Briefspiel:Magistratswahlen 1036 BF/Wortduell der Patriarchen

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In der Briefspielhandlung Wortduell der Patriarchen diskutierten die Patriarchen zweier der Hesinde verbundener Familien, Endor Dorén und Tankred Menaris, im Praios-Mond 1036 einen Vorgang im Wahlkampf der Gransignorewahlkampf des gleichen Jahres, der ihr politisches Bündnis infrage zu stellen scheint.

Shenilo, 16. Praios 1036 BF

Hier kommt der Landvogt

Es war kurz vor der vollendeten siebten Stunde des Abends, Firunsstunde geheißen, als drei Reiter von Burg Yaquirstein herab geritten kamen und vorbei am Tempel der Herrin Rondra über den Geronsplatz und dem Tempel der heiligen Svelinya-Horas auf den St. Brigon Tempel der Allwissenden zu Shenilo zuhielten. Man hatte mit Absicht den Weg über Plätze und breite Straßen Shenilos, auf denen selbst noch zur Abendstunde reges Treiben herrschte, gewählt. Die Gruppe hielt jedoch ihre Pferde in langsamen Schritt, man konnte meinen sie gaben sich Mühe nicht unnötig aufzufallen, was ihnen ob ihrer weißen Umhänge mit scharlachrotem Futter und ihrer schweren Rüstungen sicherlich nicht gelang. Endor Dorén, der die kleine Gruppe anführte, hatte den Ritterbruder Diamanteo ya Malguetta und die Ritterschwester Viviona di Hartstin angewiesen stets an seiner Seite zu weilen und ihn in der nächsten Zeit mit ihrem Leben zu beschützen. Wer konnte schon ahnen, was diese di Selshed im Schilde führte, um sich für Endors kleinen Spaß vor der Eteria zu revanchieren. Beide, Diamanteo und Viviona, waren am gestrigen Tage in Shenilo zum Schutze des Heermeisters des Stab und Schwert Ordens eingetroffen und hatten bescheidene Kammern auf Burg Yaquirstein bezogen.
Die Praisoscheibe stand bereits tief über den prächtigen Häusern und Palazzi Shenilos und ihre Strahlen warf lange Schatten, als die Gruppe den Tempel erreichte. Aus dem Haupteingang strömten zahlreiche Gläubige, die der Abendandacht beigewohnt hatten. Die drei Reiter stiegen von ihren Pferden. Endor öffnete den Gurt seines Schwertgehänges und übergab das Schwert Aurelias an seinen Ritterbruder. Endors Worte waren eindeutig und unmissverständlich. "Ich werde es hüten wie meinen Augapfel, Euer Exzellenz." Ya Malguetta nahm das Schwert und verbeugte sich, nachdem er die Anrede eines Großmeisters des SuS aus alten Zeiten gewählt hatte.
Er schritt nun eilig über den Portikus, dem Säulengang vor dem Hauptportal, in den Tempel. Einige Gelehrte, die ihm gerade entgegen kamen, drehten sich nach Endor um, als dieser eilig an ihnen vorüberschritt. Signor Dorén war kein Unbekannter in Shenilo, er hatte jedoch schon lange den Tempel nicht mehr betreten. Sein Haus verfügte über eine eigene Kapelle auf der Burg, um der Herrin der sechs Künste zu huldigen und um deren Weisheit zu bitten.
Die Luft war von süßlich, herbem Weihrauchduft geschwängert, als er die gut erleuchteten Andachtshalle betrat. Sein Blick fiel auf das Becken in den Mitte der Halle, in dem einige Schlangen, der Hesinde heilige Tiere, gehalten wurden. Endors Blick wanderte weiter zum gegenüber liegenden Hochalter mit dem Buch der Wahrheit des Tempels und zu dem Säulenfuß, der seinen Ahnen Leondris Dorén zeigte; ja, er war lange nicht mehr hier gewesen. Er wünschte, der Anlass seines Besuches wäre ein freudiger gewesen, doch es galt Tankred Menaris mit den Neuigkeiten, die Endor in den vergangen Tagen zu Ohren gekommen waren, zu konfrontieren. Hoffentlich würde die Allweise Herrin ihre Hand über dieses Gespräch halten und es nicht zu einem erneuten Abkühlen in den Beziehungen der beiden Häuser kommen.
„Hoher Herr, Signor Dorén, was führt Euch in das bescheidene Heim der Allweisen Herrin?”, sprach ihn Mentorin Luciana Serpentia von Sibur an. Erst jetzt erkannte Endor die Madaschwester und Hesindegeweihte: „Hesinde zum Gruß, Euer Gnaden Luciana, ich möchte zu Seiner Hochwürden Menaris in einer dringenden Angelegenheit." Endor wartete die Antwort der Priesterin nicht ab und fuhr sogleich fort: "Wenn es Euch keine Umstände bereitet, mich bei ihm anzukündigen, wäre ich Euch dankbar." Die Priestern wich einen Schritt zurück und nickte kurz zustimmend, bevor sie sich in den nicht öffentlichen Teil des Tempels begab um dem Tempelvorsteher zu informieren.

