Briefspiel:Stille Wasser/Akt IId

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Leibesschwachheiten   Ein Küchenunfall   Giftmischer und Quäker   Hinab!   Oben bleiben!    

Dozmano Kaltrek

Dozmano richtete sich nun zu voller Größe, zog den grünen Pluderwams mit den polierten Schnallen zurecht und zwirbelte seinen Schnurrbart, bevor er zu sprechen begann.
„Ich bin sicher keine große Hilfe wenn es darum geht alchimistische Tränke zu brauen, die der Gesundung zuträglich wären, auch rühme ich mich nicht einer großen Fechtkunst, doch ist es selbstverständlich, dass ich Euch begleiten werde den Mörder, nicht zuletzt den meines Vaters, zu ergreifen. So etwas darf nicht geduldet werden.“ Eifrig wandte er sich an Barisan: „Hauptmann, ich gehe davon aus, dass es angebracht ist, Licht mit uns zu nehmen. Ich werde welches besorgen und treffe Euch am Niedergang zur Vorratstreppe.“ Damit drehte er sich um und verließ den Saal mit entschlossenem Schritt.

Dozmano kam als Letzter zu der vereinbarten Stelle, offenbar war es nicht so einfach gewesen geeignetes Leuchtwerk zu besorgen oder er war anderweitig aufgehalten worden. Jedoch war seine Ausbeute recht passabel, immerhin vier Öllaternen und ebenso viele Fackeln legte er nun vor den Anwesenden auf den Boden. Außerdem trug er nun deutlicht sichtbar einen Rapier an seiner Seite. Eine der Laternen brannte bereits und der Händler hielt einen Span bereit, um gegebenenfalls weitere zu entzünden.

Horasio und Rahjada ya Papilio

Rahjada eilt ans Krankenbett

In feuchte, dunkle, niedrige Gänge kriechen? Nicht mit Rahjada! Erst recht nicht ohne die Aussicht, sich nach solchen Strapazen mit ein paar Tupfern von "Rahjas Hauch" zu erfrischen. Doch das teure Duftwasser der Belhanker Manufactur ya Aranori hatte sie im heimischen Shenilo gelassen, hier im stinkenden Sumpf von Wanka wäre dieses gar zu sehr aufgefallen, zudem ihr Flacon schon wieder fast leer.
"Ich will gerne nach dem kleinen Menaris und seiner Mutter schauen", sagte die Schreiberin hurtig. "Zwei ruhige Hände schaden sicher nicht, wenn Hilfe vonnöten würde." Rahjada machte einige Schritte gen Treppe, hielt dan aber inne, um zu schauen, wer mit ihr kommen wollte.

Horasio schlurft in den Keller

Dem Rechtskundler war mittlerweile ein Anflug gewohnter Rosigkeit ins Gesicht zurückgekehrt. Doch zweifelnd blickte er an der Gruppe um Dozmano Versammelter vorbei auf die im Boden gähnende Luke. „Haltet Ihr das für weise?“, fragte er. „Zum ersten wissen wir nicht, wohin der Tunnel führt. Ich habe da vor einiger Zeit einen Bericht aus dem Eisenwald gelesen, und...“ Die drängenden Blicke der anderen Gäste bremsten seinen Rededrang. „...werde euch gerne bei einer anderen Gelegenheit erzählen, was vier nordmärkischen Glücksrittern in den ‚Kavernen der Gefahr‘ passiert ist. Zum zweiten könnte diejenige, der wir zu folgen trachten, uns eine gefährliche Falle stellen. Zum dritten“, wies er auf ein nahes Fenster, „regnet es jetzt seit Stunden ohne Unterbrechung. Was, wenn der Gang da unten vollläuft? Ich für meinen Teil habe keine Kiemen. Ihr etwa?“

Francidio tritt an die Luke

Francidio di Côntris trat mit einem keuchenden Räuspern an die Luke heran. Die Strapazen der letzten Stunden standen ihm ins Gesicht geschrieben. Grünlich fahl glänzte sein Gesicht im Fackelschein und es war auf dem ersten Blick nicht ganz auszumachen ob es Regenwasser oder kalter Schweiß war, der ihm von der Stirn rann. Er hielt ein schlichtes Rapier in der Hand. Er strich sich über den gewachsten Mantel, den er sich soeben umgeworfen hatte und welcher im Licht des Feuers feucht schimmerte.
„Ich für meinen Teil bin bereits nass“, wandte er sich an Horasio ya Papilio. Er gürtete sich und ergriff eine Fackel. Ein leichtes Rasseln ging einem keuchenden Husten voraus das er nur schwer unterdrücken könnte.
Er trat an die gähnende Luke heran und als er seinen eigenen Schatten im Fackelschein auf den darunterliegenden Steinen erblickte, musste er Schlucken. „Noch ist die Nacht fern“, schallten in seiner Erinnerung die Worte der orsofinischen Vettel welcher er auf dem Weg begegnet war. Das Gesicht der alten Yelaya kam ihm in den Sinn. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern ob er das Namenlose in ihrem Blick zuvor erblickt hatte, oder ob er sich es jetzt nur einbildete. Es schauderte ihn. „Vor einer alten Giftmischerin müsst Ihr dort unten in den Gängen keine Furcht haben… das alte Weib ist uns hier so gut wie ausgeliefert“, redete er der zögernden Gesellschaft zu und glaubte doch selbst kein Wort.

