Briefspiel:Stille Wasser/Akt IIc

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Leibesschwachheiten   Ein Küchenunfall   Giftmischer und Quäker   Hinab!   Oben bleiben!    

Einige Stunden später...

Gregoran Gabellano und Barisan, der Hauptmann

Alle Gäste und Burgbewohner, denen es wieder gut genug ging, hatten sich im Ribatsaal versammelt um dem Hauptmann zu lauschen. Nur die junge Vanossa, der Stallbursche Aldo und der Gesandte des Waldes sowie, wie Gregoran feststellte, die Magierin, diese Geronya Menaris, fehlten. Es waren einige Stunden vergangen, seit Gregoran seine Suppe über Steine und Stiefel verteilt hatte. Mittlerweile ging es ihm wieder etwas besser. Dennoch hätte er lieber in seiner Kammer gelegen, als hier im immer noch nicht wirklich gut riechenden Ribatsaal. Aber der Gedanke an seinen Schwager Alexandrian hatte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen.
„Ich danke Euch, ehrenwerte Dame, ehrenwerte Herren, dass Ihr meinem Ruf gefolgt seid, wiewohl Euch sicher eher der Sinn nach Ruhe und Schlaf steht.“ Der Hauptmann sah selbst so aus, als könnte er eben solches gebrauchen. Er trug ein feuchtes, speckiges Wams und einen Ledermantel, sein lichter werdendes Haar klebte kaum getrocknet an seiner Stirn. Wenn ich durch diese nasse Kälte gestiefelt und dann durch diese Brühe da draußen geschwommen wäre, dann läge ich jetzt im Bett, Burgwache hin oder her, dachte Gregoran.
„Zunächst das Wichtigste: Der Signore Boronello und der Herr Olwid sind am Leben, wenn auch beide noch ohne Bewusstsein. Die Adepta ist – trotz ihrer Erschöpfung – bei den beiden gewesen und hat sie mit ihrer Zaubergabe geheilt.“ Der Hauptmann der Burgwache runzelte die Stirn. „Ich kenne mich mit derlei Dingen nicht aus, aber die Adepta Menaris meinte, sie könne nur die Schmerzen der beiden lindern, aber nicht das Gift tilgen, das in ihren Leibern ist.“
Gregoran beugte sich besorgt vor. „Konnte sie irgendetwas über die Natur des Giftes herausfinden?“ Barisan zögerte mit der Antwort auf diese Frage. „Offenbar liegt eine Aura auf den Kranken.“ Die Miene des Hauptmanns verriet seine Unsicherheit in diesen Angelegenheiten. „Ein Zauber?“, fragte jemand. „Etwas in der Art“, erwiderte Barisan. „Die Signora Menaris meinte, es könne auch Magie bei der Herstellung des Giftes gewirkt worden sein.“
Gregoran schlug auf den Tisch. „Also habt ihr eine Hexe unter diesem Dach gehabt?“ Barisans Gesichtsausdruck wurde noch gequälter. „Was habt ihr nun also vor, Hauptmann?“, kam ihm jemand zur Hilfe.
„Ich werde Ucuria ins Dorf schicken, sie kann ganz gut schwimmen. Man muss dort über die Lage informiert werden und einen Heiler schicken. Außerdem soll sie ein paar Männer zusammenrufen, um den Wald zu durchsuchen, wo die Kutsche der Menaris liegen geblieben ist. Der kleine Junge und seine Amme sind vielleicht noch da draußen.“ Einer der Gäste seufzte besorgt auf.
„Was ist mit der anderen verschwundenen Frau, Hauptman? Unserer geschätzten Köchin?“, fragte Gregoran mit ironischem Lächeln. Barisan nickte, atmete durch und wandte sich der anderen Sorge zu. „Der arme Praias wurde mit einer Waffe angegriffen, einer breiten, aber kurzen Klinge.“ Er wechselte einen kurzen Blick mit der Haushofmeisterin, die missbilligend den Kopf schüttelte. Ohne darauf einzugehen fuhr der Hauptmann an Dozmano gewandt fort. „Ich habe vor gar nicht allzu langer Zeit eine solche Verletzung schon einmal hier in den Wäldern gesehen. Am Körper Eures Herren Vater, Herr Dozmano.“ Er senkte sorgenvoll den Blick. „Von seiner Angreiferin...“, begann er, bevor ihn jemand unterbrach. „Von dieser mörderischen Vettel, Yelaya, meint ihr?“ Barisan nickte. „Davon müssen wir ausgehen. Von der Kräuterfrau fehlt jede Spur, aber die Luke zum Vorratskeller stand.“
