Archiv:Die Brautschau zu Sewamund (BB 30)

Aus Liebliches-Feld.net
Zur Navigation springenZur Suche springen

Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 30, Seiten 6-7



Die Brautschau zu Sewamund

Tsaida Tribêc war außer sich vor Freude. Nie hätte sie erwartet, dass die große Brautschau in Sewamund so ausgehen würde, wie sie ausgegangen war. Hatten doch beide ihre Kandidaten das große Los gezogen, waren doch zwei Tribêcs an jenem 2. Rondra des Jahres 1030 BF verheiratet worden. War doch nun die Familie Vistelli eng an die eigene Familie gebunden. Während sie Rahjanes Erfolg kaum verwunderte – Rahjane galt schließlich in Familienkreisen als zu nichts anderem fähig als verheiratet zu werden, erfolgreich verheiratet, versteht sich – war sie von Bernardos Gelingen mehr als nur überrascht. Hatte es dieser nutzlose Herumtreiber doch geschafft, das Herz Alissa Vistellis zu erobern, wer hätte das gedacht? Und hatte er es wirklich erobert? Denn wie war es zu erklären, dass er nur wenige Tage nach der Hochzeit, die ihm von ihr versprochene Belohnung in der Tasche, bereits wieder verschwunden war, um per Schiff in die Ferne zu ziehen?

Ja, wie war es überhaupt zu diesem Ausgang gekommen? Zumindest die tribêc'sche Sichtweise kann hier geschildert werden.

Von Planung und Werbung

Die erst seit kurzem in Sewamund wohnenden Vistellis und der Reichtum, der mit ihnen einherging, war den Tribêcs nicht fremd geblieben, wohnte die Familie, die aus dem arivor'schen Montarena kam, doch im Palazzo gegenüber. Nach dem plötzlichen Tod Lorions III. ließen natürlich auch die ehrwürdigen Tribêcs ihr Anwesen für Tage Trauer tragen, empfand man doch Mitleid für die beiden jungen Zwillinge Orban und Alissa, die nun ohne Eltern dastanden, denn ihre Mutter hatte Boron bereits vor Jahren zu sich genommen.
Bereits kurz nachdem die Nachricht der bevorstehenden Brautschau die frisch gekürte Baronin von Veliris erreicht hatte, ließ Tsaida Tribêc ihre Berater zusammen kommen. Man einigte sich bald auf den Plan, den die alte Daria ohnehin schon die ganze Zeit ihrer Tochter nahe bringen wollte. Den Vistellis galt es zu helfen! Es wurde deshalb zunächst überlegt, welche Mitglieder der Familie es sich zutrauen würden, den anspruchsvollen Vistellikinder den Hof zu machen und gar zu freien. Was Orban Vistelli anging, fiel die Wahl rasch auf Rahjane Tribêc, die bereits auf einigen Sewamunder Festlichkeiten auf den ansehnlichen jungen Frauenhelden aufmerksam geworden war und jetzt die ganze Zeit naseweiß um den Beratertisch schwarwenzelte und neugierige Fragen stellte. Nur allzu gerne gestattete Tsaida, dass ihre Tochter sich zur Brautschau aufmachte. Doch wer könnte den weiblichen Zwilling von seinen Qualitäten überzeugen? Bis spät in die Nacht hinein überlegte man, verwarf Vorschläge und kam doch zu keinem Ergebnis, mit dem alle zufrieden gewesen wären.

Der verlorene Sohn

Eine unerwartete Wendung ergab sich, als am folgenden Tage Bernardo Tribêc ohne Ankündigung vor dem Palazzo Tribêc in Sewamund erschien und ohne Umschweife verlangte, mit Tsaida sprechen zu dürfen. Die Brautschau wäre der letzte Grund gewesen, der ihn dazu veranlasst hätte. Nein, der Sohn des Theodor Tribêc bat seine um einiges ältere Cousine um eine Überredung, da er auf seiner letzten Reise unglaubliche Erkenntnisse in familiärer Angelegenheit gewonnen hatte. Zufällig war dies just der Zeitpunkt gewesen, als dem eifrigen Tierforscher das Kleingeld ausgegangen war. So plante er, es Tsaida einiges kosten zu lassen, mit der Neuigkeit herauszurücken. Als man ihn schließlich zu ihr ließ, druckste er demgemäß herum, machte lediglich nebulöse Andeutungen und beantwortete gewissenhafte Fragen meist mit "das tut nichts zur Sache". Allein, der Handel war noch nie sein Ding gewesen und so verließ er zwar Tsaidas Zimmer mit einer Zusage, dass diese seine nächste Reise monetär unterstützen würde, aber auch mit der Auflage, sich selbst auf der Brautschau der Vistellis einzufinden.

