Briefspiel:Malbeth und Delhena (2)

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Datiert auf: Ende 1012 BF Schauplatz: vor allem Ankram und Onjaro Entstehungszeitraum: im letzten Jahrtausend
Protagonisten: siehe Übersichtsseite Autoren/Beteiligte: Christel Scheja, Markus Hattenkofer, Niels Gaul; bearbeitet von Michael Hasenöhrl und (fürs Wiki) Armin Bundt
Zyklus: Übersicht · Malbeths Aufbruch · Von Onjaro nach Ankram · Delhenas Warten · Weitere Gäste ... und ein Tanz · Malbeths Zweifel · Treffen in der Nacht · Die Einladung · Jaarns Antwort · Die Feier zu Ankram · Eine besondere Überraschung · Jaarns Ankunft · Weitere Gäste · Das Fest beginnt · Unterbrochene Zeremonie · Bankett, Tanz und allerlei Reden · Gespräche abseits der Feier · Ein wenig festliches Ende · Die Kreisweihe ... · ... und eine druidische Trauung · Die Geburt der Erben Ankrams und Onjaros

Von Onjaro nach Ankram

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ls das Pferd mit dem gewandten, schlanken Reiter über die Kuppe verschwunden war, zog Malbeth weiter, hinein in die Stadt, wo ihn die Leute ehrfurchtsvoll grüßten. Sie waren es gewohnt, daß er nicht viele Worte für sie fand, aber seines wachenden, beschirmenden Blickes waren sie stets gewiß.
Die schöne Straße am vielfach sich windenden Onjet hinab ritt er nach Parsek. Die Parseker erwiesen ihm ebensolche Ehrerbietung wie die Onjarer, erst kürzlich bei den Festlichkeiten zum Erntedank hatte er hier den Grundstein für eine kleine Schule mit angeschlossenem Hesinde-Schrein gelegt. Das Grundstück hätte ursprünglich einen Phex-Tempel tragen sollen, doch der Geweihte, der für das Vorhaben verantwortlich gewesen war, war verschwunden, so daß niemand wußte, ob er sich mit den Spenden aus dem Staub gemacht hatte oder ob ihm etwas zugestoßen war.
Die Strecke entlang am Kanal war traumhaft. Der rotgoldene Herbst tauchte die Hügel in ein Feuerwerk von Farben. Auf den abgeernteten Feldern und zwischen den Rebstöcken liefen fröhlich Kinder herum, den Herbstwind in den Haaren. Die Leute des Westviertels (so nannte man den Teil der Baronie, der westlich der Straße von Parsek nach Silas lag) waren ein äußerst frohsinniger Menschenschlag, der in vielen kleinsten Dörfern und Weilern verstreut lebte. Sie waren das, was man sich im Norden unter einem Bewohner des Lieblichen Feldes gemeinhin vorstellte: Fröhlich, etwas laut, dem Wein und der Liebe sehr zugetan, mit freizügigen Moralvorstellungen und niemals ermüdenden Mundwerken. Eine nordländische Rahja-Geweihte, die sich vor Zeiten in diese Gegend verirrt und auf einem Marktplatz freie Hingabe an die Liebe und die Genüsse des Lebens gepredigt hatte, hatte von den Bewohnern nur freundlich-erstaunte Blicke geerntet, und ein etwa vierzehnjähriges Mädchen mit einem Ausschnitt, der dem sorgfältig geschnittenen Decollete der Geweihten nur spottete, hatte gerufen: „Und was Neues, Süße, was Neues?“

