Briefspiel:Rückkehr zu einer praiosgefälligen Ordnung: Unterschied zwischen den Versionen
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Nachdenklich legte [[Amelthona d'Illumnesto]] einen der letzten Berichte zur Seite. Als habe sie in den letzten Tagen nicht genug davon gelesen, harrten immer noch weitere Horden an Papierstapeln auf die jüngst ernannte [[Protektor von Sewamund|Protektorin Sewakiens]] und damit derzeitige Regentin der [[Baronie Sewamund]]. [[Irion von Streitebeck]] war seines Amtes enthoben worden, hatte sich angeblich gar selbst dazu entschieden, den Titel des [[Baron von Sewamund|Barons von Sewamund]] abzulegen. Doch hatte es Comto [[Cusimo Garlischgrötz]], der [[Herzog von Grangor|Herzog Grangoriens]] und damit der Lehnsherr des Barons oder der Baronin von Sewamund, nicht eilig, sofort eine Entscheidung über dessen Nachfolge zu treffen. Kurzerhand hatte er sie, Amelthona d’Illumnesto, zur Protektorin ernannt und ihr die Regierungsaufgaben übertragen, bis ein neuer Baron, eine neue Baronin gefunden wurde. | Nachdenklich legte [[Amelthona d'Illumnesto]] einen der letzten Berichte zur Seite. Als habe sie in den letzten Tagen nicht genug davon gelesen, harrten immer noch weitere Horden an Papierstapeln auf die jüngst ernannte [[Protektor von Sewamund|Protektorin Sewakiens]] und damit derzeitige Regentin der [[Baronie Sewamund]]. [[Irion von Streitebeck]] war seines Amtes enthoben worden, hatte sich angeblich gar selbst dazu entschieden, den Titel des [[Baron von Sewamund|Barons von Sewamund]] abzulegen. Doch hatte es Comto [[Cusimo Garlischgrötz]], der [[Herzog von Grangor|Herzog Grangoriens]] und damit der Lehnsherr des Barons oder der Baronin von Sewamund, nicht eilig, sofort eine Entscheidung über dessen Nachfolge zu treffen. Kurzerhand hatte er sie, Amelthona d’Illumnesto, zur Protektorin ernannt und ihr die Regierungsaufgaben übertragen, bis ein neuer Baron, eine neue Baronin gefunden wurde. | ||
| − | Ihre Erfahrungen und ihr guter Ruf als [[Kronvogtei Talante|Kronvögtin Talantes] hatten sicherlich ebenso dazu beigetragen, wie ihre Neutralität. Das [[Haus d'Illumnesto]] war mit keiner der Patrizierfamilien [[Sewamund]]s oder der Baronie zu eng verbunden, dass es zu etwaigen Loyalitätskonflikten kommen würde. Sie war also faktisch wirklich nur dem Herzog rechenschaftspflichtig - das war sowohl Fluch, wie auch Segen, befand sie sich doch ganz in der Hand des Comtos. | + | Ihre Erfahrungen und ihr guter Ruf als [[Kronvogtei Talante|Kronvögtin Talantes]] hatten sicherlich ebenso dazu beigetragen, wie ihre Neutralität. Das [[Haus d'Illumnesto]] war mit keiner der Patrizierfamilien [[Sewamund]]s oder der Baronie zu eng verbunden, dass es zu etwaigen Loyalitätskonflikten kommen würde. Sie war also faktisch wirklich nur dem Herzog rechenschaftspflichtig - das war sowohl Fluch, wie auch Segen, befand sie sich doch ganz in der Hand des Comtos. |
