Briefspiel:Rebenblut (9)

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: Herbst 1035 BF Schauplatz: Urbasi, besonders Palazzo Solivino Entstehungszeitraum: Februar 2014
Protagonisten: führende Mitglieder der Familie Solivino, dazu weitere Patrizier Urbasis Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Dunkelklinge, Haus Urbet.png Gonfaloniere, Familie Zorgazo.png Toshy
Zyklus: Übersicht · Ausbrechender Bruderzwist · Briefe unter Geschwistern · In unruhigen Bahnen · Rahdrigos Rückkehr · Auf Kollisionskurs · Wie Eis und Feuer · Ist er tot? · Seines Bruders Blut · Bolzen und Dispute · Aufbruch

Bolzen und Dispute

Autor: Toshy

"Lasst mich durch ..."
Die Aufforderung kam aus dem Mund einer für alle Beteiligten unbekannten Frau. Sie mochte bei genauem Hinsehen knapp über zwanzig Götterläufe alt sein und ihr Körper wie auch ihr Haar waren von einem schwarzen Kapuzengewand bedeckt. Sie schob mit ihren zierlichen Händen jeden beiseite, der sich neben dem scheinbar leblosen Leib Rahdrigos befand. Sie schien auf eine Aufgabe fixiert und scherte sich nicht um den gesellschaftlichen Stand der Anwesenden.
Eine Frauenhand legte sich auf die Schulter von Auricanius, der immernoch leicht gebückt neben dem Leblosen kniete. Der Wappenring mit der goldenen Ähre auf Grün schien ihn einen Wimpernschlag lang den Atem anhalten zu lassen.
"Ihr solltet sie machen lassen", sprach eine Frauenstimme, "sie kennt sich aus in der Heilkunde."
Der Subprior aus dem Hause Urbet-Marvinko schien einen erleichterten Seufzer auszustoßen, als er nicht die erwartete piepsige Stimme Duridanyas vernahm. Eronia Zorgazo schob den schwarzen Schleier aus ihrem schönen Gesicht. Sie trug immer noch das Trauergewand, welches sie am Tage nach dem Tod ihrer Mutter angelegt hatte.
"Ich hoffe meine Zofe wird keinen Bolzen in ihm finden?", sagte sie leise flüsternd, so dass nur Auricanius sie vernehmen konnte und zwinkerte ihm schelmisch zu – ohne jedoch ihre besorgte Miene zu verziehen.
Ihre Hand glitt von seiner Schulter, über seinen Rücken und verweilte an seiner Hüfte.
"Was im Namen der Zwölf ist hier geschehen?"
Sie wandte ihren Blick nicht von ihrer Zofe ab, die mit geschulten Händen den Leib Rahdrigos erkundete. Doch ihre Worte galten dem Geweihten neben ihr.