„Meine Gardistin Ucuria ist die Leiter runtergestiegen. Dort ist ein Durchbruch im Mauerwerk – und ein unbeleuchteter Gang, der tiefer unter den Burghof führt.“ Ratlos blickte sich Barisan unter den Anwesenden um, dann deutete er ein Schulterzucken an. „Ucuria wollte diesen Gang bereits erkunden, aber ich habe ihr einen Alleingang untersagt. Da unten ist es stockfinster und das Wasser steht mindestens spannhoch. Wer weiß, was dort lauert?“
„Tunnel aus dunklen Tagen...“, ertönte da eine leise, aber eigenartigerweise für Jeden gut vernehmbare Stimme aus der Richtung wo der alte Knecht Wardo bisher wortlos gestanden hatte. Alle Augen wandten sich zu dem greisen, schrumpeligen Mann. „Frau Altmeister“, sagte er dann, mehr feststellend als fragend. Die Haushofmeisterin zögerte kurz und wandte sich dann an die Zuhörenden. „Wardo hat recht...Diese Gänge stammen noch aus älteren Tagen, als die Feste noch vor Belagerungen zu schützen war, wie wir glauben. Offenbar gab es Fluchttunnel für die Verteidiger, aber die wurden bereits vor Jahrzehnten von Gransignor Miano Halthera zugeschüttet und vermauert!“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber fahrt fort, Hauptmann.“
Barisan nickte in Gorradas Richtung und erklärte weiter. Der Hauptmann runzelte besorgt die Stirn. „Vanossa, die Magd, sie ist noch immer wegen... dem was mit Praias geschehen ist in Trauer. Aber sie sagte, dass Yelaya schon seit Wochen alle Gänge in den Vorratskeller alleine unternommen hat. Angeblich hatte jemand aus der Speisekammer gestohlen. Daher hatte sie ein Schloss an der Bodenluke anbringen lassen. Das heißt, dass sie dort unten lange ungestört war, um was auch immer zu tun.“ „Das Gift zu brauen, würde ich meinen“, warf Gregoran ein.
„Ich selbst will die Klappe hinuntersteigen und dort nachsehen. Wenn es wirklich Gift war, dann kann man dort vielleicht Kräuter und Wurzeln finden, die helfen können, ein Gegenmittel herzustellen.“ Er blickte die Männer und Frauen im Ribatsaal nacheinander an. „Jeder von Euch, der sich in der Lage fühlt, die Stiege hinunterzusteigen, ist gerne gesehen! Aber auch wer in engen Gängen nicht gut zu fechten vermag oder wem die Suppe noch immer die Eingeweide plagt, kann seinen Teil tun.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der oberen Stockwerke des Bergfrieds. „Signore Boronello und der ehrenwerte Abt liegen dort oben in ihren Betten, genauso der kleine Menaris, wiewohl das arme Kind bisher nicht zu schlafen scheint!“
„Seine Mutter und Vanossa sind bei ihnen, und Wardo hier wird sich auch sogleich nach oben begeben“, warf die Haushofmeisterin mit einem strengen Blick zu dem augenscheinlich ungerührten alten Knecht ein. „Dennoch schadet ein Paar wachsame Augen mehr sicher nicht“, erwiderte Barisan. „Wir wissen noch immer nicht, worauf es Yelaya abgesehen haben mag. Genausowenig wissen wir, wo sie sich jetzt aufhält.“
Gregoran lehnte sich zurück. Also in mit Wasser gefüllte uralte Tunnel auf der Suche nach einer mörderischen Giftmischerin stapfen oder doch lieber in meinem Zimmer drauf warten, dass sie zu mir kommt? Herrliche Aussichten, dachte der Gabellano und blickte mit finsterer Miene in den ebenso finsteren Nachthimmel. Der heftige Regen war in ein stetiges Nieseln übergegangen. Von draußen war jetzt ein Getöse zu vernehmen, das bisher vom Geräusch der Regentropfen verschluckt worden war.