Es war ja schon längst tiefste Nacht.

Barisan und Gregoran Gabellano

Barisan übernimmt die Führung

Mit einem platschenden Geräusch ließ sich der Hauptmann der Burgwache der Fuldigorsfeste in den Vorratskeller hinab. Auf einen Wink reichte ihm Dozmano Kaltrek eine Öllampe, über deren Existenz er immer noch verwundert war. Vermutlich aus einer der Kutschen?, dachte er. Während die restlichen mutigen Gäste ebenfalls hinabstiegen, bewegte Barisan den Lampenschein über die Umgebung. Die Regale mit den Vorräten waren ungeordnet, in den unteren Fächern leckte das Wasser über das Holz und der muffige Geruch, der den Erkundenden in die Nasen stieg, verriet, dass in den Säcken und auf den Regalen schon der ein oder andere Schimmelpilz ein angenehmes Auskommen gefunden hatte.
Der Hauptmann achtete nicht lange auf diese Dinge, sondern wandte seine Aufmerksamkeit dem Durchbruch im Mauerwerk zu. Die Öffnung war nicht ganz mannshoch und so breit, dass der ehrenwerte Richter Caron ein Problem gehabt hätte, hindurchzupassen. Die herausgebrochenen Steine lagen, im Gegensatz zur Unordnung im Rest des Raumes, fein säuberlich auf einer im Wasser liegenden Decke an der Wand. Um die Geräusche fallender Steine zu dämpfen, vermutete Barisan.
Der Hauptmann deutete in Richtung des sich kräuselnden Wassers auf dem Boden des Raumes. „Mit einer Sache hattet Ihr recht, Signore Horasio“, sagte er mit düsterer Miene zu dem jungen ya Papilio. „Das Wasser steigt auch hier an, irgendwo muss es einen Zufluss geben.“ Er näherte sich der Öffnung in der Wand und beleuchtete den dahinterliegenden Gang. „Das bedeutet, dass, bei aller Vorsicht, Eile geboten ist!“

Gregoran entdeckt...

Endlich erreichte die Gruppe einen großen ovalen Raum, dessen Düsternis auf eigentümliche Weise von den Öllampen erhellt wurde. Das warme Leuchten spiegelte sich im Wasser, das sich aufdringlich bis an die Knie hochgewunden hatte, und warf eigenartige kalte Schemen gegen die Wände. Fast schien es, als würde sich die Dunkelheit gegen das Licht wehren. Die Luft roch schlecht, fast...krank. Über allem lag das Geräusch des Regens, der hier auf das Wasser traf. Ein Loch in der Decke?
Gregoran schniefte um den erschrockenen Laut, der beinahe seiner Kehle entwichen wäre, zu überspielen. Dann strich er einmal mehr über die Lederscheide, in der sein Kurzschwert ruhte. Mein Kurzschwert?, dachte er dann. Gut, ich habe es erstanden und führe es gelegentlich mit mir. Aber mancher gläubige Anhänger der Leuin würde sicher sagen, dass eine gewisse Vertrautheit beim Führen der Waffe und nicht das bloße Mitführen eine Klinge an ihren Besitzer bindet. Er schüttelte selbst den Kopf über jene Gedanken und war insgeheim dennoch froh, dass er hier unten an etwas Anderes denken konnte als an krankmachende Feuchtigkeit und gefährliche Finsternis. „Eines ist sicher, wir wissen nun wenigstens woher das Wasser kommt“, warf er zwischen zwei mühsamen Schritten ins Innere des Raumes ein.
Die Lampen der Vorausgehenden, darunter der Hauptmann Barisan, hatten schließlich das Duell mit der Dunkelheit, die den Raum zuvor beherrscht hatte, gewonnen – einstweilen. In der Tat befand sich in der Raummitte eine runde Öffnung in der Decke aus der das Regenwasser zu kommen schien. Der Ansatz von Mauerwerk, der am unteren Ende des sich darüber öffnenden Schachtes erkennbar war, und ein herrenlos umherschwingendes Seil verrieten, um was es sich hier handeln musste. „Ein Brunnenschacht!“, sprach jemand das Offensichtliche aus. Fast direkt unter dem Schact stand ein massiver Sarkophag, dessen Platte zur Beunruhigung Gregorans zur Seite geschoben war, weswegen sich das Steingefäß mit Wasser gefüllt hatte. Barisan ging langsam einige platschende Schritte auf den Steinsarg zu und leuchtete ins Innere. Dann blieb er mit im Zwielicht kaum zu erkennender Miene stehen.
„Was seht Ihr, Hauptmann?“, fragte Gregoran lieber, als einen Schritt in die Nähe des morbiden Gegenstandes zu machen. „Eine schwere Eisenkette. Sonst ist er leer“, stellte Barisan fest.
Nun endlich traute sich auch Gregoran nach vorne. Tatsächlich: von einem Leichnam, in welchem Zustand auch immer, war nichts zu sehen. Auch eine Totenmaske, die mehr über den ehemaligen ‚Bewohner‘ verraten hätte, war nicht vorhanden. Vermutlich fortgespült, dachte der Selsheder und blickte sich um, ohne indes einen erschreckenden Fund unter der düsteren Wasseroberfläche ausmachen zu können. Unglücklich war er darüber nicht.

