Briefspiel:Traviabund mit Hindernissen/In den Straßen Urbasis

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Städteübergreifendes Briefspiel
Datiert auf: 1042 BF Schauplatz: Urbasi, Belhanka Entstehungszeitraum: 2024-2025
Protagonisten: Cerceri Solivino, Rondrigo Vindariel Gerber, Dettmar Gerber, Rahdrigo Solivino Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Bella, Familie Gerber.png Gerberstädter
Zyklus: Übersicht, Eine phexgewollte Begegnung, Im Palazzo Solivino, In den Straßen Urbasis, Im Palazzo Solivino II, Heimlicher Zuhörer, Abendessen, Im Rahja-Tempel, Am nächsten Morgen


In den Straßen Urbasis

Autoren:Bella, Gerberstädter

Trotz ihres fortgeschrittenen Alters war Phejanka bei guter Kondition und Gesundheit und hielt, obwohl ihr gedrungener, stämmiger Körperbau dies nicht zwingend erwarten ließ, das zügige Tempo und die vielen Stufen mühelos durch. Ja, sie fand gar genügend Atem, um sich in entspanntem Plauderton zu unterhalten: „Meine liebe Signora Traviane, ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich den Zwölfen danke, dass sie gefügt haben, dass wir uns begegnen. Und Urbasi ist nun wirklich keine kleine Stadt, in der man sich zwangsläufig begegnen müsste. Ich habe mich in dieser kurzen Zeit, in der wir uns erst kennen, bereits so gut amüsiert wie den vergangenen Götterläufen noch nicht!“ Sie strahlte die gebürtige Sheniloerin an und hüpfte die letzten beiden Stufen der Treppe hinunter. „Ach, ich fühle mich im Augenblick zwanzig Götterläufe jünger!“ Vergnügt hakte sie sich bei der dunkelblonden Patrizierin unter: „Sagt tanzt ihr gerne? Wir sind noch bis zum Morgen des 03. Firun in der Stadt und ich habe mir gedacht, wenn ihr, meine liebe Signora Traviane und euer Gemahl gerne tanzt und es vielleicht eine Veranstaltung in der Stadt oder der näheren Umgebung gibt, könnten wir vielleicht gemeinsam dort hingehen!“ Ihr Blick glitt über die Fassaden der Häuser, folgte dem Verlauf des Weges und traf dann auf die grünen Augen ihrer Gastgeberin.

Traviane war zuerst etwas überrascht über das freundschaftliche Unterhaken, doch dann begann sie es zu genießen. So eine informelle, entspannte Atmosphäre war ein seltenes Vergnügen und gerade bei Phejanka fühlte es sich überhaupt nicht komisch an. Sie hatte das Gefühl, dass sie trotz der kurzen Zeit, in der sie sich nun kannten, schon viel mehr als flüchtige Bekannte geworden waren.
"Eine fantastische Idee! Mit Sicherheit gibt es hier irgendwo einen Ball in der Nähe. Die Musici-Schule bietet so etwas häufiger gegen eine kleine Spende für ihre Einrichtung an. Die Musik ist natürlich nicht so gut wie die von einem professionellen Orchester, doch durchaus nett. Außerdem ist es immer schön, zu hören, wie die Kinder sich freuen, dass so viele Gäste da sind, um ihre Musik zu hören und nach und nach die Nervosität von ihnen abfällt und einfach nur diesem verträumten Gesichtsausdruck eines Künstlers weicht. Und wenn nicht, dann veranstalten wir einfach unseren eigenen kleinen Tanzabend.”

