Delhenas Warten
errin, an einem solchen Tag dürft ihr nicht traurig sein! Bedenket doch dies, empfangt ihr nicht heute einen hochedlen Gast? Den Baron zu Onjaro?“
„Ja.“
Die grauhaarige Dienerin schüttelte den Kopf ob der Zerstreutheit ihrer Herrin und kämmte weiterhin das rote Haar der Baronin. Sie hatte sich vorgenommen, es heute besonders glänzen zu lassen ... doch ach, Ihre Hochgeboren, die sonst so sehr auf ihre Erscheinung achtete, ohne eitel zu sein, war mit einem Male so verwirrt, und sie konnte es sich nicht erklären.
Doch halt ... hatte Delhena Naila am vergangenen Abend nicht einen späten Gast empfangen, eine Gestalt, die es vorgezogen hatte, durch die Seitenpforte und mit viel Überredung zu kommen? Sie glaubte in ihm Inco, den unnützen Sohn des Schmiedes, erkannt zu haben, den Abenteurer, den Herumtreiber. Was um aller Götter willen hatte er ihrer geliebten Herrin erzählt?
Sie sorgte sich ernsthaft.
Obgleich Delhena Naila erst wenige Jahre über Ankram herrschte, so hatte sie den Menschen hier doch Wohlstand und Frieden gebracht. Die ordnende, aber sanfte Hand der Herrin schlichtete Streit, heilte Wunden - und obgleich sie in ihrer Bescheidenheit unter ihnen lebte, war sie doch die Baronin. Sie lachte mit den Menschen, aber sie weinte auch mit ihnen.
Sie regierte gewissenhaft, und streng nur zu denen, die die Regeln der Gemeinschaft brachen. Mit geschickten Worten und ihrem Liebreiz, ihrer Geduld, machte sie selbst die wildesten Räuber oder rauhen Kanalschiffer zu Lämmern.
Doch Delhena Naila war auch nicht hilflos. Die Dienerin hatte es selber gesehen, als sie von einer ihrer Reisen zurückgekehrt war ...
Ja, die Menschen hier schätzten sie - und wenn die Baronin so war, wie sie sich jetzt verhielt, wünschte die Dienerin ihr Leid zu teilen ...
Plötzlich spürte sie eine der langgliedrigen Hände auf ihrem Arm und sah hinunter. „Warum hast du denn aufgehört?“ fragte Delhena sanft. „Du hast ja recht. Dies ist kein Tag der Traurigkeit, sondern des Lachens und der Freude. Ist denn alles vorbereitet?“
„Ja, das ist es. Und was Ihr befehlt, soll geschehen.“
Die Dienerin atmete erleichtert auf, als sie das Lächeln auf den Zügen ihrer Herrin sah.
eute ist ein Tag des Lachens und der Freude. Dir zu Ehren ... Herrin. Und ach, mein Herz möchte zerspringen vor Glück.’ Delhena ließ ihre Hände über das Tambourin gleiten und klopfte einen leisen Rhythmus. Nachdem das Tagwerk getan war, erholte sie sich im Atrium ihres Hauses und hatte beschlossen, hier auch auf ihren Gast zu warten.
Bescheiden, wie sie war, hatte sie es abgelehnt, sich von ihren Dienern für diesen Tag schmücken zu lassen. Nur ein goldfarbiges Band zierte ihr Haar, einfacher Perlenschmuck ihre Ohren, und das Seidengewand von der frischen grünen Farbe junger Blätter floß schmeichelnd an ihrem Körper herab. Sie war im Sommer ihres Lebens, und Delhena wußte es. Nicht entgangen waren ihr die Blicke anderer Edler auf dem Fest zu Eskenderun. Und einen davon erwartete sie nun. Malbeth Glandore, ihren direkten Nachbarn.
Ihn zu empfangen, erfüllte sie mit Freude, denn gerne hatte sie mit ihm, dem etwas düster wirkenden Mann, geredet. Düster war das falsche Wort ... melancholisch ...
Sie seufzte leise. Die Melancholie, der Gesang des Herbstes war lange auch das Lied gewesen, auf das sie hörte - doch am gestrigen Abend hatte es sich in einen Lobgesang gewandelt.
Vor mehr als einem Jahr hatte sie Inco Serlando mit einer Botschaft und einer Bitte fortgesandt, und nur gering war die Hoffnung auf Erfüllung oder seine Rückkehr gewesen.
Doch der Sohn des Schmieds hatte sie alle überrascht und der Baronin ein mehr als wertvolles Geschenk gebracht. Eine Gabe, die mit keinem Gold der Welt aufzuwiegen war. Wie kostbar waren doch seine Worte gewesen ...
„Ja, Euer Hochgeboren, ich war, wie Ihr aufgetragen habt, in Rashdul. Wohl hat es länger gedauert, dorthin zu gelangen, in diesen unsicheren Tagen, da noch das Land unter den Wunden des Krieges leidet, aber Rashdul der Schönen, der Perle des Mhanadi, ist nichts geschehen.
Ich suchte und fand Abrizah in dem von Euch beschriebenen Hause - und sie trug mir jenes auf: ‘Ich will Dir sagen, Delhena, daß Freude und Trauer Dein Herz erfüllen mag, denn froh und bitter zugleich ist, was ich dir sagen muß ... So starb eine deiner Töchter vor fast zehn Jahren von eines Mörders Hand - doch die andere, zu Ehre gereicht Tashina-Ashil dir, die ich Djamilla nannte. Des Feuers Tochter ist sie - eine begnadete Sharizad, die das Blut und die Gaben ihrer Mutter erbte. Ihr Name ist groß in Rashdul, und um sie zu fürchten brauchst du nicht. Doch sie wuchs auf in dem Glauben, du seist tot. Und ich bitte dich, laß es dabei, denn verwelken würde die Rose Rashduls, rissest du sie aus ihrer Heimat durch deinen Ruf.’