...und wird entdeckt

Gregoran riss sich von dem beunruhigenden Anblick los. Einer seiner Begleiter, der Advokat aus Calven, hatte sich nach vorne gebeugt und versuchte auf dem verwitterten Stein Inschriften oder Meißelspuren zu erkennen. „Das ist eine Baumkrone...“, sagte Leophex jetzt. „Erinnert mich an die Wappenbilder der Sarkophage in der Grablege“, warf Gregoran ein. Der junge Calven nickte und fuhr mit einem Finger die Prägung des Steins nach. „Und wenn mich meine Augen nicht trügen, dann sind Eichhörnchen die Schildhalter!“
Wie lange sind die Särge der Halthera schon nicht mehr mit dem Eichhorn geschmückt? „Dieses Grab muss seit mehr als einem Jahrhundert hier liegen.“ Gregoran runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich frage mich, was wohl mit dem Körper geschehen ist?“ Ein Frösteln durchzog den Leib des Gabellano.
Derweil hatte ein Teil der anderen Begleiter den Rest der Höhle erkundet. Francidio deutete mit der Rechten auf das westliche Ende des Raumes, wo ein Gang weiterführte. „Die Frage ist doch, was Yelaya hier unten wollte.“ Horasio, der am anderen Ende des Raumes ebenfalls vor einer Gangöffnung stand, fügte hinzu: „Und wo entlang sie gegangen ist.“
„Hier drüben ist noch einer“, warf Dozmano Kaltrek vom nördlichen Raumende ein.
Drei Gänge? Oh, nein... Gregoran ahnte schon, was der Hauptmann jetzt vorschlagen würde. „Ich fürchte, um schneller zu sein, sollten wir uns aufteilen...“
Gregoran machte einige schwere Schritte zum Eingang zurück. Ohne mich, dachte er. Vergiftete Suppe, tote Geweihte und Gardisten, mörderische Kräuterfrauen, überflutete Gänge und jetzt auch noch ein verschwundener Leichnam?
„Ich werde Euch den Rückzug decken, wenn Ihr vordringt, Hauptmann!“ sagte er mit an Tapferkeit kaum zu unterbietender Stimme.
Mit einem Mal war da eine Bewegung unter der Wasseroberfläche. Keine Luftblasen hatten sie angekündigt und die schwankende Düsternis in der Höhle hatte den Schatten verborgen, den vom Licht begünstigte Augen erkannt haben mochten. Gregoran wandte sich erschrocken um, als er eine Berührung an seinen Beinen spürte. Das Wasser spritzte auf, als sich ein Körper vom Boden der Höhle ab- und durch die Wasseroberfläche stieß. Gregoran schrie auf.

Barisan erschrickt

Barisan hatte sich gerade nach Zustimmung für seinen Vorschlag umgesehen als er den Gabellano aufschreien hörte. Rasch hielt er die Lampe in die Richtung, wo er den Mann wähnte, gewahrte ein gurgelndes Geräusch und meinte einen Körper zu sehen, der unter der Wasseroberfläche tauchte. Als sich sein Licht mit dem der anderen herbeistaksenden Männer verband, sah er den totenbleichen Gregoran auf sich zustolpern, eine Hand an seinen Mühlsteinkragen gepresst, der sich allmählich rot zu färben begann. Dann sackte der Selsheder zusammen. Wenige Schritt vor ihm barst etwas durch das Wasser und bespritzte alle mit dem unangenehm an der Haut heftenden Nass. Die Gestalt – eine Maskierte? – landete auf dem Sarkophag, eine blutige Klinge in der behandschuhten Rechten. Barisan war einen Augenblick erstarrt. Das rote Messer strich über die Maske und schmierte ein klebriges Bild auf das ledrige Antlitz eines Mannes, der seit langem tot war. Da also ist die fehlende Totenmaske geblieben!, dachte er in eigentümlicher Klarheit.
„Fehgeborener! Urahn! Erhebe dich, denn Charr-Ulthar ist mit uns!“
Barisans Erstarrung fiel langsam von ihm ab, als er die von Maske und einem bedrohlichen Gefühl verzerrte Stimme einer Frau erkannte. Yelaya!