Vorboten eines komplizierten Gespräches

Als Luciana auf halbem Weg zum Hohen Lehrmeister Menaris war, eilte der Novize Malrizio an ihr vorbei. Auf seinem Gesicht war ein Lächeln, das sicher nicht der Geweihten galt. Wahrscheinlich weiß er wieder was und freut sich, damit beeindrucken zu können, dachte Luciana missmutig, die den jungen Thern nicht in ihr Herz geschlossen hatte. Sie fand den Gesuchten in der kleinen Kammer, in der außer einer bescheidenen Pritsche, einem Hocker und einer Wasserschüssel wenig zu finden war, in die sich Tankred zurückgezogen hatte, nachdem er die Vorbereitungen für die morgige Amtseinführung beendet hatte. Die Debatten im Consilium hatten diesmal Abend, Nacht und Morgen in Anspruch genommen und hatten den Hohen Lehrmeister sichtlich ermüdet. Dennoch war Tankred schon wach, als die Geweihte ihn erreichte und zudem im Bilde. Sie runzelte die Stirn und warf einen kurzen Blick auf den Novizen, der mit einem unverschämten Lächeln versonnen auf dem Hocker saß.

Der Hohe Lehrmeister erhob sich und wies Luciana an, Signore Endor in den Kartenraum zu verweisen, bevor er sich selbst dorthin aufmachte. Der junge Novize Malrizio folgte ihm auf dem Fuße. “Malrizio, eile bitte zu Herrn Omiran hinüber und bitte ihn Signore Rondrigo hierherzukommen, sobald es ihm möglich ist.” Seine Schwester hatte ihn in ihren Briefen dafür gescholten, aber Tankred nahm den Cavalleristo nicht überall hin mit - im Tempel wollte er schlicht keinen Bewaffneten um sich haben. Also hielt sich Rondrigo Cordur häufig an Orten auf, die ihn mit Trunk oder anderen Zerstreuungen versorgen konnten. Während er den Trakt mit den Räumen der Geweihten und Novizen verließ, fragte sich der Hohe Lehrmeister, ob er einen Fehler gemacht hatte.
Endor bringt Ordensritter mit an den Tempel? Wenn Malrizio die Waffenröcke richtig beschrieben hatte, dann war das der Fall. Tankred hatte erfahren, dass die Langschwerter der Dorén vor einigen Tagen in Porta Pertakia aufgetreten waren, als seien sie und nicht die Leondrisgarde für die städtische Ordnung zuständig. Kurze Zeit später hatte Argelia ihm zudem berichtet, dass die Burg Yaquirstein die Wachen erhöht hatte und keine Besucher mehr ohne eigene Passierscheine durch die Tore ließ. Paranoia - oder besser ‘gebotene Vorsicht’ - konnte Tankred verstehen, aber er fragte sich nun, als er den Kartenraum betrat, ob er Endors Hang zu dramatischen Gesten und martialischem Auftreten vielleicht unterschätzt hatte.