„Oh, die Musici-Schule klingt ganz apart. Jungen Talenten die Gelegenheit geben, ihr Können vor Publikum unter Beweis zu stellen und ihnen so mehr Selbstvertrauen zu geben und diese segensreiche Institution noch monetär unterstützen zu können, indem man einen amüsanten Abend verbringt, dass klingt doch überaus göttergefällig!“ Phejanka fühlte sich so lebendig wie schon lange nicht mehr! Bestätigend nickte sie: „Ja, meine liebe Signora Traviane, das wäre meine erste Wahl!“ Sie lächelte die Frau an ihrer Seite fröhlich an: „Naja, falls es in Anbetracht der Kurzfristigkeit überhaupt eine Auswahl zu treffen gibt!“ Sie schloss ihre Augen, atmete tief die klare Luft ein und behielt einige Augenblicke die Luft in ihren Lungen, bevor sie langsam aus atmete: „Ein herrlicher Abend!“ Sie öffnete ihre Augen und strahlte die dunkelblonde Winzerin an: „Und welch fulminante Gesellschaft! Morgen werde ich den Tsa-Tempel aufsuchen und der Ewig Jungen für die Begegnung mit euch und eurem Gemahl opfern. Auf dem Rückweg werde ich Dettmar bitten, einen kleinen Umweg über Padragûr zu machen und dort im Travia-Tempel für unsere Freundschaft, ihren Bestand und ihr weiteres Erstarken opfern.“ Ihr Blick hatte etwas feierliches, aber auch feste Entschlossenheit.

Sie stiegen die letzten Stufen der letzten Treppe hinab. Traviane schlug mit ihren Begleitern den Weg zum Flussufer ein.
"Eine wundervolle Idee! Rahdrigo und ich werden ebenso dafür danken, dass uns solches Glück widerfahren ist und dafür beten, dass es anhalten möge."
Die beiden Damen und der Secretarius betraten nun die Brücke nach Agreppara über den Sikram.
Ungefähr in der Mitte ließ sich das Schauspiel am besten betrachten. Und tatsächlich waren sie nicht allein. Ein Liebespaar saß bereits Händchen haltend auf der Brückenmauer und ließ die Beine von der Brücke baumeln. Der inzwischen rosa-rote Himmel war von dunkelblauen Streifen durchzogen, der letzte Rest der fast verschwundenen Praiosscheibe spiegelte sich golden im Flusswasser.

Fast ein bisschen neidvoll blickte Phejanka kurz zu dem Liebespaar, mit ihrem Gemahl Darion Biret war an ein solch romantisches Stelldichein nicht zu denken. Der raue und in schönen und kulturellen Dingen gänzlich uninteressierte Kapitän und Entdecker war ihr von ihrem Vater als Gemahl ausgewählt worden und nach wie vor eine reine Zweckehe, immerhin musste sie inzwischen, an den wenigen Tagen, die er in Efferdas beziehungsweise in Hilmaras weilte nicht mehr das Bett mit ihm teilen.
Rasch scheuchte sie die trüben Gedanken beiseite, sie sollten ihr nicht das wirklich schöne Schauspiel verderben. Noch immer bei einander untergehakt standen die beiden Frauen stumm auf der Brücke und betrachteten diesen wirklich wundervollen Moment. Mit einiger Mühe widerstand die Hilmarasierin der Versuchung, ihren Kopf an Traviane’s Schulter zu lehnen, das würde nun wohl doch zu weit gehen.

Traviane hing tatsächlich ähnlichen Gedanken wie Phejanka nach. Auch ihre Ehe war eine familienpolitische Angelegenheit gewesen. Es hatte einfach keine Diskussionen gegeben, als ihr Patriarch und Rahdrigos Vater Prospero den Traviabund aushandelten. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte festgestanden, dass sie einmal heiraten würden. Nun, es war nicht so, dass sie nichts für Rahdrigo empfand. Aber wie viel davon jetzt Gewohnheit war und wie viel Liebe konnte sie nicht sagen. Und natürlich hatte sie der gemeinsame Stolz auf ihre Kinder noch näher gebracht. Doch es war nie ihre Entscheidung gewesen und hatte nie auf rahjagefälliger Liebe aufgebaut. Der Himmel wurde immer dunkler, bis schließlich der letzte Schein der Praiosscheibe hinter dem Horizont versank und graublaues Dämmerlicht einsetzte. Das Pärchen stand auf, grüßte die beiden Signoras höflich und lief dann Arm in Arm nach Agreppara hinüber.
Erst dadurch, dass die beiden Fremden aufstanden, wachte Traviane aus ihrer Trance auf, grüßte sie freundlich zurück und sah dann zu Phejanka, die ebenso tief in Gedanken zu sein schien wie sie.
"Wollen wir bald den Rückweg antreten? Wir müssen auch nicht wieder bei den vielen Treppen langgehen.", schlug die gebürtige Sheniloerin zaghaft vor.

