Briefspiel:Traviabund mit Hindernissen/Abendessen
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Abendessen
Autoren:Bella, Gerberstädter
Sobald sich auch die Herren im Speisesaal eingefunden hatten, wurde die Vorspeise serviert: Geröstete Brotscheiben, von denen einige mit Olivenöl, Balsamicoessig und Gewürzen, andere mit Kräuterbutter bestrichen oder mit Käse überbacken waren. Dazu gab es einen Teller mit Muscheln, Garnelen und Flusskrebsen.
Vor jedem stand zudem wieder ein gefülltes Weinglas.
Rahdrigo sah lächelnd in die Runde. Als Gastgeber war es jetzt seine Aufgabe, das Abendessen zu eröffnen.
“Meine lieben Freunde, es freut mich sehr, dass wir uns begegnet sind und spontan zu diesem unvergesslichen Nachmittag und Abend verabreden konnten. Dies ist nur der Beginn, nicht nur von persönlichen Freundschaften, sondern auch eines Bündnisses zwischen zwei Familien, ja gar zwei Städten. Danken wir dem Herrn Phex für diese Fügung sowie seiner Schwester Rahja, unserer Schutzpatronin, für die Freundschaften, die daraus entstanden sind und für dieses wirklich köstlich duftende Mahl! Lasst es uns genießen!”
Er hob sein Glas und prostete seiner Frau und den beiden Gerbers zu.
Auch die Gerbers erhoben die Gläser und prosteten ihren Gastgebern zu.
Dettmar zwinkerte Rahdrigo anerkennend zu. Was für ein geschickter Zug den geplanten Traviabund einfach so nebenbei miteinfließen zu lassen.
“Das sind sogenannte Crostini.”, erklärte Traviane Phejanka und Dettmar, auf die gerösteten Brote deutend. “Und die Efferdsgarben stammen aus dem Sikram, sie werden daher auch Sikrami genannt. Das ist sozusagen die urbasische Vorspeise.”
Dettmar’s Schwester griff sich begeistert eines dieser Brotdinger mit Olivenöl und Gewürzen und nahm sich einige Garnelen dazu, kostete und schwärmte Traviane vor, wie köstlich das doch schmecke. Worauf diese nichts Besseres zu tun hatte, als Phejanka eine weitere Kombination zu empfehlen, die ebenfalls ganz vorzüglich sei. Irritation machte sich bei Dettmar breit, weder Phejanka noch Traviane hatten auch nur mit einer Wimper gezuckt, stattdessen wurde über Crostini und Sikrami gesprochen. Ratlos blickte er zu seinem Komplizen in Sachen Traviabund, der offenbar von der Entwicklung ebenfalls überrascht schien. Kurzentschlossen ergriff nun der Efferdier sein Glas erneut, hob es zum Toast und sprach: „Möge die Vereinende fügen dass dieses freundschaftliche Band in Bälde und mit Hilfe der Schönen Göttin mit einem Bund der Liebe unter dem Segen Travia’s gefestigt werde!“ Dann trank er einen Schluck.
Die beiden Damen erhoben wie beiläufig ebenfalls ihre Gläser während sie ungerührt ein Gespräch über irgendeine Musici-Schule und junge Talente weiterführten und sich dabei gelegentlich an Crostini und Sikrami gütlich taten. Es war zum Verzweifeln und überhaupt hatte er richtig gehört? Konnte es wirklich sein dass Phejanka gerade: „Ach Traviane, das hast du aber sehr schön beschrieben!“ Geschwärmt hatte? Kein Signora, kein ihr? Vollkommen perplex suchte Dettmar’s Blick den Rahdrigo’s. Hatten sie etwa wirklich zuviel des köstlichen Weines genossen?
Rahdrigo erwiderte den verwirrten Blick. Hmm, vielleicht mussten sie etwas direkter werden. In einer kleinen Pause grätschte er in das Gespräch der Damen.
“Signor Dettmar und ich hatten eine fabelhafte Idee. Wir wollten euch fragen, was ihr davon haltet. Ein Traviabund zwischen unseren Familien, um dieses neue Bündnis zu stärken.”
Erst als er sich sicher war, dass nun er und nicht mehr die Crostini ihre Aufmerksamkeit hatte, sprach er weiter.
“Wir dachten an Cerceri und Rondrigo.”
Einen Augenblick herrschte Grabesstille, dann wechselten die beiden Damen überraschte Blicke.
Phejanka runzelte die Stirn: „Hast du auch gerade verstanden, dass dein Gemahl und mein Bruder ein Bündnis zwischen unseren Familien zu stärken gedenken in dem sie einen Traviabund zwischen Cerceri und meinem Großneffen Rondrigo, einem Magier in Methumis anstiften wollen?“ Kurz neigte sie ihren Kopf zur Seite, so dass sie an Traviane vorbei zu Dettmar blickte und die rechte Augenbraue nach oben zog, dann blickte sie wieder zu der Freundin: „Ist die liebe Cerceri, denn überhaupt daran interessiert sich einen Gemahl ans Bein zu binden? Sie wirkte auf mich eigentlich sehr zufrieden und schien mir ihr Leben zu genießen.“
“Meine Schwägerin genießt ihr Leben in der Tat. Ich hatte nie den Eindruck, ihr würde irgendetwas fehlen.” Schon gar nicht ein Mann. Es ist offensichtlich, dass sie die Trennung von Rahjabellas und Rahjescos Vater bis heute mitnimmt, wer auch immer es war., ergänzte Traviane gedanklich.
Sie funkelte ihren Mann an. Wie lange dachte er schon daran? Und wann hätte er es ihr mitgeteilt? Es verletzte sie, dass sie es nicht als Erste erfahren hatte. Doch viel schlimmer war, dass Rahdrigo nicht nur über ihren Kopf, sondern auch über Cerceris, die es ja letztlich betraf, hinweg entschied.
Dettmar blickte wieder zu Rahdrigo und zuckte mit der Schulter. Sehr außergewöhnlich, dass seine Schwester ihn außer das sie ihn mit einem ‚Dein-Ernst-Blick‘ bedacht hätte ignorieren und sich stattdessen mit der Gastgeberin beriet. Eigentlich wäre es jetzt ratsam, den Frauen Zeit zu geben, um sich mit dem Gedanken vertraut zu machen und jetzt erst einmal zu schweigen, bis sie sich ausgetauscht hatten. Doch in diesem Fall schien es dem Hochrichter angebracht, eine Ergänzung zu machen: „Nun, wir beabsichtigen keinesfalls, die beiden gegen ihren Willen zu einem Traviabund zu drängen oder gar zwingen. Wir hatten gedacht ein erweitertes Treffen in Belhanka zur Wahl der Schönheiten. Dabei fädeln wir dass Kennenlernen der Beiden ein und hoffen auf Rahjas Segen.“ Er lächelte fast schon schüchtern.
“So ganz rahjagefällig klingt mir euer Plan aber nicht.” Die Sheniloerin merkte selbst, wie gereizt ihre Worte rüberkamen. Sie seufzte.
“Verzeihung, Signor Dettmar.”
Dettmar blickte die Hausherrin mit verständnisvoller Mimik an: „Da ist nichts was ich euch verzeihen müsste, es ist ein sehr ernstes Thema über das wir gerade sprechen, dessen wichtigstes Element Emotionen sind, daher ist es nur natürlich wenn auch diejenigen die darüber sprechen emotional werden.“
Sie sah wieder zu Rahdrigo. “Und was, wenn euer schöner Plan nicht aufgeht? Werdet Ihr im Sinne Phexens oder Rahjas handeln?”
“Wie Signor Dettmar bereits sagte: Wie wollen sie selbstverständlich zu nichts zwingen. Da jedoch niemand außerhalb dieses Raumes davon weiß, werden die beiden gar nicht mitbekommen, dass ihre Treffen eingefädelt wurden. Sollte zwischen ihnen gar nichts funken, müssen wir sie vielleicht etwas mehr anstupsen und wenn das noch immer nichts hilft und sie sich aus irgendwelchen Gründen gar nicht leiden können… Hm, dann werden wir zwei andere Seelen für den Traviabund finden.” Er hasste es, mit Traviane zu streiten. Rahdrigos Tonfall war daher beschwichtigend, während er um den heißen Brei herumredete. Bestätigungssuchend blickte er zu Dettmar. Er hatte jetzt einige Details vorweggenommen, die sie noch gar nicht genau besprochen hatten.
