Briefspiel:Malbeth und Delhena (4)

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Datiert auf: Ende 1012 BF Schauplatz: vor allem Ankram und Onjaro Entstehungszeitraum: im letzten Jahrtausend
Protagonisten: siehe Übersichtsseite Autoren/Beteiligte: Christel Scheja, Markus Hattenkofer, Niels Gaul; bearbeitet von Michael Hasenöhrl und (fürs Wiki) Armin Bundt
Zyklus: Übersicht · Malbeths Aufbruch · Von Onjaro nach Ankram · Delhenas Warten · Weitere Gäste ... und ein Tanz · Malbeths Zweifel · Treffen in der Nacht · Die Einladung · Jaarns Antwort · Die Feier zu Ankram · Eine besondere Überraschung · Jaarns Ankunft · Weitere Gäste · Das Fest beginnt · Unterbrochene Zeremonie · Bankett, Tanz und allerlei Reden · Gespräche abseits der Feier · Ein wenig festliches Ende · Die Kreisweihe ... · ... und eine druidische Trauung · Die Geburt der Erben Ankrams und Onjaros

Weitere Gäste ... und ein Tanz

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ach einer Weile wurden sie unterbrochen. Im Außenhof des Hauses erklang Lärm. Irritiert verstummte Malbeth, und Delhena, die ihm aufmerksam gelauscht hatte, erhob sich. Doch gerade, als sie den ersten Schritt machte, um nach dem Grund zu sehen, betrat einer der Diener das Atrium und machte eine Ehrenbezeugung.
„Euer Hochgeboren ...“, er zögerte und blickte sie verwirrt an. „Euer Hochgeboren, draußen wartet Seine Hochgeboren Herr Jaarn Firunwulf ter Severijn, Baron von Kabash. Er sagte, daß er Euch, seiner ‘lieben Nachbarin und Freundin’, einen Höflichkeitsbesuch abstatten möchte, da er auf dem Heimwege nach Burg Banêsh hier entlangkam ...“
Der junge Mann tat sich schwer mit dem harten, fremdartigen Namen, doch Delhena nickte nur überrascht. Kurz warf sie einen Blick zu Malbeth. Dieser, der während seiner Erzählung immer wieder eine fröhlichere Wesensart hatte durchschimmern lassen, war wieder ernst geworden. Weder aus seinem Gesicht noch aus seinen Augen konnte sie lesen, was er darüber dachte.
Sie selber war überrascht, denn einen Besuch hatte sie nicht erwartet, hatte sie doch von durchreisenden Händlern vernommen, daß Jaarn in anderen Geschäften in Vinsalt und weiter im Norden sei und eigentlich später zurückkommen wollte. Doch sie hatte noch nie viel auf solcherlei Geschwätz gegeben.
„Bitte ihn herein.“ wies sie den Diener verlegen an, dann wandte sie sich Malbeth zu, der etwas steifer dasaß als zuvor. „Ich bin über den Besuch des Barons überrascht. Aber auch wir sprachen zu Eskenderun miteinander, wie Ihr Euch sicher erinnern möget.“ sagte sie dann, fast wie eine Entschuldigung. „Ich bin selber überrascht ...“
In diesem Moment betrat jemand schwungvollen Schrittes den Raum. Jaarn Firunwulf ter Severijn deutete eine höfliche Verbeugung an: „Meine Verehrung, hochwohledle Frau Delhena-Naila von Ankram. Es ist mir eine Freude, Euch zu sehen ... und auch Euch, ehrenwerter Freiherr Malbeth Glandore ...“
Dieses Lächeln ...
Delhena hatte fast den Eindruck, daß er genau wußte, daß Malbeth Glandore gekommen war, der Besuch doch nicht so zufällig erschien, wie er behauptete. Aber wer, wie und warum hatte da eingelenkt? Sie blieb weiterhin höflich, wenn sie auch innerlich verwirrt war und leise ob der Einmischung eines Unbekannten grollte, und bot ihrem zweiten Gast einen Sitzplatz an, während sie dem Diener Anweisungen gab, sich um das Gefolge des Barons zu kümmern.
Doch der Zauber der vorigen Momente war verflogen. Die Unterhaltung blieb auf höfischem Niveau, distanziert und fern, und Jaarn trug zwei Lieder zur Begleitung der Laute vor ...
Ja, er blieb höflich, aber sie durchschaute Jaarns Absichten. Nur konnte sie ihn nicht durchschauen, nicht spüren, welche Gefühle ihn leiteten.
Bei Malbeth Glandore war es anders. Schon in Eskenderun hatte sie erlebt, daß er ehrlich und offen war. Ein Wesenszug, der zwar nicht immer zum Vorteil gereichte, der ihr aber gefiel ...
Sie war fast erleichtert, als eine Dienerin ihr berichtete, daß das Mahl gerichtet war. Und so bat Delhena ihre Gäste mit sich, denn im Atrium war es zu dieser späten Stunde schon recht kühl geworden.