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ür die Mittagsrast verließ er den Pfad, auf dem er nur ab und zu größere Ochsengespanne überholt hatte, und setzte sich auf einem Hügel in den Schatten einer großen Pinie, aß seinen Proviant und dachte abwechselnd an Delhena und ihre Gespräche in Eskenderun1, ihre Blicke und ihre Bewegungen, und an seine Heimat im Norden in ihrer kühlen, nebelgekrönten Weite.
„Ihr Haar“, dachte er, „würde jeder Albernierin zu höchster Zierde gereichen. Seltsam, daß das, was für meine Heimat als typisches äußerliches Zeichen gilt, mich nun an eine Tulamidin so fesselt. Nicht umsonst gelten den Tulamiden die Rothaarigen als Glückskinder.“
Und wie er so wandelte in den Gefilden des hohen Nordens, da tauchte er ein in eine seltsame Schattenwelt, ein „Urven“ pflegten die Skalden Thorwals jenen Zustand zwischen Traum und Wachsein zu nennen, in dem man Eintritt erlangt in die Anderwelt, die bevölkert ist von Naturgeistern und anderen, sonst unsichtbaren Wesenheiten, die durchströmt ist von „Llywedd“, der allumfassenden Musik, die von jeher die Skalden und Barden inspirierte, einen Teil davon einzufangen und in die Welt der Menschen zu bringen. Und die Worte durchflossen ihn und erfüllten ihn, und seine Seele sang zu Ehren derer, der er sie zu schenken bereit war.
Kaum später erwachte er aus der Trance, in die er gefallen war, aber die Worte fuhren fort zu klingen in seinem Kopf und in seinem Herzen. Aber was war das? Die Melodie war weg - die Worte waren schaf und klar in ihm, aber sie hallten wie ein Gedicht, kein Ton erklang dazu, und soviel er auch versuchte, selbst eine Melodie zu ersinnen, keine wollte ihm als angemessen erscheinen, keine hatte diese tiefe Melancholie, die geniale Einfachheit und die rhythmische Strenge, die das Lied mit solcher Wahrhaftigkeit erfüllt hatte.
Plötzlich sah er zur Sonne auf und wußte, er mußte sich beeilen, wollte er nicht zu spät kommen - bis Ankram war es noch eine gute Stunde. Er ritt los. Das Pferd vermochte dem geraden Pfad allein zu folgen, er suchte und summte, brach ab und suchte erneut. Verstört und verwirrt kam er an die Straße und an den breiten Sikram, er sah die Brücke und jenseits die Häuser der Stadt Ankram. Sein Blick blieb an der harten, trotzigen Fassade der Burg Ankhelet hängen. „Wer immer diese Burg gebaut hat, hat es wahrlich geschafft, die Größe des Nordens in den Süden zu bringen. Ein Lied, das es genauso vermöchte, dieses Gefühl einzufangen, wird weiterscheinen durch die Zeitalter, ebenso unverwundbar für das unablässige Nagen der Zeit wie die ehrfurchtgebietende Burg auf dem Hügel über der Stadt.“
Bei diesem Gedanken befiel ihn eine angenehme Gelassenheit. Das Fehlen der Melodie kümmerte ihn nicht mehr. Wenn sein Urwen ihn nur mit den Versen zurückgeschickt hatte, so mußten sie genug sein, sie würden von sich aus hallen wie der Donner über dem Steineichenwald.