Der ehemalige Stadtherr und die neuen Räte

"Seid gegrüßt, Hochwürden Tankred." Endor versuchte eine möglichst wohlwollende Anrede zu äußern, nachdem ihn Luciana in den etwas muffig riechenden Kartenraum des Tempels geführt hatte und er mit ausgestreckter Hand zur Begrüßung auf das Familienoberhaupt der Menaris zuschritt. Der Raum wies eine Deckenhöhe von bestimmt vier Schritt auf. In ihm lagerten in einigen Regalen, die bis zur Decke reichten, unzählige Karten, die meisten aufgerollt oder in Folianten, deren Alter Endor nur zu schätzen vermochte.
"Es scheint mir, das Consilium Draconis hat sich für die Magistratskandidaten, die nun dem neuen Gransignore empfohlen werden, entschieden." Endor fiel schwer ins Gespräch zu finden und Tankred erschien ihm etwas müde. Er konnte schlecht einschätzen wie der Tempelvorsteher auf den direkten Vorwurf des Bündnisbruches reagieren würde. Dabei war es nicht der Respekt vor den Menaris, die ihn zögern ließ, sondern wohl eher seine in ihm kochende Wut im Zwiespalt mit dem Willen, dieses Gespräch auf diplomatischem Wege zu lösen. "Wie Ihr vielleicht wisst, hält man in meinem Haus nicht viel von diesem Gremium und ich bin froh, dass die Entscheidung nun doch zügig herbeigeführt werden konnte."

Eine bedeutungsschwangere Geste

Tankred runzelte die Stirn, glättete seine Züge aber rasch wieder, nickte dann, ohne dass recht klar wurde, welcher der beiden Aussagen des Landvogtes er zustimmen wollte. “Die Frage, wer die Geschicke unserer Stadt in den kommenden Götterläufen leiten wird, verlangt mitunter längere Beratungen. Es sind viele Vorschläge zu hören, viele Argumente zu erörtern und manche Befindlichkeit aus dem Wege zu räumen. Ein Rat, der seine Entscheidungen ähnlich schnell trifft wie ein Monarch, wäre sicher von praiotischer Gleichförmigkeit, aber nicht unbedingt von hesindialer Weisheit durchdrungen.”
“Als Consiliere Naclador und Sprecher des Consiliums”, Tankred betonte seine Rolle mit kaum merklichem Nachdruck, “bin ich indes froh, dass wir dem Gransignore erneut Vorschläge unterbreiten konnten, die allesamt das Wohl unserer Stadt mehren werden.” Er nahm einen mit grünem Samt besetzten Hocker und stellte ihn neben einen einfachen Lesestuhl und lud Endor mit einer schmucklosen Geste dazu ein, Platz zu nehmen. Er faltete die Hände und blickte sein Gegenüber mit offener Miene an.

Endor sah den Hocker an, sah zu Tankred und schob mit seinem Fuß den Hocker zur Seite, sodass er nicht mehr zwischen den beiden stand. Der grüne Samthocker hatte eine weitaus niedrigere Sitzfläche als der Lesestuhl des Tempelvorstehers. Endor hätte, so er Tankreds Einladung angenommen, nicht auf Augenhöhe, sondern eher wie ein Novize zu seinem Lehrmeister gesprochen; eine Ausgangslage, die er sicher während des Gespräches bereuen würde. Er war beeindruckt von der taktischen Raffinesse des Menaris. „Habt Dank, Hochwürden Tankred, aber ich ziehe es vor zu stehen. Man wird wohl den Garadan-Stein der Dorén im politischen Spiel um Shenilo wieder einrechnen müssen“, kommentierte er recht förmlich. Endor blickte sich erneute um, diesmal etwas skeptischer: „Ich hoffe, dies ist der richtige Ort für ein Gespräch unter vier Augen und vor allem unter vier Ohren?“

Tankreds Blicke ruhten einen Augenblick auf beiden Stühlen, während ein schmales Lächeln um seine Mundwinkel spielte. Äußerst vorsichtig, in der Tat.
“Wenn Ihr gestattet, nehme ich dennoch Platz. Ich war zwar noch nie ein Mann von Eurer Ausdauer, aber die letzten Jahre haben mich solche Anstrengungen, wie die der letzten Tage, deutlicher spüren lassen, als es früher der Fall war.” Er ließ sich mit einem unterdrückten Seufzen auf den Hocker nieder, der immerhin das bequemere Polster hatte. Ohnehin schon kleiner als der Landvogt von Sodanyo, musste der Hohe Lehrmeister jetzt zu seinem Gast hochblicken, was ihn aber nicht weiter zu kümmern schien.
“Ich habe Ihre Gnaden Luciana gebeten, Tempelgästen einstweilen zur Verfügung zu stehen. Der Kartenraum wird nicht allzu häufig benutzt, wir sollten also ungestört sein.”

