Briefspiel:Rebenblut (5)

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: Herbst 1035 BF Schauplatz: Urbasi, besonders Palazzo Solivino Entstehungszeitraum: Februar 2014
Protagonisten: führende Mitglieder der Familie Solivino, dazu weitere Patrizier Urbasis Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Dunkelklinge, Haus Urbet.png Gonfaloniere, Familie Zorgazo.png Toshy
Zyklus: Übersicht · Ausbrechender Bruderzwist · Briefe unter Geschwistern · In unruhigen Bahnen · Rahdrigos Rückkehr · Auf Kollisionskurs · Wie Eis und Feuer · Ist er tot? · Seines Bruders Blut · Bolzen und Dispute · Aufbruch

Vorbeben

14. Travia

Rahdrigo weilte bereits wieder seit zwei Tagen in Urbasi, doch war von Rahjalin während der gesamten Zeit nichts zu entdecken gewesen. Datames hatte die Auskunft gegeben, dass sich sein Bruder im Tempel der Rahja der Meditation widme, aber so recht wollte Rahdrigo dies nicht glauben.
„Er hat sich in die heiligen Hallen verkrochen wie eine Fledermaus, die das Sonnenlicht fürchtet. Dieser elende Feigling!“
Mit einem knackenden Geräusch brach die Feder von der Kraft, mit der der Patrizier die Spitze auf das Pergament aufgesetzt hatte, welches er gerade beschrieb. Schwarz und dick tropfte die Tusche aus dem gesplitterten Schaft und überschwemmte die feinen Kusliker Schriftzeichen.
Über diesem Dilemma thronend, schwoll eine rote Wut in dem mächtigen Hals des Signors und drohte ihm den Atem zu nehmen. Mit einem einzigen Schwung seines Arms fegte er die Schriftrollen von seinem Schreibpult und ließ die geborstene Feder sogleich folgen. Unbeabsichtigt hatte er in seiner Rage aber auch den Weinpokal erfasst, der mit einem klirrenden Geräusch auf dem blanken Granitboden fiel. Dabei entleerte sich der flüssige Inhalt und überschwemmte den Stein und die ausgebreiteten Papierbögen bis er an einem dicken Teppich zum Stehen kam und geräuschlos aufgesaugt wurde. Ein gerade noch unterdrückter Schrei entrang sich der Kehle Rahdrigos, während er seine speckigen Hände zu harten Fäusten ballte.
„Dieser Dämon von Bruder raubt mir noch den Verstand“, grollte er in seinen wild gewachsenen Bart.
Kraftvoll drückte er sich darauf in die Höhe und bedeckte in einer geradezu theatralischen Haltung die Augen. Dies war eine Methode, um die Säfte in seinem Körper wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das hatte ihm zumindest ein bewährter Medicus erzählt und an der tatsächlichen Wirkung bestand kein Zweifel. Nachdem in seinen aufgewühlten Verstand und Körper wieder ein wenig Ruhe eingekehrt war, verschaffte er sich einen Überblick über die Früchte seines Wutausbruchs. Seine ganze Arbeit von Stunden war zunichte gemacht worden. Nicht nur die Einladungen zum Weinfest, nein, sondern auch wertvolle Geschäftsunterlagen waren durch Tusche befleckt und vom Wein völlig verwaschen. Er stapelte alles noch Brauchbare auf einen Stapel, dann betätigte er die feine Silberglocke, die für das Rufen der Bediensteten vorgesehen war.
Wenige Wimpernschläge darauf klopfte es zaghaft und die Tür wurde einen Spalt weit aufgeschoben: „Was kann ich für Euch tuen, Herr!“
Eine kleine, dunkle Frau blickte verschüchtert durch den Türspalt und wartete nervös auf ihre Instruktionen.
„Holt mir Datames herbei, so schnell es eben geht. Lasst euch von ihm nicht abfertigen!“ Beim letzten Satz schwang ein drohender Unterton mit und sogleich hatte sich der dunkle Spalt zum Flur hinaus geschlossen und man hörte rasch trippelnde Schritte verklingen.
Auf jeden Ausbruch folgte eine lähmende Müdigkeit, die jedes Glied Rahdrigos erfasste. Schwankend stütze er sich an einem seiner wuchtigen Bücherregale ab und atmete schwer ein und aus. Lange verharrte er nicht so, denn schon kam Datames mit schlurfendem Gang herein.
„Ihr wirkt erschöpft mein Herr!“, die Begrüßung war gewohnt lasch. Interessiert ließ der gebeugte Haushofmeister den Blick wandern: „In Euer Solar scheint ein Rondrablitz gefahren zu sein. Was ist denn geschehen?“
„Die Wut, die Wut!“, lautete die schwache Antwort des Patriziers, der sich behäbig zu voller Größer aufrichtete. Murmelnd fügte er hinzu: „Das ist jedoch nichts, was euch Gedanken machen sollte. Es ist auch nicht weiter von Belang! Ich rief Euch, damit Ihr die Einladungen für das Weinfest abfasst. Meine sind leider unbrauchbar geworden. Nutzt dabei ruhig Eure eigenen Worte … Ich habe vollstes Vertrauen in Euch.“
Gedehnt und stockend kamen ihm die letzten Silben von den Lippen. Müde setzt er zu einem Abschiedsgruß an, der jedoch nur zu einer fahrigen Handbewegung wurde. Datames kannte seinen Herrn gut genug und wusste auch um diesen Zustand, sodass er nicht einschritt, sondern leicht auswich, während Rahdrigo den Raum verließ.
Mit geübtem Schwung setzte Datames die kleine Metallfeder an und fing mit kunstvollen Lettern zu schreiben an …