Sofort nach dieser Ernennung, die erstaunlich stillschweigend vorübergegangen war, war sie mit ihren Söhnen [[Solvolio d'Illumnesto|Solvolio]] und [[Aldigon d'Illumnesto|Aldigon]] in das Schloss Sewadâl aufgebrochen, dies war das Jagdschloss der Barone von Sewamund und nun temporär ihre Residenz als Protektorin. Das [[Schloss Corello]] sollte nach dem Willen des Herzogs in den Besitz der Stadt übergehen, eine neue Residenz für den neuen Baron oder die neue Baronin war noch nicht bestimmt. Daher war es nötig, fürs Erste sämtliche Akten und Archive des Barons aus dem Schloss Corello in das Schloss Sewadâl zu überführen. Überführen zu lassen - dafür bediente sich die neue Protektorin des verbliebenen Beamtenapparats Irion von Streitebecks, jene Sekretäre und Höflinge, die nicht mit ihm nach Almada abgereist, geflohen oder entlassen worden waren. | Sofort nach dieser Ernennung, die erstaunlich stillschweigend vorübergegangen war, war sie mit ihren Söhnen [[Solvolio d'Illumnesto|Solvolio]] und [[Aldigon d'Illumnesto|Aldigon]] in das Schloss Sewadâl aufgebrochen, dies war das Jagdschloss der Barone von Sewamund und nun temporär ihre Residenz als Protektorin. Das [[Schloss Corello]] sollte nach dem Willen des Herzogs in den Besitz der Stadt übergehen, eine neue Residenz für den neuen Baron oder die neue Baronin war noch nicht bestimmt. Daher war es nötig, fürs Erste sämtliche Akten und Archive des Barons aus dem Schloss Corello in das Schloss Sewadâl zu überführen. Überführen zu lassen - dafür bediente sich die neue Protektorin des verbliebenen Beamtenapparats Irion von Streitebecks, jene Sekretäre und Höflinge, die nicht mit ihm nach Almada abgereist, geflohen oder entlassen worden waren. | ||
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Amelthona machte sich keine Illusionen, dazu war sie zu sehr politische Realistin, sie und ihre Familie waren natürlich keine Option für die sewamunder Baronskrone. Ihre Aufgabe war es allein, die Baronie Sewamund und die Sewaklande aufzuräumen, zu sichern und bereit zu halten für den kommenden Baron, die kommende Baronin. Eine erste Depesche verließ Sewadâl in Richtung [[Talante]] mit Anweisungen an ihre Tochter [[Gylduria d'Illumnesto|Gylduria]], in der kommenden Zeit als Cancellaria die Kronvogtei zu verwalten, ihr aber unbedingt in allem Bericht zu erstatten. | Amelthona machte sich keine Illusionen, dazu war sie zu sehr politische Realistin, sie und ihre Familie waren natürlich keine Option für die sewamunder Baronskrone. Ihre Aufgabe war es allein, die Baronie Sewamund und die Sewaklande aufzuräumen, zu sichern und bereit zu halten für den kommenden Baron, die kommende Baronin. Eine erste Depesche verließ Sewadâl in Richtung [[Talante]] mit Anweisungen an ihre Tochter [[Gylduria d'Illumnesto|Gylduria]], in der kommenden Zeit als Cancellaria die Kronvogtei zu verwalten, ihr aber unbedingt in allem Bericht zu erstatten. | ||
| − | Ihre erste Amtshandlung als Protektorin war es - nachdem sie die Zimmer bezogen hatten - die wichtigsten noch verbliebenen Amtsträger Irion von Streitebecks zu sich rufen zu lassen. Einige hatten bereits ihren Abschied auf die eine oder andere Weise eingereicht, darunter der Bannerherr, die Landrichterin und der Delegierte im Kronkonvent, alle drei Verwandte des Streitebeckers. Die verbliebenen Amtsträger informierte Amelthona über die aktuellen Entwicklungen. Die Bergvögtin [[Alwene von Wiesen-Osthzweyg]] war schon seit Jahren erkrankt und hatte ihr würdiges Amt von der | + | Ihre erste Amtshandlung als Protektorin war es - nachdem sie die Zimmer bezogen hatten - die wichtigsten noch verbliebenen Amtsträger Irion von Streitebecks zu sich rufen zu lassen. Einige hatten bereits ihren Abschied auf die eine oder andere Weise eingereicht, darunter der Bannerherr, die Landrichterin und der Delegierte im Kronkonvent, alle drei Verwandte des Streitebeckers. Die verbliebenen Amtsträger informierte Amelthona über die aktuellen Entwicklungen. Die Bergvögtin [[Alwene von Wiesen-Osthzweyg]] war schon seit Jahren erkrankt und hatte ihr würdiges Amt von der Jagdmeisterin [[Ardare von Wiesen-Osthzweyg]] in Vertretung ausüben lassen. |