Horasio ya Papilio

Horasios Gefühle schwankten zwischen kampflustiger Begeisterung und abergläubischem Entsetzen. Einen Augenblick lang fühlte er sich wie der Held einer Abenteuererzählung des Savertién Myrdano, im nächsten lediglich wie ein genussfreudiger Jungpatrizier, der sich urplötzlich übernatürlichem Schrecken gegenüber sah. Eine böse Hexe, ein wandelnder Leichnam? Das alles tief unter der Erde, in einem langsam volllaufenden Gang – was tat er hier?
Mit drei, vier im Wasser stampfenden Schritten lief er Gabellano entgegen, um den Verletzten zu stützen. Er nahm diesem das Schwert aus der kraftlosen Hand und schalt sich im Stillen selbst, seinerzeit so konsequent nach Kräften die Waffenübungen verweigert zu haben. Er musste Gabellano zu einem erhöhten, trockenen Platz führen und eine Lichtquelle beschaffen, um sich die Wunde anzuschauen. Auf diese Weise konnte er sich am ehesten nützlich machen.

Barisan und Dozmano Kaltrek

Barisan greift ein

Der Hauptmann griff nach seiner Waffe. Das schartige Breitschwert hatte bereits seiner Vorgängerin gehört, der immer noch rüstigen, aber geistig nichtmehr ganz gesunden Oloranthe Kupferstein. Jetzt sehnte er sich danach, ihrem sinnlosen Gebrabbel über den Schlächter von Wanka oder andere Übel des Waldes lauschen zu können, während sie ihre Holzpfeife mit stinkendem Kraut stopfte und auf ihrem Stuhl im „Holzfällers Winkel“ schaukelte. Stattdessen war er hier unten Aug‘ in Aug‘ mit dieser verrückt gewordenen Kräuterfrau. Er stieß die Luft aus und zog die Klinge aus der ledernen Scheide. Er hörte, wie neben ihm ein weiterer Begleiter blankzog. „Werft die Waffe weg oder wir schlagen Euch nieder, Yelaya!“
Ich bin immer noch ein Büttel der Signora!, dachte er. Yelaya kicherte zur Antwort glucksend. Dann sprang die Frau vom Sarkophag und landete mit einem Platschen in der Reichweite von Barisans Waffe. Der Hauptmann zischte überrascht. Zu kraftvoll, zu schnell für eine alte Frau! Er zögerte noch, sah aber keinen anderen Weg, als die Frau mit Gewalt aufzuhalten. Ein gut gezielter Hieb, um die Alte außer Gefecht zu setzen und dem Spuk endlich ein Ende zu machen.
Eine Weile zögerte er noch, dann zog neben ihm der junge Dozmano Kaltrek sein Rapier und ging mit einem unterdrückten Fluch zum Angriff über. Das bewegte auch den Hauptmann zum Eingreifen. Sie hat seinen Vater erschlagen, wenn Hesinde mich nicht mit Blindheit geschlagen hat! Jemand musste den gerechten Zorn Dozmanos unterstützen – und sehen, dass er ihn nicht ins Verderben trieb!
Überraschend gewandt brachte Yelaya den Angriff Dozmanos aus dem Schwung, indem sie den Griff ihres Dolches von unten nach oben gegen die Rapierklinge hieb und der Waffe so die Zielrichtung nahm. Das dumpfe, leicht knackende Geräusch und ein rascher Lichtschimmer, den Barisans eigene Öllampe auf die Alte warf, verrieten, dass der Griff von Yelayas Dolch nicht aus gewöhnlichem Holz gefertigt war. Diese Wölbungen…das ist Bein!
Ohne sich lange weiter damit aufzuhalten wartete der Hauptmann, bis der Körper des Kaltrek aus seinem Hiebfeld war und eröffnete dann seinerseits einen Angriff auf die Maskierte. Er zielte tief, um Bein oder Hüfte der Frau zu treffen, und ihr so rasch einen entscheidenen Treffer beibringen zu können. Der Hieb des Breitschwertes war heftig geführt und würde sich nicht so einfach wie das schlankere Rapier abwehren lassen.
Die Klinge fuhr nieder – und traf die Wasseroberfläche, schleuderte spritzendes Nass in die Luft. „Belennochmal!“ fluchte Barisan. Yelaya war mit einer geschmeidigen Drehung um die eigene Achse ausgewichen, die sie an Barisans ungeschützte Seite gebracht hatte. Der Hauptmann keuchte überrascht, als er den Arm der Alten niedersaußen sah, der Dolch mit seiner eigenartigen, dreikantigen Klinge biss in die Schulter des Hauptmanns. Dieser sprang nun seinerseits zurück und zwang sich, nicht nach dem sich gerade bildenden Blutfleck zu tasten. Murak sei Dank, dass ich wenigstens den dicken Ledermantel über das Wattierte geworfen habe!
Barisan blickte sich kurz um und ließ den Schwertarm kreisen, um einen möglichen Angriff abzuwehren. Obwohl es hier unten kalt war liefen im bereits Schweißtropfen über die Stirn und vereinten sich mit den Spritzern des brackigen Wassers, die der Kampf in die Höhe geschleudert hatte. Ganz anders als ihm oder seinem Mitstreiter Dozmano schien der alten Frau die Anstrengung nichts auszumachen.
Die beiden außer ihnen in dem Gewölbe – der Grabkammer, korrigierte er sich in Gedanken – verbliebenen Männer, Francidio di Côntris und Leophex von Calven hatten bisher nicht eingegriffen. Der junge Advokat hatte lediglich seine Klinge blankgezogen und bemühte sich offenbar, den Sarkophag zu umrunden, der zwischen ihm und den drei Kämpfenden war. Auf den Stein war auch die ganze Aufmerksamkeit Signore Francidios konzentriert, wiewohl der Hauptmann nicht erkannte, was genau der Pertakiser auszumachen versuchte. Barisan suchte den Blick Dozmanos und bedeutete diesem mit vorgezogenem Kinn, vorzurücken. Einzeln würden sie die Frau niemals besiegen, dafür war sie zu schnell. Sie entwindet sich den Schlägen wie ein Aal! Barisan flankierte den Rapierstich Dozmanos und griff seinerseits an.

