Chronik Ramaúds/Stapellauf/Krone

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Überblick   Auf der Werft   Im Efferdtempel   Bei der Nachtwache   In der Roten Krone   Auf dem Grünen Platz   Im Spelunkenviertel   Wieder auf der Werft   Stapellauf   Steckbrief   Rahjadas Brief    

In der Roten Krone

Ein serviler, feister Mann, den Rahjada mit „Ubald Hufnagel“ grüßte, hatte diese und Alesia empfangen und sogleich über eine breite Treppe in den ersten Stock des Gasthauses geleitet. Dort hatte er ihnen geradezu untertänig einen für nur zwei Personen viel zu großen Tisch zugewiesen – den Rahjada trotz erkennbarer Verlegenheit annahm. Sie wollte dem Gastgeber offensichtlich mit der Bitte nach einem kleineren Tisch keine Umstände bereiten. Immerhin: Der Platz war direkt an dem breiten, bis zum Boden reichenden Fenster mit Kusliker Balkon, durch das man den Grünen Platz gut überblicken konnte.
Zwei Bedienstete in sauberer Kleidung kümmerten sich wortlos um die Bedienung der Damen. Während Alesia und Rahjada ihre Muschelsuppe löffelten, die Vorspeise, warteten sie außer Hörweite an einer Anrichte. Ansonsten war das Zimmer – im Gegensatz zur gut gefüllten Gaststube im Erdgeschoss – menschenleer. Den Herold Poldoron hatte Rahjada mit einigen Notizen gen Schloss Ramaúd geschickt, damit auch der Baron wisse, was sie bislang erfahren hatten, sobald er dort einträfe.
Zwischen der Suppe und dem zweiten Gang (mit Paradeisern und Käse belegte, gebackene Brotscheiben) brachte ein etwa achtjähriger Junge eine Schriftrolle mit dem kruden Siegel der Nachtwache (eine Madasichel über einem Segelschiff) herein. Signora Rahjada brach dieses und überflog den Text, ehe sie ihn für Meisterin Alesia zusammenfasste: „Ein Nachtrag von der fortgesetzten Befragung Klapprers. Auf Drängen Weibel Murakios – der Sergeant hätte uns nicht beim Essen behelligen wollen, schreibt dieser.
Punkt 1, ich zitiere: 'Auf die Vorhaltung einer Mittäterschaft an der Brandstiftung vom 7. Efferd dieses Jahres behauptet der Verdächtige empört, in jenem Monat im südlichen Horasreich gewesen zu sein. Zeugen seien Stammkunden in Morbal, Wobran oder Eldoret.'
Punkt 2: Der Händler habe von dem Anschlag auf die Rahjalina nichts gehört, nicht einmal dass die Werft wieder in Betrieb ist. Zwar handle er mit Ingredienzen, die bei der Tat verwendet sein könnten, aber da gebe es doch auch andere, selbst hier in Ramaúd auf dem Marktplatz. Gemeint ist wohl der Grüne Platz...“
Rahjada ließ das Blatt sinken, blickte einige Momente hinaus zum Fenster und dann Alesia an. Ihre grauen Augen funkelten: „Zwei Damen beim Einkaufsbummel erregen sicher weniger Aufsehen als ein Trupp Uniformierter. Was hieltet Ihr davon, wenn wir uns anschließend an den Ständen umsehen würden?“
Alesia nickte: „Ihr habt Recht, Signora. Gewiss werden wir weniger Aufsehen erregen als Uniformierte, und so mag es uns vielleicht auch eher vergönnt sein, an für uns wichtige Informationen zu kommen, nachdem es nun gewiss scheint, dass jener gefasster Händler wohl nichts mit dem Attentat zu tun hat und auch nicht der Täter sein kann. Ganz wie ich befürchtet hatte...“
Sie seufzte schwer, ließ sich geradezu resignierend in ihrem Stuhl zurücksinken und schaute für einen Augenblick zum Fenster hinaus. Dass es nicht so einfach werden würde, hatte sie geahnt. Dass dieser Mann nicht der Täter war, hatte sie vermutet. Aber nun, nun, da ihre Vermutungen bestätigt wurden, fühlte sie sich mit einer Situation konfrontiert, die sie nicht nur nicht einschätzen konnte, sondern die ihr auch über den Kopf zu wachsen schien, vielleicht war es aber auch nur die durch das Essen ausgelöste Müdigkeit. Sie unterdrückte ein Gähnen.
Dann wandte sie sich wieder an die Baronin. „Der Täter hat uns eine Spur gelegt, eine, die uns zu früher oder später ihm führen wird. Das einzige was wir tun müssen, ist sie zu finden. Also schlage ich vor: Lasst sie uns finden!“
„Aber zuvor wollen wir noch das Hauptgericht und die Nachspeise genießen“, verlangte Rahjada. Quilia Hufnagel und ihre Helfer sollen sich nicht umsonst in der Küche bemüht haben“, fügte sie leiser hinzu. Tatsächlich trugen die Bediensteten nun in Teig gebackene Fischstückchen auf, dazu eine sämige Soße aus Kastanien und Walnüssen. „Ein ortstypisches Gericht“, sagte die Signora zwischen zwei Bissen.
Während die Sewamunderin mit ihrer Anstandsportion rang – eigentlich war sie ja schon beinahe satt, aber es schmeckte doch sehr gut -, fasste ihre Gastgeberin den Rest des Wachberichts zusammen: „Punkt 3: Den Baron ya Ramaúd kenne Klapprer nur vom Hörensagen über dessen Aufstieg und Krönung vor einigen Jahren. Eine andere Verbindung, auch aus der Vergangenheit, sei nicht zu erkennen.“ Sie ließ das Blatt sinken: „Das klingt glaubwürdig. Und es bekräftigt ebenfalls Eure Vermutung. Mir scheint wie Euch, der Krämer wurde bewusst nach Ramaúd gelenkt, um Aufmerksamkeit und Misstrauen auf sich zu ziehen – um von jemandem anderen abzulenken vielleicht? Aber wer auch immer diese falsche Fährte gelegt hat, der soll letztlich merken, dass er zu schlau sein wollte!“
Eilig pickte sie mit der dreizinkigen Silbergabel die letzten Häppchen von ihrem Teller und schlang sie hinunter. Dann winkte sie ungewohnt fordernd einem der Kellner: „Den Nachtisch, bitte, Abelardo!“ Bald stand weißes Gebäck aus Eischaum und Rohrzucker vor den beiden Frauen, mit dem sie frisches Brombeerkompott aus Porcellanschälchen löffelten. „Die Beeren wachsen an wild wuchernden Sträuchern am Rand des Moors, das Ihr als Ramaúder Sümpfe kennen könntet“, erläuterte Rahjada. Alesia schmeckte heraus, dass ein wenig Likör den Geschmack der Süßspeise verstärkte und entschied sich dagegen, auch noch den angebotenen Verdauungsschnaps zu nehmen.
Gestärkt gingen die beiden wieder die Treppe hinab und ließen sich in ihre Mäntel helfen. Rahjada drehte den ihren zuvor von innen nach außen. Statt kühl-weißen Stoffs zeigte dieser nun freundliches Dunkelorange. Rasch hatte die Signora noch den ebenfalls umgedrehten, nun kastanienbraunen Umhang übergeworfen. Dann traten sie und Alesia gemeinsam durch das Portal auf den Grünen Platz, den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens in der Stadt Ramaúd.