''"Seid versichert, dass niemand etwas zu befürchten hat."'' erklärte die Kronvögtin, nein, Protektorin mit ruhiger Stimme, während sie ihren Blick schweifen ließ. ''"Sowohl ich als derzeitige Regentin als auch der mit Sicherheit nachfolgende neue Baron respektive die neue Baronin benötigen informiertes und gut eingearbeitetes Personal."'' Sie heftete ihren Blick auf eine ältliche Frau, die Leitende Archivarin. ''"Unsere erste Aufgabe wird es sein, alle möglichen Berichte zu sichten und den organisatorischen und finanziellen Zustand der Baronie zu erheben."'' Sie runzelte die Stirn. ''"Das wird keine leichte Aufgabe, aber ich vertraue darauf, dass jeder von Euch tatkräftig dabei mitwirkt, die praiosgefällige Ordnung wiederherzustellen, damit wir perainegefällig helfen können."'' Sie dachte an die Sturmflut, die die Grangorer Bucht und damit auch die Landstadt Sewamund heimgesucht hatte - und die beinahe auch ihr Leben und das ihres Sohnes Solvolio gekostet hatte. | ''"Seid versichert, dass niemand etwas zu befürchten hat."'' erklärte die Kronvögtin, nein, Protektorin mit ruhiger Stimme, während sie ihren Blick schweifen ließ. ''"Sowohl ich als derzeitige Regentin als auch der mit Sicherheit nachfolgende neue Baron respektive die neue Baronin benötigen informiertes und gut eingearbeitetes Personal."'' Sie heftete ihren Blick auf eine ältliche Frau, die Leitende Archivarin. ''"Unsere erste Aufgabe wird es sein, alle möglichen Berichte zu sichten und den organisatorischen und finanziellen Zustand der Baronie zu erheben."'' Sie runzelte die Stirn. ''"Das wird keine leichte Aufgabe, aber ich vertraue darauf, dass jeder von Euch tatkräftig dabei mitwirkt, die praiosgefällige Ordnung wiederherzustellen, damit wir perainegefällig helfen können."'' Sie dachte an die Sturmflut, die die Grangorer Bucht und damit auch die Landstadt Sewamund heimgesucht hatte - und die beinahe auch ihr Leben und das ihres Sohnes Solvolio gekostet hatte. | ||
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| + | ===[[Traviano Pirialdo]]=== | ||
| + | Das Licht der Nachmittagssonne legte sich über Schloss Sewadâl. Zwischen Stapeln von Schriftrollen und sauber geordneten Amtsbüchern saß Amelthona d’Illumnesto, Protektorin Sewakiens. | ||
| + | Ein Diener trat leise ein und kündigte an: | ||
| + | ''"Protektorin, Signor Traviano Pirialdo, Truchsess der Baronie Sewamund, ersucht um Gehör."'' | ||
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| + | ''"Lasst ihn eintreten"'', sprach Amelthona ruhig. | ||
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| + | Die Türflügel öffneten sich mit gedämpftem Knarren. Traviano Pirialdo trat ein wie ein Schauspieler, der seinen Auftritt kannte. Der lange Mantel aus dunkelblauem Stoff, das Haar perfekt gelegt, ein feines Parfum aus Belhanka in der Luft. Er verneigte sich tief, den linken Arm theatralisch über die Brust gelegt in einem Kusliker Hofknicks. | ||
| + | Dann hob er den Kopf, lächelte – und begann zu sprechen. | ||