Der Mann mit dem graubraun melierten Haar nickte, dann wandte er sich an seine Schwester, er wirkte sehr liebevoll und einfühlsam als er zu sprechen begann: „Phej, du weißt wie ich zu diesem Thema stehe. Unserer beider Leben reichen bereits aus um keinen Traviabund wider Rahja gutzuheißen. Ich mag Darion und ganz unbestreitbar hat er viel für die Geschäfte unserer Familie erreicht, doch dir war er nie ein guter…“ Seine Schwester wollte aufbegehren, doch Dettmar hob die Hand und sprach mit entschiedener, ja gestrenger Stimme: „Nein, lass mich zu Ende sprechen!“ Seine Schwester senkte ihren Blick und nickte. Ihr Bruder sprach weiter, nun wieder mit einfühlsamer Stimme: „Darion achtet dich, hat stets sorgegetragen, dass es dir materiell an nichts mangelt. Aber er hat dich nie verstanden, hat keine deiner Interessen geteilt und ist bis zum heutigen Tag nie länger in Efferdas geblieben als unbedingt erforderlich war. Er hat sich weder für dich noch für eure Kinder wirklich interessiert. Ihr musstet den Traviabund schließen weil unser Vater und sein Vater dies so beschlossen hatten. Der Eine weil er günstig an seltene oder gar neue Zutaten für Gerb- und Färbemittel kommen, der Andere weil er seinen jüngsten Spross finanziell gut versorgt wissen wollte.“ Er erhob sich und ging langsam um die Tafel herum: „Ich hatte mit Nita mehr Glück, wir haben unseren Weg gefunden und über die Götterläufe wurde aus Respekt und Achtung, Zuneigung und inzwischen Liebe. Du weißt welcher Frau mein Herz gehörte, doch auch ich habe mich dem Willen unseres Vaters gebeugt und die Tochter eines einflussreichen und wohlhabenden Rinderzüchters aus Ovriola geheiratet. Nur Ingalf und Festina, der Älteste und die Jüngste haben sich unserem Vater widersetzt und wurden zur Strafe aus Efferdas und aus der Familie verbannt.“ Er erreichte seine Schwester, ging neben ihr in die Hocke und ergriff ihre Hände: „Ingalf konnte ich nach Vaters Tod in die Familie zurückholen, Festina wurde uns von Herrn Boron leider zuvor genommen. Ja, bei meinem Ältesten habe ich den selben Fehler gemacht, weil ich geglaubt habe eine so liebevolle und gutherzige Frau wie Efferdane könnte aus Hoberto einen zufriedenen, herzlicheren Menschen machen. Jetzt muss ich damit leben, dass Efferdane, meinetwegen viele Götterläufe unglücklich war und unter meinem Sohn gelitten hat.“ Er lächelte gequält: „Einen Sohn verloren eine Tochter gewonnen!“ Seine rechte Hand fasste Phejanka’s Kinn und mit ganz sanftem Druck drehte er ihren Kopf so, dass sie ihn nun anblickte. Ihre Augen waren feucht und er wischte ihr mit dem Daumen eine Träne von der Wange: „Ich verspreche dir, Signor Rahdrigo und ich möchten Rahja nur die Gelegenheit verschaffen das Feuer der Liebe in Cerceri’s und Rondrigo’s Herzen zu entfachen, wenn die beiden in den Augen der Herrin der Freude und des Glücks nicht zusammen gehören, dann werden wir das Urteil der Heiteren Göttin akzeptieren und keinerlei Versuche mehr unternehmen das zu ändern oder gar einen Traviabund erzwingen. Signor Rahdrigo und ich sind einfach nur der Meinung, die beiden könnten genau das sein was der jeweils andere braucht und sich gut tun.“ Er erhob sich, seine Knie knackten und er gab ein leises Ächzen von sich, welches erkennen ließ, dass dieses Unterfangen etwas schmerzhaft und mühevoll war. Phejanka kicherte leise: „Das sah vor ein paar Götterläufen aber auch noch geschmeidiger aus, mein Lieber.“ Auch Dettmar lächelte nun kurz und strich seiner Schwester sanft mit dem Handrücken über die Wange, dann blickte er die Sheniloerin an: „Glaubt mir bitte, Signora Traviane, wenn ich euch sage, dass eure Gemahl und ich zu keinem Zeitpunkt erwogen haben den Traviabund mit dem Machtwort des Familienoberhauptes zu erzwingen.“ Er lächelte verschmitzt: „Zumal ich das auch gar nicht mehr könnte, da ich dieses Amt auf zwei Schultern verteilt abgegeben habe.“ Während er nun weitersprach wanderte sein Blick von Traviane über Rahdrigo zu Phejanka: „Wenn es Rahja gefällt aus den beiden keine Liebenden werden zu lassen, dann geht dieses Vorhaben in die zuständigen Hände und Quenia, Kilian und Signor Rahdrigo mögen sich zusammensetzen und überlegen ob es geeignete Kandidaten in unseren Familien gibt, die Interesse an einem Mitglied der anderen Familie hegt. Da wir ja beabsichtigen regelmäßig Gelegenheiten zu nutzen oder auch zu schaffen, bei denen zumindest einige Mitglieder unserer Familien miteinander zusammenkommen, wird sich über kurz oder lang bestimmt auf natürliche Art und Weise ein Traviabund fügen!“ Er küsste seine Schwester auf die Stirn und kehrte an seinen Platz zurück.
Traviane und Rahdrigo hatten in taktvollem Schweigen zugehört. Sie sahen sich an, Rahdrigo senkte den Blick. Auch ihre Ehe war nicht ihre Idee gewesen, sie hatten sich bloß nicht ihren Familienoberhäuptern widersetzt. Sie drückte leicht seine Hand, lächelte ihn an, als er wieder aufsah. Ja, es war am Anfang etwas seltsam gewesen, manchmal waren unangenehme Pausen entstanden, in denen keiner etwas zu sagen wusste. Sie waren sich ja Fremde gewesen!
Doch es hatte nicht lange gedauert, da hatten sie begonnen, sich Dinge anzuvertrauen, die sie niemandem sonst erzählten. Sie waren Liebende geworden, obwohl sie sich durch Rahjas Gunst vielleicht nie kennengelernt hätten. Nun fiel es ihnen schwer, sich ein Leben ohne den anderen, ohne ihre Kinder, vorzustellen.
Das alles tauschten sie mit diesem einen Blick aus.
“Ich verstehe.”, sagte Traviane leise. Sie strich Phejanka sanft und mitfühlend über den Arm. “Wir sind uns alle einig, dass wir eine Ehe im Sinne Rahjas anstoßen dürfen, niemals, niemals jedoch erzwingen.”
“So ist es.”, bekräftigte Rahdrigo, mit ebenso gesenkter Stimme. Er drückte Travianes Hand unter dem Tisch fester.
Phejanka nickte: „Nur weil es eine alte Tradition ist, muss sie nicht gut oder richtig sein! Ja, es entstehen glückliche Verbindungen, Nita und mein Bruder und auch du, meine liebe Traviane und dein Gemahl scheinen mir ein Beispiel dafür zu sein, dass man auch in einer arrangierten Verbindung glücklich werden kann.“ Sie sah in die Runde und hob die Hände: „Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder und allein dafür bin ich den Zwölfen dankbar. Und da es den Preis hätte, sie nicht mehr zu haben, wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, um mich gegen diesen Traviabund zu widersetzen, würde ich das auch niemals wollen. Aber wir, die wir es selbst erlebt haben, wir sollten alles daran setzen, unseren Lieben dieses Schicksal zu ersparen und ihnen die Möglichkeit geben, mit dem Menschen durch ihr Leben zu gehen, dem ihr Herz gehört. Egal ob es den Geschäften, den politischen Ambitionen oder der Bindung eines Handwerksmeisters dient oder der Familie vielleicht auch überhaupt keinen Nutzen bringt.