der Landvogt pirscht sich an sein Anliegen an

„Seltsame Dinge passieren in den letzten Tagen im schönen Shenilo, abseits der Wahl des neuen Gransignores. Mitglieder der Eteria werden bedroht, bloßgestellt und gar verletzt. Diese Taten sind geprägt von Hinterlist und Tücke und ließen mich einige Vorkehrungen zum Schutz meines Hauses treffen.“ Endor verschränkte die Arme hinter dem Rücken und begann im Raum auf und ab zu gehen. „Das ist aber nicht der Grund meines Erscheinens hier im Haus der Allwissenden. Es gehört zur göttergefäligen Ordnung, dass es Schafe gibt, aber auch Wölfe - aber das wisst ihr sicherlich besser als ich, Hochwürden.“

Tankred musterte den Dorén eine Weile, seine Anspannung war deutlich zu erkennen. Daher ersparte er sich und seinem Gegenüber den Hinweis darauf, dass das, was Endor als “Vorkehrungen zum Schutz seines Hauses” bezeichnete, leicht von Anderen als genau das aufgefasst werden konnte, wovor sich Endor zu schützen vorgab. “Das mag sein. Dennoch scheint mir, dass Ihr nicht gekommen seid, um mit mir die natürliche Ordnung der Dinge in der Tierwelt zu erörtern, Signore Endor?”
Worauf will er hinaus?

Der Zorn besiegt die Diplomatie

Endor blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust, den Blick auf den Hohen Lehrmeister gerichtet. Konnte es stimmen, was ihm da zugetragen wurde? Aber auch der Gesandte des Waldes würde die Geschichte des Baders von Sodanyo sicher bestätigen, würde man ihn einer Befragung unterziehen.
„Mir ist zu Ohren gekommen, Ihr spielt gerne, Tankred?“ Endors Aussprache wurde nun persönlich, so persönlich wie man sie wohl zwischen zwei Trinkkumpanen in einer Taverne auf dem Land vermuten würde. „Deshalb dachte ich, ich besuche Euch bei Gelegenheit… (Stimme wird etwas lauter und schnippisch)… und frage Euch, welches Spiel ihr dachtet mit den Dorén und den Calven spielen zu können? Was ist mit unserem Bündnis, Tankred? Was habt Ihr Euch erhofft, als Eure Familie den Medicus Canyzethius auf Stimmenfang für die di Selshed geschickt hat? Ich habe über viele Dinge der Vergangenheit hinweg gesehen, Euch vertraut und dem Mündel eurer Familie meinen ältesten Sohn zum Gemahl gegeben und nun stehe ich hier vor Euch und verlange, dass Ihr Euch erklärt, ob dieses falschen Spiels, bevor ich den Carson und den Calven Bescheid sage. Seht das als letzten Funken Respekt, den die Dorén den Menaris entgegen bringen!”

Tankreds Miene verfinsterte sich zusehends und er bemühte sich dieses Mal nicht, dies zu verbergen. “Ihr verlangt Antworten und sprecht von Respekt? Meint Ihr den Respekt eines Vaters, der einen ungezogenen Sohn zurechtweist?” Tankred hatte eine Augenbraue gehoben und atmete deutlich hörbar aus, bevor er fortfuhr.
“Ich bitte Euch - auch wenn Eure Worte ohne Zweifel vom Zorne getrübt sind - nicht zu vergessen, wo Ihr Euch befindet und mit wem Ihr sprecht, Signore Endor.” Der Hohe Lehrmeister blieb weiter sitzen, machte aber eine abwehrende Handbewegung.
“Nehmt es als Zeichen meines Respekts für Euch und diese Hallen, dass ich Euch darum bitte, zuerst die Natur und den Ursprung Eures Vorwurfes zu erläutern. Es wäre sicher weise, diese Frage zu klären, bevor ihr mit Missverständnissen und falschen Anschuldigungen Unfrieden in unser Bündnis tragt.”
“Ich bin mir sicher, dass ich selbst mir keine Vorwürfe zu machen habe. Ich habe nicht für andere Kandidaten als den vereinbarten geworben. Im Gegenteil habe ich im Gespräch mit den Häusern Calven und Tuachall meine Überzeugung, dass Orsino Carson der beste Kandidat war, deutlich vertreten. Die Entscheidung der benannten Häuser in der Eteria für unseren Wunschkandidaten spricht dafür, dass man meinen Worten dort Glauben geschenkt hat.“