Autor: Dunkelklinge

Mit Erstaunen beobachtete Rahjalin die schwarz gewandete Person, die sich zielstrebig ihren Weg durch die Menge bahnte. Der gewisse Schwung in der Hüfte wies die Dazugekommene zweifelsohne als weiblich aus, obwohl die Züge von einer weiten Kapuze beschattet wurden. Ein Lufthauch fuhr durch seine kurzfallenden Haare und schon war sie an ihm vorbei geglitten, ohne ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.
Nie, aber noch nie war er auf derartige Weise behandelt worden. Eine Zornesfalte bildete sich auf seiner blassen Stirn und er drehte seinen Hals, um zu verfolgen, was die Signora weiter tat. Sie hatte ihre filigrane Hand, spätestens jetzt bestand an ihrem Geschlecht kein Zweifel mehr, auf die Schulter des Praioten gelegt und dabei ein Kleinod enthüllt, das Rahjalin unter tausenden erkannt hätte. Der kleine, goldene Siegelring, auf dem das Wappen der Zorgazos prangte, war so exquisit und einzigartig, wie es nicht besser zu dieser stolzen und delikaten Adelssippe hätte passen können.
Eine zweite Dame, fast unbemerkt im Schatten der Zorgazo-Dame mitlaufend, machte sich gerade daran seinen am Boden liegenden Bruder mit kleinen Händen abzutasten.
Rahjalin, ganz Herr seiner selbst, machte zwei lange Schritte und befand sich wieder neben seinem Bruder und auch bei Auricanius und der Signora, die nicht weit entfernt von Rahdrigo halb stehend und halb kniend jede Handbewegung der zweiten Frau verfolgten. Gerade hörte er die Adlige leise fragen: „Was im Namen der Zwölf ist hier geschehen?“
„Darauf werde ich wohl am besten Auskunft geben können!“, erwiderte er und es wirkte, als hätte der Tempelvorsteher ganz zu seinem früheren Selbstvertrauen zurückgefunden.
Sichtlich überrascht fuhren beide Köpfe herum und blickten zu ihm herauf. Erst jetzt erkannte Rahjalin, wie jung die Signorina Zorgazo war, deren Antlitz vom Trauerschleier befreit, den der drahtige Herr erst jetzt wahrnahm, in augenscheinlich jugendlichem Glanz erstrahlte. Um ihre tiefen Augen lagen jedoch Schatten und ein süßer Schmerz umgab ihre edel geschwungenen Lippen, die sich gerade einen kleinen Spalt weit auftaten:
„Das wir uns unter solch düsteren Umständen wiedersehen, Rahjalin Solivino. Was ist Eurem Bruder zugestoßen, dass er sich in dieser schrecklichen Verfassung befindet?“
Der Angesprochene entsann sich ihrer, als er nun ihre hohe, melodiöse Stimme vernahm, doch sagte ohne Umschweife: „Eure Fürsorglichkeit für mein eigen Fleisch und Blut ehrt Euch sehr, werte Eronia Zorgazo. Ich war mit Rahdrigo in einen hefigen Disput verwickelt, da griff sich mein alles geliebter Bruder urplötzlich an seinen Hals und nur noch ein Röcheln drang aus seinem Schlund. Dann setzte die Atmung scheinbar vollständig aus, denn seine Haut lief violett-blau an und er fiel bewusstlos wie ihr ihn nun seht zu Boden. Als ich dann gerade seinen Hinterkopf befühlte, da merkte ich zu allem Überfluss, dass er heftig blutet. Immerhin konnte ich in demselben Moment einen schwachen Atemzug um seinen Mund spüren, obwohl er bisher noch kein weiteres Lebenszeichen von sich gab. Errate ich die Intention Eurer Begleiterin richtig und ist sie der Heilkunst mächtig, dann wird mein Bericht doch sicherlich helfen können.“
Den Groll gegen die Signorina hatte er fast vollständig verdrängt, als die Worte nur so über seine Lippen sprudelten.
Diese hatte die gesamten Zeit, während er gesprochen hatte, geduldig zugehört, und ihre Antwort entwich gleich einem Flüstern ihrem hübschen Mund:
„Dies wird von nicht geringem Wert für das Leben Rahdrigos sein, insofern habt ihr wahr gesprochen, doch um ihn zu behandeln ist auf diesem Platz nicht der richtige Ort. Wollt ihr meinem Vorschlag Gehör schenken, so würde ich anraten, dass wir Ihn zu dem Medicus bringen, bei welchem Gerätschaften und Arzneien zur Verfügung stehen, über die meine Zofe nicht verfügt. Zu diesem Zweck benötigen wir jedoch eine Bahre und es ist dringendste Eile zu empfehlen.“
Zur Zofe gewandt fügte sie hinzu: „Habt ihr gehört. Schaut, ob ihr das Dringlichste noch hier erledigen könnt, alles weitere sollte woanders geschehen.“
In einer fließenden Bewegung erhob sie sich und auch Auricanius kam in die Höhe …


Autor: Gonfaloniere

„Wie wahr, wie wahr“, pflichtete der Praios-Geweihte der Patrizierin aus dem Hause Zorgazo bei, auch wenn es mehr eingeübte Höflichkeit war als etwas anderes – dem Nicken, das er den Popoli schenkte, nicht ganz unähnlich.
Als er nun stand, ging sein Blick aber dennoch kurz zu Eronia zurück. Ihr vertrautes Verhalten ihm gegenüber erschien ihm etwas befremdlich, so dass er sie für einen Moment abschätzend musterte. Dann entschied er, es als etwas eigenwillige Marotte der jungen Dame abzutun, und sich lieber umzusehen, ob er beim nun wohl anstehenden Transport Rahdrigos noch behilflich sein konnte.

Weiter hinten wurde unter den Umstehenden hingegen erneut getuschelt:
„Hast du gehört, die hatten einen heftigen Streit …“
„Ja, was denkst du denn, sind doch auch nur Geschwister …“
„Aber gerade deswegen. Wie boshaft muss man denn sein, dass man seinen eigenen Bruder wegen eines kleinen Streits auf offener Straße umhaut?“
„Hä, wieso ‚umhaut‘?“
„Hast du das Blut an der Hand des Geweihten nicht gesehen? Der hat ihm einen ordentlichen Schlag gegeben, wollte ihn wahrscheinlich sogar umbringen …“
„Manchmal frage ich mich echt, ob die hohen Herrschaften überhaupt sowas wie Anstand haben. Aber die schießen ja auch mit Bolzen aufeinander …“