Gedankenverloren, fast reflexartig grüßte Phejanka das junge Paar und winkte freundlich. Dann ging ihr Blick zu Traviane, mit dankbarem Lächeln sagte sie: „Ich danke euch sehr, dass ihr diesen wunderschönen Moment mit mir geteilt habt.” Ihre Mimik und Stimme wurde etwas ernster: “Zwar sind wir kein Liebespaar, aber ich glaube, unsere Herzen schlagen im selben Takt und in manchen Dingen sind wir uns und unsere Lebensgeschichten sich sehr ähnlich. Ich kenne euch noch keinen Tag und ihr seid mir bereits wie eine Schwester. Das finde ich äußerst erstaunlich. Noch nie habe ich mich einem eigentlich fremden Menschen so nahe gefühlt, so ein Gefühl von Vertrautheit und Verbundenheit empfunden.“ Sie nickte dann und ihre Stimme bekam wieder ihre Heiterkeit zurück: „Ja, lasst uns den Rückweg zu unseren beiden Philosophen antreten. Bevor die beiden allzu weinselig werden. Ich vertraue mich euch ganz an, ihr werdet den angenehmsten Weg für uns wissen!“ Es war wirklich ein gutes Gefühl an Traviane’s Seite und Phejanka war sehr glücklich und zufrieden. Sie spürte, dass sie in der jüngeren Frau eine wirkliche Freundin und Seelenverwandte gefunden hatte. Und sie flehte alle Zwölfe an, dass Traviane nie erfahren musste, wie es ist, eines ihrer eigenen Kinder zu verlieren, diesen Schmerz wünschte sie keiner Mutter und am allerwenigsten dieser wundervollen Frau an ihrer Seite.

Eine Welle aus Zuneigung zu Phejanka durchflutete Traviane bei diesen warmen und wirklich überraschend kommenden Worten. Sie lächelte ihre Freundin an. “Mir geht es genauso. Echte Freundschaften sind so selten. Man kann oft nicht unterscheiden, was vorgespielt und was echt ist hinter all den Masken, die wir und unsere Standesgenossen bei den gesellschaftlichen Anlässen aufsetzen. Aber bei dir habe ich das Gefühl, dass wir uns unsere wahren Gefühle offenbaren, und das von Anfang an.”
Traviane wählte einen anderen Weg als zuvor, einen deutlichen Umweg zwar, jedoch dafür mit viel weniger Treppen. Und sie konnten sich Zeit nehmen, um ihre Umgebung genauer zu betrachten. Sie durchquerten zunächst die Piazza di Sant'Agreppo mit Blick auf den gewaltigen Ingerimmtempel.

