Briefspiel:Roter Mann/Vorspiel

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Sheniloneu3k klein.png Briefspiel in Shenilo Sheniloneu3k klein.png
Datiert auf: Phex 1038 BF Schauplatz: Shenilo und die Ponterra Entstehungszeitraum: ab März 2016
Protagonisten: der Rote Mann, Horasio Madarin ya Papilio, Francidio di Côntris, Dozmano Kaltrek, Ingalfa Dalidion, Ilsandor von Hauerndes, Geronya , Kvalor und Valeran Menaris, Sulman Schattenfels und weitere Autoren/Beteiligte: Athanasius, Calven, Di Côntris, Gishtan re Kust, Randulfio
Zyklus: Übersicht · Vorspiel · Resident und Vogt · Horasios Vademecum · Horasios Verschwinden · Auf der Spur des Roten Mannes · Brand im Kloster Helas Ruh · Erste Entdeckungen · Kriegsrat · Totgeglaubte · Magokrat und Dorén-Halle · Am seidenen Faden · Epilog



Die Briefspielgeschichte Vorspiel behandelt einige Vorgänge im Umfeld der Geschehnisse um den Roten Mann auf der Burg Fuldigorsfeste, dem Eulenturm von Solstono und in Shenilo. Darin machen drei Sheniloer Magier auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlichem Ergebnis die Bekanntschaft des mächtigen Magokraten.

