Der Esel von Torremund

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"Wär ich doch ein Esel gewesen. Keinen Spann hätten diese Ratten mich bewegen können!"

Unbestätigter Ausruf von Miguel Flaviora ob des Ausgangs des Sikramtaler Ritteraufstand


Die Geschichte vom Esel und dem Rattenkönig


Einst lebte in den Bergen ein Esel. Er war kein besonderer Esel, doch war ihm dies gleich. Er war ein Esel und das wusste er und fand nichts daran auszusetzen. Er lebte dort zusammen mit anderen Eseln und den Cousins und Cousinen, den Pferden. Stolz und bisweilen hochnäsig ihm gegenüber - doch Paarhufer wie er. Gemeinsam grasten sie auf den Wiesen der Berge und waren glücklich. Am Meer lebten die Delphine prächtig, doch verspielt und wankelmütig. Sie waren gern Delphine und so zogen sie gern auf mehr hinaus und entdeckten ferne Küsten und vielerlei Seltsames.
Doch im Tal zwischen Meer und Land lebte der Rattenkönig in einem verfallenen Turm am Fluss. Er war stolz auf seinen Turm. Vor über tausend Jahren waren seine Vorfahren dort eingezogen und hatten die Menschen bald vertrieben, aßen sie doch all ihr Korn, und so verfallen der Turm auch war, der Rattenkönig war stolz. Stolzer als die Pferde und als die Delphine und gar stolzer als der Adler im Himmel. Sein Fell war grau und struppig, und so kleidete er es in Hermelin, das er raubte, und in Blech, das er in den Städten der Menschen von seinen Rattenbrüdern sammeln ließ.

Da hörte er, dass die Mäuse, welche am Fluss lebten, ihm kein Korn mehr geben wollten, denn vor vielen Jahren hatte der Vorfahr des Rattenkönigs die Mäuse gezwungen, dies zu tun, und die Mäuse hungerten gar oftmals ob dieser Last.
Da rief der Rattenkönig einige Pferde und Delphine, die er kannte und sagte: „Meins ist meins und eures eures, doch was den Mäusen gehört, ist auch meins, und wenn ich es nicht bekomme, soll es niemand haben. Dann werde ich den Mäusen das Fell abziehen und meine Brüder darin kleiden, denn es ist weiß und kuschelig und nicht so kratzborstig wie unser eigenes.“ Und seine Bekannten sagten: „Hört, hört so soll es sein.“

Doch die anderen Bewohner der See und die anderen Bewohner der Berge hörten davon und gingen zum verfallenen Turm und riefen:„Wieso entscheidest du und deine Freunde über die Mäuse. Wir leben hier in Frieden und dulden keinen Kampf zwischen den Tieren.“ Und als die Tiere laut stritten, kam der Esel den Berg herab, ist er doch langsam und das Gras der Berge saftiger als das der Ebene. Und auch der Esel sagte: „Lass den Mäusen, was den Mäusen ist. Wir Bergbewohner dulden deinen Diebstahl nicht.“ Und der Rattenkönig wütete und zeterte und schrie: „Es ist mein Recht, haben die Mäuse doch schon immer ihr Korn an mich gegeben.“
Doch schien es für den Rattenkönig aussichtslos. Da hörte er eine Stimme, die ihn flüsternd lockte:„Ich kenn die Lösung deiner Probleme, wenn du mir folgst.“ Der Mäusekönig fragte: „Wer bist du, geheimnisvolle Stimme, und wie willst du mir helfen?“ Die antwortete: „Ich bin dein Kind, doch bin ich mächtiger als du, denn weiß ich um das Geheimnis der Zeit.“
Der Rattenkönig überlegte. Er wusste, der Hüter der Zeit straft die, die er erwischt, mit der Zeit zu spielen. Doch war er gierig nach dem Korn der Mäuse und so hauchte er ein ängstliches: „Ja.“

So zeigte ihm das Rattenkind, wie der König der Ratten ihn nun nannte, das Geheimnis der Zeit, und den Tieren schwirrte der Kopf. Da wiederholten sich die Tage oder sprangen gar nach vorn, so dass jeden Tag aufs neue eine Konferenz stattfand, mal mit diesem, mal mit jenem als offiziellem Gesandten von Berg und von Tal, mal hier und mal dort, mal versprach er den anderen Tieren das Korn, mal versprach er ihnen Weiden und Meere, die ihm nicht gehörten, und der Rattenkönig änderte gar stündlich seine Meinung, hoffte er doch, dass die Tiere ihm seinen Raub erlaubten.
Doch die Tiere blieben hart und rückten nicht von ihrer Meinung ab, und die Mäuse saßen in ihrem Bau am Fluss und ihnen wurde ganz schwindelig vom Zusehen, denn der Rattenkönig weigerte sich, die Mäuse anzuhören. „Sie sind mein Besitz, und ich kann für sie sprechen“, sagte er. Doch die Tiere blieben hart, und auch der Esel bewegte sich keinen Schritt vom Fleck.