Die Brautschau

Am Abend des 1. Rondra 1030 BF fanden sich nun also alle Bewerber um die Hände der Zwillinge in Schloss Corello ein, das Baron Irion von Streitebeck für die nicht unbedeutende Brautschau zur Verfügung gestellt hatte.
Allerhand Adlige aus vielen Ländern waren gekommen, um dem Ereignis beizuwohnen und auch, um in die Familie Vistelli einzuheiraten und schließlich, um einwirken zu können auf die Wahl des zukünftigen Bomeder Grafen. Der Sewamunder Adel war natürlich zahlreich vorhanden. Selbst Horasio della Pena, frisch aus Grangorer Haft entlassen, war anwesend – für die Grafenwahl zu Bomed sein eigener Kandidat. Was die Ambitionen der Tribêc anging, so war Bernardo in einem kurzen Gespräch in das Geheimnis der Armbinde eingewiesen worden. Er konnte sich also darauf verlassen, zumindest in den Teilnehmern mit Armbinde keine Konkurrenten zu sehen.
Teil des ersten Abends war zuvörderst die Vorstellung der Bewerber. Missmutig musste Bernardo von Rahjane vom Stuhl gezogen werden, um sich ebenfalls vorzustellen.
Der auf die Vorstellung folgende Tanz zeigte, dass Bernardo selten einmal wie die übrigen Adligen mit höfischem Tanz und vornehmen Gepflogenheiten Umgang hatte. Rahjane hingegen war gerade bei den anwesenden Maraskanern eine hoch begehrte Tanzpartnerin.
Am nächsten Tag trat Rahjane an Bernardo mit dem Wunsch heran, ihm zu zeigen, wie man besser tanzen könne. Und so verbrachte der Tierkundler den Vormittag damit, mit seiner Großcousine zu tanzen und sich wieder und wieder anhören zu müssen, wie ungeschickt er sich anstellte. Er ersparte sich jeden Kommentar über Rahjane, dieses naive, junge Täubchen, das kaum etwas von der Faszination der Welt außerhalb Grangoriens zu wissen schien und sich nicht im Mindesten für die exotischen Tiere der Gedankenwelt eines Bernardo Tribêc interessierte. Einmal mehr kam er sich nicht wie ein Mitglied der Familie Tribêc vor.
Zum Glück kam nach einiger Zeit ein Bote, um den sich Bernardo kümmerte. Allerdings war das, was er überbrachte, nicht so erfreulich, es war ein Drohbrief unbekannter Herkunft. Scheinbar unbekannter Herkunft, denn soviel wusste Bernardo bereits über die Sewamunder Gepflogenheiten, nämlich dass es kaum eine Schandtat gegen seine Familie gab, hinter der nicht die Familie Amarinto stand! Und so packte er das Schriftstück und machte sich geschwind auf in die Turmstraße, wo der Palazzo Amarinto stand. Wie sich dort aber nach einem kurzen und heftigen Wortwechsel herausstellte, waren die Amarinto ebenfalls Empfänger eines Drohschreibens geworden.
Woher diese Drohschreiben allerdings stammten, konnten weder die Amarinto, noch die Tribêc und auch keineswegs die Wiesen-Osthzweyg und di Piastinza, von denen man im Laufe des Tages ebenfalls erfuhr, dass sie entsprechende Schreiben erhalten hatten, herausfinden. Mit etwas flauem Gefühl in der Magengegend befanden sich also die beiden Tribêc-Kandidaten am Abend erneut im Schloss Corello ein.