Als Traviane das vertrauliche „dir“ statt dem sonst üblichen „euch“ ging in Phejanka’s Herz die Praiosscheibe direkt wieder auf. Gab es ein deutlicheres Zeichen der Verbundenheit als ein vertrauliches „Du“? Kurz legte sie ihre freie Hand auf die Schulter der etwas kleineren Frau und drückte sie leicht, während sie sie anstrahlte. „Das tun wir und wann immer du eine Freundin brauchst, ich werde für dich da sein!“ Sie blickte Traviane mit einer solchen Wärme und Herzlichkeit an, dass kein Zweifel an der tief empfundenen Aufrichtigkeit ihrer Worte aufkommen konnte. Die beiden Frauen passierten den imposanten Glockenturm Campanile San Palladio im Zentrum der Piazza, ein gutes Stück vor ihnen lag eine breite Prachttreppe die zu dem gewaltigen Tempel des Himmlischen Schmieds hinauf führte. Phejanka blickte sich etwas um: „Hier war ich vor einigen Tagen mit meinem Bruder. Das ist der Ingerimmtempel! Ein wirklich kolossales Bauwerk.“ Sie wandte den Kopf zur Seite: "Dort drüben hatte bis vor ein paar Götterläufen eine befreundete Familie, die Changbari ein Kontor.“ Nun blickte sie zurück: „Die Brücke auf der wir eben standen, führt doch in den Stadtteil Agreppara nicht wahr? Dettmar hat mir erzählt, dass dort der Stammsitz des Patrizier- und Färbergeschlechtes Flaviora sei. Ein kleiner Zankapfel zwischen Dettmar und meiner Tochter Quenia. Meine Tochter spielt mit dem Gedanken, mit den Flaviora in Kontakt zu treten und auszuloten, ob eine Zusammenarbeit, Partnerschaft oder vielleicht sogar eine Verbindung in Form eines Traviabundes sinnvoll und möglich ist, Dettmar sieht darin keinen Sinn, ja sogar eine Gefahr.“ Sie zuckte mit den Schultern und sah Traviane wieder an: „Zwei Generationen, zwei gänzlich andere Sichtweisen. Mein Bruder war, wie schon alle seine Vorgängerinnen und Vorgänger als Familienoberhaupt, immer sehr vorsichtig und zurückhaltend damit, sich mit anderen Familien zu verbinden. Lediglich mit den Changbari, zu denen traditionell eine Verbindung besteht und den Kanbassa, gibt es keine tiefergehenden und weitreichenderen Verbindungen. In den letzten etwa zehn Götterläufen ist zwar die Zusammenarbeit mit der Familie Vinarii von Dettmar etwas intensiviert worden, aber nur auf das Geschäftliche beschränkt.“ Sie seufzte: „Quenia will sich breiter vernetzen und feste Allianzen mit Familien im ganzen Horasreich schließen. Der fast gleichzeitige wirtschaftliche Niedergang der Changbari und Kanbassa bestärkt sie in ihrem Vorhaben. Dettmar sieht darin nur einen kurzfristigen Rückschlag und glaubt, dass die beiden Familien wieder auf die Beine kommen werden und tut seinen Teil, indem er sich für günstigere Konditionen beim Handel mit ihnen einsetzt.“ Sie schüttelte den Kopf und lachte dann: „Ach herrje, ich war zu lange mit meinem Bruder zusammen, jetzt fange ich auch schon an, über Familienpolitik zu reden!“ Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn!: „Ohje, werde ich jetzt verrückt? Da finde ich so einen besonderen Menschen und langweile ihn dann mit Familienpolitik zu Tode! Bitte verzeih mir den Ausrutscher Traviane!“

“Keine Sorge, du langweilst mich nicht! Es ist doch interessant zu erfahren, dass ihr schon zuvor Kontakt nach Urbasi hattet. Unglaublich, wie gut du dich hier auskennst! Ich könnte keine Stadtteile von Efferdas benennen.” Traviane schien ernsthaft interessiert an den Verbindungen der Familie Gerber nach Urbasi. Phejankas Ortskunde überraschte sie, auch wenn es naheliegend war, dass Dettmar und Phejanka nicht zum ersten Mal hier waren, wenn sie von der hohen Bedeutung des Tags der Volkskunst in der Urbasiglia wussten.
Sie runzelte verwundert die Stirn, als Phejanka Dettmars Ansichten darlegte. “Weshalb ist es eine Gefahr, sich zu vernetzen? Da gehe ich doch eher mit deiner Tochter mit. Allein schon aus dem Grund, dass alle anderen sich vernetzen und niemand am Ende isoliert dastehen möchte.”

