Briefspiel:Traviabund mit Hindernissen/Im Rahja-Tempel

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Städteübergreifendes Briefspiel
Datiert auf: 1042 BF Schauplatz: Urbasi, Belhanka Entstehungszeitraum: 2024-2025
Protagonisten: Cerceri Solivino, Rondrigo Vindariel Gerber, Dettmar Gerber, Rahdrigo Solivino Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Bella, Familie Gerber.png Gerberstädter
Zyklus: Übersicht, Eine phexgewollte Begegnung, Im Palazzo Solivino, In den Straßen Urbasis, Im Palazzo Solivino II, Heimlicher Zuhörer, Abendessen, Im Rahja-Tempel, Am nächsten Morgen


Im Rahja-Tempel

Autoren:Bella, Gerberstädter

Der Tempel der Heiligen Ricarda war wie an jedem Tag der Volkskunst zu Ehren ihrer Glaubensgeschwister im Hesinde-Tempel abends geschlossen. Rahjabella fröstelte nun doch in ihrem pelzbesetzten Mantel und war deswegen froh, endlich wieder ins Warme zu kommen. Es war spät geworden, denn die Zeit im Gasthaus Rahjalieb war wie im Fluge vergangen. Ihr Bruder und ihre Cousins hatten sich in die andere Richtung zum Palazzo verabschiedet. Die junge Rahjani fühlte sich leicht angetrunken und noch immer etwas beschwingt von dem Tanz. Ein normaler Abend also.
Die diensthabende Tempelwache öffnete ihr das Tor und ließ sie in die ungewohnt leere Halle ein. Ihre Schritte hallten auf dem marmornen Boden wider. Wie gewohnt kniete die junge Geweihte für ein kurzes Gebet vor der Statue ihrer Göttin nieder. Heute jedoch vor allem, um sich zu versichern, dass sie auch wirklich das Richtige vorhatte.
O Herrin, ist es in deinem Sinne, nach deinen Geboten im Namen der Liebe zu handeln und dafür die Harmonie in der Familie zu gefährden?
Ein Gefühl der Zustimmung durchflutete sie und bekräftigt erhob sie sich wieder. Ja, sie war sich wieder sicher, auf dem Pfad ihrer Göttin zu wandeln.

Rahjabella verließ die Haupthalle durch einen Nebeneingang und betrat die Treppe zu den Räumlichkeiten der Geweihten. Sie klopfte dreimal an die Tür zu den Gemächern des Tempelvorstehers. "Rahjalin?"
Als niemand antwortete, öffnete sie die Tür. Generell schlossen sie im Tempel keine Türen ab. Das Haupttor wurde nachts verriegelt und bewacht und wer innerhalb des Tempels, welcher Diener, Akoluth, Novize, gar Geweihte, sollte die anderen bestehlen? Sie vertrauten sich alle gegenseitig.
Ihr Onkel war nicht da. Wahrscheinlich ging er diesen Abend einfach aus und würde später wiederkommen. Rahjabella wollte gerade wieder leise die Tür schließen und ihr eigenes Gemach aufsuchen, da fiel ihr Blick auf die Balkontür. Eine plötzliche Flut von leidenschaftlichen Erinnerungen, Sehnsüchten und Träumen, die sie als Novizin auf diesem Balkon geträumt hatte, überrollte sie. Wie von selbst lief sie auf den Balkon zu, öffnete die Tür und schritt wieder hinaus in die kalte Abendluft. Doch sie spürte die Kälte nicht. Alles, was sie spürte, war dieser Hauch von Hoffnungen, Liebe und schließlich Verzweiflung. Sie starrte bewegungslos auf das gegenüberliegende Grundstück, den ehemaligen Palazzo Casciano, nun nur noch verkohlte Trümmer.
Von diesem Balkon aus hatte sie als Jugendliche den Stadtherrn Traviano von Urbet angehimmelt. Sie erinnerte sich noch daran als wäre es gestern gewesen, wie er sie irgendwann bemerkt haben musste und schließlich mit einem verführerischen Lächeln auf dem gegenüberliegenden Balkon auftauchte. Sie hatten sich lange Zeit schweigend angesehen, dann hatte er sie scherzhaft gefragt, ob sie ihn beobachtete. Sie war errötet und hatte ‘Seit ich dich das erste Mal erblickte’ geantwortet. Die Worte waren ihr sofort peinlich gewesen und sie wäre am liebsten im Boden versunken, doch Traviano schien geschmeichelt.
Die Affäre hatte nicht allzu lange gedauert. Der Fürst war sehr wechselhaft in seinem Liebesleben gewesen und hatte sich bald einer neuen Gespielin zugewandt.
Nichtsdestotrotz war es Rahjabellas erste Liebeserfahrung gewesen. Ihr Onkel war damit überhaupt nicht glücklich gewesen und froh, als es vorbei war. Der Fürst von Urbet stellte eine klare politische Seite in Urbasi dar und Rahjalin wollte den Rahja-Tempel politisch nicht allzu klar positionieren. Damit kämen immer mehr Feinde als Freunde.
Nun ja, Traviano war ein halbes Jahr darauf ermordet und sein selbsternanntes Fürstentum Urbasi abgeschafft worden. Die Ereignisse hatten sich in diesem Jahr überschlagen, viele Urbasier waren gefallen und schließlich wurde auch noch ihre Familie vollkommen durcheinandergeworfen, als ihr Großvater, der damalige Patriarch, völlig unerwartet zu Boron ging.
Dann war vor ein paar Jahren der Palazzo Casciano in der schrecklichen Feuernacht abgebrannt.

