Briefspiel:Rebenblut (4)

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: Herbst 1035 BF Schauplatz: Urbasi, besonders Palazzo Solivino Entstehungszeitraum: Februar 2014
Protagonisten: führende Mitglieder der Familie Solivino, dazu weitere Patrizier Urbasis Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Dunkelklinge, Haus Urbet.png Gonfaloniere, Familie Zorgazo.png Toshy
Zyklus: Übersicht · Ausbrechender Bruderzwist · Briefe unter Geschwistern · In unruhigen Bahnen · Rahdrigos Rückkehr · Auf Kollisionskurs · Wie Eis und Feuer · Ist er tot? · Seines Bruders Blut · Bolzen und Dispute · Aufbruch

Rahdrigos Rückkehr

Am Abend des 12. Travia

Die Dämmerung war schon hereingebrochen, als sich zwei schwere, mit Eisen bebänderte Kutschen ratternd den Stadttoren Urbasis näherten. Gezogen wurden die komplett aus Holz bestehenden Waggons von jeweils vier Rössern, deren Atem in der kühlen Luft zu weißlichem Dampf kondensierte. Die Wachen am Durchlass in die Stadt hatten sich in wollene Mäntel gehüllt und starrten verdrießlich in die tief hängenden Nebelschwanden, die gleich Vorboten des Herbstes über den Kuppen des Sikramstiegs hingen. Erst die Hufschläge und das Räderrattern ließen sie aus ihrem Trübsinn auffahren. In eiligem Trab kamen die beiden Kutschwagen herangenaht, im Dunst nur schwer zu erkennen, und wirbelten die Erde auf, die die breite Fuhrstraße in einer dicken Kruste bedeckte. Schweiß troff an den Flanken der Pferde herab als sie wenige Spann vor den massiven Eichenportalen durch die Peitsche zum Anhalten gezwungen wurden.
Einer der Diensthabenden hob seine Laterne an und ein gelblicher Lichtschein fiel auf den vordersten Wagen: „Wer wünscht die Stadt noch so spät am Tag zu betreten? Nennt Name und Begehr!“
Hohl und seltsam verzerrt wirkte die einstudierte Floskel im dunstgeschwängerten Dämmerlicht und auch der Laternenschein wurde von den grauen Nebelwolken teilweise geschluckt, die nun nah an die Stadt herangekrochen waren.
Rahdrigo Solivino bittet um Einlass! Seine Geschäfte sind Seine eigenen Dinge, welche Er nicht mit Leuten wie euch zu besprechen wünscht.“, erklang es vom Kutschbock herunter.
Die Erwiderung schlug dem jungen Gardisten wie ein kalter Luftstoß ins Gesicht und machte ihn schaudern. Er wusste, was er zu antworten hatte: „Es ist zu entschuldigen, falls wir Eure Herrschaften Solivino verärgert haben. Wir hätten wissen müssen, dass Ihr es seid. Es ist uns eine Freude, Euch zurück in Urbasi begrüßen zu dürfen.“
Die Kehle des Sprechenden war trocken geworden und seine Hand um die Hellebarde hatte sich verkrampft. Mit der noch freien gab er ein stummes Kommando, um seinen Kameraden verstehen zu geben, dass sie die Öffnungsvorrichtung des Tores bedienen sollten, während sich auf seinem Gesicht ein nervöses Lächeln ausbreitete. Knarrend fuhren die Torflügel auseinander und entblößten ein Meer aus Weiß, wo sonst die Stadt gewesen wäre. Mit einer respektvollen Verbeugung trat der junge Wachmann zur Seite und gebot mit ausladender Geste das Passieren. Schnaubend setzten sich die weißfleckigen Schimmel vor den Kutschen in Bewegung, mit jedem ihrer kraftvollen Schritte Verwirbelungen im wogenden Nebel erzeugend. Die Dunkelheit hatte in der Welt die Oberhand gewonnen und der dichte, feuchtklamme Wasserdampf erschwerte die Sicht, so dass die Kutschen bereits nach wenigen Wimpernschlägen für die Gardisten unsichtbar geworden waren und nur noch das Klappern der Hufe auf Pflasterstein den Ankömmlingen nachhallte.