Dozmano verliert einen Gefährten

Der Hieb des Hauptmanns traf Yelaya am linken Oberarm und entlockte ihr ein unangenehmes Kreischen. „Bald haben wir sie, Hauptmann!“, rief Dozmano triumphierend. Er sah Barisan konzentriert nicken und bereitete sich auf ein neuerliches gemeinsames Vorgehen vor. Den Göttern sei dank weiß der Hauptmann wenigstens, was er tut, wenn er die Klinge führt. Nicht zum ersten Mal verfluchte der junge Kaltrek im Stillen, dass er sich keiner großen Fechtkunst rühmen konnte.
Ein Knurren von der Alten verriet, dass sie sich noch nicht geschlagen geben hatte. „Eine Seele für den Schlächter!“, rief sie dann und machte eine eigenartige Geste mit ihrer blutenden Linken, die wirkte, als wolle sie Wasser schöpfen. Dozmano unterbrach seinen Angriff als er erkannte, dass von Barisan keine Unterstützung kommen würde. Mit einem Platschen fiel die Klinge des Hauptmanns ins Wasser, als dieser sich hustend an die Kehle griff. Barisan riss die Augen auf und öffnete den Mund zum Schrei, aber nur dunkles Wasser sprudelte zwischen seinen Zähnen hervor. Ein gurgelndes Geräusch, dann ging der Hauptmann zu Boden.
Dozmanos Haut kribbelte, vor Zorn und vor Grauen gleichermaßen, als Yelaya ein schauderhaftes Lachen anstimmte. Ihn fröstelte, was gewiss nicht nur daran lag, dass seine Schnallenschuhe und sein Pluderwams nicht für nasse, kalte Gewölbe geeignet waren.
Dann verwandelte sich das Gelächter der Alten in einen trockenen Husten. Aus dem Schlitz in der Maske, wo der Mund des Gesichtes war, rann ein dünner, dunkler Blutsfaden. Wir haben sie verletzt! Oder ist die Alte krank?, schoss es durch Dozmanos Kopf. Zu seiner Rechten versank derweil Barisan in den Fluten. „Haltet seinen Kopf über Wasser, Mann!“ rief er dem wie paralysiert dastehenden Advokaten von Calven zu. Auch der Pertakiser war nicht besser, noch immer schien keine Hilfe von ihm zu kommen. Warum tat der Feigling nichts?
Noch immer stand Francidio di Côntris an der gleichen Stelle vor dem Sarkophag. Fast schien es als ob er mit dem nassen Gestein verwachsen war. Wie entrückt stand er dort. Am Ende ist er auch schon dem Bann der Hexe verfallen? Doch seine Lippen bewegten sich hektisch. Fast wie einer, der im Wahn redet. Oder einer, der in der höchsten Not ein flehendes Wort zu den Göttern erhebt.
Dozmano selbst war nicht minder erschrocken über das, was dem Hauptmann widerfahren war. Aber er hatte selbst schon das ein oder andere aus finstereren Sphären erleben müssen. Die Mörderin würde nicht davonkommen, sie durfte es nicht! Mit einem wütenden Aufschrei warf der Kaltrek seine brennende Öllampe der Alten entgegen. Soll sie brennen, die Hexe!