Aldo, der Stallbursche und Ilmordro de Maltris

Mit einem dumpfen Laut sackte das braune Bündel in den ebenso gefärbten, morastigen Boden des Burghofs. Ilmordro de Maltris fluchte. „Mann! Kannst du nicht achtgeben? Wie soll ich den armen Kerl denn alleine schleppen?“ Der Stallbursche, der ihm half den Leichnam des Büttels über den Burghof zu tragen, reagierte nicht. Die Haushofmeisterin hatte vorgeschlagen, die beiden Leichen in die Gruft der Halthera zu tragen und ausgerechnet Ilmordro half nun dabei.
Statt wieder mit anzupacken hatte Aldo mit angstvoller Miene den Kopf schief gelegt, als würde er lauschen. „Hörst du mich, du Narr?“ Ohne zu warten legte Ilmordro das schwere Gewicht des Leichnams so behutsam wie möglich auf den Boden. Er war nur froh, dass der Efferd-Geweihte bereits auf den Steinen im Grabesturm der Burg ruhte. Einen toten Priester des Gottes der Seen und Wolken in den Schlamm fallen zu lassen war sicher nicht gut. Immer noch wütend griff er das durchnässte Wams des Knechtes. „Heda, nicht träumen. Es wird nicht schöner hier draußen!“ Endlich blickte ihn Aldo an und deutete mit hastiger Geste zum Burgtor. „Hört Ihr’s denn nicht?“
Der Gesandte des Waldes hätte sein Gegenüber beinahe geschüttelt, stattdessen schüttelte ihn selbst ein Niesen durch. Er stöhnte. Wenn das so weitergeht hole ich mir die Keuche und bin der dritte, der hier im Bündel über den Burghof getragen wird!
„Hört Ihr‘s? Blauunken und Grabfrösche!“, rief der Stallbursche mit eindringlichem Blick. Ilmordro lauschte, schüttelte verwirrt den Kopf und doch...das Geräusch, das durch den Regen über die Mauern der Burg drang klang, wirklich nach dem Ruf von Kröten und Fröschen. „Wenn die Feuchtwiesen wachsen kommen‘se.“ Der de Maltris seufzte, bückte sich und nahm den Leichnam des Büttels wieder an. „Komm, pack mit an, es ist kalt und nass. Und die Frösche quaken. Sonst nichts!“
Aldos Augen waren weit aufgerissen. Der närrische Kerl hat wirklich Angst, erkannte Ilmordro. Als er jedoch begann, das Leinenbündel mit der Burgwache darin allmählich durch den Schlamm zu ziehen, packte der Knecht endlich mit an. Mit vereinten Kräften – das Tuch hatte sich mit Nässe und Schlamm vollgesogen und fügte sein Gewicht dem ohnehin schweren Körper hinzu – wuchteten die beiden Männer schließlich den Leichnam in den Turm, der die Grablege der Halthera beberbergte.
Aldo war noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Das Geräusch drang auch durch die geschlossene Tür des Turmes. Der Bursche deutete mit dem Finger auf die beiden Leichen auf dem Steinboden. „Nein, sie quaken nich! Sie singen hungrige Lieder! Sind wegen der da hier!“
„Was?“ Ilmordro wurde es jetzt zuviel. Was redet der Irre da? „Mit der Zunge fangen se nicht nur Fliegen...nein, nein“, fuhr Aldo fort. „Sie sagen, ne Kröte, die auf die Krippe springt, reißt dem Kind die Seel‘ mit der Zunge ausem Leib!“ Der Stallbursche machte ein unangenehmes Geräusch um seine Worte zu untermalen. „Und was glaubt Ihr, warum die Unken im Wald so feist sind?“
Der Gesandte stieß ein unwirsches Stöhnen aus und ging zur Tür. „Herr, kennt Ihr denn die Geschichten nich? Jeder Mann und jede Frau hier am Wald wissen, was passiert, wenn sich die Kröteriche sammeln und ihr finstres Lied singen!“ Ilmordro kannte manche Geschichten über die Krötigen des Arinkelwaldes. Aber das Folgende war ihm bisher unbekannt gewesen.
„Kinderseelen sin nämlich nicht die einzigsten, die sich nich wehren können und die den Unken schmecken.“ Aldo nickte bekräftigend, während Ilmordro die Tür öffnete. „Praias und der Priester, also, dass die gestorben sin, das hat‘se angelockt. Jetzt warten se! Warten einfach, dass ne Seele den Weg hinüber geht, wenn man ‘n Fuß hebt, um auf‘n schwarzen Flügel zu steigen…dann packen se dich mit ihrer Fleischzunge um die Knöchel und haps... ham‘se ne leckere Mahlzeit!“
Die beiden Männer starrten sich an. „Die warten jetzt auf‘n armen Signore Boronello!, sagte der Bursche bestürzt. Ilmordro schnaubte wütend. „Abergläubisches Gewäsch! Verschon mich damit und sieh‘ zu, dass du dich in den Bergfried davonmachst! Oder willst du, dass die Kröten es sich überlegen und Hunger auf dich kriegen?“ Ilmordro schürzte die Lippen und lachte unterdrückt, als Aldos bleiches Gesicht noch bleicher wurde und der Stallbursche sich davonmachte.
Als Ilmordro durch den unangenehmen Nieselregen zurück zum Bergfried eilte war der Gesandte des Waldes froh, dass es keine schwere und makabre Last mehr zu tragen gab. Dieses Mal hätte er sie wohl fallen gelassen. Auf dem regennassen Stein des Brunnens in der Mitte des Burghofes saß eine große Unke. Dunkelblaue, feucht glänzende Haut schimmerte im dumpfen Licht des Mondes, der durch die schwarzen Wolken drang. Tintig-schwarze Augen blickten ihn unverwandt an. Ilmordro hastete davon.