Rahdrigo saß senkrecht auf der harten, schwarzen Sitzbank, die zusammen mit einem winzigen Tisch das Innere der Kutschwaggons ausmachten. Er hatte Fahrten über Land schon immer verabscheut, denn bei diesen konnte man weder Schlaf finden, noch einer anderen Beschäftigung vernünftig nachgehen. Außer dem ewigen vor sich hin starren und dem alleine sein mit seinen Gedanken war ihm also nichts geblieben. Seine Augen zierten dicke, blassblaue Ringe und sein Gesicht schaute käsig aus, doch war sein Mund zu einem engen Strich zusammengekniffen und die Zähne rieben in einem monotonen Takt aufeinander. Wie zäher Sirup waren die Stunden zerronnen, jeder Augenblick schien eine Unendlichkeit andauern zu wollen. Rahdrigos Steiß brannte von den andauernden Erschütterungen der Kutsche und seine Beine schliefen ihm aufgrund der Untätigkeit in regelmäßigem Abstand ein.
Gerade hatte er das Gespräch seines Kutschers mit dem Gardisten belauscht und war froh, dass sie endlich Urbasi erreicht hatten. Die Begutachtung der Güter war zwar ohne Zwischenfälle verlaufen, doch boten die Früchte in diesem Jahr keinen allzu schönen Anblick. Ein sonnenarmer und verregneter Sommer hatte die Früchte klein und sauer werden lassen. Einige Rebstöcke hatten sogar in der Wurzel zu faulen begonnen. Der gekelterte Wein war dementsprechend nicht sehr delikat und so blieb auch Rahdrigos Ausbeute für das Weinfest eher rar. Als Ausgleich hatte er viele Fässer der vorherigen Jahrgänge aufladen müssen, die er eigentlich hätte verkaufen und nicht im Kreise der Reichen verschenken wollen. Dazu kam noch, dass eines der Weinlager durch ein Unwetter schwer beschädigt worden war und das Dach einer dringenden Reparatur bedurfte.
Nichts war jedoch schlimmer als der schwelende Konflikt mit Rahjalin, der wie eine finstere Wolke über allem lastete, was der Winzermeister anging. Er hatte geahnt, dass sein Bruder nicht leicht zu überreden sein würde, doch hatte er sich an ihm wahrlich seine Krallen stumpf geschlagen.
Eisern versuchte er die aufkommenden Gedanken zu unterdrücken und stöhnte vor Erleichterung auf als er spürte wie der Wagen zum Stehen kam. Steif und staksig erhob er sich und stampfte einige Male kräftig auf, um wieder etwas Blut in seine Gliedmaßen zu befördern, woraufhin er mit geübten Fingern seine Kleidung in Ordnung brachte. Im Anschluss daran strich er sich über die Haare, die sich in wildem Aufbegehren in alle Richtungen davongestreckt hatten, und versuchte auch diese in Form zu bringen. Als Teil der Solivino wusste er ganz genau, wie er sich zu präsentieren hatte. So setzte er sich die Maske der Freundlichkeit auf, streckte die Glieder und wartete darauf, dass die kleine Tür zur Kutsche geöffnet und ihm das kleine Stufentreppchen den Ausstieg erleichtern würde. Die Absätze seiner Schnallenschuhe knallten auf den kleinen Holzstiegen, über die er die Kutsche wenige Augenblicke darauf schlussendlich verließ.
Vor ihm erschien in gewohnter Würde das Herrenhaus der Solivinos. Der Palazzo seiner Familie in Urbasi, wenn auch nicht das Stammhaus derselben. Der Kutscher überreichte ihm sogleich seinen Federhut, ein stilsicheres Barett, ohne das er selten das Haus verließ, dann war er frei und marschierte mit vorgestreckter Brust voran. Sein Eintreffen sollte als die Ankunft eines Würdenmannes erkannt werden. Eines Mannes, der sich durch nichts so leicht erschüttern lässt.
Eine plötzliche, eiskalte Brise erfasste Rahdrigo und kurz verunsichert entglitt sein geliebtes Barett den bläulich geäderten Händen. Noch im Fallen löste sich die Feder aus ihrer Befestigung und wurde in den Nachthimmel emporgetragen. Schon hatte sie sich in der Finsternis verloren und ließ einen kleinen Mann tief unter sich zurück …