Briefspiel:Kadron und Djamilla (5)

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Horasreich-klein.png Briefspiel Horasreich-klein.png
Datiert auf: 1014 BF Schauplatz: vor allem Marudret und Clameth Entstehungszeitraum: im letzten Jahrtausend
Protagonisten: siehe Übersichtsseite Autoren/Beteiligte: Stefan Deutsch, Marcus-René Duensing, Christel Scheja, dazu Clemens Bock, Eckart Hopp, Martin Lorber, Lars-Torben Oltrogge, Steffen Popp, Dennis Schmidt, Karl-Heinz Witzko; bearbeitet von Michael Hasenöhrl und (fürs Wiki) Armin Bundt
Zyklus: Übersicht · Die Kunstfestspiele zu Marudret · Abendliches Begrüßungsbankett · Feierliche Eröffnung · Erster Tag: Bücher und Gedichte · Zweiter Tag · Dritter Tag: Bildhauer · Vierter Tag · ...

Zweiter Tag

A

m zweiten Tag der Festspiele war schon früh morgens gleich nach Sonnenaufgang munteres Treiben auf den Straßen, jeder versuchte, sich einen guten Platz auf dem Macrin-Platz zu sichern, oder hier und da den Klängen der Bänkelsänger zu lauschen, während die Ehrengäste noch zu Tische saßen und sich das Frühstück munden ließen.
Zur Phexstunde begann dann wieder der offizielle Teil der Festspiele. Macrin vom Rauhen Berg betrat die Bühne. "Guten Morgen, liebe Kunstfreunde! Heute beginnt der zweite Tag unserer Festspiele, und nachdem ich von gestern nur gute Kritiken gehört habe, bin ich auch heute zuversichtlich, daß wieder für alle etwas dabei sein wird. Als die ersten Künstler möchte ich nun ankündigen: ‘Larathion Blaigaleif’ aus Urbet, eine fünfköpfige elfische Musikergruppe!"
Der Vorhang hob sich, und sofort begannen die Elfen mit ihren Klängen. Sie spielten mehrere Stücke und verzauberten regelrecht das Publikum mit ihren Melodien und Harmonien, was die Zuhörer ihnen dann auch mit tobenden Applaus und begeisterten Zurufen übermittelte.
Es war gegen Peraine, als ein weiterer Künstler namens Mailam Khurim aus Terubis auftrat. Er erfreute die Zuschauer mit einer Mischung aus Groschenzauber, Schelmenstreichen und Gaukeleien, meist waren es nur Tricks und keine Magie, doch tat das seinem Talent keinen Abbruch, denn seine Darbietung war lustig aufgemacht und stellte eine erfreuliche Abwechselung neben der Illusionsmagie dar. Auch Mailam mußte sich mehrmals verbeugen und sogar zwei Zugaben geben, um das Publikum zur Ruhe zu bringen, bevor Macrin wieder die Bühne betrat:
"Als nächstes sehen sie Gregor den Liederkönig aus Terubis auf der Bühne! Vorhang auf!"
Ein muskulöser Mann um die neuneinhalb Spann betrat die Bühne, verbeugte sich vor dem Publikum und nahm nun seine Laute. Er sang vor allem Heldenlieder, Epen und Balladen, die von so einem wunderschönen Klang waren, daß so manche schöne Frau im Publikum dahinschmolz. Die dann, als Gregor geendet hatte, auch am lautesten klatschten und ihm zujubelten, doch auch die Männer klatschten, so daß ihnen die Hände brannten. Gregor mußte sich mehrmals verbeugen, bis man ihn gehen ließ.
Dann war es Praiosstunde und Macrin kündigte die Mittagspause von zwei Stunden an, jedoch werde man sich dem zweiten Teil des Tages wieder im Volksgarten am Mardilo treffen.