Das Glück unserer Lieben sollte genug Nutzen für die Familie sein.“ Gerade wollte Dettmar ihr zustimmen, da hob sie die Hand und er schwieg. „Ich will nur noch sagen, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass auch ein Traviabund aus Liebe keine Garantie auf eine glückliche Partnerschaft ist, aber wenn es meine eigene Entscheidung war, lässt sich das Schicksal besser tragen! Zumindest mir würde es so gehen!“
Sie blickte zu ihrem Bruder, lächelte sanft und nickte kurz.
„Ich teile Deine Meinung. Nur weil etwas eine lange Tradition hat ist es noch lange nicht richtig!“ Sein Blick schweifte einmal über alle Anwesenden: „Und wie bereits erwähnt, es war nie unsere Absicht Cerceri und Rondrigo gegen ihren Willen zu verheiraten.“ Dann blickte er zu den beiden Gastgebern: „Wäre es sinnvoll noch andere Mitglieder eurer Familie mit ins Vertrauen zu ziehen, die uns bei unserem kleinen Rahjastückchen beistehen könnten? Vielleicht euer Bruder Signor Rahdrigo? Ein Diener der Liebholden könnten doch sehr hilfreich sein, damit die Heitere Göttin ihren wohlwollenden Blick auf die Beiden legt. Was denkt ihr?“
Traviane hatte das Bedürfnis, ihre Freundin zu umarmen. Sie kannte dieses Gefühl nur zu gut, dass die eigenen Kinder, wenn sie einmal da waren, unglaublich schnell das wichtigste im Leben wurden, auch wenn man sich das davor nie so hatte ausmalen können. Phejankas Geschichte berührte sie auf eigentümliche Weise. Sie war sehr ähnlich zu ihrer eigenen und doch so verschieden… so traurig.
Erst Dettmars Frage riss sie aus dem Strom ihrer Gedanken, der sie unmerklich immer weiter weg aus der Realität getragen hatte.
Da antwortete Rahdrigo schon. Sie konnte ihm an der Nasenspitze ansehen, wie er jedes Wort zuvor abwog: “Das stimmt sehr wohl. Ein Rahjadiener würde sich in diesem Gebiet noch einmal sehr viel besser auskennen als wir. Das Problem dabei ist nur, dass ich meinem Bruder vor ein paar Götterläufen nahebringen wollte, einen politischen Traviabund zu schließen.”
Er warf einen schnellen, fast entschuldigenden Blick zu Phejanka.
“Es kam zu einem sehr unerfreulichen Streit. Ich bezweifle, dass er mich ausreden lassen wird, sobald ich ihm diese Idee anfange darzulegen. Obwohl sich unser Verhältnis in letzter Zeit wieder gebessert hat.”
Er sah nun zu seiner Frau.
“Vielleicht wäre es jedoch eine Möglichkeit, jemand anderen zu schicken, um ihm vorsichtig den Vorschlag zu unterbreiten. Ich wäre keinesfalls geeignet dafür.”
Traviane bemerkte den fragenden Unterton.
“Hmm, vielleicht Rahjesco?”, schlug sie vor. “Ich hatte immer den Eindruck, dass er dich wegen deiner Aufopferungsbereitschaft für die Familie sehr schätzt. Bei Rahjabella habe ich das Gefühl, dass sie zu sehr unter Rahjalins Einfluss steht und ähnlich reagieren könnte wie er. Sonst bleiben ja nicht mehr viele übrig.”
Dettmar räusperte sich: „Verzeiht werte Freunde, wenn ich mich einmische, aber gibt es vielleicht eine Möglichkeit Signor Rahjesco zu einem Treffen unter vier Augen zu bewegen?“ Er überlegte einen Moment: „Sagen wir, wenn ihr, mein geschätzter Signor Rahdrigo, euren Neffen bitten würdet, daß er sich mit mir trifft, da ich ihn um persönlichen Rat und gegebenenfalls um seinen Beistand und die Fürsprache bei der Liebholden ins Vertrauen ziehen möchte. Denkt ihr er würde sich darauf einlassen? Und seid ohne Sorge, ich will ihn nicht hinters Licht führen. Euer Neffe wird von mir erfahren, wie sich der Gedanke entwickelt hat und dass es nur darum geht, dem Wirken Rahjas auf die Sprünge zu helfen. Verlieben kann sich nur, wer sich kennt. Wenn es nach einem Treffen ergibt, dass sie keinerlei Interesse aneinander haben, dann ist dies auch für uns ein Zeichen, dass die Göttin einem Bund der beiden den Segen verweigert und es soll fortan keine weiteren Bestrebungen unsererseits geben einen Traviabund zwischen Cerceri und Rondrigo zu erreichen!
Könnte ein solches Vorgehen gelingen?“
Sein Blick wanderte zwischen Traviane und Rahdrigo hin und her.
Sie wechselten einen Blick und nickten dann beide leicht. “Wir könnten ihn für ein Treffen morgen einladen, euch einander vorstellen und ihm von der Idee erzählen.”, sagte Rahdrigo.
“Eigentlich sollten er und die Kinder schon zurück sein.”, bemerkte Traviane da.
“Hmm, es kann sein, dass sie noch etwas essen gehen. Wir müssen uns keine Sorgen machen. Rahjesco und Rahjabella können sehr gut auf sie aufpassen.” Insgeheim war er froh, dass seine drei ungestümen Kinder noch nicht zurück waren. Ihm fiel wieder dieses eine Geschäftsessen ein, das Innocencia und Alvinia sehr erfolgreich gestört hatten. Auch wenn das hier sehr viel informeller war und er die efferdasischen Gäste so einschätzte, dass sie es ihnen nicht übel nehmen würde, wäre es ihm doch recht unangenehm.
Traviane nickte langsam.
“Ich denke, es wird Zeit für den ersten Gang, nicht wahr?”, stellte Rahdrigo fest, nachdem er kurz die Teller der Anwesenden gemustert hatte. Der Patriarch sprach etwas lauter als gewöhnlich, sodass ihn auch die Bediensteten hörten, die sich sofort angesprochen fühlten und die Vorspeise wegräumten.
Als erster Gang wurden nun Nudeln mit Rindfleischsoße serviert.
“Nicht wundern, dass die Pici so lang sind, das ist eine urbasische Spezialität!”, lachte Traviane. Und tatsächlich: Die Nudeln, die sie Pici genannt hatte, waren so lang, dass man sie zuerst mehrmals zerteilen musste, bevor man sie verspeisen konnte.
Phejanka nickte zufrieden: “Dann haben wir ja einen Plan, um die Sache voranzubringen.
Ich kann mir tatsächlich durchaus vorstellen, dass Cerceri und Rondrigo gefallen aneinander finden. Sie sind beide sehr gutaussehende Menschen und gebildet. Es ist also nicht völlig aus der Luft gegriffen, einen Versuch zu unternehmen, um die Beiden einander bekannt zu machen und zu hoffen, es könnte sich etwas Ernstes daraus entwickeln.” Sie blickte Traviane dankbar an und legte ihre Hand auf die der gebürtigen Sheniloerin: “Es hat mir wirklich sehr gut getan, gerade mit dir dieses Monster meiner Vergangenheit teilen zu können.” Sie lächelte etwas versonnen: “Tatsächlich ist es nun gefühlt ein ordentliches Stück kleiner geworden!”
Dettmar nickte zustimmend, als der Hausherr den ersten Gang erwähnte: "Nachdem wir die Angelegenheit geklärt und die Missverständnisse beseitigt haben, ist der Appetit…” Er blickte etwas verschämt in die Runde: “...hoffentlich nicht nur bei mir zurückgekehrt!”
Diese Pici waren zwar etwas unhandlich und nicht ganz leicht zu bändigen, aber gerade in Verbindung mit der wirklich köstlichen Soße ein echter Genuss. Der Efferdier ließ es sich denn auch nicht nehmen Rahdrigo ein Kompliment zu dessen Küchenmeister auszusprechen.
Tatsächlich konnte man dem Quartett eine gewisse Erleichterung anmerken und es kehrte die Unbeschwertheit von vor dem ungeahnt schwierigen und emotionalen Thema zurück.