Da ersann der Rattenkönig eine List, hatten doch alle Tiere einen Anführer, bloß die Mäuse nicht, sondern kürten heute diesen und morgen jenen zu ihrem ersten, ganz wie der Rattenkönig seine Angebote an die Tiere täglich änderte. Er sagte den Bergbewohnern: „Es ist so zugig in meinem Turm und das Geschnatter der Delphine im Fluss raubt mir den Schlaf. Lasst mich auf den Bergen leben als euer Freund, dann könnt ihr, wann immer ihr wollt, in meinen Turm und von dort die Delphine mit Steinen bewerfen. Dafür bitte ich euch aber um eins, die Mäuse sollen auch einen richtigen Anführer haben, eins von euren prächtigen Pferden vielleicht oder einen von meinen klugen Söhnen.“ Einige Bergbewohner fingen an zu überlegen, auch wenn sie nicht verstanden, wieso sie Steine auf Delphine werfen sollten, hatten sie doch Mitleid mit dem armen Ratz der in seinem zugigen Turm saß und meinten: „Lasst die Ratten in die Berge, und gebt ihm seinen Willen. Ein bisschen Ordnung mag den Mäusen nicht schaden, und wir können sein Gekeife nicht mehr ertragen.“ Doch der Esel sagte: „Er darf gerne bei uns leben. Doch gebt ihm nicht den andern Wunsch. Was kommt dann als nächstes. Das die Mäuse über die Adler, die Delphine über die Berge oder die Esel über die Delphine herrschen?“ Und der Rattenkönig zeterte und zeterte, er versprach dies und das und droht mit diesem und jenem, dass die Pferde in den Bergen ganz scheu wurden und zum Esel sagten: „Sei nicht so stur!“ Doch der Esel kaute sein Gras.

Plötzlich bebte die Erde, und der Esel blickte von seiner Bergwiese ins Tal. Einige Pferde waren losgestürmt, Delphine schwammen den Fluss herauf, und auch der Rattenkönig schwärmte mit seiner Schar los, und alle zogen in die Richtung des Mäusebaus, um gemeinsam dem Treiben ein Ende zu machen. Da rief der Esel: „Na gut, ich will nicht, dass ihr kämpft. So wollen wir Bergbewohner auf die Mäuse achten und du Rattenkönig, komm in die Berge.“

Da erschien ein Blitz, und ein letztes Mal nutzte der Rattenkönig die Macht seines Kindes. Es schien, als sei das Vorherige nicht geschehen, und nur die Worte des Esels schallten durch das Echo der Berge in der Zeit gehalten durch das Tal.
Die Mäuse saßen verdutzt in ihren Löchern, als sie das Echo hörten und der Rattenkönig vor ihnen stand und sagte: „Meine pelzigen, flauschigen Brüder, hört den bösen Esel, er möchte euch unterjochen mit den anderen Bergbewohnern.“ Und zu den Delphinen sagte er: „Hört den bösen Esel, er möchte euch vom Bau der Mäuse aus mit Steinen bewerfen, wenn ihr durch den Fluss zieht. Lasst uns die Mäuse schützen.“ Und alle sahen in die Berge zum Esel, und der Esel guckte sehr verdutzt, und die Pferde, die mit dem Rattenkönig zogen, guckten verdutzt und blieben schreckstarr stehen.

Und die Mäuse, ganz verwirrt von dem Spektakel und die Delphine, sprunghaft in ihrer Natur riefen: „Ein hoch auf den Rattenkönig, er ist unser Retter.“
Da freute sich der Rattenkönig, war doch nun der Esel schuld daran, dass die Delfine im Streit mit den Bergbewohnern lagen und vor allem, dass die Mäuse nun endlich frei waren. „Das war schon immer mein Ziel“, verkündete er stolz und zog in seinen verfallenen Turm zurück.
Der Esel aber stand auf der Wiese und kaute und während er so kaute, dachte er: Wie sagt Hase immer, Hase bleib bei deinen Möhren.

Und seitdem ist es sehr schwierig einen Esel zu bewegen, wenn dieser nicht will. Erzählt man sich doch seitdem unter den Eseln diese Geschichte vom Esel auf dem Berg und dem Lohn, den er für sein Nachgeben bekam.