Burg Fuldigorsfeste, Wanka, Peraine 1035 BF

Valeran Menaris hustete und ging zum Fenster hinüber. Die Luft in seinem Zimmer hatte abgestanden gewirkt, als er an diesem Morgen aufgewacht war. Noch abgestandener, als noch am Abend, fand der Magister aus Shenilo. So abgestanden, als wäre hier seit Jahren kein Fenster mehr geöffnet worden. Die Burg war alt, nach allem was er wusste, älter als die Domäne, vermutlich auch älter als das Königreich am Yaquir. Aber unbewohnt war sie nicht.
Valeran Menaris nahm einen tiefen Luftzug und räusperte sich. Frische konnte er aber beim besten Willen nicht verspüren, auf seinen Lippen und seiner Zunge blieb der gleiche trockene, schale Geschmack zurück, der ihn seit dem Aufwachen begleitete; der ihn eigentlich seit seiner Ankunft in Wanka begleitete. Mit gerunzelter Stirn nahm er sein Vademecum zur Hand und blätterte – zum wiederholten Male – durch die Aufzeichnungen vom Vortag.
„Schauergeschichten und Bauernängste“ war Valerans erste Reaktion gewesen, als ihn der Gransignore Leomar hinauf zur Fuldigorsfeste gesandt hatte, um die Vorkommnisse bei der Totenprozession vor einigen Tagen zu untersuchen. Erst vor einigen Monden war es dort zu Übergriffen einer Schwarzkünstlerin gekommen, Menschen waren zu Schaden, ja zu Tode gekommen. Es wunderte daher kaum, dass es auch jetzt wieder Gerede von schwarzer Magie und Angriffen aus dem Grabe gab, weil ein kränklicher Adliger in einen Brunnen gefallen war und ein paar Hinterwäldler obskure Träume hatten. Natürlich machten nun alle einander gegenseitig verrückt und das Blatt, das sich Valeran seit einigen Götterläufen beharrlich weigerte, mit dem Namen der Herrin der Weisheit in Verbindung zu bringen, hat sein Übriges indem es von einer „Tragödie bei der Heldenprozession“ berichtete und allen nur noch mehr Angst machte. Was Valeran dann aber in Wanka und vor allem der Fuldigorsfeste vorfand, war alles andere als leicht erklärbar gewesen. Nach den Berichten, die nach Shenilo gelangt waren, hatte er noch geglaubt, man könne die Todesfälle einzeln sehr gut erklären. Nur einfältige Gemüter sahen Verbindungen, wo keine waren, und übersahen die offensichtlichsten Gründe für einen Todesfall, wenn man sie auch mit Aberglauben und Furchtsamkeit erklären konnte. Wenn aber Leute, die erklärtermaßen seit Jahren keinen Tropfen Wein angerührt hatten in einem Weinfass ertranken, dann kam auch der nüchterne Valeran ins Grübeln. Und wenn Männer von guter Gesundheit und wachem Geist plötzlich in einem Teich von der tiefe einer Brackwasserpfütze ertranken, dann ging etwas nicht mit rechten Dingen zu.
Dabei war es aber nicht geblieben. Die Feuchtwiesen waren nicht länger feucht. In einem Gebiet, das seit Jahrhunderten, soweit er wusste, für Mückenplagen und Krötengequake gestanden hatte, brach die Erde auf, wie in der Kabashpforte am Rande der Khôm, wo die Wüstenwinde das Land austrockneten.
Und über allem lag dieser muffige, abgestandene Geruch in der Luft. Als hätte Tsa dieser Region für ein paar Tage den Rücken zugewandt und ihren lebensspendenden Atem stattdessen woanders hingeblasen.
Es klopfte an der Tür. Valeran strich seine Robe glatt und wandte sich um, wartete dann aber einen Augenblick. Er war konzentriert. Aber in seiner Zeit in Kuslik hatte er gelernt, dass es niemals gut war, wenn der Andere den Eindruck gewann, man habe nur auf seine Ankunft gewartet.
„Herein“, sagte er darum, ohne sein Vademecum zur Seite zu legen. Zögerlich wurde die Tür geöffnet und die Haushofmeisterin der Fuldigorsfeste stand dort. In ihrem Gesicht las Valeran die Unsicherheit, die einer Frau ihres Status recht zu Gesichte stand, wenn sie einem Magister und Patrizier des Reiches gegenüberstand. Vor allem dann, wenn man sich so närrisch angestellt hatte, wie es die Frau getan hatte. „Entschuldigt, Magister, aber der Mann, den Ihr zu sehen wünschtet, wäre jetzt da.“
Nach all diesen Ereignissen der letzten Tage, nach all den Todesfällen, zumal solchen, die sich in den Mauern der Feste selbst abgespielt hatten, hatte Gorrada Altmeister offenbar nichts Besonderes dabei gesehen, dass genau in dieser Zeit ein Neuankömmling in der Burg Aufnahme gesucht hatte. Niemand schien den Neuankömmling zu kennen, niemand wusste gar seinen Namen und wenn Valerans Informationen zutrafen, dann hatte er sogar ohne Bekleidung vor den Toren der Feste gestanden und um Einlass gebeten. Und dennoch hatte niemand daran etwas gefunden, nicht einmal die Haushofmeisterin, nicht genug damit, man hatte dem Man sogar ein Zimmer in der Burg, Kleidung und Nahrung zur Verfügung gestellt.