“Wie geht doch gleich dieser Spruch? ‘Wer die Gegenwart genießt, hat in Zukunft eine wundervolle Vergangenheit’.”, zitierte Traviane den Ausspruch eines Rahjageweihten, den sie irgendwo gehört und sich gemerkt hatte. Dabei sah sie Phejanka mit einem warmen Lächeln an. “Lasst uns diesen Abend nach dem Motto verbringen! Und noch viele, die darauf folgen werden.”
Die Runde nickte zustimmend und widmete sich ein paar stille Momente genüsslich ihren vollen Tellern und erneut gefüllten Weingläsern, diesmal ein schwerer Rotwein, dessen sanftes, unaufdringliches, aber dennoch würziges Aroma gut mit der Soße harmonierte.
“Was gibt es eigentlich so für traditionelle Speisen in Efferdas?”, fragte Rahdrigo interessiert, während er seine Pici zerteilte und ein Stück auf seine Gabel aufwickelte. Er aß es zusammen mit einem Happen Rindfleisch.
Phejanka war sichtlich gerührt: „Ein wundervolles Motto, meine Liebe. Eigentlich sollte man sein ganzes Leben unter dieses Motto stellen.“
Die Stille war sehr angenehm und gut auszuhalten, nicht diese Art betretenes Schweigen, weil niemand recht weiß was er sagen soll.
„Efferdischer Aal in Weinsud.“ Kam die Antwort der beiden Efferdier wie aus einem Mund auf Rahdrigo’s Frage, gefolgt von einem kurzen, überraschten Blickwechsel der Geschwister und dann lachten beide.
„Ja, Aal, so er richtig zubereitet ist, ist wirklich etwas Köstliches.“ Schwärmte Phejanka.
„Dazu einen trockenen Weißwein, zum Niederknien.“ Ergänzte Dettmar.
Man konnte den beiden Gästen aber ansehen, dass auch die dargebotenen Speisen ganz ihren Geschmack trafen.
Nach einer weiteren kleinen Pause in der alle sich dem Genuss des herrlichen Mahls widmeten, war es erneut Phejanka die das Wort ergriff: „Ich hoffe wir finden noch die Zeit gemeinsam etwas zu musizieren, wenn nicht mehr heute, dann bitte morgen.“ Fast flehend ging ihr Blick von einem zum anderen Anwesenden.
Traviane nickte mit leuchtenden Augen, Rahdrigo hob jedoch hilflos die Hände. “Ich muss euch leider enttäuschen, doch ich spiele kein Instrument. Dafür Traviane so gut, dass es für uns beide zählt.” Er lächelte seiner Frau voller Bewunderung zu. Wie er es liebte, ihr beim Harfenspiel zuzusehen, wenn sie ganz darin versank und dem Instrument diese wundervollen Klänge entlockte! Nicht selten spielte sie bis tief in die Nacht. Sobald die ganze Stadt schlummerte, war ihre wunderschöne Musik dann leise in seinem Arbeitszimmer zu hören, wenn er wieder einmal viel länger arbeitete, als es gesund war.
Er hatte nicht gewusst, wie sehr diese Musik ein Teil seines Lebens geworden war, bis Traviane vor einigen Götterläufen einmal über mehrere Wochen ihre Familie in Shenilo besuchte. Nach einer Woche war ihm der Palazzo mit einem Mal unheimlich still vorgekommen und er hatte sich die Harfenklänge sogar eingebildet.
Traviane lächelte zurück. Das Kompliment erfreute sie, wie immer, wenn jemand sagte, dass sie ungewöhnlich gut spielte. Doch dieser verträumte Blick Rahdrigos ließ es ihr ganz warm ums Herz werden. Er sah sie an, wie man jemanden ansieht, in den man sich frisch verliebt hat. Nur, dass sie seit Jahren verheiratet und nie wirklich verliebt waren, diese Phase hatten sie einfach übersprungen und sich erst nach und nach kennengelernt.
“Lasst uns dann bald zum zweiten Gang übergehen!”, schlug sie mit einem Blick auf die Teller der Gäste vor. “Damit wir noch zum Musizieren kommen.”
Dettmar blickte etwas neidisch zu Rahdrigo, wie gerne würde er sich auch mit dem Verweis kein Instrument zu beherrschen aus der Affäre ziehen.
Aber zum einen hatte seine liebe Schwester bereits den neuen Freunden verraten, dass er ein ganz brauchbarer Spinett- und Cembalospieler war und selbst wenn nicht, Phejanka würde ihn auch nicht so einfach mit dieser fadenscheinigen Ausflucht davonkommen lassen. So seufzte er schicksalsergeben, naja, eigentlich spielte er ja auch ganz gerne.
Allerdings war er schon einige Zeit nicht mehr dazu gekommen, das Spinett im Salon des Palazzo Pellioni zu benutzen, er war gespannt, wie diese Primäre nach sicher fünf oder sechs Götterläufen gelingen würde.
Die Aufforderung der Gastgeberin sich den noch gut gefüllten Tellern zu widmen, auf das der nächste Gang serviert werden könne, um noch ausreichend Zeit für das gemeinsame Musizieren zu finden, holte den Efferdier aus seinen Überlegungen. „Ihr habt vollkommen Recht geschätzte Signora Traviane. Ganz davon abgesehen, dass es ein Frevel ohne Gleichen wäre dieses köstliche Essen erkalten zu lassen.“ Phejanka warf ihm einen neckischen Blick zu, verkniff sich allerdings eine Bemerkung und so widmete sich das Quartett wieder ihren Tellern. Doch noch ehe der nächste Gang serviert werden konnte wurde es draußen etwas lauter und drei Kinder betraten den Raum voller Ungeduld ihren Eltern von den Erlebnissen des Tages zu berichten. Beim Anblick der beiden Fremden besannen sie sich aber augenblicklich ihrer guten Erziehung.
"Mutter!! Wir haben eine riesige Raubkatze gesehen, die–"
Innocencia brach mitten im Satz ab und starrte halb überrascht, halb erschreckt die zwei Besucher an. Ricardo und Alvinia rannten fast in ihre jüngere Schwester rein.
"He!", beschwerten sie sich zuerst lauthals, bis auch sie die Efferdier erblickten und verstummten.
"Schön, dass ihr wieder da seid, meine Lieben!" Traviane erhob sich strahlend und umarmte nacheinander ihre Kinder. "Nun, wollt ihr euch nicht erst einmal unseren Gästen vorstellen wie es der Anstand verlangt, bevor ihr von euren Erlebnissen erzählt?" Ihr Tonfall war sanft und liebevoll, sowie scherzhaft tadelnd.
Die drei sahen unsicher erst zu ihren Eltern, die ermutigend nickten, und dann zu Phejanka und Dettmar.
"Die Zwölfe zum Gruße, ich bin Innocencia.", machte dann überraschend das jüngste, etwa achtjährige Mädchen den Anfang. Sie knickste.
"Und ich bin Alvinia." Ihre ältere Schwester knickste ebenfalls.
"Mein Name ist Ricardo." Der ältere Bruder der beiden verbeugte sich knapp.
Dettmar lächelte freundlich: „Mögen euch die Zwölfe euch immer gewogen sein, werte Signoras und werter Signor.
Wenn ich vorstellen darf,“ er wies auf die Frau an seiner Seite: „Signora Phejanka Gerber, meine hochgeschätzte Schwester.“ Phejanka verneigte sich: „Die Zwölfe zum Gruße ihr jungen Herrschaften!“ auch sie lächelte vergnügt und freute sich sehr, die Kinder ihrer Freundin nun auch kennenzulernen. „Mein Name ist Dettmar Gerber!“ Fuhr der Efferdier fort und verneigte sich ebenfalls. Auf Titel verzichtete er absichtlich, das schien ihm in diesem Rahmen und gegenüber von Kindern arg unangebracht. „Ich freue mich außerordentlich, den Stolz des Hauses Solivino kennenzulernen.“ Er lächelte die Jüngste im Bunde freundlich an: „Wie ich euren anfänglichen Worten entnehmen konnte, Signora Innocencia waren die jungen Herrschaften im Bestiarium. Ich selbst hatte noch nicht die Gelegenheit zu einem Besuch dort.” Er neigte den Kopf etwas zur Seite: “Was würdet ihr sagen, Signora Innocencia, habe ich da etwas verpasst und was sollte ich mir bei einem Besuch auf jeden Fall ansehen?“ Mit ehrlichem Interesse sah er das Mädchen an.