Zu bestehen in Tugend und Herkunft

Dort warteten weitere Tests auf die Braut- und Bräutigamwerber. Zunächst wurde von den Kandidaten erwartet, ihre Tanzkünste unter Beweis zu stellen. Wenn der Maraskaner Bernardo, der vor ihm in der Reihe tanzte, nicht ständig angerempelt und auf die Füße getreten wäre, hätte es dem Tribêc sicher noch mal so viel Spaß gemacht.
Hernach wurden die Bewerber aus dem Raum gebeten, um daraufhin einzeln getestet zu werden. Nach und nach gingen sie hinein. Die draußen Verbliebenen rätselten darüber, welche Art Test man sich würde unterziehen müssen.
Bernardo wurde auf seinen Umgang mit Lobhudelei getestet. Die Fragen und Zurufe an ihn kamen ihm dabei mitunter seltsam vor. Er musste richtig stellen, nicht der Kapitän, sondern nur der erste Offizier der Cusimo zu sein. Auch aufregende Schlachten zur See habe er noch nicht erlebt und trachte auch nicht danach.
Nachdem schon viele Bewerber im Laufe des Abends einzeln hereingerufen worden waren, nahm Horasio della Pena Rahjane mit an das Fenster des Ganges und deutete mit imposanter Geste hinaus ins trübe Regenwetter: "Seht ihr da drüben, den Lichtstrahl? Da liegt Bomed. Dorthin kann ich euch mitnehmen." – Rahjane konnte weder einen Lichtstrahl noch Bomed sehen: "Oh, das ist aber weit weg."
Bald standen nur noch drei Kandidaten im Flur. Der Baron von Bethana fragte nach den Armbinden. Tilfur della Trezzi wich der Frage aus und erklärte, es sei eine Metapher, woraufhin Ralhion Croenar spöttisch bemerkte: "Wohl etwas aus der Lilienzucht?" Darauf antwortete Tilfur schlagfertig: "Man kann es durchaus mit der Lilienzucht vergleichen, da es darum geht, die beste Lilie zum Erblühen zu bringen."
Als Tsaida später von den Prüfungen erfuhr, war sie erschüttert aber wenig überrascht, dass Rahjane, als sie nach der Armbinde gefragt wurde, jenes Gespräch zu ernst genommen hatte und allen Anwesenden erklärte, dass eine Metapher ein Begriff aus der Lilienzucht sei.
Die Prüfung, die Rahjane aber zunächst zugedacht war, sah der ähnlich, die ihr Großcousin erfuhr. Mitunter wurde das junge Mitglied der Familie Tribêc von den Anwesenden als entzückend bezeichnet, man versuchte ihr, nach allen Regeln der Kunst zu schmeicheln. Ein Söldnerführer fiel sogar vor ihr auf die Knie und gestand, sein Herz an sie verloren zu haben. Das zeigte durchaus Wirkung bei Rahjane, fühlte sie sich doch von manch süßem Wort geschmeichelt, aber auch bestürzt über das barsche Auftreten des Cavalliere Lorenzo d'Isterna, aber sie ließ sich dennoch nicht beirren.
Nachdem auch der letzte Bewerber getestet worden war, wurden alle Kandidaten dazu aufgerufen, sich im Saal zu sammeln. Rasch wurden die benötigten Regeln der nun folgenden Prüfung erklärt: es gab drei Felder, die man aufsuchen sollte, je nachdem, welche der drei Antworten der folgenden Frage man auswählte. Nur Einzelne, deren Wahl der Antwort sehr von der der Anderen abwich, wurden von den Juroren gebeten, diese näher zu erläutern.
Doch waren es nach diesem Spielchen noch nicht genug der Fragen. So wurden alle Bewerber abschließend nacheinander in die Mitte des Saales gebeten und das Publikum wurde aufgefordert, ihnen Fragen aller Arten zu stellen. Fasste sich Bernardo hier in wenige präzise Worte, so ließen die tändelnden Antworten Rahjanes ohne weiteres auf ihr vielmehr heiteres Gemüt schließen.
Zu letzt waren die Kandidaten, welche durch eine Präsentation ihrer Künste noch einmal versuchen wollten, die Zwillinge für sich zu begeistern, angehalten, ihr Können zu präsentieren.