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er große Saal ihres Stadthauses bot gut und gern fünfzig Menschen Platz, doch nur etwa zwanzig bevölkerten ihn. Mädchen der Stadt hatten ihn wie immer mit herbstlichen Blumen geschmückt und die Gestecke erneuert. Einfache an den Wänden und mit Ketten an der Decke befestigte Leuchter erhellten den luftigen Raum, dessen Wände mit bunten Teppichen geschmückt waren - Wandbehängen, die nach tulamidischen Vorbildern eigens für die Baronin gefertigt worden waren, gefärbt mit den Farben der Baronie, für die sie berühmt war.
Die Tafel und die Stühle waren aus erlesenem Holz und mit Schnitzereien verziert. Kissen machten das Sitzen angenehmer. Auch hier lagen überall Blumen auf den Tischen und verbreiteten einen fast betäubenden Duft. Doch das Obst, die Pracht des Landes, war nicht nur Zierde.
Delhena lächelte. Bereits ohne ihr Zutun hatten die Diener all ihre Wünsche erfüllt. Die Speisen, die nun gereicht wurden, waren trotz ihrer Einfachheit Leckereien erlesenster Art. Einige junge Sänger aus der Stadt spielten im Hintergund auf, bemühten sich, die Gäste zu unterhalten, denn auch Randolan Cerno, der rauhe Leiter der Kanalschiffergilde, die mütterliche Kaufherrin Halmine Yerddo und Villina Synaldo waren anwesend. Die Mitglieder des Rates waren öfters zu Gast, um sich mit ihrer Baronin zu beraten. Delhena hatte sie mehrmals eindringlich gemustert - aber keiner hatte sich schuldig gezeigt. Den abwesenden Mitgliedern des Rates konnte sie keinen Vorwurf machen, hatten diese doch ebenfalls wichtige Aufgaben.
Später entschuldigte sich Delhena „für einen Moment“ bei ihren Gästen, um sich in ihre Gemächer zurückzuziehen. Denn sie hatte etwas geplant - schon lange, bevor sich der zweite Besuch angekündigt hatte, der keine Lust zu haben schien, weiterzureisen.

S

ie wollte tanzen. So selten sie es auch tat vor hohem Volk, so sehr verlangte sie jetzt danach, und sie benötigte keine Hilfe, ihr Tanzgewand anzulegen. Sie hatte es nie zugelassen. Während Delhena sich des Gewandes entledigte und das Band aus den Haaren zog, betrachtete sie sich in einem polierten Metallspiegel.
Noch immer zeigte ihr Körper nur wenige Spuren des Alters, ja, er verriet nicht einmal, daß sie vor zwanzig Jahren zwei Kindern das Leben geschenkt hatte. Sie seufzte. Die schmerzhafte Erinnerung tauchte wieder auf. „Sie hält dich für tot ...“ murmelte Delhena selbstvergessen. „Doch sie ist eine Sharizad. Wie du.“
Ihre schlanken Finger glitten durch das Haar, lösten die Strähnen. Noch immer stand sie so, wie Rahja sie geschaffen hatte, vor dem Spiegel und betrachtete sich versonnen. Ihr Gesicht war fast faltenlos. Wohl schimmerte aus ihren Zügen die Reife einer Frau, aber nicht die einer alten Frau. Ihre Brüste jung und fest, ihre Hüften sanft gerundet, ihr Bauch straff wie die Haut einer Trommel ... nein, klagen konnte sie nicht. Das Haar floß in kupfernen Wellen über die gebräunten Schultern. In seiner Farbe war auch das Seidengewand, das sie nun anlegte und das ihren Bauch freiließ. Winzige Glöckchen klingelten leise, als sie das gesteifte Oberteil befestigte und den goldfarbenen Gürtel anlegte. Die Schleier, die an ihm befestigt waren, schimmerten in goldenen und silbernen Tönen.
Flache Pantoffeln, zum Tanzen an den Spitzen verstärkt, und nur wenig Schmuck vervollständigten ihren Putz.
Dann nahm sie das Tambourin und strich zärtlich darüber ... alt war es schon - und ein wenig abgegriffen, aber es war die einzige Erinnerung an Rashdul, die sie hatte retten können.
Dann trat Delhena nach draußen und genoß die streichelnde Kühle des Windes im Garten, sah in das lachende Gesicht des Madamals. Von drinnen hörte sie Stimmen, und kurz dachte sie an das, was heute geschehen war.
„Als ich Sharizad war, als ich Rahja hingebungsvoll diente, war alles so flüchtig wie der Rausch einer Nacht ...“ lächelte sie, „jedoch ... nun bin ich Baronin ... mein Freund, was hast du mir nur angetan ...“
Sie trat an eines der Fenster, das zum Saal führte, und blickte hinein, beobachtete ihre beiden Gäste interessiert, die sich unterschieden wie der Tag und die Nacht, Sonne und Mond. Der eine geheimnisvoll und der andere? Durchschaubar, undurchschaubar. Delhena wußte noch nicht, was sie tanzen wollte. Doch sie spürte, daß es in erster Linie ihr Lied, ihr Tanz sein würde. Es gab diese Zeiten. Schon als junges Mädchen hatte sie Schmerz, Verwirrung und Freude in kleinen Tänzen ausgedrückt, eine Gabe, die ihr Können steigerte.
Delhena seufzte leise.
‘Mit diesem Tanz könnt ihr in meine Seele blicken, könnt ihr erkennen, wer und was ich bin - ich lüfte die Schleier einen Augenblick. Seht und erkennt - entscheidet ...’
Sie erinnerte sich eines alten Märchens und lächelte. ‘Auch ich will wie Seraz sein, die ihr Innerstes öffnete und damit die Wahrheit herausfand. Nur werde ich nicht sterben ...’
Das Gespräch mit dem jungen Abenteurer hatte ihr auch eines klar gemacht. Nicht länger konnte sie der Vergangenheit und einem lange verlorenen Leben nachtrauern. ‘Gute Abrizah. Freundin - du hast recht. Meine Tochter soll ihr Leben leben ... auch wenn ich sie gerne einmal sehen würde. Und wer hält mich davon ab? Doch ... ich bin so lange alleine gewesen. Vielleicht finde ich jetzt jemanden ...“
Sie lächelte und betrat den Saal.