Einen kurzen Moment zögerte das Mädchen noch, doch dann erzählte sie munter drauf los. “Also Signor, da war eine große Raubkatze, soo groß ungefähr”
Sie breitete ihr Arme so weit aus, wie es maximal ging. “und die hat geschlafen, zumindest so ausgesehen, und als die Tiere dann gefüttert wurden, hat sie nur einmal müde geblinzelt und ist nicht mit ihren Freunden essen gegangen.”
“Quatsch nicht, das war ein Wolfsrudel, keine Katzen!”, unterbrach Ricardo sie augenrollend.
Innocencia sah ihn kurz perplex an, ließ sich jedoch nicht beirren. “Egal, jedenfalls habe ich das gesehen und es Rico und Alvinia gezeigt und irgendwann haben das immer mehr Leute bemerkt und den Tierpflegern Bescheid gesagt. Die sind dann nachdem alle Katzen–”
“Wölfe!”, riefen Alvinia und Ricardo im Chor.
“...fertig gegessen haben, in das Gehege reingegangen und haben sich um den Wolf gekümmert. Einfach so, und sie wurden nicht gefressen!” Innocencia strahlte. Sie sah so aus, als hätte sie fest damit gerechnet, dass die Pfleger gefressen würden.
“Deswegen haben sie ihnen zuerst die Kaninchen zu fressen gegeben und sind dann reingegangen.”, erklärte Ricardo überflüssigerweise.
„Ihr scheint mir eine äußerst aufmerksame Beobachterin, Signora Innocencia!“ lobte Dettmar und setzte hinzu: „Vielleicht sollte man euch dort eine Anstellung geben, damit jemand rechtzeitig Bescheid geben kann, wenn eines der Tiere erkrankt!“ Dann wandte er sich an den Bruder: „Und ihr Signor Ricardo, was hat euch am Besten gefallen?“ Es war Dettmar anzumerken, dass es ihn wirklich interessierte und keineswegs nur so eine Höflichkeitsspielerei war.
Ricardo sah überrascht auf. “Signor, ich… äh… mochte die neuen, bunten Fische im Aquarium, die gerade vor ein paar Tagen aus dem Südmeer geliefert wurden, am liebsten. Einer der Seeleute, die sie gefangen haben, war da und hat spannende Geschichten über die gefährliche Reise erzählt. Leider sind nur etwa die Hälfte der Fische hier lebend angekommen.”
Er sprach leise und zurückhaltend und schien Dettmar währenddessen genau zu mustern.
“Ja, die andere Hälfte wurde bei einem Überfall von echten Piraten getötet! Oder waren es Al'Anfaner?”, überlegte Alvinia.
“Nee, bestimmt Thorwaler, die essen schöne bunte Fischchen zum Frühstück.”, kicherte Innocencia.
Dettmar lachte herzlich: „Nun Piraten, Al’Anfaner und Thorwaler nehmen sich tatsächlich nicht viel, was sie nicht versklaven können, essen sie oder lassen es zu ihrem Vergnügen gegeneinander auf Leben und Tod kämpfen. Aber zurück zu erfreulichen Themen. Fische, tatsächlich? Das klingt sehr interessant. Da bin ich sooo alt geworden und habe mein Lebtag doch noch kein Aquarium gesehen. Wohl davon gehört, aber selbst gesehen leider noch keines.“
Er blickte interessiert zu der Dritten im geschwisterlichen Bünde: „Und ihr Signora Alvinia, was sind eure liebsten Tiere, was muss ich eurer geschätzten Meinung nach unbedingt sehen, wenn ich das Bestarium besuche.“
“Es gibt zur Zeit eine Fuchsfamilie mit drei kleinen Füchsen, die sind wirklich sehr süß! Aber es haben sich so viele Besucher um ihr Gehege gedrängt, dass wir sie nur aus der Ferne sehen konnten. Die Fuchskinder heißen Astra, Nox und Caligo, weil sie phexheilig sind.”
Sie lächelte stolz über ihre Bosparanokenntnisse.
“Der Wärter, den wir auf die Wölfe aufmerksam gemacht haben, hat uns jedoch als Dank dafür um die Leute herumgeführt, sodass wir die Füchse aus nächster Nähe betrachten konnten.”
Der graumelierte Senator der Republik Efferdas sah das Mädchen sehr zufrieden an. „Nun Signora Alvinia, da habt ihr und eure Geschwister gleich von eurer aller Hilfsbereitschaft profitieren können. Eine wertvolle Lektion. Gutes zieht zumeist Gutes nach sich.“ Er ließ seinen Blick über die drei Solivino-Sprösslinge gleiten. „Das klingt alles sehr interessant. Ob die drei jungen Herrschaften mir und meiner Schwester Phejanka, natürlich in Begleitung ihrer Eltern, morgen bei einer Führung durch das Bestarium Gesellschaft leisten würden?“
“Jaa!!”, quietschte Innocencia aufgeregt. Ihre Geschwister nickten eifrig.
“Und wo habt ihr euren Cousin gelassen? Der wurde doch nicht etwa von den Wölfen gefressen?” Rahdrigo lachte herzlich und sah sich nach seinem Neffen um, den er bei seinen Kindern erwartet hätte.
“Ich konnte ihnen mit knapper Not entkommen.”, erwiderte Rahjesco trocken, als er gerade zur Tür hereintrat. Sein Blick huschte für einen Wimpernschlag über die Gäste, seine Augen weiteten sich überrascht, er schien beinahe etwas außer sich. Dann hatte er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle.
“Das stimmt nicht! Du warst nicht einmal bei ihnen im Gehege.”, warf Alvinia ein.
“Aber er hätte die Wölfe mit seinem Rapier in Stücke gehauen, wenn sie uns angegriffen hätten!” Die Augen der Jüngsten begannen zu leuchten.
Traviane war derweil der kurze Ausdruck auf Rahjescos Gesicht nicht entgangen. Sie runzelte die Stirn, beschloss jedoch, erst einmal weiter zu beobachten.
Während Rahdrigo seinen Kindern gedämpft erklärte, dass Rahjescos Aussage ironisch gemeint gewesen war, ging ebendieser wie es die Etikette verlangte mit einem freundlichen Lächeln auf die Gäste zu und verbeugte sich. Der Cavalliere hatte seine Emotionen wieder erfolgreich unter der Maske des leicht verspielten Lächelns verborgen, die er häufig aufzusetzen pflegte, wenn er mit Damen und Herren von Stand verkehrte.
“Cavalliere Rahjesco Solivino. Es ist mir eine Ehre, Signora und Signor.”
Dettmar, der noch mit dem Nachwuchs der Gastgeber in Gespräche über die Erlebnisse im Bestiarium vertieft war entschuldigte sich bei seinen jungen Gesprächspartnern für die kurze Unterbrechung und wandte sich mit nicht minder interessierter und freundlichen Mimik dem Sohn Cerceri’s zu. Er war wirklich erstaunt, dass die anmutige Cerceri bereits so einen stattlichen, erwachsenen Mann zum Sohn hatte. Hätte er allein auf Grundlage des Äußeren der urbasischen Schönheit das Alter ihrer Kinder raten sollen, hätte er an 12, vielleicht 15 Götterläufe gedacht, auf keinen Fall älter.
Dieser Signor war allerdings sicher bereits um die dreißig Götterläufe alt und somit im besten Alter selbst eine Familie zu gründen.
Der Efferdier ertappte sich dabei in Gedanken, die Liste der ledigen Frauen der Familie Gerber im entsprechenden Alter durchzugehen. Er mahnte sich zur Konzentration, seine Schwester hatte bereits den Umstand, dass er mit den Kindern beschäftigt gewesen war und noch etwas abgelenkt gewirkt hatte genutzt um sich selbst vorzustellen.
