Briefspiel:Stille Wasser/Akt Id

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Übersicht   Prolog   Akt I   Akt II   Epilog  
Graue Himmel und Grablegen   Ankunft im Regen   Albträume im Bergfried   Testamentsverlesung und Verlesungen im Testament   Auslegungssache   Suppengenuss   Suppensucht   Suppengift    

Olwid Halthera und Ilmordro de Maltris

Testamentsvollstreckender Abt

Der Abt nickte dem alten Wardo dankend zu, der ihm eine dampfende und nach herben Kräutern und süßem Honig riechende Flüssigkeit reichte. Durch den aufsteigenden, feinen Dampf schaute er entlang der Tafel des Ribatssaals, wo nun die Erben, Bevollmächtigten – und vielleicht gar der ein oder andere Trauernde?, dachte er kummervoll – und die anderen Gäste versammelt waren. Zu seiner Rechten – er selbst hatte den einfachen Hocker zur Rechten des Kastellansstuhls eingenommen – hatten die beiden ya Papilio-Geschwister Platz genommen, als Vertreter ihrer Mutter, der Schwägerin Ismianes waren sie gemäß der Vereinbarungen zwischen Caron ya Papilio und Ismiane vor nunmehr einem Dutzend Jahren wichtige Erben. Auf sie folgte der Herr von Elmantessa, Randulfio Aurandis, der Enkel von Ismianes älterer Schwester Hesacynthia. Neben ihm saß ein schwer einzuschätzender Mann, dem die junge Vanossa gerade noch einen Teller mit der Hand der Aurandis gereicht hatte. Francidio di Côntris, der für seine Frau Meryama, Randulfios Schwester, zu sprechen wünschte. Der schmale, gut gepolsterte Sessel, auf dem Francidio Platz genommen hatte war eigentlich für die Adepta Menaris vorgesehen gewesen. Sie hatte sich verspätet, das Wetter, wie Olwid vermutete. Das Ende der rechten Tafelhälfte nahm Almiro di Matienna, der Vogt von Schwarzental, ein, dessen Anwesenheit für den Abt nicht recht erklärlich war, ihn dennoch kaum beunruhigte. Der Mann schien ihm weder ein großer Politiker, noch finsterer Intrigant zu sein, von ihm ging sicher keine Gefahr aus.
Zur Linken des Kastellansstuhls hatte der Erzprior Alexandrian den ihm von Olwid zugedachten Ehrenplatz erhalten, sein Schwager Gregoran, der offenkundig für einen anderen Zweig der Enkel Hesacynthias sprechen wollte, schnäuzte sich gerade und blickte verdrießlich vor sich hin. Nicht minder unerfreut wirkte der wohlgenährte Caron von Imirandi, der Sohn von Ismianes letztem Bruder Rondrico. Zu seiner Linken versank sein Vetter Leophex schier in einem viel zu mächtigen fast schwarzen Holzstuhl. Ein Rechtsgelehrter. Nicht das Schlechteste, das erspart uns gegebenfalls spätere Einwürfe, urteilte Olwid. Dann folgten zwei Männer die zwar kein Erbe erhoffen konnten, aber dennoch nicht nur aus Trauer um die Herrin Ismiane hier sein würden. Ilmordro, der de Maltris, hatte sich als Gesandter des Waldes und Sodanyos geriert, aber Olwid sah in dem Vertreter der alten Feinde seines Hauses nur einen spottenden Geier, der um die Leiche seiner Feinde seine Kreise zog. Nun, der Fisch wird heute das Einzige sein, was er verschlingen kann, dachte Olwid und runzelte dann die Stirn über seine eigenen düsteren Gedanken. Wie um sich zu maßregeln blickte er mit kummervoller Miene zu Dozmano Kaltrek hinüber, der erst kürzlich einen schlimmen Verlust erlitten hatte. Nur der Tod seines Vaters hatte ihn überhaupt auf die Feste gebracht.
Olwid nahm einen schweren Schluck seines Getränks und betrachtete den letzten Mann, der am anderen Kopfende der Tafel saß. Sein Neffe sah wie immer blass aus, übernächtigt, aber er blickte voller Entschlossenheit in die Runde. Du wirst heute eine Enttäuschung erleben müssen, Boronollo, aber es ist zum Besten des Hauses und des Landes, lieber Neffe. Boronello gegenüber, zu Olwids Linken war nur ein Stuhl frei geblieben, das Wappen der Halthera war in seinen Rücken geschnitzt. Über diesem hing der uralte grau-weiße Pelz der Kastellane der Fuldigorsfeste. Alle paar Dekaden ließen die Kastellane den Zauber bei Magiern in Bethana oder Kuslik erneuern, der dem Kleidungsstück Schutz vor den Zähnen Satinavs gewährte. Aber Ismiane hatte in den letzten Jahren ihr weniges Geld lieber für die Lebenden ausgegeben. Der aus vielen, etwa unterarmlangen Stücken zusammengenähte Pelz wirkte schlaff, an einigen Stellen durchsichtig und Olwid glaubte fast den Geruch nach altem, totem Tier, der von dem Kleidungsstück ausging, in der Nase zu verspüren. Kein Wunder, der Umhang war schon zu Zeiten des Unabhängigkeitskrieges getragen worden, nicht einmal er wusste, wie weit die Tradition noch zurückreichen mochte. Abt Olwid Halthera räusperte sich und erhob sich mit der ihm eigenen Kraft von seinem Hocker. „Liebe Trauernde, Vettern, geehrte Gäste. Im Namen meiner Großnichte ist es mir, trotz des traurigen Anlasses, ein Vergnügen, Euch hier auf der Fuldigorsfeste begrüßen zu dürfen. Ich denke, wir sollten ohne weitere Umschweife beginnen, nun, da jeder die Gelegenheit hatte, von der Herrin Ismiane Abschied zu nehmen.“ Der Abt nickte in Richtung der zwischen den Säulen warteten Gorrada Altmeister, die ein Pergament aus einer Truhe nahm, deren Schlüssel unter ihrem Wams verborgen gewesen war. Sie bestätigte knapp, das Siegel war ungebrochen, und reichte es Olwid, der sie dankend zurück an ihren Platz verwies.
Dann fiel sein Blick auf das Pergament in seinen Händen und seine kräftige, stark behaarte Hand strich sanft über das Wachssiegel mit dem Baum der Halthera, das den letzten Willen der Herrin von Wanka verschloss. Er hatte selbst bei der Abfassung der Worte, damals kurz nach dem Tode von Ismianes einzigem Sohn, Zeugschaft abgegeben, erinnerte sich noch recht gut an Ismianes präzise Anweisungen. Er sollte also beruhigt sein. Dennoch war er unruhig. Er seufzte unterdrückt, schloss kurz die Augen. Er betrachtete das Siegel – es war frisch – und brach es.