Phejanka lächelte verlegen: „Danke Traviane, aber zu viel der Ehre, ich kenne mich auch eher leidlich in Urbasi aus und was ich kenne hat mir Dettmar bei unseren Streifzügen durch eure wirklich schöne Stadt in den vergangenen Tagen gezeigt. Wenn er will und seine Gedanken nicht voll mit Planungen, Geschäften, Politik und was weiß ich was noch sind ist er ein sehr guter Reiseführer und ein sehr unterhaltsamer, gewitzter Gesellschafter.“ Sie blickte sich kurz um, einen Augenblick ruhte ihr Blick auf Theosfinus, dann sah sie wieder zu Traviane: „Die Gerbers zählen noch nicht sehr lange zum Patriziat Efferdas‘ und unser Ansehen ist nicht das Beste. Du musst wissen, meine Familie hat ihr Vermögen mit all dem erwirtschaftet, wofür die anderen Familien sich zu fein sind. Die Gerbers in Efferdas gehen zurück auf Franka Gerber, eine Wollfärbermeisterin, die um 830 BF aus Grangor kam, um für die Familie Changbari zu arbeiten. Sie hat dann den Traviabund mit einem Gerbermeister geschlossen. Franka war sehr umtriebig und klug, dadurch ist aus der Anstellung bald ein eigener kleiner Betrieb geworden und gemeinsam mit der Gerberei ihres Mannes stetig gewachsen.
Über die Götterläufe und Generationen sind Abdeckerei, Müllbeseitigung, sowie die Reinigung und Instandhaltung der Kanalisation hinzugekommen. Isindia Gerber schließlich war es dann letztendlich, die federführend bei der Planung und Erbauung des Gerberviertels, dem heutigen Stadtteil Gerberstadt war. Irgendwann ließen sich das Vermögen, der Einfluss und das Engagement für die Stadt nicht mehr ignorieren und die Gerbers wurden, nicht zuletzt auch, auf Betreiben der Familie Changbari in das Patriziat aufgenommen.
Aber vor allem der alte Adel der Republik verachtet die Emporkömmlinge aus der Gerberstadt bis heute und so hat man sich in der Familie darauf beschränkt mit den Familien zusammenzuarbeiten, mit denen man schon immer zusammengearbeitet hat.
Changbari und Kanbassa.
Unter Dettmar ist noch eine, wenn auch eher lose und oberflächliche Kooperation mit der Familie Vinarii hinzugekommen.“ Phejanka zuckte mit den Schultern: „Es ist wohl eine Mischung aus Resignation, Stolz und mangelndem Vertrauen, die dazu geführt hat, dass sich die Gerbers nur auf sich selbst verlassen und eher skeptisch auf jede Art von Annäherung an andere Familien reagieren.“ Sie seufzte: „Ich bin selbst ganz erstaunt, wie ungezwungen und locker mein Bruder zur Zeit ist. Bevor er die Führung der Familie an seinen Sohn und meine Tochter abgegeben hat, wäre unser Treffen ziemlich sicher nach ein paar freundlichen Worten bereits am Tempel auch schon wieder beendet gewesen.“ Dann strahlte sie Traviane wieder an: „Ich bin sehr glücklich, dass es anders gekommen ist. Zum Einen, weil ich glaube, dass es auch für Dettmar gesünder ist, wenn er nicht mehr so angespannt und reserviert ist und zum Anderen hätte ich einen ganz wundervollen Menschen nie wirklich kennengelernt!“

Traviane nickte verstehend während Phejankas Erläuterungen. “Danke für diesen wirklich persönlichen Einblick in deine Familie. Doch sei dir gewiss, dass die Gerbers nicht allein sind. Es gibt eine ganze Menge emporstrebende Familien, die sich ihren Platz in den Signorien der Städte erst erarbeitet haben. Auch die Familie Solivino ist erst vor gut hundert Götterläufen aus dem kleinen Ort Cassiena nach Urbasi umgezogen, ein geradezu lächerliches Alter im Vergleich zu den wirklich alten Adelshäusern.
Die Familie Brahl wurde sogar erst knapp zehn Jahre vor meiner Geburt in das Patriziat Shenilos aufgenommen.”
Die Sheniloerin lehnte sich verschwörerisch näher zu ihrer Freundin und senkte die Stimme. “Weißt du, was der große Vorteil von uns Neureichen ist? Unsere lange, ruhmreiche Geschichte beginnt gerade erst. Wir können voller Hoffnung und Vorfreude in die Zukunft blicken und uns sicher sein, dass wir irgendwann einmal genauso mächtig und bekannt sein werden wie die jetzigen alten Geschlechter. Jene jedoch sind meist schon im Verfall. Sie berufen sich auf ihre alten Traditionen, ihre Jahrhunderte oder Jahrtausende umfassende Geschichte und sehen auf uns herab, weil sie Angst vor der Zukunft haben und davor, dass sie früher oder später das Staffelholz an uns weitergeben müssen. Denn sie werden vergehen, ihre Zeit war die Vergangenheit. Unsere Zeit, die kommt erst noch. Und wir können dabei sein, sie zu gestalten.”
Sie lächelte Phejanka aufmunternd an.