Der Vorwürfe Urheber

"Erspart mir euren Tadel! Nicht ich bin es, der Zwietracht aussät und Ihr solltet mir dankbar sein, dass ich meine Missverständnisse, wie Ihr sie nennt, nicht während der nächsten Eteria-Sitzung vortrage!" Endor schien nach diesem ersten Wutausbruch etwas beruhigt und fuhr nun gefasster fort: "Ein Handwerker aus Sodanyo, der sich zur gleichen Zeit wie der verletzte Ilmordro de Maltris in der Obhut der Therbûniten hier in Shenilo befand, hat mir von der Bestechung des Gesandten des Waldes für die Sache der di Selshed durch Canyzethius Menaris berichtet." Endor machte eine kurze Pause. "Auch Fedesco Brahl wird dies bestätigen können, er war es auch, der den Handwerker zu mir schickte." "Ihr werdet verstehen, wenn mir das Wohl des Handwerkers, das ich ihm bereits zusagte, am Herzen liegt und ich seinen Namen nicht preisgeben werde. Man könnte aber den Gesandten des Waldes einer Befragung unterziehen, falls Ihr meinen Worten keinen glauben schenkt", versuchte Endor die "Befragung" des Ilmordro dem Hohen Lehrmeister schmackhaft zu machen. Warum sich die Hände erneut schmutzig machen? Sollen dies doch die Menaris tun, dachte Endor.

Eteria-Sitzung? Was bei Xeledons nervtötendem Spiel denkt sich dieser Mann nur? Tankred konnte spüren, wie ihn die Geduld verließ. Er stand auf, reckte sich eine Weile und drehte sich dabei weg, um sein Mienenspiel zu verbergen. “Verzeiht, Signore Endor, aber meine Verletzung erschwert es mir nach längeren Anstrengungen still zu sitzen.” Er trat an eines der Kartenregale und begann, die umgekippten Pergamente wieder aufzurichten und so die Zeit zu gewinnen, sich zu sammeln. Wie kann er es wagen, mir zu unterstellen, ich wolle seiner Quelle Leid antun?
Es war der Klang eines Namens, der Tankreds Zorn nicht linderte, sondern auf ein neues Ziel richtete. Er atmete tief ein und blies die Luft zwischen den Zähnen hinaus, als ihn ein unangenehmer Schmerz durchfuhr. Als dieser abgeklungen war, wandte er sich mit düsterer Miene zu Endor Dorén um.
“Ich kann nichts mehr zu diesen Vorwürfen sagen, als dass die Familie Menaris unter meiner Herrschaft nichts mit solchen Geschäften zu schaffen hat. Die Allweise möge mich strafen, wenn ich lüge.” Waren seine Worte sanfter gewesen, schlich sich nun wieder eine unverkennbare Härte in Züge und Ton des Hohen Lehrmeisters. Es sind nicht Eure Worte, denen ich nicht recht vertrauen mag, Signore. Ich will nicht meinerseits in Anschuldigungen verfallen, noch dazu gegen einen anderen Götterdiener. Aber Ihr wisst womöglich, dass die Familie seiner Gnaden Fedescos und die meine keine tiefe Freundschaft verbindet. Auf beiden Seiten ist während der Herrschaft des Despoten Ludovigo Blut vergossen worden. Bis heute glaubte, nein, hoffte ich, dass wir uns geeinigt hätten, die Blutschuld zu begleichen und die Fehde zu begraben.”
”Selbst wenn dem nicht so wäre, so würde ich doch fragen, welche Interessen die Brahl bewegen. Seit gestern wissen wir, dass Signore Daryl unserem Urteil, wer der geeignete Gransignore ist, nicht gefolgt ist. Was auch immer Ihr über meine Rechtschaffenheit glauben mögt, von den Brahl wisst ihr, dass sie für die Vikarin gestimmt und sicher auch agiert haben. Nun bringt ausgerechnet ein Brahl Anschuldigungen zu Eurer Kenntnis, die Unfrieden in das Verhältnis unserer Familien tragen sollen. Ein Zufall, frage ich? Wann ist Euch von diesen Vorgängen berichtet worden, wenn ich fragen darf?”