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urch die Gassen der hellen, freundlichen Stadt ging er, das Pferd am Halfter führend, das Gewimmel war beachtlich, und da ihn niemand kannte, machte auch niemand Platz. Malbeth gefiel es, sich unter die Bewohner dieser kleinen, herzlichen Stadt zu mischen, unter die fremden Durchreisenden und alles Volk, das an diesem wundervollen, späten Herbstnachmittag geschäftig durch die Straßen strömte. Man beschrieb ihm den Weg zum Stadthaus der Baronin, einem interessanten, flachen Gebäude, das einen schon eher an die Heimat seiner Bewohnerin vom Mhanadi erinnerte, als die rauhe Burg im Hintergrund.
Vor dem Tor standen zwei schwerttragende Wachen. Malbeth trat vor sie hin und stellte sich vor. Sie sagten ihm, er werde erwartet, und man werde ihn sogleich in die Haupthalle geleiten, wo Ihre Hochgeboren sich aufhalte. Einer plötzlichen Eingebung folgend bat er sie, alleine eintreten zu dürfen, und man ließ ihn durch.
Schon im Durchgang hinter dem Tor hörte er leise Rhythmen. Vorsichtig drückte er gegen die Tür und öffnete sie geräuschlos. Sein Blick fiel in einen großen, hellen Raum. In der Mitte des Daches befand sich eine Öffnung, durch die frische Luft und Licht hereinströmten. Darunter im Boden war ein wassergefülltes Becken, das der Halle eine besondere Frische verlieh. Ein paar flach einfallende Sonnenstrahlen, die durch das Dach hereinfielen, schienen auf eine Bank, die bedeckt mit allerlei Kissen und Decken am Becken stand. Im Schein dieses goldenen Lichtes saß darauf eine Frau von unvergleichlicher Schönheit und Anmut. Ihr kupfernes Haar leuchtete im Sonnenschein wie ein Herbstfeuer. Ihre Lider waren geschlossen und hüteten das grüne Feuer der Augen wie Knospen, deren dunkle Winterhaut das Versprechen von Frühling und Leben in sich trägt. In den Händen hielt sie ein Tambourin, an dessen Band entlang dutzende von kleinen Schellen jeden Schlag ihrer zarten Hand mit einem freudig erregten Tanz und Gesang beantworteten. Sacht wiegte sich ihr Kopf zum Rhythmus der kleinen Trommel, in dem sie völlig aufging. Goldene Ähren im Wind konnten nicht schöner sich biegen und wippen als dieser sanfte Tanz der unmerklichen Bewegungen.
Rahja selbst hätte diese Gestalt und diese Kunst, sich zu bewegen, für sich gewählt, hätte sie unter den Menschen wandeln wollen, dessen war Malbeth sich sicher, und wer weiß, vielleicht war sie es ja selbst - nichts Derisches konnte von solcher Schönheit sein.

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nd wie von selbst griffen seine Finger nach dem Beutel der kleinen Harfe, die an seinem Gepäck baumelte, er ergriff sie und strich mit den Fingern sanft über die Saiten, und plötzlich begann die Musik zu strömen, und die Worte flossen aus seinem Herzen. Es gab kaum eine Veränderung auf Delhenas Zügen, ein kaum sichtbares Lächeln zeigte, daß sie die Musik wahrnahm, die sich nun entspann, ihre Augen blieben geschlossen.
Die Worte entfalteten sich wie Blätter nach einem langen Winter. Das zarte Grün der Gebirgsseen war in ihnen, der Wind in den Wipfeln der hohen Tannen, die Winterstürme, die um die geschnitzen Drachenköpfe der Ottas fegen, wenn sie bedeckt von Segeltuch auf dem Trockenen liegen, geschützt vor dem harten Eis des Golfes von Prem, das Klingen der Glocken, die die Kaleschka auf ihrer Fahrt durch die lange Mittwinternacht des Bornlandes begleiten, das Rauschen des Wassers in Donnerbach, das Unendliche der namenlosen Wälder jenseits aller menschlichen Ansiedlungen, der Einklang mit der Natur, dem Leben und dem Tod, wie er den Nivesen in ihrem jahrtausendealten Lebenszyklus zueigen ist, das Heulen der Wölfe in Vollmondnächten, und über allem das endlose Rauschen des Meeres, das hart an die Küsten schlägt und unendliche Melancholie und Verheißung in sich trägt. Der Gesang mochte Tage gedauert haben oder nur Minuten, in ihm waren sie alle anwesend, die Götter und Halbgötter des hohen Nordens, und wachten voll Wohlwollen über ihr Reich, das sich im Atrium eines tulamidischen Hauses im Lieblichen Feld entfaltete.
Als das Lied endete, war Malbeth bleich und zitterte, er wußte kaum mehr, daß er es war, der gespielt hatte, keines der Worte und nichts von der Geschichte, die die Verse erzählt hatten, war mehr in ihm. Llynedd hatte sie in die Anderwelt geholt und ließ ihn nun zurück im Angesicht einer freundlich lächelnden Frau, schön wie ein Traum, die langsam ihre Augen öffnete und ihn anblickte, und Malbeth sah, daß in ihnen all das lag, was er mit anstrengenden Worten zu sagen versucht hatte.

1 Gemeint ist das Krönungsfest des Trodinars von Chababien auf Burg Eskenderun am 1. Praios 1012 BF.