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| + | ''"Signora, erlaubt mir, dass ich, ehe ich mich Euren sicherlich zahlreichen und weisen Fragen stelle, ein Wort an Euch richte. Denn ich wähne, die Zeit verlangt, dass man den Dingen ihre Form gibt – und Form, so lehrte mich einst mein Lehrmeister in [[Vinsalt]], ist nichts anderes als Wahrheit in schöner Kleidung. In den vergangenen Götterläufen hatte ich das Privileg, dem edlen Herrn Irion von Streitebeck als [[Truchsess]] zu dienen. Ich habe den Haushalt der Schlösser [[Schloss Corello|Corello]] und Sewadâl geführt, seine Vorräte verwaltet, seine Rechnungen geprüft, und – man verzeihe mir den Stolz – keinen einzigen Kreuzer in Unordnung geraten lassen. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen, sondern um zu unterstreichen: Auch in den dunkelsten Stunden blieb der Hof geordnet, weil jemand darüber wachte. Ich habe Baron Irion stets mit aller gebotenen Treue gedient – nicht als Parteigänger, sondern als Diener der Baronie. Ich bin kein Politiker. Ich bin, Signora, ein Diener der Ordnung, der Pflicht. Und wenn nun neue Hände das Zepter führen sollen, so wird meine Feder denselben Gehorsam zeigen wie zuvor. Es heißt, man müsse sich im Wind der Veränderungen biegen – ich sage, man muss aufrecht im Wind stehen, wenn man einen Hofstaat führen will. Ich habe dies stets getan, und ich stehe auch jetzt bereit, in welcher Funktion immer Ihr es für zweckdienlich erachtet: ob weiterhin als Truchsess der Baronie oder, wenn Ihr es wünscht, als Majordomus des Schlosses Corello, das ja künftig der Stadt Sewamund anheimfallen soll. Ihr seht, ich diene nicht einem Namen, ich diene der Ordnung – und derer, die sie zu hüten wissen."'' | ||
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| + | Er machte eine gemessene Pause, neigte leicht den Kopf und fuhr dann, mit einem feierlichen Ernst, fort: | ||
| + | ''"Ich bringe zudem Nachricht vom Hof Seiner Hoheit, des Herzogs von Grangor. Herzog Cusimo Garlischgrötz hat entschieden, dass die herzogliche [[Festung Ardenhain]] künftig dem neuen Baron oder der neuen Baronin Sewamunds zufallen soll – als Kompensation für das Schloss Corello, das auf Geheiß des Herzogs der Stadt übereignet wird."'' | ||
| + | Er schwieg, ließ die Hände sinken, und sein Blick suchte den der Protektorin, ruhig, aber von jenem leisen Glanz des Selbstbewusstseins durchzogen, der fast wie Hochmut wirkte. | ||
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[[Kategorie:Briefspiel in Sewamund|Rückkehr zu einer praiosgefälligen Ordnung]] | [[Kategorie:Briefspiel in Sewamund|Rückkehr zu einer praiosgefälligen Ordnung]] | ||
Aktuelle Version vom 31. Oktober 2025, 00:01 Uhr
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Bestandsaufnahme
Schloss Sewadâl, in der Baronie Sewamund, Boron 1046 BF
Nachdenklich legte Amelthona d'Illumnesto einen der letzten Berichte zur Seite. Als habe sie in den letzten Tagen nicht genug davon gelesen, harrten immer noch weitere Horden an Papierstapeln auf die jüngst ernannte Protektorin Sewakiens und damit derzeitige Regentin der Baronie Sewamund. Irion von Streitebeck war seines Amtes enthoben worden, hatte sich angeblich gar selbst dazu entschieden, den Titel des Barons von Sewamund abzulegen. Doch hatte es Comto Cusimo Garlischgrötz, der Herzog Grangoriens und damit der Lehnsherr des Barons oder der Baronin von Sewamund, nicht eilig, sofort eine Entscheidung über dessen Nachfolge zu treffen. Kurzerhand hatte er sie, Amelthona d’Illumnesto, zur Protektorin ernannt und ihr die Regierungsaufgaben übertragen, bis ein neuer Baron, eine neue Baronin gefunden wurde.