Endor bemerkte die unterschwellige Wut des Hohen Lehrmeisters und genoss wohl ein wenig das Gefühl Tankred nun genau dort zu haben, wo er ihn haben wollte. Es stand ihm nie im Sinn die Vorwürfe der Bestechung des Gesandten des Waldes durch die Menaris der Eteria vorzutragen, zu in sich uneins, ja gerade gespalten schien ihm die Versammlung der Eteri, um solche Vorwürfe zu verkraften. Die Menaris waren zudem dem Lager des Barons von Gilforn zuzurechnen und so würde er die eigene Partei schwächen. Außerdem war er selbst kein unbeschriebenes Blatt, was dieses Thema anginge und einige Dinge sollten die hohen Häuser Shenilos unter sich klären, dachte er.
"Dass Daryl Brahl sich auf die Seite der Vikarin gestellt hat, missfiel mir ebenso wie Euch, Hochwürden, und ich bin mir sicher, dass man von deren Fraktion noch einiges hören wird. Immerhin teilt es den Bund in Ost und West. Ich hoffe solch einen Luxus können wir uns in den kommenden Götterläufen erlauben. Aber ich schweife ab. Viele Häuser und Familien haben aus der Zeit des verfluchten Despoten Ludovigo noch eine Rechnung offen, aber verzeiht, wenn ich über den genauen Ablauf der Handlungen meiner Widersacher aus dieser Zeit gerne schweige und wünschte, darüber würde sich ein Schleier des Vergessens legen.”
"Was die Menaris mit den Brahl noch offen haben interessiert mich nicht. Ich bin hier wegen unseres Bündnisses. Ich sage dies, da mir schien, als ich den Namen des Informanten nannte, diese Tatsache etwas in den Hintergrund rückte. Unterschätzt mich nicht, Hochwürden, Ihr sprecht nicht mit einem Boten der Brahl! Der Handwerker aus Sodanyo suchte mich vor einer Woche auf und berichtete glaubwürdig von dem, was er mit eigenen Augen beobachtet hat, um Eure Frage zu beantworten.”

Die Spürnase eines Geweihten

“Mit einem Boten der Brahl mag ich nicht sprechen, aber doch kann ich das Gelächter der Brahl hören, wüssten Sie, wie wir, die wir eigentlich Verbündete sein sollten, uns gegenseitige Vorhaltungen machen.” Wiewohl es genau genommen nur einer ist, der Vorhaltungen macht, fügte Tankred in Gedanken hinzu. “Also hat man Euch informiert, noch bevor die Wahl durchgeführt war, bevor wir alle von den wahren Verbündeten Mazarinas in der Kaufherrenschaft Shenilos wussten. Sicher hat man damit gerechnet, damit Eure Entschlossenheit für die gemeinsame Sache zu schwächen.”
Tankreds Miene hatte sich jetzt von Anspannung ins Nachdenkliche gewandelt.
“Es war weise von Euch, die Wahlen abzuwarten, wenn auch ein Risiko. Aber die Abstimmungen sollten Euch gezeigt haben, wer auf wessen Seite steht.”
“Selbst wenn ich mich irren sollte, was Signore Fedesco angeht, wäre es weise, wenn ich Eurem Vorschlag folge. Ich will den Gesandten des Waldes aufsuchen und sehen, was Euer Handwerker gehört haben kann.”
“Verzeiht mir die Eile, aber ich denke in dieser Sache ist sie geboten.” Damit wandte sich Tankred zur Tür des Kartenraums, um zu gehen.

