp. Etwas zu salopp, zumal er ein breites Grinsen dabei selbst unter seinem Bart nicht verbergen konnte.
Yandriga wurde misstrauisch. Sie musterte ihr Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen, was ihren neuen Bekannten allerdings nur noch mehr zu erheitern schien. Eine Weile starrten sich beide so an.
„Bist wohl heute unter die Xeledonsjünger gegangen“, reagierte die Horasierin schließlich genervt. Sie überlegte bereits, ihren anscheinend doch eher flüchtigen Bekannten einfach stehen zu lassen und ihren Weg fortzusetzen.
„Ihr seid doch schon einmal einen Streitwagen gefahren, Cavalliera“, stellte ihr Gegenüber da nur scheinbar beiläufig fest. Natürlich, diese Geschichte hatte sie der verwegenen Schar auch erzählt.
„Ja, und?“ „Die Vorläufe der Wagenrennen haben noch gar nicht alle angefangen“, grinste der Hüne vielsagend.
„Ja, aber dass ich meinen Wagen in Urbet zurückgelassen habe, hatte ich erwähnt, oder?“ Yandriga konnte sich auf die Andeutungen ihres Gegenübers keinen Reim machen.
„Beiläufig, ja …“
Sie musterte ihn erneut, verstand noch immer nicht, worauf er hinaus wollte.
„Ich kenne da jemanden …“, wurde der Garether nur unwesentlich deutlicher …

Etwas später:

„Wer ist da drin?“
Yandriga stand vor einem Zelt in unmittelbarer Nähe des Turnierfelds. Davor wehte ein Banner mit dem silbernen Ross auf blauem Grund – das Streitzig-Wappen – allerdings gespalten zu Löwenköpfen und nicht geviert zum Greifen wie bei ihrem Erstrundengegner Corian.
Heldor zuckte mit den Schultern: „Findet es heraus, Cavalliera!“ Dabei ging er demonstrativ ein paar Schritte zurück.
Die Horasierin überlegte kurz. Dieses Wappen schien ihr noch vertrauter zu sein als das des garetischen Barons, aber ihr fiel nicht auf Anhieb ein, woher. Das Grübeln war wirklich nicht ihre Stärke, gestand sie sich nach wenigen Momenten ein … und schob den Vorhang zur Seite, der das Innere des Zelts vor ihr verbarg. Dann fiel es ihr sofort wieder ein.
„Comtessa … Romina …“, stammelte sie mehr, als dass sie sprach. Ihr stand die Grafentochter von Ragath gegenüber, an deren Turnier sie vor Jahren schon einmal teilgenommen hatte. Sie hatte damals die Yaquirtaler Fraktion im Buhurt zum Sieg über die heimischen Ragatier geführt, den letzten verbliebenen Gegner eigenhändig ausgeschaltet. Irgendwie fühlte sich das alles gerade nicht richtig an …