Ihre Erfahrungen und ihr guter Ruf als Kronvögtin Talantes hatten sicherlich ebenso dazu beigetragen, wie ihre Neutralität. Das Haus d'Illumnesto war mit keiner der Patrizierfamilien Sewamunds oder der Baronie zu eng verbunden, dass es zu etwaigen Loyalitätskonflikten kommen würde. Sie war also faktisch wirklich nur dem Herzog rechenschaftspflichtig - das war sowohl Fluch, wie auch Segen, befand sie sich doch ganz in der Hand des Comtos.
Sofort nach dieser Ernennung, die erstaunlich stillschweigend vorübergegangen war, war sie mit ihren Söhnen Solvolio und Aldigon in das Schloss Sewadâl aufgebrochen, dies war das Jagdschloss der Barone von Sewamund und nun temporär ihre Residenz als Protektorin. Das Schloss Corello sollte nach dem Willen des Herzogs in den Besitz der Stadt übergehen, eine neue Residenz für den neuen Baron oder die neue Baronin war noch nicht bestimmt. Daher war es nötig, fürs Erste sämtliche Akten und Archive des Barons aus dem Schloss Corello in das Schloss Sewadâl zu überführen. Überführen zu lassen - dafür bediente sich die neue Protektorin des verbliebenen Beamtenapparats Irion von Streitebecks, jene Sekretäre und Höflinge, die nicht mit ihm nach Almada abgereist, geflohen oder entlassen worden waren.
Amelthona machte sich keine Illusionen, dazu war sie zu sehr politische Realistin, sie und ihre Familie waren natürlich keine Option für die sewamunder Baronskrone. Ihre Aufgabe war es allein, die Baronie Sewamund und die Sewaklande aufzuräumen, zu sichern und bereit zu halten für den kommenden Baron, die kommende Baronin. Eine erste Depesche verließ Sewadâl in Richtung Talante mit Anweisungen an ihre Tochter Gylduria, in der kommenden Zeit als Cancellaria die Kronvogtei zu verwalten, ihr aber unbedingt in allem Bericht zu erstatten.
Ihre erste Amtshandlung als Protektorin war es - nachdem sie die Zimmer bezogen hatten - die wichtigsten noch verbliebenen Amtsträger Irion von Streitebecks zu sich rufen zu lassen. Einige hatten bereits ihren Abschied auf die eine oder andere Weise eingereicht, darunter der Bannerherr, die Landrichterin und der Delegierte im Kronkonvent, alle drei Verwandte des Streitebeckers. Die verbliebenen Amtsträger informierte Amelthona über die aktuellen Entwicklungen. Die Bergvögtin Alwene von Wiesen-Osthzweyg war schon seit Jahren erkrankt und hatte ihr würdiges Amt von der Jagdmeisterin Ardare von Wiesen-Osthzweyg in Vertretung ausüben lassen.
"Seid versichert, dass niemand etwas zu befürchten hat." erklärte die Kronvögtin, nein, Protektorin mit ruhiger Stimme, während sie ihren Blick schweifen ließ. "Sowohl ich als derzeitige Regentin als auch der mit Sicherheit nachfolgende neue Baron respektive die neue Baronin benötigen informiertes und gut eingearbeitetes Personal." Sie heftete ihren Blick auf eine ältliche Frau, die Leitende Archivarin. "Unsere erste Aufgabe wird es sein, alle möglichen Berichte zu sichten und den organisatorischen und finanziellen Zustand der Baronie zu erheben." Sie runzelte die Stirn. "Das wird keine leichte Aufgabe, aber ich vertraue darauf, dass jeder von Euch tatkräftig dabei mitwirkt, die praiosgefällige Ordnung wiederherzustellen, damit wir perainegefällig helfen können." Sie dachte an die Sturmflut, die die Grangorer Bucht und damit auch die Landstadt Sewamund heimgesucht hatte - und die beinahe auch ihr Leben und das ihres Sohnes Solvolio gekostet hatte. Und mit dieser Anweisung begann die schier endlose Sichtung von Büchern und Papieren und Schriftrollen...