I

n der Mittagspause während des zweiten Festtages, die anderen Gäste aßen im Schloß, führte es Macrin und Kadron in den Stadtteil Marudrets, wo Gaukler, Bänkelsänger, Akrobaten und Tänzer das einfache Volk belustigten und unterhielten. Gemeinsam schritten die beiden jungen Männer durch die Menge und beobachteten das fahrende Volk.
Macrin wurde schnell von der Menge erkannt und mit Fragen überschüttet. Kadrons Aufmerksamkeit wurde währenddessen auf eine ganz bestimmte Stelle des Platzes gezogen.
Dort in einer Ecke, nicht unweit von tulamidischen Musikanten, tanzte ein Mädchen. Die Männer und die alte Frau schienen für sie zu spielen, obgleich sie nicht zu ihnen gehörte. Wie durch einen magischen Bann wurde er von der Tänzerin angelockt. Er selber liebte den Tanz und las in ihren Bewegungen wie in einem offenen Buch.
Sie war kein Mädchen mehr, eine junge Frau von etwas mehr als zwanzig Jahren, schätzte er, und nicht unerfahren in dem, was sie tat. Sie wirbelte ihre verfilzten braunen Haare wie einen Schleier um ihr Gesicht, und obgleich sie ein Bauernkleid trug, war er sich sicher, daß sie mindestens einen Tropfen tulamidischen oder novadischen Blutes in sich hatte. Die Leidenschaft und Freude an den Bewegungen sprachen aus jeder ihrer Gesten. Nicht berechnend, nicht einstudiert - natürlich.
Kadron konnte seinen Blick nicht von ihr lösen.
Die junge Frau, was auch immer sie hier wollte, tanzte in erster Linie für sich. Die Gesten waren von innen nach außen gerichtet, so als teile sie sich anderen mit, und er als Kundiger konnte darin lesen. Sie war geschmeidig und schön, wie eine Katze, mußte einen großen Schmerz oder eine unglückliche Liebe erlebt haben und Hoffnungen, die sich nicht erfüllten. Doch in allem lag ein starker Wille, der die Traurigkeit hinwegfegte und immer wieder nach neuen Hoffnungen griff.
Der schlanke Körper spannte und entspannte sich - die Erotik, die ihm innewohnte, war lebendige Sinnlichkeit, und was immer sie an Masken trug, hier, im Tanz warf sie sie ab und schleuderte sie beiseite. Dann endete die Musik in einem wilden Crescendo, und die Tänzerin fiel auf die Knie, stützte sich auf den abgeschabten Holzbrettern der einfachen Bühne ab.
Sie blickte über die Menge, lachend, erhitzt, fröhlich, und Kadron sah in ihre Augen. Herausforderung, Leichtsinn, gepaart mit überlegtem Wagemut und eine Ehrlichkeit in wichtigen Dingen, die nur wenige besaßen, lagen in ihnen. Dann sprang die Tänzerin auf die Beine und verneigte sich noch einmal vor ihrem Publikum, das johlend Beifall spendete und Münzen wie kleine Schmuckstücke auf die Bühne warf.
Plötzlich berührte Kadron jemand am Arm. Er schreckte zusammen und drehte den Kopf, erkannte seinen Freund Macrin. Dieser nahm gleich seine Aufmerksamkeit gefangen und lenkte ihn mit einer neuen Idee und Meinung ab, so daß Kadron die Tänzerin bald in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses verbannte, obgleich sie ihm sehr gefallen hatte in der Freiheit ihres Tanzes und ihrer Gefühle.