Nun war es an dem einstigen Patriarchen, sich vorzustellen. „Ich bin Dettmar Gerber, Senator und Hochrichter der Republik Efferdas. Eine Ehre und Freude eure Bekanntschaft zu machen, Cavalliere Rahjesco Solivino!“ Er verneigte sich leicht.
Rahjescos Gedanken überschlugen sich. Er hatte nicht genug von dem Gespräch mitbekommen, um zu wissen, wer genau als geplanter Heiratspartner seiner Mutter im Gespräch war. Doch nicht etwa Dettmar? Er war bestimmt zwanzig Jahre älter als Cerceri!
Der junge Cavalliere lächelte weiterhin höflich.
“Aus Efferdas, wie spannend. Und wie hat es Euch hierher nach Urbasi verschlagen? Habt Ihr meinen Onkel und meine Tante zufällig getroffen oder gibt es Beziehungen zu der Familie Gerber, von denen ich noch nichts weiß?” Die Bemerkung mit den Beziehungen hatte einen kaum merkbaren, seltsamen Unterton.
Er lachte heiter auf und streifte kurz Rahdrigo mit einem fragenden, beinahe vorwurfsvollen Blick. Der schüttelte kaum merklich den Kopf und schien generell etwas verwirrt über Rahjescos Verhalten.
Traviane verfolgte das Hin und Her der beiden und unterdrückte einen genervten Seufzer. Wenn sie so weiter machten, würden ihre neuen Freunde es bemerken, wie peinlich! Ihr Mann und ihr Neffe sollten endlich erwachsen werden. Sie starrte Rahjesco durchdringend an, wartete darauf, dass er ihren auffordernden Blick, endlich mit der Sprache herauszurücken, bemerkte. Was konnte denn so schlimm sein, dass er es nicht vor der großen Runde ansprechen wollte, aber es dennoch nicht für sich behalten konnte, bis die Gäste nicht mehr da waren?
Dettmar Gerber lächelte, auch wenn ihn sowohl die Wortwahl als auch die Frage selbst etwas irritierte. Nun gut, den ganzen Tag mit drei offensichtlich sehr quirligen und klugen Kindern zu verbringen, vor allem wenn man es nicht gewohnt war, konnte durchaus sehr fordernd sein. Vielleicht war Rahjesco im Gegensatz zu dem kleinen Trio etwas erschöpft. „Nun in der Tat führt uns der Anlass nach Urbasi, der wohl den überwiegenden Teil der derzeitigen Besucher hierher geführt hat, der Tag der Volkskunst. Da meine Gemahlin anderweitige Verpflichtungen wahrnehmen musste habe ich meine liebe Schwester gebeten mich auf diese kleine Reise zu begleiten.“ Er blickte von Rahjesco zu Phejanka und von dieser zu Rahdrigo und Traviane. „Nun, wie es scheint hat es der Allweisen gefallen Signora Traviane und Signor Rahdrigo und uns zusammenzuführen.“ Er lächelte vielsagend: „Ihr könnt also unbesorgt sein, euer Onkel hat euch keine geschäftlichen oder gar privaten Beziehungen zur Familie Gerber aus Efferdas verschwiegen.“ Phejanka blickte während dessen zu Traviane und irgendwie schien die Freundin etwas zu beschäftigen, Als ihr Bruder geendet hatte sah sie wieder kurz zu dem jungen Mann und fügte hinzu: „Wobei eure Tante und ich bereits einige interessante Verbindungen ihrer Familie zu der Familie Gerber entdeckt haben, so dass es eigentlich schon ein bisschen erstaunlich ist, dass wir uns nicht schon früher begegnet sind.“ Ihr Blick war während ihrer Rede wieder zu Traviane gewechselt, die sie nun voller Zuneigung anlächelte.
“Es freut mich, dass das Schicksal unsere Familien nun so unerwartet zusammengeführt hat.” Rahjesco erwog, noch eine Anspielung in Richtung der geplanten Heirat zu machen, doch würde er damit offenbaren, dass er gelauscht hatte.
“Ich möchte euch nicht länger von dem köstlich duftenden Mahl abhalten. Normalerweise würde ich mich euch anschließen, doch wir haben bereits in einem Gasthaus gespeist.” Er neigte leicht den Kopf und wandte sich zum Gehen. Im Beisein der Gäste wollte er das Thema nicht ansprechen, lieber morgen, unter vier Augen mit Rahdrigo.
“Mein lieber Neffe, was beschäftigt dich?”
Bevor Rahjesco gehen konnte, hielten ihn die sanften, aber bestimmten Worte Travianes von seinem Vorhaben ab. Die Signora hatte entschieden, dass es besser war, alle Karten offen auf den Tisch zu legen. Sie konnte sich die Eingebung selbst nicht ganz erklären, doch irgendetwas sagte ihr, dass sie Phejanka vertrauen konnte und somit auch Dettmar.
Der Cavalliere wandte sich erneut um, sah Traviane mit seinen verwegenen blaugrauen Augen an, die denen seiner Mutter aber auch denen Innocencias so sehr ähnelten.
Ganz kurz ließ er sie seine Emotionen hinter der Maske erkennen: Wut, Machtlosigkeit.
Dann war der Moment vorbei und er holte tief Luft. Es hatte doch keinen Sinn, es zu verheimlichen. Obwohl er nicht direkt sagen musste, dass er es war, der gelauscht hatte.
“Eure Gespräch darüber, meine Mutter zu verheiraten, ist nicht lange ein Geheimnis geblieben. Es gibt einige Leute, die davon wissen und nicht sehr erfreut darüber sind, dass dies alles ohne Kenntnis der eigentlich Betroffenen besprochen wird.”
Die Aussage war beherrscht, nichts von seiner Wut sickerte durch, außer messerscharfe Kritik.
Kurz herrschte Stille, dann ergriff Dettmar Gerber das Wort: „Nun, Signor Rahjesco, wer auch immer euch das erzählt hat, er hat euch nicht belogen. Doch wie das immer ist wenn man nur einen Bruchteil einer Geschichte kennt, weiß man weder was zu dem Bruchteil den man kennt geführt hat und man weiß ebenso wenig wie die Geschichte endet. Bevor ihr also mir und eurem Oheim zürnt, solltet ihr vielleicht nach der ganzen Geschichte fragen.“
Dettmar blickte den jungen Cavalliere mit mildem, freundlichen Blick, ganz ohne jeden Tadel an.
„Seht, euer Oheim und ich haben bei einem Glas Wein so über diverse Themen gesprochen. Unter anderem kam das Gespräch auch auf eure Mutter und dass sie einen geeigneten Gemahl sucht, aber bislang noch nicht der richtige Signor darunter war. Nun in diesem Zusammenhang musste ich an Rondrigo, meinen Großneffen, denken. Und so sind wir, Signor Rahdrigo und ich ein bisschen ins Überlegen gekommen, dass eine Verbindung unserer Familien diverse Vorzüge für beide Seiten mit sich bringen würde und dass so eine Verbindung auch politisch ein positives Signal wäre.
Danach sind wir etwas ins Philosophieren gekommen, wie man so eine Hochzeit standesgemäß veranstalten könnte. Irgendwann ist uns in unserer ganzen Euphorie eingefallen, dass es zwei ganz große Schwierigkeiten in unseren Gedankenspielen gibt. Erstens kennen sich die beiden potentiellen Traviabündler noch gar nicht. Zweitens ist dann immer noch die Frage offen, ob Rahja die beiden küsst.
So haben wir überlegt wie man so ein Kennenlernen ganz zwanglos in angenehmer Atmosphäre möglichst beiläufig stattfinden lassen könnte. Ohne dass Signora Cerceri und Signor Rondrigo bemerken, dass das primäre Ziel ihr Kennenzulernen ist. Und das war es dann auch schon.“ Dettmar nickte, dann fügte er hinzu: „Ich habe zu viele negative Erfahrungen mit befohlenen Traviabünden gemacht, als dass ich geneigt wäre so etwas zu wiederholen.“ Dann plötzlich lächelte er breit. „Außerdem habe ich Signora Cerceri bereits kennengelernt, wenn auch nur kurz. Wie auch immer, sie hat jedenfalls nicht den Eindruck auf mich gemacht, als würde sie sich zu irgendetwas zwingen lassen, zumal wenn es ihr widerstrebt. Von daher wäre es wohl ohnehin unsinnig sie zu einem Traviabund nötigen zu wollen.“ Der Efferdier blickte den Sohn von Cerceri Solivino offen an. „Klingt die ganze Geschichte für euch noch immer so verwerflich, Signor Rahjesco?“
“Tatsächlich nicht. Verzeiht meine Anschuldigungen, die über keine Grundlage verfügten.” Rahjesco klang ruhig, beinahe etwas kleinlaut.
