Briefspiel:Brot und Beute (5)

Aus Liebliches-Feld.net
Zur Navigation springenZur Suche springen

Auge-grau.png

Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: ab Frühling 1033 BF Schauplatz: Urbasi und das nähere Silbertal Entstehungszeitraum: Sommer 2012 bis Ende 2014
Protagonisten: siehe Übersichtsseite Autoren/Beteiligte: Haus dell'Arbiato.png Dellarbiato, Haus di Onerdi.png Di Onerdi, Haus Urbet-Marvinko.png Gonfaloniere, Familie Zorgazo.png Toshy
Zyklus: Übersicht · Urbasische Mühlenkrise · Das Fest der eingebrachten Früchte · Ein Besucher aus Sikramara · Alte Schulden · Schwarze Tage · Sturm über Sikramara · Die Rache der Frauen

Schwarze Tage

Foldor de Fiuli quälte seinen fülligen Körper von seinem Pferd.
Es war viele Götterläufe her, dass das Oberhaupt des Rittergeschlechts aus dem Weiler Fiuli südlich Urbasis das letzte Mal auf einem Pferd gesessen hatte. Er wurde für so etwas wie Reiten langsam zu alt. Und vor allem zu fett! Mühsam glitt er seitlich vom Pferd und plumste auf seine Füße. Alle Metallteile seiner Gewandung klimperten und schepperten dabei durch die Nacht. Foldors einziger Trost war, dass in der Dunkelheit der Nacht niemand sein Unvermögen gesehen hatte.
"Verdammter Gonzolo", fluchte er leise vor sich hin, während er den Aufstieg zur Ruine des Castello di Sikramara zu Fuß auf sich nahm. Er hätte lieber die Kutsche genommen. Aber wenn der Podestat Sikramaras, Gonzolo Ruccia mitten in der Nacht einen eiligen Boten schickt und um sofortige Zusammenkunft ersucht, bleibt meist nicht viel Zeit die Kutsche zu bespannen.
'Was kann nur so wichtig sein, dass es nicht bis morgen warten kann? Und warum dieser von allen Göttern verfluchte Ort?', ging es ihm durch den Kopf, während er mühsahm den ehemaligen Weg zur Ruine bestieg. Von oben hörte er Stimmen, und Licht von Fackeln schien durch die unheimlichen Mauerritzen der vor einigen Götterläufen niedergebrannten Castelloruine, die einst der Sitz des Hochverräters Alarion ya Ranfaran gewesen war.

Foldor ging durch einen halb eingestürzten Torbogen und trat aus der Dunkelheit ins Licht. Seine Augen waren nicht mehr die besten, und er schob Gläser aus seiner Tasche vor seine Augen um besser sehen zu können, was sich vor ihm abspielte. Direkt vor ihm standen zwei Bauern, die er kannte, weil ihre Höfe zwischen Fiuli und Sikramara lagen. Weitere Bauern reihten sich ein. Foldor nahm es anhand der Gewandung an. Wobei in diesen Tagen ja manch Bauer vermögender und besser gekleidet war als das eine oder andere verarmte Rittergeschlecht des Sikramtals. Seufzend dachte er an seine fünf Töchter und die Mitgift, die er bei jeder Vermählung zu zahlen hatte.
Die Bauern bildeten den äußeren Ring. Weiter mittig stand Gonzolo Ruccia, und hielt eine Rede von einem Steinquader. Vom Stand her fühlte sich Foldor dazu gedrängt sich zu seinesgleichen zu gesellen und schob seinen massigen Körper zu den offensichtlich Höhergestellten dieser Versammlung.

"Ah, der Herr von Fiuli", sagte Gonzolo, und winkte Foldor neben sich. "Schön das ihr noch dazu gestoßen seid!"
"Wie ich grade schon den anwesenden Grundbesitzern erklärt habe, kann es so, wie es die letzten Götterläufe gelaufen ist, nicht weitergehen. Rondrigo Oliviano zieht uns und unser geliebtes Sikramara in den Abgrund. Ausstehenden Verpflichtungen wird nur spärlich oder gar nicht nachgekommen. Die meisten hier Anwesenden wissen, wovon ich rede."
Gonzalo blickte sich vielsagend um.
"Wenn nur einer unter euch ist, der für seine Erträge der letzten Ernte bekommen hat, was ihm zusteht, dann hebe er die Hand."
Gemurmel kam auf.
Ein adlig gekleideter Mann trat vor.
"Werter Gonzolo, wir wissen um die Laster des Herrn Rondrigo Oliviano. Von seiner Spielsucht und seinem Gefallen am Wein. Aber wer von uns ist ohne Laster? Was sollen wir eurer Meinung nach den tun? Die Oliviano werden sich schon wieder fangen. Sie haben eben eine Krise. Wenn erst Danilo die Geschäfte übernommen hat, wird es schon wieder laufen. Und dann werden sie auch die ausstehenden Zahlungen leisten. Ihr macht euch umsonst Sorgen und ..."