W

ieder pünktlich zur Efferdstunde betrat Macrin die Bühne im Volksgarten. "Der heutige Nachmittag steht ganz im Zeichen der Schule der Künste in Ankram. Doch übergebe ich jetzt an die Intendantin Delhena-Naila persönlich."
Die Baronin von Ankram kam auf die Bühne. "Ich freue mich, an diesem Tage euch allen vorstellen zu können, welchem künstlerischen Bereiche sich die Akademie zu Ankram vorgenommen hat. Der Tanz - ein gesellschaftliches Ereignis und höfische Umgangsform, aber auch eine Form Erzählung. In den Landen, in denen ich geboren wurde, ist der Tanz Unterhaltung und Belehrung zugleich. Er erzählt eine Geschichte, berichtet von Personen und deren Taten, aber gibt auch Ermahnungen. Und diese beiden Formen verbinden wir nun in der Schule zu Ankram.
Ihr werdet gleich ein Schauspiel zu sehen bekommen, das ein Märchen nacherzählt, das schon die Kinder vernehmen, aber nicht in der tulamidischen Art und Weise, sondern auch vertrauter - mit Musik, die zugleich auf die neuste Vinsalter Mode und alte Volksweisen zurückgreift. Ich will nicht mehr Worte als nötig machen. Seht zuerst die Formen, aus denen alles entstand, vorgetragen von meinen Elevinnen und zum Teil auch von mir, und dann, nach einer kurzen Pause, die Geschichte von dem ‘Prinzlichen Jäger und der Schlangenfrau’."
Und dann zog sich Delhena-Naila zurück, während ihre Musikanten aufspielten und eine Frau mit braunen Haaren die Bühne betrat. Lächelnd blickte sie auf die Menge und begann nach einer Geste des Schweigens zu sprechen: "In den sonnendurchglühten Ländern der Khom und jenseits der Wüste ist der Tanz eine sehr weibliche Form des Ausdrucks, und das Feuer, daß jeder Frau innewohnt, drückt sich in ihren Bewegungen aus."
Diener brachten Feuerbecken auf die Bühne, während sich die Musik langsam in die einschmeichelnden Klänge der Tulamiden wandelten. "Der Feuertanz ist ein solcher." Damit verneigte sie sich und verließ die Bühne, um einer verschleierten Frau Platz zu machen, die plötzlich aus dem Hintergrund erschienen war. Die Musik wurde langsamer. Behutsam und schwingend waren die Bewegungen der Tänzerin, deren rotes Tanzgewand mit den flirrenden goldfarbenen Borten und Stickereien mit dem Glanz ihrer Haare wetteiferten. Von den Fingerspitzen bis zu den Fußsohlen war sie in Bewegung - und dann wirbelte sie, wie die Musik in einem atemberaubenden Rhytmus zwischen den Feuerschalen vorbei und zwischen Stäben, die Fackeln hielten.
Sich wiegend, drehend, die Füße aufstampfend und die Arme bewegend stachelte sie die Musik an und lockte damit noch mehr Tänzerinnen auf die Bühne. Die Mädchen umkreisten sie, näherten sich ihr, sprangen zurück - sie war die Beherrscherin der Frauen und so lebendig wie die Flammen, die sie immer wieder durch den Schwung ihrer Haare und des Rockes aufflammen und wabbern ließ. Man spürte wahrlich das Fieber, das sie erfaßt hatte, die Leidenschaft des Tanzes - ohne Begehren, und doch voller Lockung - und dann war er vorüber.
Die Tänzerin sank zu Boden, die Mädchen um sich versammelt, und löste mit einem letzten Aufbäumen den Schleier - und siehe da, es war Ihre Hochgebohren Delhena-Naila selber - mit flammenden Augen, geröteten Wangen und einem glückvollen Lächeln auf den Lippen, ihre Zuschauer begeistert zu haben, wie in ihren jungen Tagen - da sie noch eine Sharizad im fernen Rashdul gewesen war.
Der Applaus und der Jubel kannte keine Grenzen, immer wieder hörte man Begeisterungsrufe. Auch die Ehrengäste klatschten begeistert, und Kadron Ilmar von Carson gar, stand auf seinem Stuhle und schrie seine Begeisterung voll heraus, nur ihr Gemahl Malbeth schien nicht sehr beeindruckt zu sein, er schien immer noch ärgerlich zu sein, hier in Marudret zu weilen, er klatschte nur sehr verhalten.
Die Künstlerinnen erhoben sich und verbeugten sich immer wieder und zogen sich erst zurück, als man sie ließ.