Er blickte entschuldigend zu Rahdrigo und Traviane. “Ich hätte dir mehr vertrauen sollen, Onkel, dass für dich das Wohlergehen deiner Schwester schwerer wiegt als jeder politischer Machtzuwachs.”
Er wandte sich verwirrt, mit gemischten Gefühlen, zum Gehen, diesmal aber wirklich, und verneigte sich noch einmal Richtung Gäste. “Einen angenehmen Abend wünsche ich.”
Es herrschte ein unangenehmes Schweigen, als er den Raum verließ, das anhielt… und anhielt.
Die achtjährige Innocencia rieb sich die Augen und gähnte herzhaft. “Ich bin müde. Bringst du mich ins Bett, Mutter?”
“Natürlich, mein Schatz. Kommt, Alvinia, Rico. Auch für euch wird es Zeit, euch nach diesem anstrengenden Tag in Marbos Arme zu begeben.”
Dettmar erhob sich, entschuldigte sich kurz bei seinen Gastgebern und eilte Rahjesco hinterher.
Zum Glück des nicht mehr ganz so fitten Efferdiers war der wesentlich jüngere Cavalliere eher bedächtigen Schrittes gegangen.
„Cavalliere Solivino, wartet bitte! Ich möchte das Gespräch nicht so beendet wissen.“
Der Cavalliere der Fürstlichen Gemeinde des Heiligen Agreppo blieb stehen und wandte sich dem Hochrichter und Senator der Republik Efferdas zu.
„Seid bedankt Signor Rahjesco!“ Trotz des relativ kurzen Stückes, dass der 67-Jährige etwas schneller gegangen war, musste er erst einmal zu Atem kommen bevor er weitersprechen konnte.
„Ich glaube, ich sollte mich wieder etwas mehr bewegen! Nicht zu glauben, dass ich einmal in eurer körperlichen Verfassung war. Ich kann euch nur raten, wenn ihr gedenkt, der Politik nachzugehen, vernachlässigt euren Körper nicht.“
Er atmete zweimal tief durch, dann meinte er: „Aber ich bin euch nicht nachgekommen um euch belehren zu wollen. Nein, vielmehr hatte ich das Gefühl, dass ich euch noch etwas sagen muss.“ Er lächelte aufmunternd. „Ihr habt Informationen erhalten die darauf hindeuteten, dass eurer Mutter Ungemach droht und ihr, als guter Sohn, habt folgerichtig entschieden sie zu beschützen. Eine Regung die sich für einen Sohn und einen sittlichen Cavalliere ziemt. Daher habt ihr meinen vollen Respekt, ich hätte an eurer Stelle nicht anders gehandelt und ich bin mir sehr sicher euer Oheim ist ebenfalls stolz auf euch. Ich möchte euch einen Vorschlag machen.“ Dettmar hatte das Gefühl sein Gegenüber wolle etwas einwenden, daher hob er die Hand und bat in sachlichem Ton: „Hört bitte erst was ich zu sagen habe und überdenkt den Vorschlag gerne, ihr müsst mir heute noch keine Antwort geben. Mein Vorschlag oder besser gesagt meine Einladung. Begleitet eure Frau Mutter nach Belhanka zur Wahl der Schönheiten des Landes am 12. Phex. Fragt gerne eure Schwester ob sie ebenfalls mitkommen möchte. Dann könntet ihr euch selbst überzeugen, dass eure Frau Mutter nicht übervorteilt werden soll und den Kandidaten, der im Übrigen ebenfalls nichts von seinem Glück ahnt, den wir für eure Frau Mutter im Sinn haben könnt ihr dann ebenfalls gleich kennenzulernen. Wie gesagt denkt darüber nach und besprecht euch gerne mit eurer Schwester.“ Dettmar verneigte sich leicht: „Danke für eure Zeit Cavalliere Solivino. Habt eine angenehme Nacht und mögen die Zwölfe mit euch sein!“ Dettmar wandte sich langsam ab, um in den Speiseraum zurückzukehren.
Schweigend hatte Rahjesco sich angehört, was Dettmar zu sagen hatte. Er schien sich nicht entscheiden zu können, was er darauf erwidern sollte.
“Signor, ich muss mich bei euch entschuldigen!”, sagte er, als der Senator ihm fast den Rücken zugedreht hatte. “Ihr seid ein ehrenwerter Signor und sehr viel erfahrener als ich. Meinen ersten Eindruck von euch hätte ich mir nicht aufgrund von Falschinformationen bilden dürfen. Mein Verhalten war das eines Cavalliere nicht würdig. Über eure Worte und euren Vorschlag werde ich nachdenken müssen.”
Dettmar konnte nicht wissen, dass Rahjesco mit der letzten Bemerkung vor allem seine heimliche Schleichaktion meinte. Er verneigte sich und begab sich in gemächlichem Tempo in Richtung seines Schlafzimmers. Morgen würde er als Erstes Rahjabelle konsultieren, nahm er sich vor, als er die Tür hinter sich zufallen und sich auf sein Bett sinken ließ.
Als derweil Dettmar in den Speisesaal zurückkehrte, sahen ihn die zwei Zurückgebliebenen erwartungsvoll an. Es dauerte gar nicht lange, da kam auch Traviane wieder hinzu. “Eines der Dienstmädchen erzählt ihnen noch eine Gutenachtgeschichte. Sie sahen alle drei mit einem Mal so erschöpft aus, dass sie, glaube ich, schon nach dem ersten Wort einschlafen werden.” Sie lächelte und einen Moment strahlten die grünen, funkelnden Augen all die Liebe nach außen, die sie für ihre wertvollsten Schätze empfand.
Rahdrigo konnte nicht anders als ebenfalls lächeln, als er sie so sah. Sie ist so viel schöner als an dem Tag, an dem ich sie heiratete. Denn jetzt kenne ich sie und weiß, wie viel wundervoller noch ihr Wesen als ihre Gestalt ist., dachte er.
“Nun, nachdem dieses bedauerliche Missverständnis nun geklärt ist, hoffe ich, dass euch mein Neffe mit seiner etwas… voreiligen Anschuldigung nicht zu sehr verschreckt hat.” Rahdrigo wandte sein Lächeln den Gästen zu und sah sie um Verzeihung bittend an.
„Seid unbesorgt mein geschätzter Signor Rahdrigo, ich kann mich in euren Neffen gut einfühlen. Er hat eine Information zugetragen bekommen, offenbar aus einer Quelle, der er sehr vertraut und sah die Interessen seiner geliebten Mutter verletzt. Als Horasier, Ehrenmann, Cavalliere und liebender Sohn hatte er gar keine andere Wahl als die Interessen seiner Mutter zu schützen. Dass er sich für Angriff als Verteidigungsstrategie entschieden hat, spricht dafür, dass er ein aufrichtiger und mutiger junger Mann ist. So hat er uns mit dem, was ihm zugetragen wurde, konfrontiert, bevor wir die Möglichkeit haben, etwas wider Signora Cerceri’s Interessen zu unternehmen.“ Der in die Jahre gekommene Efferdier lächelte versonnen. „Er hat wahrlich Courage euer Neffe. Nicht jeder Mann seines Alters hätte die Schneid gehabt und beide in einem solchen Kreis mit seinen Anschuldigungen zu konfrontieren. Ich bin wirklich sehr beeindruckt von Signor Rahjesco.“ Man konnte Dettmar anmerken, dass er aufrichtig begeistert von dem jungen Cavalliere war.