Überlegungen des Sodanyers

Ilmordro de Maltris lehnte sich in seinem ausladenden Stuhl zurück und begutachtete das Gesicht des Abtes, als dieser das Siegel brach und den letzten Willen der Herrin von Wanka zunächst stumm überflog. War da ein kurzes Zögern, ein Stirnrunzeln unter den buschigen, wilden Augenbrauen? Er nahm einen Schluck des nicht besonders guten, aber schweren Weins, den ihm die Haushofmeisterin gebracht hatte und hörte gespannt zu.

Das Testament der Kastellanin

Ich, Cavalliera Ismiane Halthera, erste meines Namens, neunte Herrin von Wanka seit dem Flug des Roten Drachen, Kastellanin der Burg Fuldigorsfeste, Erbverwalterin der Vogtei Aperinis und Oberherrin der Güter Hepheia und Wanica sowie Matriarchin des Hauses Halthera tue hiermit kund und zu wissen über meinen letzten Willen, der wie folgt lautet.
Ad primum: Zum Erbwalter und Exekutor dieses meines letzen Willens bestimme ich Olwid Halthera, den Abt des Klosters des heiligen Badilak zu Wanka, meinen Großonkel, der mir als Ratgeber in Dingen des Glaubens und der Familie stets eine große Stütze war. Ihm verdanke ich eine neue Säule meines Denkens, die Sorge um die Mittellosen und Versehrten, die mir die wohlwollende Göttin Peraine dank seiner Fürsprache nach dem schmerzvollen und frühen Tode meines Ehegemahls und meines geliebten Sohnes Fyordono so gnädig gewährte.
Ad secundum: Nachdem Tode meines Sohnes Fyordono – Rethon möge seine Seele, aber auch jene des Schuldigen, Rondrigo ya Scipella, wenn er dereinst auf der Seelenwaage zu liegen kommt, gerecht wiegen – ist mir kein Leibeserbe geblieben. Um den Fortbestand meines Hauses und die Versorgung der Mittellosen sowie des Klosters zu gewährleisten bedarf es aber der Kontinuität des Hauses Halthera oder seiner Erbfolger. Bedauerlicherweise hat die Herrin Peraine gefügt, dass mein Vetter Boronollo Halthera, Sohn meiner Großtante Aldare, die der Herr Boron früh zu sich gerufen hat, von angeschlagener Gesundheit und im stetigen Kampf um sein leibliches Wohl gefangen ist. Boronello, der meine Worte dereinst verstehen lernen wird, soll zeitlebens in vollem Umfang über die Vogtei Aperinis verfügen können, die dortigen Abgaben sollen auch im Krankheitsfalle zuerst und allein für seine Versorgung herangezogen werden.
Aus den genannten Gründen verfüge ich, dass das Haus meines verstorbenen Ehegemahls, die ehrenwerte ponterranische Familie ya Papilio, in Gestalt meiner Schwägerin, Atroklea, der Schwester meines Gemahls, wie eine Schwester als Erbin des Hauses Halthera eingesetzt werden soll. Das Haus ya Papilio versichert im Gegenzug das Kloster des Heiligen Badilak von Mendena zu Wanka und die Familienehre der Halthera zu wahren, zu schützen und zu fördern.
Gegeben von eigener Hand am 1. Praios des Jahres 1023 nach dem Fall des Hunderttürmigen Bosparan, zur Zeugschaft haben die folgenden ehrenwerten Signori ihre Unterschrift geleistet.