Die Wahl der Zwillinge und die Entscheidung des Gremiums

Im Anschluss hieran war es an der Zeit, die Wahl der Zwillinge zu vernehmen. Beschwingt schritt Rahjane zu ihrem baldigen Gemahl, als ihr Name aufgerufen wurde, und setzte sich zu Orban. Als Alissa Vistelli den Namen ihres Auserwählten bekannt gab, waren Rahjane und später auch die übrigen Tribêcs sehr erstaunt, da sie doch tatsächlich Bernardo an ihre Seite holte.
Hochwürden Menoscript vollzog den Traviabund der vier – mehr oder weniger – Glücklichen.
Doch nun kam das zweite Großereignis des Abends auf die frisch Vermählten zu. Das Gremium entschied, welcher der Zwillinge nun die klügere Wahl des Ehegatten getroffen hatte. Stimmten der Geweihte der Travia und Comtessa Viviona ya Pirras, die Gesandte Aldares, für die junge Rahjane, befanden die Rondrageweihte und Gerodan Vistelli Bernardo für würdiger. Entscheidend wurde also die Stimme des Comto Raphaelo di Walsi-Korninger, des Gesandten Timors, der mit seiner Entscheidung für Rahjane Tribêc ein endgültiges Urteil fällte.
Doch war dies nicht die letzte Wendung des Abends.

Der Bettler, der keiner war

Schon am Abend zuvor hatte Orsino "der Schlaue", ein Bettler, die Aufmerksamkeit der Anwesenden nicht nur durch seinen unangenehmen Geruch auf sich gezogen. Doch statt die adelige Gesellschaft zu verlassen, erdreistete er sich sogar, unterstützt von Ritter Florien zu Branenbach zu Braunenbrück, seinen Namen auf die Liste der Bewerber zu setzen.
Was keiner der Anderen aufgrund des scheußlichen Geruches Orsinos erwarten konnte, war, dass sich ein ganz anderer unter der dreckigen Kutte, die tief ins Gesicht gezogen war, verbarg.
Just in dem Momente, als es beschlossene Sache war, dass Orban und Rahjane Vistelli die Erben sein sollten, warf Orsino seine Lumpen ab. Vor zahlreichen staunenden Augen stand Herzog Cusimo von Grangor. Sogleich schritt er auf Rahjane zu und befragte sie vor allen Anwesenden, wen sie nun zum Grafen von Bomed bestimmen wolle. Unbeirrt von jeglichen Versuchen, ihr die Entscheidung für Josmina von Bregelsaum oder Horasio della Pena abzuringen, welche sie ohne Zweifel in der ganzen Aufregung schon längst wieder vergessen hatte, nannte Rahjane gemäß den Anweisungen ihrer Mutter Rimon Sâl als Nachfolger der verstorbenen Gräfin Alwene von Oberfels-Phecadien.
Seinen Ausgang nahm das Fest nach weiteren Tänzen. Nicolo Faellan di Onerdi tanzte mit Rahjane, als Orban seine Hochwürden Menoscript nach draußen geleitete und nicht mehr zurückkam.
Der jungen Dame bereiteten die ganzen Festlichkeiten viel Vergnügen, gehört Tanz doch zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Bernardo hingegen schlug seiner Angetrauten, die ganz enttäuscht darüber schien, nicht die Titel geerbt zu haben, vor, sie doch mit auf seine nächste Fahrt gen Süden zu nehmen.

Die Brautschau war vorbei, die Grafenfrage zu Bomed aber noch nicht lange geklärt. Der Landtag musste noch die Entscheidung darüber fällen. Weiterhin gab es immer noch einen gewissen Horasio della Pena und eine gewisse Josmina von Bregelsaum, die nach der Brautschau nicht von der Bühne verschwunden waren. Und war es nicht eine Vistelli gewesen, die vor Alwene von Oberfels-Phecadien Gräfin zu Bomed war?

Gero Ebling mit Dank an Petra Scherer für eifrige Schreibarbeit und an Felix Füzi und Armin Bundt für Hintergrundinformationen.