Auf Kollisionskurs

In der Nacht vom 14. auf den 15. Travia

Unruhig wälzte sich Rahjalin herum und blickte schlaftrunken zur hohen Decke der offenen Tempelhalle empor, wie er es in dieser Nacht so oft schon getan hatte. Hell drang das Licht der Madascheibe durch die spitzen Giebelfenster und zeichnete die gesegnete Stätte mit kontrastreichem Pinsel. Rahjalin lag im Schatten.
„Ein Omen“, grübelte er, „Ein Zeichen für die Abkehr der Göttin! Bin ich ein Verdammter, dass ich mich gegen meinen Bruder wende? Ziehe ich die Dunkelheit an, wie es bei den Frevlern geschieht?“
Lange hatte er überlegt, ob er sich den Befehlen Rahdrigos unterwerfen sollte. Nacht um Nacht hatte ihn diese Frage gequält! Doch hatte er sich zu einem Entschluss durchgerungen. Der erwartete friedliche Schlaf war bisher jedoch ausgeblieben. Dabei war es doch sein Schwur gewesen: „Nie und niemals werde ich mich von der Göttin abwenden und müsste ich dafür mit meinem Bruder brechen!“, den er felsenfest geschworen hatte, als die Sonne noch am Himmel stand.
„Die Nacht offenbart scheinbar so manchen Seelenabgrund“, tief im Herzen wusste er, dass er einen schwerwiegenden Fehler begehen würde, doch sein Geist verstand es sich an die Macht zu kämpfen, „Rahdrigo hat mir nichts zu befehlen, was meinem Glauben widerspricht! Viel eher ist er es, der sich immer tiefer in den Sumpf der Sünde begibt. Er muss sich der Rahja fügen und bekennen.“
Rahjalin spürte erst jetzt, dass ihm Tränen über das Gesicht rannen. Feuchte Boten Efferds, die eine salzige Spur auf der feinporigen Haut hinterließen. Er weinte um die sterbende Bruderliebe, er schluchzte und seine zarte Seele brach. Er wusste: Die Segel sind gesetzt, der Kurs ist berechnet und kein Sturm wird ihn jetzt noch davon abbringen.