"Nein tut er nicht!"
Eine piepsige Stimme schnürte dem Sprecher die Worte ab, was dieser mit einem missfälligen Gesicht quittierte.
Alle Augen ruhten auf einer zierlichen Gestalt, in Reitergewand und Kaputze gehüllt, die elegant zwischen ihren Begleitern hindurch glitt. Sie schob die Kapuze zurück, und langes blondes Haar fiel auf die Schultern und das ledergegerbte Wams. Duridanya Zorgazo nahm einem der herumstehenden Bauern eine Fackel aus der Hand und schritt einen Halbkreis entlang der Versammelten. Der Schein des Feuers umspielte die Gesichtzüge der neugierigen Anwesenden.
"Ihr wisst, wer ich bin", erhob sie nun endlich die Stimme. "Für die unter euch, die es nicht tun: Mein Name ist Duridanya Zorgazo. Patronin der Kornzunft Urbasis, gewählte und mit allen Befugnissen meines Amtes ausgestattete Custora Frumentari der Fürstlichen Gemeinde. Und nicht zuletzt Lenkerin der Geschicke meines eigenen Hauses, der seit vielen Generationen schon von Peraine gesegneten Zorgazo. Und so wahr ich hier vor euch stehe und zu euch spreche, so wahr sind meine Worte. Ihr werdet betrogen!"
Sie machte eine kurze Pause.
"Rondrigo Oliviano und sein schändlicher Sohn Danilo spielen euch etwas vor. Ihr, die mit ihnen Handel treibt, und die ihr euch auf diese Familie eingeschworen habt. Ihr, die ihr ihnen die Treue haltet. Ihr werdet betrogen!"
Duridanya erhob die Stimme und stellte sich auf jenen Steinblock, auf dem eben noch Gonzolo Ruccia gestanden hatte, da dieser ihr wie selbstverständlich Platz machte.
"Ich bin hier, um Rondrigo und Danilo Oliviano anzuklagen. Vor Euch. Seinen Getreuen. Die ihr mit ihm Handel treibt und seinen Lügen glaubt, über mich und meine Familie. Ihr habt alle eure Verträge mit ihnen. Ihr kommt eurem Teil nach und liefert eure Peraine gesegneten Erzeugnisse an die Oliviano, doch bekommt ihr dafür das, was euch zusteht? Bekommt ihr das, was in euren Verträgen steht? Nein, denn im Gegensatz zu den Zorgazo meinen die Oliviano, sie könnten ihren Teil der Veträge brechen, wenn es ihnen so passt. Sie lügen euch an, dass die Mühle von Sikramara immer noch kaputt ist, und sie deswegen das Korn weiter transportieren müssen, und deswegen höhere Kosten haben. Ja, ist das denn eure Schuld? Wieso solltet ihr dafür bezahlen müssen, wenn die Oliviano ihre Mühle nicht repariert bekommen? Kommt es ihnen gar gelegen? Immerhin haben sie so einen Grund, ihre Veträge mit euch zu brechen! Schon seltsam, dass die Reperatur dieser einen Mühle doppelt so lange dauert wie die aller anderen Mühlen im ganzen Aurelat!" Duridanya machte eine weitere Pause, und Getuschel kam auf. Doch im Gegensatz zu Gonzolo Ruccia wagte es bei Duridanya niemand sie zu unterbrechen.

