Erbfolgestreit in Arinken/Einleitung

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Drei Damen am Teich im Morgengrauen

Ein kalter Wind wehte durch das Banquirtal. Ingrimalda zog ihren Umhang zu und näherte sich der regungslos am Ufer liegenden Schildkröte. Es war nicht überraschend, dass Kaga am diesem kalten Morgen schlief, und so legte Ingrimalda die Salatblätter vor die Kopföffnung des verschlossenen Panzers, der immer noch keine Regung zeigte und setzte sich auf einen mit Moos bewachsenen Rest einer Marmorsäule. Plötzlich raschelte es im Schilf hinter ihr und Ingrimalda wandte sich um. Sie erblickte eine vertraute Gestalt, die sich einen Weg durch das brusthohe Schilf bahnte und näher kam.

"Es erfreut mich, zu sehen, dass Ihr immer noch jeden Morgen den steilen Weg von der Burg herab auf Euch nehmt, um nach der Schildkröte zu sehen, Mutter", begrüßte sie Guiliana. "Es hält die Gebeine jung," entgegnete Ingrimalda und umarmte ihre Tochter fest. "Deine Totenwache ist vorüber?" fragte sie. "In der Tat. Eine lange Zeit der - Besinnung, aber auch des Zwiegesprächs." Beide Frauen setzten sich auf die Säule, zu ihren Füßen die immer noch schlafende Schildkröte. "Ich könnte es nicht tun, nicht jetzt nach allem, was passiert ist." Ingrimaldas Augen wurden feucht, woraufhin Guiliana die Hand ihrer Mutter fest umschloß. "Vielleicht ist es doch wahr, und ein Fluch liegt auf diesem Ort", flüsterte Ingrimalda, während sie ihren Blick zur düsteren Silhouette der Burg Banquirfels vor der aufgehenden Sonne richtete. "Mutter!", versuchte Guiliana sie aufzuheitern, "Ihr hört Euch schon an wie Onkel Amaldo!" Sie begann, Amaldos tiefe Stimme zu imitieren und dabei mit erhobenen Armen in der Luft herumzuwedeln: "Das Ende der Welt ist nahe, Arinken wird untergehen, der Namenlose steht vor der Tür, buhuuuu!" Tatsächlich erhellte sich Ingrimaldas Miene. Guiliana deutete nach Osten in Richtung des noch schlafenden Arinkens und des Sonnenaufgangs, "Auch heute lächelt Praios auf uns herab, beginnt ein neuer Morgen, Mutter. Die Hoffnung vergeht nie. Ich habe jetzt die Möglichkeit, alles zum Guten zu richten, das Werk meines Bruders fortzusetzen." "Amaldo ist da anderer Meinung", entgegnete Ingrimalda lakonisch.

Guiliana schaute tief in die Augen ihrer Mutter und flüsterte "Und deswegen brauche ich Euch, Mutter. Auf Euch hört Amaldo. Alleine kann ich ihn nicht überzeugen." "Das werde auch ich nicht können, doch will ich dir beistehen, so gut ich kann. Du verlangst viel von mir, mein Kind. Mein letztes verbliebenes Kind." Der Gedanke daran brachte Ingrimalda erneut zum weinen. "Höre gut zu, Guiliana, höre nur ein einziges Mal auf mich. Du musst sehr vorsichtig sein. Dein Onkel ist grausam und gefährlich, gefährlicher, als du denkst. Ich will dich nicht auch noch verlieren. Doch nun muss ich zurück zur Burg, bevor die Gäste aufwachen. Mögen die Götter dir bei deinem Vorhaben beistehen." Ingrimalda wandte sich überraschend schnell von ihrer Tochter ab und verließ das Teichufer in Richtung Stadttor. Guiliana blieb verdutzt stehen, in Gedanken über die ungewöhnliche Furcht, die sie im Gesicht ihrer Mutter erblickt hatte. Erst das plötzliche Geräusch der Salatblätter kauenden Schildkröte riss Guiliana aus ihren Gedanken, und sie machte sich auf den Weg zur Burg, um noch etwas Schlaf zu finden.

Letztes Geleit

Schweigend setzte sich der Trauerzug in Bewegung. Der schwere Sarg wurde von schwarzbekutteten, maskierten Helfern getragen. Dahinter folgte die Trauergesellschaft, angeführt von Prätor Boronir und der Witwe des Verstorbenen. Nachdem sie das Tor des Borontempels durchschritten hatten gesellten sich fünf weitere Schwarzbekuttete hinzu, die mit hölzernen Pommern und einer Pauke ausgestattet eine langsame, traurige Weise spielten. Im Schein der Nachmittagssonne ging es die Treppe hinunter zur alten Richtwiese, unter dem Kiosk vorbei auf die Grabhöhle der Matiennas zu, deren Eingang die meisten der Anwesenden noch niemals offen stehen gesehen hatten. Die Träger stellten den Sarg vor dem Eingang auf den Sandboden und begaben sich zusammen mit ihren musikalischen Gefährten in die Höhle, während sich die Trauergesellschaft um den Sarg versammelte. Der beleibte, unter seiner schwarzen Robe sichtlich schwitzende Boronir breitete die Arme aus und begann zu sprechen: "Und so wollen wir eine weitere Seele auf dem Weg über das Nirgendmeer begleiten. Wer Benedict noch etwas auf den Weg mitgeben möchte, der soll dies jetzt tun! Denn nur diejenigen acht, die ihm am nächsten stehen sind würdig, mit ihm die letzten Schritte zu gehen." Dabei deutete Boronir auf den von zwei Statuen flankierten Eingang der Höhle.

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