Als Tankred bereits seine Hand auf die Türklinke der Türe, die aus dem Kartenraum hinausführte, gelegt hatte, um sie zu öffnen, rief ihm Endor, der sich inzwischen zur Türe umgedreht hatte, zu: "Wo wollt Ihr nach dem Gesandten suchen? In Shenilo werdet Ihr ihn, nach dem Überfall auf ihn durch Unbekannte, sicher nicht finden und südlich des Waldes kennen sich meine mir Ergebenen weitaus besser aus. Er wird sich irgendwo hinter einem Baum oder unter einem Stein verkrochen haben. Lasst mich meine Leute aussenden, um ihn zu finden und ihn zu Euch bringen, Hochwürden. Es wäre mir eine Ehre, Euch, Hoher Lehrmeister, in dieser Sache behilflich zu sein, um Licht ins Dunkel dieses, meines Vorwurfes zu bringen!” Endor verbeugte sich kurz vor dem Diener der Allwissenden Herrin. Er musste diesen Ilmordro vor den Menaris in die Finger bekommen. Nicht noch einmal würde er zulassen, dass dieser verwunschene Gesandte durch seinen sturen Schädel ihm in die Quere kam und womöglich alles abstritt und so Endor erneut bloßstellte.

Der Priester der Schlange wieder in seinem Element

Tankred wandte sich noch einmal um. “Ihr mögt recht haben, der Gesandte wird die letzten Tage im Gedächtnis behalten haben. Immerhin ist er mit Leibwächtern zur Dorén-Halle erschienen.”
“Ich glaube dennoch, dass wir trotz aller Eile in dieser drängenden Angelegenheit nicht agieren sollten, als sei die Eteria im Krieg miteinander. Dennoch fürchte ich, der Gesandte würde einem Magierstab der Menaris oder einem Langschwert der Dorén ungern folgen, weiß er doch, dass wir uns nicht hinter Mazarina gestellt haben, sondern hinter den Baron von Gilforn.”
Ganz zu schweigen davon, dass ein gewisser cholerischer Landvogt, der offenbar einem Geweihten der Zwölfe nicht glauben mag, keiner Information aus meiner Familie in dieser Sache trauen wird. Glaubt er, eine Geste der Ehrerbietung machen Worte der Schmähung und mangelnden Respekts vergessen? Tankreds Miene blieb trotz dieser Gedanken unbewegt, wiewohl seine Gedanken sich eilends sortierten. Er unterdrückte ein Lächeln, als ihm ein Einfall kam.
“Nein, wir brauchen einen Unterhändler, dessen Leumund über jeden Zweifel erhaben ist. Mit Eurem Einverständnis werde ich den Ersten Rat darum bitten, den Gesandten aufzusuchen. Ich bin sicher, Gishtan re Kust wird die Wahrheit ergründen können.”

„Mir würde viel daran liegen diese Sache in kleinem Kreis zu klären und nicht so viele Wellen zu verursachen, die uns irgendwann entgleiten.“ Endor trat näher zu Tankred heran. „Signor Gishtans Leumund ist wirklich tadellos. Was seine Verschwiegenheit und sein Interesse, dies nicht vor die Eteria zu bringen, angeht, habe ich da so meine Zweifel. Aber wenn es Eurem Wunsch entspricht, den Ersten Rat in der Sache zu kontaktieren, so möchte ich diesen Wunsch respektieren und Euch nicht im Wege stehen, Hochwürden Tankred. Ich hoffe nur, Ihr wisst was Ihr tut”.

Tankred nickte bedächtig zum angedeuteten Dank. “Ich habe mir angewöhnt davon auszugehen, dass dem so ist, Signore.” Als er den Tempel verließ wartete dort sein Cavalleristo auf ihn, der argwöhnische Blicke auf die Ritter im Ornat der praiosnahen Ordens warf. Tankred verabschiedete den Patriarchen des Hauses Dorén und wandte sich dann an Rondrigo Cordur. “Signore Rondrigo, ich werde doch noch einmal zum Palazzo zurückkehren. Vielleicht benötige ich Eure Hilfe danach noch, ihr könnt mich also begleiten.”
Ich werde ein oder zwei Worte mit Canyzethius wechseln müssen. Die Miene des Hohen Lehrmeisters ließ die wenigen auf der Piazza versammelten Veritaner, die Tankred gewöhnlich zum kurzen Disput einluden, davon Abstand nehmen.