"Ihr glaubt mir nicht? Nun, ich habe Beweise." Sie zog mehrere gefaltete Papiere aus ihrem Wams, und hielt sie mit ihrem ledernen Reiterhandschuh über ihren Kopf.
"Aussagen eines in Urbasi verhafteten Diebes, der gestanden hat, im Auftrag der Oliviano die Soldkasse seiner Männer zu stehlen." Sie zog die nächsten Papiere hervor.
"Die Aussage eines kurz darauf verhafteten Mannes, der gestanden hat, mit dem Dieb und den Oliviano zusammengearbeit zu haben, um die Reperaturen der Mühle zu behindern und zu sabotieren."
Das Gemurmel unter den Anwesenden wurde größer.
Wieder zog Duridanya Papiere aus ihrem Wams. "Und dies hier sind Schuldscheine. Ausgestellt bereits vor vielen Götterläufen auf die Oliviano, die beweisen, dass diese hinterhältige Familie schon lange keine Dukaten mehr besitzt, und dass diese Krise, die das Sikramtal durchlebt, für die Oliviano grade recht kommt, um ihr eigenes Unvermögen zu vertuschen. Und statt sich der Krise zu stellen und alles ihnen Mögliche zu unternehmen sie abzuwenden, fällt Rondrigo Oliviano nichts besseres ein, als seine Sorgen dem Wein zu übergeben und alles noch verbliebene Vermögen beim Spielen und Huren zu verlieren." Duridanya stieg von dem Steinklotz und zerbrach die Wachssiegel an den Schuldscheinen, die sie unter den hitzig diskutierenden Zuhörern verteilte.
Sie ließ die Diskussion einige Augenblicke laufen, und erhob dann wieder die Stimme: "Ich sage euch, brecht auch ihre eure Verträge. Ihr habt allesamt das Recht dazu. Schließt neue Verträge mit mir. Unter den Zorgazo wird es so eine ..."
Ein lautes Rufen unterbrach die junge Matriarchin der Zorgazo. Einige der Anwesenden drehten ihre Hälse und Köpfe, und schufen schließlich eine Lücke im Halbkreis.

"Gonzolo, ihr Lump. Hab ich es mir doch gedacht. Kaum dreht man euch den Rücken zu, lauft ihr in die Arme dieser Hexe."
Rondrigo Oliviano schob seinen fülligen Körper durch die Anwesenden. Zwei bewaffnete, in Lederwämse gehüllte Gestalten halfen dem schwer keuchenden Oberhaupt der Oliviano den steilen Weg hoch. Sein Gesicht war zornerfüllt und aufgedunsen, und seine Nase leicht errötet vom Wein.
Wutschnaubend stieß er einen Bauern beiseite und zog ein Schwert aus seiner Scheide. "Diese Hexe ist die Mutter allen Unglücks. Dem werd ich jetzt ein Ende ..."
Noch bevor er seinen Satz beenden konnte, war Duridanya vorgeschnellt und hatte zu Rondrigos Überraschung sein Gesicht mit ihrer rechten Faust getroffen. Einen Moment fühlte er sich in seine Jugend versetzt und in eine dieser legendären Wirtshausschlägereien, von denen er seinem Sohn an kalten Winterabenden erzählt hatte, als dieser grade zu einem Mann heranwuchs und das erste Mal Wein kostete.
"Verdammt, was ...?", stammelte er, und hielt sich die blutige Nase. Er war auf seine Knie gesunken, und wußte einen Augenblick nicht, wo er sich befand. Dann spuckte er Blut auf den Boden und richtete den Blick empor. Duridanya hatte sich zu ihm runter gebeugt. Ihre spitze Nase berührte kurz sein Ohr.
"Ich habe vier ältere Brüder und den Schwanz eures Sohnes überlebt", flüsterte sie in sein Ohr, und Rondrigo verstand die Worte, aber nicht ihren Sinn.
"Ich seid betrunken, alt und fett", flüsterte sie nach einem Herzschlag Pause. Ihr Atem ging schneller. "Glaubt ihr, weil ihr ein kräftiger Mann seid, und ich eine zierliche Frau, seid ihr mir in irgendetwas überlegen? Ihr könnt euch ja nichtmal vernünftig prügeln. Lasst uns rausfinden ob ihr mit dem Schwert besser seid." Sie erhob sich und stand vor Rondrigo.