Natürlich hatte Valeran sofort mit dem Mann zu sprechen verlangt. Allerdings ging der Mann offenbar ein und aus, wie es ihm beliebte, also hatte Valeran gebeten, nein, angeordnet, ihn sofort nach seiner Rückkehr zu ihm zu bringen.
„Nur herein.“
Valeran blieb sitzen und wartete ab, während Gorrada beiseite trat und einem bärtigen Mann den Zugang zu Valerans Zimmer ermöglichte.
Der Mann war in die einfache Kleidung eines Knechts gekleidet, hatte jedoch die Körperhaltung eines Herrn. Sein Alter war schwer zu schätzen, er mochte halb so alt wie der Magister selbst sein, allerdings zeigten seine Schläfen und sein Bart stahlgraue Strähnen. Sein Verhalten erinnerte dabei zunächst an das eines sehr viel jüngeren Mannes. Er maß den Raum mit wacher Neugier eines Mannes, der noch nie ein Turmzimmer von Innen gesehen hatte, blieb dann aber rasch bei Valeran selbst hängen. Ein kurzes Stirnrunzeln, ein intensiver Blick, dann erschien ein Lächeln auf der Miene des Mannes. In seinen Augen lag allerdings nichts Jugendliches. Valeran räusperte sich in plötzlichem Unbehagen.
„Mein Name ist Valeran, aus dem Hause Menaris. Magister und amtierender oberster Magier des Sheniloer Bundes. Mit wem habe ich die Ehre?“
Der Mann lächelte schief. In diesem Fall bedeutete das nicht, dass er nur einen Mundwinkel hob, sondern dass das Lächeln an den Lippen erkennbar war, aber die sonstigen Gesichtszüge nicht veränderte. Die Augen lächelten nicht.
„Erkennt Ihr mich denn nicht, Verwandter?“
Valerans Stirnrunzeln wurde deutlicher.
„Für derlei Dinge habe ich keine Zeit. Wie wollt Ihr mit mir verwandt sein?“
Der Mann antwortete nicht, sondern blickte Valeran nur unverwandt an. Valerans Miene verfinsterte sich. Er blickte zur Haushofmeisterin hinüber, die nur unruhig von einem Fuß auf den anderen trat.
„Nun, wenn Ihr schweigt werde ich wohl nachsehen müssen.“ Valeran hatte Vollmacht und hatte um Auskunft gebeten. Er zögerte nicht, sondern sprach die Formel. Was er sah, gefiel ihm nicht. Vom Kopf des Mannes ging eindeutig ein rötlicher Schimmer aus. Ein starker rötlicher Schimmer. Und über dem Rot lag ein farbloser Schleier, der sich zusehends verflüchtigte, der aber unverkennbar da war.
„Meisterin Gorrada, dieser Mann verfügt über arkane Fähigkeiten. Ihr solltet Unterstützung holen. Bewaffnete Unterstützung.“ Die Angesprochene zögerte doch tatsächlich und blickte den Bärtigen an. Dieser lächelte nur weiter sein Lächeln. „Los, Frau, geht!“ Nun endlich gehorchte die Närrin.
„Wollt Ihr mir Euer Geheimnis nicht verraten, Signore. Ich bin in Kuslik und Elenvina ausgebildet worden, ich finde es auch ohne Eure Unterstützung heraus.“ Der Mann schien nicht ausreichend beeindruckt. Stattdessen breitete er nur die Arme aus, in einer Geste, die halb nach Achselzucken und halb nach Einladung aussah.
Jetzt erhob sich der Magister wütend. Mit Geste und Formel drang er in den Geist seines Gegenübers ein. Schlüpfte an belanglosen Gedanken vorbei, überwand flüchtige Bewusstseinsfetzen und griff mit unsichtbaren Fingern nach Anzeichen einer Identität.
Valeran griff mit einer Hand hastig nach der Stuhllehne, um nicht zu stolpern, mit der anderen fasste er sich an die Schläfe. Mit einem Mal war da ein Ton in seinem Kopf, ein lautes Fiepen.
Er hatte einmal, in seiner Jugend, in einem anatomischen Kurs eines unsäglichen Magisters aus Vinsalt mit einem scharfen Messer ein Ferkel aufgeschnitten, das noch gelebt hatte. Der Mann war danach der Schule verwiesen worden, als die Menaris seine Praktiken zur Anklage vor der Spektabilität gebracht hatten. Valeran hatte damals die Erklärungen des Anatomen durchaus nachvollzogen. Aber das Geschrei des Ferkels, das hatte ihn nicht mehr losgelassen.
Das Geräusch, das jetzt hinter seinen Schläfen wütete, war schlimmer. Tausend Mal schlimmer. Wie durch einen Schleier blickte Valeran Menaris nach oben, um sich zu vergewissern, dass der Mann immer noch dort stand. Der Bärtige stand dort und lächelte.
Eine Zeit später, Valeran wusste später nicht, wie lange es dauerte, betraten Gorrada Altmeister und zwei mit Säbel und Pike bewaffnete Büttel das Zimmer. Valeran empfing sie, nun selbst lächelnd. „Kein Grund zur Sorge, meine guten Herren. Ich habe mich wie ein närrisches Weib verhalten.“ Er wies mit ausgestreckter Hand auf den Mann, der mittlerweile neben ihm am Schreibtisch saß. „Ich hatte ihn zunächst nicht erkannt. Darf Euch meinen Verwandten vorstellen, der nach vielen Jahren zu uns zurückgekehrt ist?“