Und das ist alles, was ich von ihr erfahren konnte, ehe sie mich bat, das Haus zu verlassen. Die, von der sie sprach, aber habe ich nicht gesehen. Nur in den Schenken fiel mir eine rothaarige Tänzerin auf, die ... Euch glich, Herrin ...“
Und Delhena hatte aufgelauscht und ihn weiter ausgefragt. So wie er die Erwähnte schilderte, konnte es nur Ashil sein ... ihre Tochter? War sie inzwischen so alt wie der Jüngling, den sie mit einem Beutel Gold und einem Pferd belohnte - dem Frühling der Jugend entwachsen?
So summte Delhena leise eines der Lieder Rashduls und versank in den Erinnerungen an die Klänge der Heimat.
och schreckte sie aus ihnen ein unverhofft eingetretener Gast, den sie erst bemerkte, als er in der Nähe des Eingangs stehengeblieben war. Einen kurzen Blick nur warf sie auf die hochgewachsene, dunkel gekleidete Gestalt, die nun ihren Umhang zurückwarf und eine kleine Harfe hervorholte, dann nahm sie der Klang seiner Stimme und der Inhalt seines Liedes gefangen.
Tief aus seiner Seele kamen die Worte und Klänge, und vor Delhenas Augen entfaltete sich die Landschaft, die er besang. Der rauhe Norden, den sie nie gesehen hatte. Wie schnell verblaßten ihre Erinnerungen durch die kühlen Winde seiner Heimat.
Als der letzte Ton im Atrium ihres Hauses verklang, öffnete Delhena wieder die Augen und sah ihn an. Sie traf seinen Blick und las in ihm mehr als nur Freude. In den graugrünen Tiefen versteckte sich mehr. Und das hatte sie in Eskenderun nicht gesehen ...
Die Spannung war spürbar. Sie kribbelte wie das Sonnenlicht auf ihrer Haut, und Delhena legte das Tambourin nieder, um sich langsam zu erheben. Er folgte jeder ihrer Bewegungen, das spürte sie, und so durchbrach sie das Schweigen, als die Spannung schier unerträglich wurde.
„Willkommen in meinem Hause, hochedler Freund. Tiefe Freude ist in mir, daß Ihr so rasch gekommen seid.“
„Die Freude ist auch auf meiner Seite, Euer Hochgeboren, werte Freundin“ antwortete Malbeth Glandore, Baron zu Onjaro, ernst, so ernst und zurückhaltend, wie er auch auf dem Feste zu Eskenderun gewesen war. Doch seine Worte waren mit Bedacht gewählt. Beklommen ... warum? Sie sah es wieder in seinen Augen, und die Menschenkenntnis der Sharizad ließ sie auch jetzt nicht im Stich. „Bei Rahja!“ dachte Delhena verwirrt, „Und das mir? Und warum macht es mich jetzt so verwirrt und verlegen? Ich bin doch kein junges Mädchen mehr.“ gab sie sich selber zu bedenken, und um einer Verlegenheit und der Spannung zu entgehen, klatschte sie jetzt in die Hände.
Die Dienerin schien nur darauf gewartet zu haben, ihrem Gast und ihr eine Erfrischung zu bringen. Auf einem silbernen Tablett trug sie eine Karaffe aus blau getöntem Glas und zwei zerbrechliche Pokale mit sich.
Delhena nahm die Karaffe mit einer fließenden Bewegung auf und füllte die beiden Kelche fast bis zur Neige. Purpurn war der Wein.
„Und als kleine Erfrischung, als Willkommenstrunk möchte ich Euch von unserem besten Wein reichen. Das ‘Rigdaner Blut’, veredelt durch eine besondere Mischung von Gewürzen.“
Delhena lächelte und nahm die beiden Kelche von dem Tablett, sandte dann die Dienerin mit einem Nicken ihres Kopfes fort und reichte ihrem Gast eines der Gläser. Wie zufällig berührten sich dabei ihre Hände, und sie zuckten kurz zusammen, als sie ein seltsames Kribbeln durchfuhr. ‘Oh Rahja!’ Delhena schluckte. ‘Ich weiß sehr wohl, wie ich auf andere Menschen, besonders Männer, wirke, aber es kann doch nicht so schlimm sein.’ Sie dachte dabei an ihre Gespräche in Eskenderun, an das höfische Beisammensein, und wie angenehm sie ihn dabei als Begleiter empfunden hatte.
Wohl waren auch noch andere Edle des Lieblichen Feldes an ihrer Seite gewesen, aber nur dieser da, ihr Gast, und ein anderer hatten einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Sie lächelte, um ihre Verlegenheit zu überspielen, „So laßt uns doch eine bequemere Stellung einnehmen“, und deutete dabei auf eine andere Bank.
Er nickte, doch zuvor hob er noch den Pokal zu den Lippen und kostete. „Wahrlich - ein vollmundiger, köstlicher Tropfen. Fruchtig und herb zugleich. Der Wein an der Tafel Ihrer Kaiserlichen Majestät kann sich nicht damit messen.“
„Ihr schmeichelt mir ... doch viel lieblicher war Euer Gesang. Euer Lied war wunderbar und erzählte so viel. Stammt Ihr aus der Gegegnd, von der Ihr sangt?“
So ließen sie sich nieder, und Delhena war erleichtert, ein Thema gefunden zu haben, das ihn für eine Weile ablenkte. Denn sie selber wußte nicht, was sie empfinden sollte. Das, was sie erfahren hatte, erfüllte sie noch zu sehr, um an anderes zu denken.