Dieser nahm Lärm und Aufruhr war. Hörte Schwerter klirren, und als ein Mann in den Gewändern und Farben seiner Familie mit blutspritzender Halswunde neben ihm zu Boden fiel, verstand er was vor sich ging. Seine Wachen hatten versuchen wollen ihn zu schützen. Die Begleiter Duridanyas hatten ebenfalls ihre Schwerter gezogen um ihrerseits ihre Herrin zu beschützen. Rondrigo erhob sich gestützt auf sein Schwert.
Ein Hüne von Kerl stand nur einen Schritt links von ihm, und schob grade seine Schwertspitze in den Bauch der zweiten Wache. Oliviano kannte das Gesicht seiner Wache. Viele Götterläufe hatte er dieses Gesicht im Garten des Palazzo Oliviano gesehen, wie es die Mägde anlächelte und über versaute Witze lachte. Doch dieser Gesichtsausdruck war neu. Aufgerissene Augen. Schmerzverzerrtes Gesicht mit einem Hauch Erkenntnis in wenigen Augenblicken dem Herrn Boron gegenüber zu stehen. Rondrigo taumelte einen Schritt zurück.
"Der gehört mir, Boromin", sprach eine piepsige Stimme, und Rondrigo wandte sich der Quelle zu. Duridanya stand nur wenige Schritte vor ihm. Unbewaffnet. Zorn schoss ihm in den Kopf. "Dienerin des Namenlosen", tobte er los. Hob sein Schwert und sprang auf Duridanya zu. Diese wich mühelos dem Angriff des Betrunkenen aus. Sie ging drei Schritte auf den interessiert dreinsehenden Gonzolo Ruccia zu, und ehe dieser sich bewußt war was geschah, zog sie ihm das Schwert aus seiner Scheide.
"Ihr greift eine unbewaffnete Frau an? Nun dann lasst ihr mir keine Wahl ... Leiht mir das kurz", sprach sie Gonzolo an, aber ihr Blick heftete sich auf den Patriarchen der Oliviano, der sich sortiert zu haben schien und wieder auf Duridanya zustürmte.
Aufruhr kam auf. Einige der Anwesenden wichen zurück. Doch Duridanya kam einen Schritt auf den Tobenden zu und hob ihrerseits ihr Schwert. Die Klingen klirrten aufeiander.
"Was glaubt ihr, was man alles lernt von vier älteren Brüdern?", fragte sie Rondrigo hämisch. Dessen Angriffe prasselten auf die junge Zorgazo ein. Rondrigo war in seiner Jugend ein durchaus begabter Kämpfer gewesen, doch Duridanya tänzelte und parierte seine Schläge fast mühelos. Sie wich zurück und wich aus. Immer wieder aufs Neue. Ihr fülliger Kontrahent schien bereits müde zu werden. Es muss schon einige Zeit her gewesen sein, dass er das letzte Mal ein Schwert in einer tödlichen Auseinandersetzung schwang.
"Ihr überschätzt euch", sprach sie. Wich einem Hieb aus, und drehte sich so zur Seite, dass sie in perfekter Position für einen Stich war. Darauf hatte sie nur gewartet. Ihr Schwert schnellte vor und glitt mit der Spitze in Rondrigos Flanke. Fast perfekt in die Schwachstelle seiner Lederrüstung. Ihr Opfer stieß einen dumpfen Schrei aus und ging auf die Knie.
Sie zog das blutige Ende vom Schwert aus dem Oberhaupt der Oliviano, und grinste. Dann hob sie den Stiefel und stieß ihn zurück. Ängstlich kroch er rückwärts auf der verzweifelten Flucht vor Duridanya.
Sie beugte sich grinsend zu ihm runter. Den Rücken den Anwesenden zugewandt. Das Flackern der Fackeln war weit weg. Niemand traute sich den beiden Kämpfern zu nahe zu kommen. Rondrigo atmete schwer. Sein Schwert lag zwischen seinen Beinen und seine Hände drückten sich auf seine Wunde. Das Blut rann zwischen seinen wurstigen Fingern hindurch. Er japste nach Luft, und sein Gesicht verlor alle Farbe.

Duridanya beugte sich wieder an sein Ohr: "Noch bevor am morgigen Tag die Praiosscheibe am Horizont verschwindet und die Nacht sich auf dieses Land legt, werd ich das hier mit dem Rest eurer Familie gemacht haben."
Langsam schob sich die Klingenspitze von Duridanyas Schwert in den ungeschützten Hals von Rondrigo Oliviano. Nur einen Finger lang. Dann zog sie sie wieder heraus. Ihr Opfer zuckte, und Blut pumpte aus der Halswunde und aus seinem Mund. Sie richtete sich auf und gab ihm einen Tritt auf die Brust. Der füllige Körper des Patriziers fiel rückwärts durch eine Lücke in der Mauer und verschwand in der Dunkelheit. Einen Herzschlag später vernahm man auf der Spitze der Castelloruine einen dumpfen Schlag, der davon kündete, dass der Körper des einstigen Oberhauptes der Oliviano auf dem Fels aufgeschlagen war.
"Euer Herr ist gestürzt. Geht und helft ihm", rief sie einigen Bauern zu, die hinzugelaufen kamen und erschrocken von der Kante des Castello in die tiefe Schwärze der Nacht blickten. Aufruhr kam auf. Einige der Anwesenden ergriffen panisch die Flucht. Andere diskutierten wild. Duridanya schritt auf den ungläubigen Gonzolo Ruccia zu und wischte das Blut der Klinge an seinem Mantel ab, und steckte das Schwert zurück in die Scheide.
"Das wird eine denkwürdige Nacht", sprach sie ihn euphorisch an, und verließ begleitet von ihren beiden Wachen die Ruine.
Gonzolo Ruccia, der Podestat Sikramaras, trottete ihr nach wie ein Hündchen.