Der Eulenturm von Solstono, Travia 1037 BF

„Heureka!“ Mit Triumphgeheul riss Cyrene Arkenstab das zerfledderte Buch aus den Tiefen einer wurmstichigen Kiste. Gleich darauf war sie froh, dass in dem alten Gemäuer niemad außer ihr wohnte, der ihren Gefühlsausbruch mit ansehen konnte. Allerdings schien ihr Triumph ihr, in Anbetracht der Umstände, durchaus gerechtfertigt.
Es war nämlich schier ein Wunder, dass noch etwas von Inezans Schriften im Eulenturm verblieben war. Bedachte man nicht nur, welch schlechte Erfahrungen die Schwarzenstamms grundsätzlich mit Magiern gemacht hatten – man denke nur an den finsteren Rahjados –, sondern vor allem mit diesem unrühmlichen Exemplar eines Collega, so hätte es Cyrene nicht überrascht, wenn Signore Teucras oder einer seiner Vorgänger längst alle Schriften des Alchemisten aus dem Eulenturm verbannt hätten.
Und nun lag vor ihr, an was sie sich von ihren Jahre zurückliegenden Untersuchungen des Eulenturms noch erinnert hatte, Inezans Abhandlung zur „Macht des Wassers“. Eine knappe und zudem irreführende Beschreibung für ein Buch von genauso knappem, und, zumindest aus Sicht eines Magiers, ebenso irreführendem Inhalt. Denn der Alchemist hatte nicht etwa elementartheoretische Ansichten und Einsichten oder besondere Rezepturen in seinem Bändchen versteckt, sondern Erkenntnisse aus einigen Jahren der Reise. Dabei berichtete er nicht nur – in Länge und Breite – über die Müllerkunst der Bosparaner, Garether und Horasier, sondern auch über verschiedene Arten der Brunnenbohrung und der Wassergewinnung, wie er sie offenbar im Land der Ersten Sonne und der Wüste Khôm vorgefunden hatte.
Von ihm stammte, wenn Cyrene sich recht erinnerte, auch die Vermutung, der Eulenturm sei dereinst vielleicht eine Mühle gewesen, bevor er zum mysteriösen Magierdomizil umfunktioniert worden war.
Alles in Allem für sie ein recht langweiliges Buch – eine Ansicht, die auch ein gelehrter Geist zu treffen imstande war – aber für ihren heutigen Besucher hoffentlich das richtige. Eigentlich war sie recht zuversichtlich, denn seine Faszination für das Wasser war unverkennbar. Auch das war eigentlich ein Wunder, bedachte man, welche Bilder seine Träume ihm brachten. Bilder der Gefangenschaft, Bilder des Gebundenseins, Bilder des Ertrinkens.
Aber dennoch schien ihn der Anblick von Wasser immer zu beruhigen. Er hatte sich schon erkennbar für den bei Solstono bereits fertiggestellten Teil des Kaiserkanals interessiert und das einzige Mal, dass sie ihn wirklich ruhig erlebt hatte war, als sie beide einmal an den Ufern des Yaquirs entlang geschritten waren. Einmal hatte er gesagt, hier fühle es sich „vertraut“ an. Ein eigentümlicher Satz. Aber wie sollte es, nach allem was war, auch anders sein?
Sie lächelte und legte das Buch fein säuberlich auf den Tisch, neben dem bereits ein Hocker und ein Sessel darauf warteten, dass sich jemand darauf niederließ. Sie hatte nur einen Sessel, aber nachdem sie vor einiger Zeit festgestellt hatte, dass ihr Besucher keinen Wert auf besonderen Komfort zu legen schien und sie selbst ihre Knochen nach einigen Stunden des Gesprächs durchaus spürte, hatte sie sich selbst den Sessel hingestellt, während er mit dem Hocker Vorlieb nahm. Sie griff nach einem Feuerholz und hatte die dicke, weiße Kerze bereits zur Hand genommen, als sie ein Gedanke innehalten ließ. In seinen letzten Träumen hatte er von einem Brand geredet, einem Brand der Mitglieder seiner Familie den Tod gebracht hatte. Cyrene hatte den Geruch des Feuers noch immer in der Nase, sie war damals selbst im Institut gewesen, hatte unterrichtet. Und in seinen Träumen hatte er selbst das Feuer gelegt. Sie erinnerte sich noch daran, wie ihn diese Erzählung mitgenommen hatte, den zweifachen Schmerz, den er verspürte, den Schmerz des Verlustes und den des Verrates. Er hatte sich von seinem Bruder nicht im Guten getrennt und ein Teil von ihm hatte seinen Verlust darum nicht bedauert, sondern vielleicht gar begrüßt. Und ein anderer Teil fühlte sich darum schuldig. Aber wie sollte es, nach allem was war, auch anders sein?
Also blieb die Kerze aus, Cyrene holte stattdessen eine Öllampe herbei und ging dann in ihre Kammer, um den einfachen braunen Arbeitskittel gegen eine echte Robe auszutauschen. Sie durchsuchte ihre Kleiderkiste und dann den massiven hölzernen Schrank, den noch einer der Diener von Magister Marwolaeth ihr hier hineingetragen hatte. Danach lag ein halbes Dutzend schwarzer Roben und Magiergewänder auf ihrem Bett. Heute schien ihr das alles nicht das richtige zu sein. Erst als sie ein Gewand fand, dass sie seit Jahren nicht mehr getragen hatte und sich vergewissert hatte, dass die Tiere es noch nicht gefunden hatten, war sie zufrieden. Ein langes, aber gut geschnittenes Gewand, das ohne den Lampenschein fast schwarz wirkte, seine kräftige grüne Farbe aber in der Stube entfalten konnte. Ein Lächeln spielte um ihre schmalen Wangen, als es an der Tür zum Eulenturm klopfte.
Als der Mann, der Kvalor Menaris war, eintrat, hatte er zum ersten Mal, seit sie ihn kannte keine grün-goldene Robe an, sondern war ganz in Rot gekleidet. Aber wie sollte es, nach allem was war, auch anders sein?

Studiora in Shenilo, 1037 BF

wird noch geschrieben


Die Geschichte wird hier fortgeführt: Resident und Vogt