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in Raunen ging durch die Anwesenden, als sie Delhena sahen und staunend betrachteten. Doch diese nickte nur und schritt leichtfüßig zu den Musikanten, flüsterte ihnen einige Anweisungen zu und trat dann in die Mittes des Saales.
Sie nickte ihnen zu. „Es ist Sitte bei den Tulamiden, Gäste, vor allem solch hochgeschätzte, zu ehren, und eine Weise ist der Tanz. Ich will einen aus meiner Heimat - aus Rashdul - vorführen... darum habt nun acht ...“
Sie gab den Musikanten ein Zeichen, und diese begannen mit einer einschmeichelnden, leisen Weise. Delhena schloß die Augen, doch das einzige, was sie nun hörte, waren die Glöckchen ihrer Gewandung, der Schlag ihrer Finger auf der Trommel. Sie tauchte hinab in die Fluten des Mhanadi, um einer Göttin gleich aus ihm hervorzutauchen und Rashdul vor sich zu sehen - Blüte und Perle der tulamidischen Kultur. Sie erzählte von dem pochenden Leben in den Gassen, der Fröhlichkeit, dem Blut, das feurig durch die Adern pulste.
Von den schönen, wilden Mädchen erzählte sie, den düsteren Zauberern, den mutigen Kriegern - und dann begann Delhena den alten Tanz abzuwandeln.
Sie war nun sie selber - die schöne, geschmeidige Sharizad, die einen Sheik liebte - die glückliche Mutter, die ihr Kind in den Armen wiegte - die Verzweifelte, die man den Armen ihrer Liebsten entriß.
Die Musik verwandelte sich in schaudrige Disharmonien, als sie von ihrem Sklavenlos erzählte, Demütigungen und Erniedrigungen, als sie die Verworfenheit des großen Al’Anfa schilderte. Kurz erhaschte sie einen Blick auf Jaarn Firunwulfs Gesicht und bemerkte, daß er erkannt hatte, was sie darstellte. Oh ja, auch er kannte dieses Los ...2
Delhena versenkte sich wieder in die Vergangenheit. Ihre Befreiung schilderte sie, ihre Ziellosigkeit, und dann die Aufgabe, die sie jahrelang am Leben erhalten und auf diesen Platz geführt hatte.
Und dann leiteten die Musikanten zu einem der fröhlichen Tänze der Gegend über - Delhena warf sich in ihn, denn sie spürte, daß die magische Medizin wirkte, ihr Tanz alle Sorgen von ihr genommen hatte.
Nein, nichts hatte sie verschwiegen. Nicht das, was sie war, das, was sie getan hatte, um Rache zu nehmen und einen Sinn zu finden, weiterzuleben ...
Ihre Haut glänzte, sie spürte ihr Herz heftig pochen, aber ihre Füße, ihr Körper ließen sich nicht mehr von dem Verstand beherrschen.
Sie sah, daß die anderen von ihrem Anblick gefangen waren, von der schlanken, biegsamen Gestalt, die durch Gestik und Mimik mehr darzustellen wußte, als ein Sänger es in Worten vermochte. Sie bestimmte die Musik, nicht umgekehrt, sie leitete die Musikanten zu einem immer schneller werdenden Finale.
Delhena wirbelte um sich selber, ehe sie schließlich mit dem Verlöschen der Musik in die Knie sank und gebeugt verharrte, Kopf und Hände in einer Rahja dankenden Pose erhoben. Denn die Göttin selber mußte ihr diese Ausdauer geschenkt haben, die Kraft und die Geschicklichkeit, alles darzustellen, was sie wollte.
Noch immer fühlte sie den Rausch des Tanzes in sich, erinnerte sich der Biegungen und Drehungen, der Finger, die die Schleier um ihre Hüfte gelöst hatten, so daß sie nur noch den kurz geschlitzten Rock und das Oberteil trug.
Sie hatte nichts verlernt.
Nun löste sie sich aus der Pose und blickte ihre Gäste abwartend an ...

2 Jaarn Firunwulf war selbst als Vorleser einer Grandessa Sklave in Al’Anfa gewesen.