M

it ihrem Verschwinden setzte auch die Musik wieder ein, und die Frau trat wieder auf die Bühne. "Die Tulamiden sehen den Tanz also ganz anders als wir alle. Der Tanz ist entweder ein Teil des höfischen Vergnügens oder völkischer Unterhaltung. Doch auch dies lehren die Meister der Schule zu Ankram, anmutige Bewegungen und sicherer Schritt sind das A und O des Erfolges." Sie streckte einen Arm aus. "Stellt euch nun vor, am Hofe unserer geehrten Majestät Amene-Horas zu sein..."
Dann verließ sie die Bühne, und vertraute Klänge wurden lauter, junge Paare schritten in höfischer Weise auf die Bühne und vollführten anmutig jegliche Bewegung, die der Tanz von ihnen forderte. Besonderes Augenmerk hatte das Publikum auf das führende Paar, und besonders zwei ältere Menschen starrten erwartungsvoll und stolz auf die Bühne, war doch das anmutige Mädchen, daß von einem stattlichen, schwarzhaarigen jungen Manne geführt wurde, ihre Tochter Sidonia.
Und so ging auch diese Aufführung vorüber, und auch diesmal jubelten und klatschen die Besucher was sie konnten. Aufgewühlt und von den Klängen mitgerissen gönnte man den Zuschauern eine kleine Pause, um ein Krug kühlen Wein und sich an kleine Leckereien zu erfreuen. Nach einer halben Stunde fand man sich dann wieder vor der Bühne ein.
Wieder trat die Erzählerin dort auf. "Das Märchen, das wir euch heute zeigen, ist allen mehr oder minder bekannt, aber für all jene aus der Ferne angereisten Gäste sei eine kleine Einführung gegeben. Melaisin, ein Mädchen, das im Walde von Broeliande lebt und Menschen wie eine wunderschöne Maid erscheint, ist nicht in Wirklichkeit ein menschliches und sterbliches Wesen - sie ist halb Mensch, halb Waldgeist, aber ihr Vater verfluchte sie. An jedem ersten Windstage des Monats verwandelt sie sich zur Hälfte in eine Schlange, das soll sie für den Verrat ihrer Mutter strafen, die sich mit einem Sterblichen einließ. Und so erduldet Melaisin ihr Schicksal, lebt unter ihren Freundinnen - bis sie eines Tages den jungen, stattlichen Jäger trifft, Trebin, den Prinzen des nahen Landes. Die beiden verlieben sich ineinander, aber ihre Liebe ist von den Warnungen anderer überschattet und dem Unwillen des Königs, des Vaters von Trebin, der seinem Sohn längst eine andere Braut ausersehen hat. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf...
Mehr will ich nicht verraten, um Euch, werte Zuschauer, nicht die Spannung zu nehmen. Seht nun und genießt - und Ihr werdet merken, daß die Darsteller auch ohne das Wort auskommen werden..."
Sie verließ die Bühne und die Vorhänge hoben sich - zeigten eine einfache Waldlandschaft, und auf einer Wiese saßen Mädchen, in leichte Schleier gehüllt mit Gespinsten wie Flügeln auf den Rücken - so stellte man sich die Waldfeen vor. In ihrer Mitte war eine liebliche blonde Schönheit - traurig und niedergeschlagen - und doch, die anderen munterten sie nun durch Spielereien, Tänze und Neckerei auf. Und wahrlich, die Darstellerinnen kamen ohne Worte aus. Ihre Körper erzählten durch Gesten und Bewegungen allein das Geschehen und enthüllten durch Gefühle ihren Charakter. Aufmerksam lauschten die Zuschauer der Musik und ließen die Bühne nicht aus den Augen, um auch ja nichts zu verpassen - und als der Jäger, dargestellt durch den jungen Tänzer, die Bühne betrat, zog er die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Geschichte nahm ihren Lauf. Trebin und Melaisin lernten sich kennen und lieben, doch schon wurde ihre Liebe durch den finsteren König bedroht und durch die Warnungen der Waldfeen, von denen eine besonders ausdrucksstark war und selbst in ernsten Momenten durch ihre scherzhafte Art auffiel. Und der König wandte sich an einen alten weisen Mann - doch oh Schreck, es war kein anderer als der Großvater der schönen Melaisin, der zornig über das Vergehen Melaisin endgültig verwandeln wollte - aber Trebin stellte sich ihm entgegen, in einem mutigen tänzerischen Zweikampf besiegte er den alten Waldgeist und forderte für seinen Sieg die Freiheit Melaisins von dem Fluch... Und so gab sich auch der König geschlagen, und die Hochzeit wurde mit einem großen Ball gefeiert.
Recht lange, und doch kurzweilig, war das Stück, das Schauspiel, Musik und Tanz auf so treffliche und wunderbare Weise vereinte - eine nie zuvor erprobte Kombination, die das Publikum gebannt dasitzen ließ und erst, nachdem die Musik verklungen war, Begeisterung hervorrief, die nicht enden wollte, selbst als alle Darsteller und Tänzer auf die Bühne traten und noch und noch die Ovationen der Menge entgegennahmen. Und Delhena-Naila lächelte voller Stolz und Freude auf der Bühne.