Francidio di Côntris, Leophex von Calven, Yelaya und ein Toter

Durch das hektische Getümmel klangen nur wenige von Francidios Worten zu den Kämpfenden herüber. Nur einige wenige Brocken wiederholte er oft und laut genug, dass sie als Bosparano erkenntlich waren. „OBSCURIS VERA INVOLVENS“. Die Wahrheit vom Obskuren verhüllt?

Gesichter im Wasser

Ein Kräuseln auf der Oberfläche

Mein Gesicht im Spiegel. Entstellt. Unmenschliche Züge auf dem Antlitz eines Menschen. Verbirg‘, was keiner sehen darf! Eine Larve, die hässliche Raupe zu verhüllen, eine Maske, das Grauen zu bemänteln. Niemand, der lebt, darf es wissen, niemand der es weiß, darf leben!

Ein verschwindendes Bild.

Kein Lebender kennt mein Geheimnis! Ein Gesicht versinkt. Die Wasser verschlucken es. Ein Leben endet, um ein Leben zu bewahren. Das Leben eines Ungeheuers! So viele Leben. Aber sie wussten, sie sahen! Sie durften nicht leben! Viele tote Gesichter im Wasser. Sie wollten wissen, wollten sehen, was sie nicht durften. Deshalb mussten sie sterben.

Wellen im Wasser.

Er weiß es! Er, der niemals wissen durfte. Er, der niemals sehen durfte. Du bist wahnsinnig, mein Bruder. Das Leder verbirgt deine Taten nicht. Die Gesichter im Wasser. Sie nennen dich einen Schlächter! Kein Schlächter! Ein Gejagter, ein Verfemter! Du bist die Schande unseres Hauses. Nein! Ich war es, der die Schande unseres Hauses verbarg, mit diesen Händen! Du sollst nicht mehr leben.

Ein Strudel im Nass.

Lass mich nicht hier, Bruder! Dies soll dein Grab sein, wie du so viele in ihr nasses Grab gesandt hast. Die Sagen um deine Taten sollen mit dir begraben werden. Tu es nicht, Bruder. Verschließe ihn nicht. Schließe mich nicht ein, Miano, nicht deinen Bruder!

Die Wasser treten über die Ufer.

Ich soll nicht mehr leben! Ein Stein im Dunkeln. Das Tropfen. Eine Kette, um Knochen zu binden. Ich lebe nicht mehr! Und doch bin ich. Die Maske eines Toten. Eines Menschen. Im Grab eines Unmenschen. Soll es mich stets anblicken, voll Hohn, dieses Gesicht, das nicht meines sein kann? Gefangen. Ewig gefangen.

Leophex und ein geschundener Hauptmann

Leophex von Calven zog den schlaffen Körper des Hauptmanns mit einem Stöhnen ins seichtere Wasser, aber noch immer drohte Barisan seinem Griff zu entgleiten. Hinter ihm hatte ein Feuer die Höhle erleuchtet, aber er hatte nicht auf die wütenden Schreie und Rufe reagiert. Wahnsinn, das alles, Wahnsinn! Er wollte nur noch von hier weg, aber er hätte Dozmano und die anderen unmöglich alleine lassen können, oder doch? Nein, man braucht mich hier! Leophex straffte sich und hievte Barisan mit großer Kraftanstrengung auf ein steinernes Podest, das über dem Wasserspiegel lag.
Nachdem er durchgeamtet hatte zog er seine Klinge wieder aus der Scheide und stapfte schwer atmend zurück zum Kampfgetümmel. Getümmel? Es war still geworden. Durch die Düsternis sah er die Öllampe, die irgendwer auf dem Sarkophag abgestellt hatte und in ihrem Lichte meinte er die Silhouetten von Francidio und Dozmano zu erkennen.

Aus dem Wasser tauchte ein Kopf auf, ein ledernes Gesicht wandte sich ihm zu. Starre, nie blinzelnde Augen blickten ihn an, Augen eines Fremden. Er hielt sein Rapier zur Parade bereit, als Yelayas zerschundener Körper sich unter der Maske erhob. Ihr Leib, aber nicht ihre Augen!, dachte er. Die Lederhandschuhe, die Yelaya zuvor getragen hatte, hingen in schwarzen Fetzen an ihren Armen und gaben den Blick auf Hände mit verkrümmten Fingern frei. Eigenartige Hände.