Harte Entscheidungen
Traviano Pirialdo
Das Licht der Nachmittagssonne legte sich über Schloss Sewadâl. Zwischen Stapeln von Schriftrollen und sauber geordneten Amtsbüchern saß Amelthona d’Illumnesto, Protektorin Sewakiens. Ein Diener trat leise ein und kündigte an: "Protektorin, Signor Traviano Pirialdo, Truchsess der Baronie Sewamund, ersucht um Gehör."
"Lasst ihn eintreten", sprach Amelthona ruhig.
Die Türflügel öffneten sich mit gedämpftem Knarren. Traviano Pirialdo trat ein wie ein Schauspieler, der seinen Auftritt kannte. Der lange Mantel aus dunkelblauem Stoff, das Haar perfekt gelegt, ein feines Parfum aus Belhanka in der Luft. Er verneigte sich tief, den linken Arm theatralisch über die Brust gelegt in einem Kusliker Hofknicks. Dann hob er den Kopf, lächelte – und begann zu sprechen.
"Signora, erlaubt mir, dass ich, ehe ich mich Euren sicherlich zahlreichen und weisen Fragen stelle, ein Wort an Euch richte. Denn ich wähne, die Zeit verlangt, dass man den Dingen ihre Form gibt – und Form, so lehrte mich einst mein Lehrmeister in Vinsalt, ist nichts anderes als Wahrheit in schöner Kleidung. In den vergangenen Götterläufen hatte ich das Privileg, dem edlen Herrn Irion von Streitebeck als Truchsess zu dienen. Ich habe den Haushalt der Schlösser Corello und Sewadâl geführt, seine Vorräte verwaltet, seine Rechnungen geprüft, und – man verzeihe mir den Stolz – keinen einzigen Kreuzer in Unordnung geraten lassen. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen, sondern um zu unterstreichen: Auch in den dunkelsten Stunden blieb der Hof geordnet, weil jemand darüber wachte. Ich habe Baron Irion stets mit aller gebotenen Treue gedient – nicht als Parteigänger, sondern als Diener der Baronie. Ich bin kein Politiker. Ich bin, Signora, ein Diener der Ordnung, der Pflicht. Und wenn nun neue Hände das Zepter führen sollen, so wird meine Feder denselben Gehorsam zeigen wie zuvor. Es heißt, man müsse sich im Wind der Veränderungen biegen – ich sage, man muss aufrecht im Wind stehen, wenn man einen Hofstaat führen will. Ich habe dies stets getan, und ich stehe auch jetzt bereit, in welcher Funktion immer Ihr es für zweckdienlich erachtet: ob weiterhin als Truchsess der Baronie oder, wenn Ihr es wünscht, als Majordomus des Schlosses Corello, das ja künftig der Stadt Sewamund anheimfallen soll. Ihr seht, ich diene nicht einem Namen, ich diene der Ordnung – und derer, die sie zu hüten wissen."
Er machte eine gemessene Pause, neigte leicht den Kopf und fuhr dann, mit einem feierlichen Ernst, fort: "Ich bringe zudem Nachricht vom Hof Seiner Hoheit, des Herzogs von Grangor. Herzog Cusimo Garlischgrötz hat entschieden, dass die herzogliche Festung Ardenhain künftig dem neuen Baron oder der neuen Baronin Sewamunds zufallen soll – als Kompensation für das Schloss Corello, das auf Geheiß des Herzogs der Stadt übereignet wird." Er schwieg, ließ die Hände sinken, und sein Blick suchte den der Protektorin, ruhig, aber von jenem leisen Glanz des Selbstbewusstseins durchzogen, der fast wie Hochmut wirkte.
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