Phejanka war sichtlich gerührt: „Das habt ihr so schön gesagt, meine Liebe. Ja, das ist wohl so, sie sind gewohnt aus dem Recht der Geburt heraus, Macht und Einfluss zu haben und nun wird dieser Status von Emporkömmlingen in Frage gestellt, die durch Fleiß, Mut und Können zu Reichtum und damit ebenfalls zu Macht und Einfluss gekommen sind und ihnen nun Privilegien und Ländereien streitig machen.“ Sie schwieg einen Augenblick, ehe sie hinzusetzte: „Dabei sein, ja und hoffentlich noch recht lange. Aber das einzige, was ich noch gestalte, ist der Altersruhesitz für meine Brüder und mich und unsere Ehepartner. Schön auf dem Land, ein gutes Stück außerhalb des Dorfes Ranaqídes.“ Ihr Blick bekam etwas verträumtes: „Das wird schön und vor allem ruhig.“ Dann lächelte sie Traviane verschmitzt an: „Und gelegentlich komme ich Dich besuchen oder Du uns, oder wir treffen uns bei einem Festival, einem Markt oder einem Turnier und haben eine schöne Zeit!“ Sie drückte kurz ihren Kopf gegen Traviane’s Schulter.

“Wahrhaftig eine wunderschöne Aussicht.”, kommentierte Traviane mit einem verträumten Lächeln.
Sie waren nun schon wieder beim Hesinde-Tempel angekommen und Traviane schlug denselben Weg wie zuvor in Richtung Palazzo Solivino ein. Dabei kamen sie an der Rückseite des gewaltigen Kuppelbaus vorbei, von dem tatsächlich nur noch das Dach fehlte.
“Die kommen da schon seit Jahren nicht voran. Rahdrigo und ich haben vorhin noch darüber gesprochen, kurz bevor wir euch
begegnet sind.”, bemerkte Traviane. “Unglaublich, dass das erst einen halben Tag her ist. Es fühlt sich mehr so an, als würden wir uns schon unser halbes Leben kennen!”

Phejanka grinste: „Ja, ich erinnere mich. Ich denke, dass das etwas lose Mundwerk meines Herrn Bruders das Interesse deines Gemahls geweckt hat. Ich glaube, die beiden Herren sind sich in mancherlei Hinsicht sehr, seeehr ähnlich. Ich fürchte, wir müssen da ein Auge darauf haben, nicht dass die beiden Philosophen den gemeinsamen Theorien auch Taten folgen lassen.“ Wieder sah sie die jüngere Frau mit liebevollem Blick an: „Das ist wirklich unfassbar! Du bist mir wirklich wie eine erwachsene Tochter oder eine jüngere Schwester. Es ist so besonders! Dir kann ich mich anvertrauen, dir mein Herz öffnen und ich weiß du kannst mich verstehen. Das ist ein sehr schönes Gefühl!“

Traviane legte spontan einen Arm um Phejanka. “Natürlich kannst du dich mir anvertrauen, weil ich auch weiß, dass ich mich dir anvertrauen kann!”
Die Piazza d’Agendayo lag friedlich und verlassen vor ihnen. Da sie den Platz von der Nordseite betraten, bot sich ihnen eine nette Aussicht über die nun dunkle Stadt in einer Dämmerung, die fast vollständig der Nacht gewichen war. Das fast volle Madamal spiegelte sich im nun schwarzen Sikram, der eben noch in den prächtigsten Farben geleuchtet hatte.
“Ich bin gespannt, worüber unsere Philosophen so die ganze Zeit gesprochen haben.”, bemerkte Traviane, während sie auf den Palazzo zuhielten.