Phejanka wandte sich nun an Traviane: „Die Kinder sind ja ganz bezaubernd. Ich freue mich schon darauf, morgen mehr Zeit mit ihnen zu verbringen und sie besser kennenzulernen.“ Ihr Blick war voller Freude. Auch Dettmar hielt sich nicht mit Lob für die drei jüngsten Solivinos zurück und endete mit: „Ich hoffe, meine lieben Freunde, ihr verzeiht mir, dass ich euch für morgen einen Besuch im Bestiarium eingebrockt habe, aber die Drei waren so derart fasziniert von den Tieren, dass ich mir nicht entgehen lassen wollte das Bestiarium mit ihnen zu erleben.“ Der Senator lächelte etwas verlegen.
“Natürlich! Wir verbringen viel zu wenig Zeit mit unseren Kindern und es ist doch eine wundervolle Gelegenheit, einen Ausflug mit Familie und Freunden zu machen.”
Traviane strahlte.
“Ich muss voll zustimmen, dass ich durch meine Pflichten als Familienoberhaupt viel zu eingebunden bin, um genug Zeit für meine Familie aufzubringen.” Rahdrigos Lächeln war ein wenig trauriger. “Es tut mir jedes Mal Leid, wenn mich eines meiner Kinder nach einer gemeinsamen Aktivität fragt und ich nein sagen muss, weil ein Geschäftsessen ansteht oder eine wichtige Signoriasitzung.”
Das Bedauern war auf jeden Fall echt, jedoch ließ er gleichzeitig keinen Zweifel daran, dass seine Pflicht ihm wichtiger war und er für sie einiges in Kauf zu nehmen bereit war.
Als er merkte, wie viel er auf einmal von sich erzählte, stutzte er verwundert. Der viele Wein musste seine Zunge gelockert haben. Doch nicht nur das: Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er dieser Runde vertrauen konnte.
Travianes Lächeln war nur ein wenig getrübt worden durch sein Bekenntnis. Sie war froh, dass er es so freigiebig erzählte und vor allem ausdrückte, wie Leid es ihm tat. Dass seine Ämter und Pflichten ihm stets mehr bedeuteten als Zeit mit ihr oder seinen Kindern, hatte sie schon mehrmals erfahren müssen.
Da wurde auch schon der nächste Gang serviert: Costolette di Cinghiale, Wildschweinkoteletts in einer aromatischen Soße. Es duftete herrlich und wurde gemeinsam mit der Mitteilung überbracht, dass auf diesen Gang nur noch ein Nachtisch folgen würde, so erwünscht.
Dettmar nickte verständnisvoll: „Ich kann euch sehr gut verstehen, mein lieber Signor Rahdrigo. Und ich kenne dieses Gefühl, wenn man seine Kinder enttäuschen muss, den Schmerz zu wissen, dass man die meisten einzigartigen Momente seiner Kinder nur erzählt bekommt und nicht selbst miterleben kann, aber das ist der Preis, den man als Familienoberhaupt zu bezahlen hat. Leider sehen selbst die meisten Familienmitglieder nur die vermeintlichen Vorzüge, die diese Aufgabe mit sich bringt.“ Kurz schwieg er und sein Blick ging an irgendeinen fernen Ort irgendwo in der Vergangenheit, dann schloss er kurz die Augen und lächelte entschuldigend: „Verzeiht, meine lieben Freunde, dass ist kein Thema für einen doch eigentlich geselligen und fröhlichen Abend.“ Dann zeigte er auf die gefüllten Teller und meinte mit schelmischer Miene: „Wollen wir lieber dem Koch und dem Wildschwein die gebührende Ehre erweisen und dieses köstlich duftende Mahl genießen, bevor es noch erkaltet.“
Phejanka legte eine Hand auf den Arm ihres Bruders: „Aber zumindest habt ihr Beiden jeweils eine starke Frau an eurer Seite, die euch den Rücken freihalten und dafür sorgen, dass ihr euch um den normalen Alltag der Familie und die Abläufe in eurem Zuhause keine Gedanken machen müsst!“ Dabei zwinkerte sie Traviane schmunzelnd zu.
Traviane lächelte zurück, aber es wirkte ein bisschen getrübt. In gewisser Weise vermisste sie die Zeit ohne eigene Familie, ohne die Verpflichtungen als Koordinatorin des Haushalts. Ihre Harfenkünste waren merklich eingerostet, bald würde ihre Tochter sie überflügeln… bis sie dann irgendwann selbst Verantwortung übernehmen musste, als Erstgeborene würde Doriana Matriarchin werden. Die Sheniloerin verstand die Ansichten vieler Rahjanis unter den Solivino, wie die Geschwister ihres Mannes, Rahjalin und Cerceri, die das Amt des Familienoberhaupts beide weitergegeben hatten. Andererseits: Irgendjemand musste es machen, um den Wohlstand für alle zu erhalten. Und zu hart durfte man Rahjalin nicht verurteilen, der mit der Leitung eines Tempels genug um die Ohren hatte.
“Da habt Ihr vollkommen Recht!”, stimmte Rahdrigo Dettmar zu und widmete sich sogleich ausgiebig den Koteletts. Sie zergingen geradezu auf der Zunge. So aßen sie eine Weile genießerisch.
“Mhmm, nicht mal ich wusste, dass traditionelles, urbasisches Essen so lecker sein kann. Und ich lebe nun schon seit über einem Jahrzehnt hier.” Traviane lachte ungläubig auf.
“Nun, es ist ziemlich verfeinert. Traditionell sind die Koteletts nicht so zart und nicht so stark gewürzt.”
“Wir müssen der Küche gleich unbedingt unser Lob aussprechen.”
“Müssen wir.”
Auch die beiden Gerbers lobten die Zartheit des Fleisches und den ausgewogenen Einsatz der Gewürze. Manch übereifrige Koch übertrieb den Einsatz der Gewürze mit dem Resultat, dass man ein unübersichtliches Gewirr an Geschmäckern im Mund hatte, von dem eigentlichen Gericht, wie Fisch oder Fleisch gar nichts mehr schmeckte und manchmal standen einem die Tränen in den Augen und der Schweiß auf der Stirn, weil auch scharfe Gewürze überdosiert worden waren. Zum großen Glück aller Beteiligten war das Küchenpersonal der Solivinos sehr versiert im Umgang mit Gewürzen und man schmeckte neben den Gewürzen auch die feinen Nuancen des köstlichen Fleisches.
So waren sich auch die Gerbers einig, dass man dem Personal in der Küche ganz unbedingt Lob und Anerkennung aussprechen musste.
Wie alles auf Dere endete auch dieses exquisite Mahl und wie wohl ein jeder schon erfahren hat, endeten vor allem die schönen und angenehmen Dinge besonders schnell.
Sie plauderten während des restlichen Essens nur noch über angenehme Themen und umschifften geschickt heikle Angelegenheiten. Es herrschte ein stilles Einvernehmen, dass sie heute einfach nur noch entspannen wollten.
Nach dem Abendmahl schließlich begaben sie sich wieder in den Salon, um ihr Vorhaben, zu musizieren, umzusetzen.
Wie herrlich, man harmonierte wirklich, als kenne man sich schon eine Ewigkeit.
Ohne irgendeine Absprache oder auch nur Andeutung fand man Themen, die keinerlei Potenzial bargen, alte Wunden aufzubrechen, ins Politisieren zu kommen oder auch nur die Stimmung zu trüben.
Als man das köstliche Abendmahl beendet hatte und der Küche ein ehrliches Lob ausgesprochen hatte, begab man sich in den Salon.
Zwar merkte man den Herren, vor allem Dettmar, an, dass er sich lieber einen Zahn ziehen lassen würde, aber um seiner geliebten Schwester einen Gefallen zu tun, fügte er sich.
Als bald waren die beiden Damen und auch die Herren mit einem Instrument ausgestattet und so wie man sich zuvor ohne Rücksprache unterhalten hatte, so fand man jetzt Musikstücke, die rasch von den Anderen aufgegriffen wurden.
Die Zeit verging wie im Fluge.
Irgendwann war auch die letzte Musikerin müde und man beschloss, sich zur Ruhe zu begeben.
Die Solivinos wollten ihre Gäste zu so später Stunde nicht mehr durch die Straßen der Stadt laufen lassen und so ließ man zwei Gemächer für die Patrizier und eine Kammer für den Angestellten der Gerbers.