Olwid Halthera, Abt des Klosters des Heiligen Badilak von Mendena zu Wanka

Caron ya Papilio, Herr von Montalto, Patriarch des Hauses ya Papilio für seine Base Atroklea ya Papilio

Post scriptum
Ad tertium: Nunmehr ist eine zwölfgöttergefällige Zahl von Jahren vergangen, seit ich zuerst die Feder auf dieses Dokument senkte. Mein Großneffe Boronello hat die Krallen Golgaris ein ums andere Mal abgewiesen und nur Fatas weiß, ob er dereinst ein hohes Alter erlangen kann. Darum verfüge ich, dass gemäß dem praiosheiligen Recht und dem Recht der Halthera ein Erbenrat einberufen werden soll, dem die letztgültige Entscheidung über das Erbe des Hauses Halthera zukommt. Der Rat soll bestimmen, wer den Pelz des Kastellans über seine Schultern legen darf. Er soll bestehen aus den Erbberechtigten aus meimem Hause und meinen Geschwisterkindern und deren Kindern und Kindeskindern.
Von diesen Worten sollen die Rechte und Pflichten des Hauses ya Papilio und meines Großonkels Olwid, die ad primo und ad secundo genannt worden sind, nicht berührt werden. Hinzugefügt von eigener Hand im Phex-Mond des Jahres 1035 nach Bosparans Fall. Um Zeugschaft gebeten habe ich meine Kräuterfrau und Köchin Yelaya, deren Hände meinen letzten Tagen Linderung verschafft haben.
Ismiane Halthera, Herrin von Wanka etc. pp.
Yelaya

Testamentslese

Als Olwid mit der Verlesung des letzen Willens geendet hatte war es zunächst einige Zeit ruhig im Ribatsaal. Ilmordro nahm erneut einen Schluck Wein, als er den Blick über die anderen Gäste schweifen ließ. Er, der Efferd-Geweihte, der einheimische Kaltrek und vielleicht noch der Arinkener waren die einzigen Gäste die nicht selbst oder über ihre Verwandten ein Erbe beanspruchen konnten. Ilmordro sah auf mehr als einem Gesicht die sich langsam entfaltende Erkenntnis, dass dieser letzte Wille mehr Erbgelegenheiten eröffnete als Erbfolger beschloss. Wanka würde nicht die Ruhe finden, die er der verstorbenen Herrin in der Tat gönnte, auch wenn kein Halthera einem de Maltris so etwas zu glauben vermochte. Der tönerne Weinkelch verbarg ein feines Lächeln das um die Lippen des Gesandten des Waldes spielte, als er die kommenden Augenblicke, Tage und Wochen zu überblicken versuchte.
Der Abt schien in der Tat nicht mit diesen Worten gerechnet zu haben, er setzte sich zunächst nur und nahm einen Schluck von seiner bis ans andere Tischende riechenden Flüssigkeit. Dann räusperte er sich und blickte aus Augen, die eine nicht vom Schlafmangel herrührende Müdigkeit zu verraten schienen, eine Weile entlang der unruhiger werdenden Tischgesellschaft. „Als Erbwalter der Herrin schlage ich vor, dass die hier heute anwesenden Erben oder ihre bevollmächtigten Stellvertreter den Platz im Erbenrat einnehmen sollen. Wenn jemand etwas vorbringen möchte, soll er nun die Gelegenheit haben.“