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ittlerweile war es schon Firun, als Macrin eine weitere Künstlergruppe ansagte: die Waffenbrüder, die aus vier Männern und fünf Frauen bestand. Während ihres enthusiastischen Tanzes schwangen sie die unterschiedlichsten Waffen zum Takt der Musik. In ihren Eigenchoreographien stellten sie berühmt gewordene Schlachten und Heldengeschichten dar. Auch riefen sie die Zuschauer auf, mit ihnen zu tanzen, sie müßten sich nur den zwei Vortänzern anpassen. Im Nu war die Bühne überfüllt, und die Holzbretter stöhnten aufgrund des Gewichtes. Die unten Gebliebenen schrieen ihre Freude und Begeisterung frei heraus und feuerten ihre Bekannten auf der Bühne an. Als dieses große Spektakel sein Ende fand, schüttelte jeder freiwillige Tänzer aus dem Publikum jedem der Waffenbrüder die Hand, und die Zuschauer jubelten und schmückten die Tänzer mit Blumen.
Als sich langsam der Jubel legte, trat Macrin wieder aus die Bühne. "Liebe Freunde. Da wir schon Phex haben, schlage ich vor, die Vorführungen für den heutigen Tag zu beschließen, und lege euch die heutigen Ausstellungen mit dem Thema ‘Malerei’ ans Herz. Sie haben noch bis zur Rahjastunde geöffnet. Vor allem im Marudreter Schloß sind Kunstwerke von Emadano und Daria Vindest zu sehen, zwei der bedeutensten Künstler des Alten Reiches. Auch dürfen Bilder von Irone aus Terubis und Ylavyron Cesalo aus Ankram nicht fehlen. Ansonsten wünsche ich euch noch einen wunderschönen Abend bis morgen früh!"
Damit verließ Macrin die Bühne, und auch die Zuschauer strömten in alle Himmelsrichtungen. Ich aber befolgte Macrins Aufruf, wie auch viele der Ehrengäste Macrins.