Erschrockene Ausrufe und das Licht der Öllampe, die ins Wasser fiel. Dann sah Leophex wie der schwere Deckel des Sarkophags auf ihn zuschoss. Er fluchte.

Dozmano Kaltrek, Leophex von Calven, Francidio di Côntris und Yelaya

Francidios Befürchtungen

Francidio di Côntris erschauderte ob der dunklen Geheimnisse des Hauses Halthera deren er soeben durch eine göttliche Eingebung des Listenreichen gewahr geworden war. Etwas Schreckliches musste genau an diesem Ort bereits vor vielen Götterläufen passiert sein. Etwas Schreckliches, das über Generationen hier von den Oberhäuptern des Hauses Halthera verborgen wurde. Dies war das Grab eines Frevlers. Eines lebenden Frevlers. Zumindest hatte er noch gelebt, als er einst dort begraben wurde. Es schauderte ihn. Noch nie hatte er den Einfluss der Niederhöllen so sehr gespürt wie an diesem Ort.
Francidio wusste, dass er sofort handeln musste und dass es das Leben aller hier Anwesenden kosten würde, sollte er versagen. Mit einem Stoßgebet an Phex wandte er sich von der nassen Grabstelle ab und rannte auf die scheußliche Gestalt zu, welche sich soeben vor seinem Vetter Leophex von Calven erhob. Die Maske eines Toten. Es war die Totenmaske, die Yelaya trug, von der ohne Zweifel etwas Unheimliches ausging.
Mit einem gewagten Sprung heftete er sich auf den Rücken der Kreatur und verkrallte sich in dem abscheulichen Totengesicht der Hexe. Ein Grauen überkam ihn, als er versuchte die Totenmaske von Yelayas Gesicht zu reißen.

Kaltrek'sche Kaltschnäuzigkeit

Dozmano, von dem mittlerweile unerwarteten Angriff Francidios nicht minder überrascht, wurde in seiner Zuversicht bestärkt und umschloss die eigene Klinge mit fester Hand als er an die beiden Ringenden herantrat. Sich nach links und rechts bewegend suchte er eine Möglichkeit Yelaya zu attackieren, doch die Frau drehte und wand sich um den sich an sie klammernden di Côntris abzuschütteln. Mehrfach zog er die schon vorschnellende Klinge im letzten Moment zurück um nicht den Falschen zu treffen. Erzürnt von der eigenen Unfähigkeit den entscheidenden Schlag zu führen, stürzte auch er sich auf die Hexe, sprang nach vorn und umklammerte ihre Hüfte. Der Schwung reichte um ihr das Gleichgewicht zu rauben und sie alle drei schwer auf den Boden stürzen zu lassen. Mit aller Entschlossenheit umklammerte er die dürren Beine der Frau, die kraftvoll und Wasser spritzend strampelten. Mit seinem gesamten Gewicht drückte er ihre Knie zu Boden, wobei er kurzfristig mit dem Kopf unter Wasser geriet und angewidert den Mund vor dem schwarzen Nass verschloss. Endlich gab sie ihre Gegenwehr auf und er riss den Kopf aus den Fluten um gierig die modrige, nach verbranntem riechende Luft einzusaugen. Er hörte, dass Francidio, der in seinem Rücken war, da Dozmano in Richtung der Füße auf den Beinen der Hexe zum liegen gekommen war, einen gepresstes, doch freudiges „Ja!“ zwischen den Zähnen hervorstieß und aus dem Augenwinkel nahm er Leophex wahr, der etwas Großes über seinem Kopf hielt.

Die Hexe und der Schlächter

Yelayas Lachen ließ Luftblasen an die Wasseroberfläche steigen und dort zerplatzen. Ihr Narren denkt, dass die Wasser mich töten würden? Sie griff hinter sich, schlug und kratzte nach dem Wicht, der sich an sie gekrallt hatte. Doch die beiden Männer hielten sie mit aller Kraft fest, wichen nicht. Jetzt schrie Yelaya auf, als ein Kreischen durch ihren Schädel fuhr. GEFANGEN! ICH LASSE MICH NICHT FANGEN! Der Schmerz ließ ihre Anstrengungen erlahmen, den dritten Mann, der sich jetzt näherte, nahm sie kaum wahr. Ein wütender Sturm wogte durch ihren Geist, der ihren aufkeimenden Triumph hinwegfegte.