"Rahjabella? Was stehst du so in der Kälte? Komm schnell rein!" Rahjalins Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Erst jetzt merkte sie, wie unterkühlt sie war. Und dass ihr eine Träne übers Gesicht rann.
"Die Steine, sie singen von vergangener Zeit."
Es dringt bis in mein Herz.
Oder kommt es aus mir, in meiner Einsamkeit?
Dieser vergessne Schmerz.", sagte sie mit zitternder Stimme. Dann erst drehte sie sich um. "Du hast mit dem Ritual gebrochen. Warum?"
Rahjalin eilte auf sie zu und umarmte sie fest. Sanft geleitete er sie ins Warme zurück.
"Dringender als Traditionen sind meine Sorgen.
Wir alle verlieren, betrauern, beweinen,
Und auch wenn die Dinge auswegslos scheinen,
immer bleiben wird uns das Morgen."
Er machte eine Pause und betrachtete seine Nichte. "Was ist los? Noch immer? Nach all den Jahren?"
"Nein, das ist es nicht. Es war nur..." Rahjabella hob ratlos die Schultern. "... ein Rückfall?"
"Du hinterfragst deine eigene Diagnose. Damit wirst du deinem Patienten nur Unsicherheit vermitteln. Das hilft niemandem."
"Ähm... ich..."
"Schon gut. Selbstdiagnosen sind verdammt schwer. Doch dafür haben wir uns ja gegenseitig." Rahjalin lächelte sie augenzwinkernd an.
Rahjabella musste zurücklächeln, denn so unerwartet dieser kurze Seelsorge-Unterrichtseinheit gewesen war, es hatte sie tatsächlich wieder in das Hier und Jetzt gebracht.
"Nettes Gedicht, Bella."
"Danke, deins auch."
"Ach, ich weiß nicht. Habe schon bessere gehört. Aber das mit den singenden Steinen, das muss man sich merken."
Der Tempelvorsteher setzte sich aufs Sofa, Rahjabella ließ sich daneben nieder.
"Auch wenn du deine Diagnose hinterfragt hast, ist sie meiner Meinung nach richtig.", nahm Rahjalin den Faden wieder auf. "Du hast schon losgelassen. Das eben war ein letztes Aufbäumen der schlechten Gefühle, die nicht fallen wollen. Doch du hast ihr Schicksal bereits besiegelt."
"Das kann wirklich sein. Zudem ich nun seit Ewigkeiten nicht mehr auf dem Balkon war. Das muss etwas ausgelöst haben."
"Mit Sicherheit."
Nach einer kurzen Stille fragte Rahjabella schließlich: "Wo warst du?"
"Ich habe mich mit deiner Mutter getroffen. Wir waren etwas gehobener im Hotel Silbertaler essen, zur Feier des Tags der Volkskunst und dass wir uns mal wieder in Ruhe unterhalten konnten."
Mutter! Jetzt fiel Rahjabella wieder der eigentliche Grund ein, warum sie Rahjalin aufsuchen wollte. Nach der Krisensitzung mit Rahjesco waren sie übereingekommen, dass es das beste war, Rahjalin um Rat zu fragen. Er war nach Rahdrigo der wichtigste in der Familie, wenn nicht gleich auf mit ihm.
"Apropos Mutter. Rahjesco hat mir erzählt, dass er etwas sehr Beunruhigendes mitbekommen hat.”

Während Rahjabella ihrem Onkel erzählte, was sie von Rahjesco über die Heiratspläne erfahren hatte, wurde Rahjalins Gesichtsausdruck immer verärgerter. Schließlich stand er auf und lief im Raum auf und ab. “Was sagst du da? Rahdrigo will unsere Schwester verheiraten? Er weiß doch genau, dass sie damit nicht einverstanden sein wird! Da hat er sich aber in den Finger geschnitten. Weiß er denn nicht, dass Cerceri auch meine Schwester ist und ich sie genauso liebe? Im Unterschied zu ihm ist mir aber wichtig, dass sie glücklich ist, was ihm anscheinend egal ist.”
Rahjabella hatte Rahjalin selten so unausgeglichen erlebt.
“Was sollen wir tun?”, fragte sie.
“Eine gute Frage. Lass mich nachdenken. Bevor wir eskalieren und Cerceri davon erzählen, müssen wir mehr über den Ehemann herausfinden. Wir können nicht leichtfertig die Beziehung zwischen deiner Mutter und Rahdrigo zerstören, sondern das ist eher der letzte Ausweg. Vielleicht gelingt es uns, Rahdrigo zu überzeugen, es nicht zu tun, ohne dass Cerceri etwas davon mitbekommt.”