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m Marudreter Schloß hatte sich in einer Ecke des Saales ein regelrechter Auflauf gebildet. Mittelpunkt war Emadano, einer der verehrtesten und sicherlich auch besten Künstler des Alten Reiches und damit ganz Aventuriens. Beständig lehnte er die zahlreichen Bitten um kleine Schnellportraits der umstehenden Verehrer ab, er male keine halben Sachen, denn die wahre Kunst erfordere mehr als nur wenige Minuten, war seine stetige Antwort.
Wer nun jedoch glaubt, daß er dieses nur aus reiner Überheblichkeit und Selbstüberschätzung sagte, hat mit Sicherheit noch keines seiner Werke gesehen. In diesem Fall sei all jenen angeraten, einmal nach Pertakis zu fahren, um seine Ucuri-Statue aus feinstem weißen Mamor, eine seiner neuesten Schöpfungen, bewundern zu können.
Er beherrscht fürwahr sowohl die Bildhauerei als auch die Kunst des Malens vorzüglich, was auch von seinen zahlreichen Kritikern nicht bestritten wird. Dennoch wird er von weiten Kreisen der Hesindianer verachtet, ist sein neumodischer Perspektivenstil doch sehr gewagt, und seine übermäßige Wählerischkeit, sowohl seine Aufträge als auch seine Materialien betreffend, ist nahezu sprichwörtlich.
Doch plötzlich brauste ein bewunderndes Seufzen durch die Reihen, denn durch den Eingang schritt Daria Vindest, die unumstrittene Königin der Künste im Alten Reich. Sogleich strömten die Liebhaber der Malerei zu ihr, was sie durchaus zu genießen schien. Nach einigen Minuten der Anhimmlung bildete sich eine Gasse im Verehrerpulk, denn Emadano schritt erbost auf Daria Vindest zu.
"Ich wußte nicht, daß Ihr kommen wolltet, Daria. Dennoch, ich habe es gehofft!" gab Emadano grinsend zu verstehen.
"So? Ich gebe zu, das überrascht mich." entgegnete Daria gelassen.
"Doch, doch, das gibt mir die Gelegenheit, Euch mitzuteilen, daß ich den Auftrag für das Fresco im Kartographischen Institut bekommen habe." verriet Emadano, seine Häme nur schlecht verbergend.
"Ach, seid Ihr Euch da gewiß, werter Emano? Ich habe anderes vernommen, nämlich, daß ich das Fresco gestalten darf."
Auf diese Entgegnung von Meisterin Vindest verfinsterte sich die Miene ihres Gegenübers. "Was redet Ihr da? Verrückte Wirrnis! Nun, ich schlage vor, Herrn Galdreon selbst zu befragen, soll er sich doch auch hier aufhalten. Dann werdet ihr ja sehen..." sprach Emadano, bemüht, sich zu beherrschen.
Just in diesem Augenblick ging ein Raunen durch die Menge, denn der eben erwähnte Herr Galdreon, Leiter des Kartographischen Instituts in Methumis, betrat den Saal. Auf die hektische Frage, wer denn nun wirklich den Auftrag für das Fresco in seinem Institut bekommen habe, erwiderte er trocken: "Nun, werte Meisterin Daria, werter Meister Emadano, es scheint nun die Zeit gekommen, Euch die Entscheidung unseres Institutsrates mitzuteilen. Da wir schon seit geraumer Zeit verfolgen, daß sich die zwei wohl besten bildenden Künstler unseres Alten Reiches streiten, wer wohl die oder der bessere sei, kamen wir zu dem Schluß, beiden den Auftrag für die Ausschmückung unserer Eingangshalle zu vergeben. Es sollen zwei Fresken an den gegenüberliegenden Wänden entstehen, auf daß sich künftig jeder selbst überzeugen kann, wen er für die hesindegesegnetere Künstlerpersönlichkeit hält."
Diese Aussage sorgte für einen gewaltigen Tumult und lautes Gemurmel unter den Versammelten. Man stelle sich vor: ein Wettstreit zwischen den rivalisierenden zwei wohl größten Malern der zivilisierten Lande! Schon seit ihrer gemeinsamen Lehrzeit bei Meister Miolag Korden, beide sind mit etwas über dreißig Jahren gleich jung, fühlte sich Emano Paradan de Caronno (so der vollständige Name Emadanos) zugunsten seiner Mitschülerin Daria Vindest vernachlässigt. Diese seither glimmende Glut wurde durch die Verehrung, die Daria durch ihr bekanntes Werk, die Bunten Mauern von Methumis, zuteil wurde, aufs Neue entfacht. Die Meister selbst nahmen die Verkündung Galdreons zunächst fast wütend auf, wurden dann aber zunehmend siegessicherer und verließen innerlich im Vorraus triumphierend in eiligen Schritten den Saal.
Heute sagt man, daß Daria Vindest mit ihrer Gehilfenschaft bereits fleißig plant und vorbereitet, während Konkurrent und Gegner Emadano überraschenderweise zuvor eine, wie es in seinem Vinsalter Atelier heißt, "ausführliche Studienreise in den Süden" zu unternehmen gedenkt...
Es war schom Mitternacht vorüber, die anderen Gäste lagen schon alle in ihren Betten und schlummerten, als man aus dem Zimmer von Danilo Caer, Baron von Crés, immer noch Geräusche vernahm. Wenn man genauer hinhörte, erkannte man Lautenspiel, Gesang und Gelächter vor allem von Frauen. Immerhin hatte Danilo darauf bestanden mit seiner Eskorte (sechs Frauen) einen Raum zu teilen. Was darin wohl vor sich ging?
Ansonsten geschah nichts Außergewöhnliches, außer daß man immer wieder einen Cavalliero aus dem Gefolge des Herrn Sumudan von Kabash auf den Gängen traf. Was diese wohl suchten?