Agonie des Advokaten

Leophex taumelte mehr, als dass er lief. Seine schmerzende Schulter ignorierend hatte der junge Calven ein Bruchstück des Deckels ergriffen, der ihn beinahe erschlagen hätte. Francidio und Dozmano hatten die Hexe zu Boden gerungen, drückten ihren Leib unter Wasser. Ohne einen klaren Gedanken zu fassen näherte sich Leophex und hob das Bruchstück über den Kopf, um das Grauen zu beenden.
Einen Augenblick, das Erschlaffen des Körpers der Alten unter Wasser optimistisch deutend, hatten die beiden Männer in ihrer Anstrengung nachgelassen. Mit einem kräftigen Tritt gegen Dozmanos Brustkorb brachte Yelaya den jungen Kaltrek aus dem Gleichgewicht. Der Stein saußte nieder und ließ das Wasser aufspritzen, traf die sich wie ein Aal zur Seite windende Yelaya am linken Arm. Ein Bruchstück traf Francidio und der di Côntris ließ von der Alten ab. Während Francidio und Dozmano mühsam wieder auf die Beine kamen, richtete sich die Hexe auf wie eine Mirhamionette an deren Hölzern man gezogen hatte, der verletzte Arm hing unnatürlich an ihr herab. Ein Stöhnen kam über ihre Lippen, das Leophex zusammenzucken ließ. Nichts an der Stimme der Alten erinnerte mehr an die Kräuterfrau, die ihnen Suppe gereicht oder mit ihnen gerungen hatte. Wasser rann über die Züge der Maske, die halb verrutscht auf ihrem Schädel thronte, quoll aus den Öffnungen von Mund und Nase wie schwarzes Blut. Das Stöhnen wurde lauter und wurde bald von einem Knirschen begleitet. Leophex blickte an sich hinunter und erkannte, dass die Knöpfe seines Samtwamses allesamt zu splittern begonnen hatten, seine Ohren verrieten ihm, dass es seiner Gürtelschnalle, den Schallenschuhen Dozmanos und der Kette des Signors Francidio genauso erging. Leophex tastete mit der unversehrten Linken nach seinem Langdolch, spürte, wie dessen Griff sich unter seiner Hand verbog. Steine rieselten jetzt von der Decke während das Stöhnen immer weiter anschwoll. Die Spitze von Dozmanos Rapier brach einen Fingerbreit ab, als er nach der Hexe hieb. Ohne zu denken warf Leophex seinen Langdolch, der sich schräg in den dürren Schenkel der Alten bohrte. Mit einem Mal war Francidio wieder da und reichte mit seiner Hand nach der Maske, als wolle er ihre Wange berühren. Leophex schloss für einen Augenblick geblendet die Lider, als ein schwaches Schimmern über die Hände Francidios und das Leder der Maske wogte.

Eingriff des Listenreichen

Ein die Tonlagen wechselnder Schrei drang aus Yelayas Mund, der mit einem Mal nicht mehr von der Maske verborgen war. Leophex blieb einen Moment fassungslos stehen, versuchte zu begreifen, was geschehen war. „Nein, Fyordo, wo bist du?“ Ein Blick aus geweiteten, starrenden Augen traf den Herren von Banquiris. „Was hast du getan!“, rief die Kräuterfrau eher verzweifelt, denn wütend.
Der junge Wankarer handelte als erster. Sein versehrtes Rapier drang tief in Yelayas Brust ein und verwandelte ihren Schrei in ein jetzt wieder annähernd menschliches Stöhnen. Der Leib der Alten verkrampfte sich, Leophex sprang furchtsam nach vorne, einen schwach geführten Hieb aufzufangen, der allerdings ohne Ziel an Dozmano vorbeiging. Langsam rutschte die Alte entlang der Klinge zurück ins Wasser. Die drei Männer blickten einander mit unterschiedlichem Minenspiel an während der Körper der Alten auf den Wellen schwamm, die die immer noch von der Decke rieselnden Steine auslösten.

Sieg und Flucht

Mit einer beiläufigen Handbewegung warf Dozmano den Rest der nutzlosen Klinge beiseite, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, obwohl dies Stückchen Metall doch entscheidenden Einfluss auf den Kampf gehabt hat. Stattdessen sah er besorgt auf die bröckelnde Decke. "Wir müssen hier raus", stellte er überraschend nüchtern fest. "Helft mir! Wir müssen die Alte hier rausbringen!" Beherzt schritt er wieder in das schwarze Wasser und ergriff die Haare des leblosen Körpers, zog ihn zu sich heran und wuchtete ihn mit Hilfe der Anderen auf seine Schultern. Vermutlich wird man ihren Körper verbrennen müssen, dachte er, während er mit schweren Schritten zum Aufgang schritt. Darüber würden sich aber andere den Kopf zerbrechen dürfen. Die Alte war zwar dürr, aber schwerer als er gedacht hatte. Oder ich bin schwächlicher als ich mir eingestehe, schoss es ihm durch den Kopf und ein Lächeln huschte über seine Mundwinkel. Zugern hätte er sich jetzt den Bart gezwirbelt, doch dafür hatte er diesmal keine Hand frei.