Archiv:Comto Seneschall verhaftet (BB 40)
Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 40, Seiten 36-37 | Datiert auf: Phex 1037 BF |
Vinsalt/Marvinko. Ein Skandal erschüttert die Horasstadt dieser Tage. Comto Urras von Malur, der Seneschall des Reiches, ist am Morgen des 5. Phex von mehreren Inspectoren der Connetablia Criminalis Capitale in vorläufigen Gewahrsam genommen worden – unter dem Verdacht der Notzucht! Dem umtriebigen Kronbeamten, der schon dreimal geschieden ist, wird vorgeworfen eine der nobelsten Damen unseres Landes vergewaltigt zu haben. Comtessa Findualia von Marvinko, die Tochter Graf Croenars, hat selbst Anklage gegen den Seneschall erhoben.
Die Comtessa sei, noch gezeichnet von der Tat, am späten Vorabend selbst in der Connetablia vorstellig geworden, verriet eine ungenannt bleiben wollende Quelle aus der Behörde. Völlig unter Schock und den Tränen nahe habe sie dort die schweren Vorwürfe gegen den Comto erhoben. Schauplatz des Verbrechens sei die Yaquirinsel Dettmarsruh direkt unterhalb des kaiserlichen Palasthügels gewesen, auf die sie vom Beschuldigten unter einem Vorwand gelockt wurde. Der Leibdiener des Comtos bestätigte mittlerweile, dass er der Comtessa eine entsprechende Botschaft übermittelt hatte. Im Nebel, der am Abend über der Insel hing, soll es dann zur schrecklichen Tat gekommen sein.
Diese scheint auch mit dem seit geraumer Zeit schwelenden Namens- und Wappenstreit zwischen dem Grafenhaus Marvinko und seiner urbetischen ‘Nebenlinie’ zusammen zu hängen (das Bosparanische Blatt berichtete in den letzten beiden Ausgaben hierüber). Der Einfluss des Comto Seneschalls auf das Heraldische Tribunal, bei dem die Klage Croenars anhängig ist, war Teil der Drohkulisse, derer dieser sich bediente, um die Comtessa am Abend der Tat zur Heirat mit ihm zu bewegen – bevor er sich ihr nach ihrer erbosten Ablehnung gewaltsam aufzwang.
Die Aussagen der Comtessa seien wegen ihrer politischen Brisanz in der Connetablia auch auf ‘zusätzlichem’ – gemeint ist wohl magischem – Wege überprüft worden, ehe die Comtessa Connetable selbst den Befehl zur Inhaftierung des Seneschalls gab, gab unsere Quelle weiter zu Protokoll. Schließlich sei die Grafentochter in der Vergangenheit selbst durch ihr bisweilen aufreizendes Verhalten aufgefallen. Doch wenn Comto Urras glaubte, deshalb mit seiner Tat davonkommen zu können, scheint er sich getäuscht zu haben. Noch streitet er alle Vorwürfe ab und behauptet Opfer eines Komplotts gegen ihn zu sein. Dass er überhaupt verhaftet wurde, unterstreicht allerdings den schwerwiegenden Verdacht, der von Seiten der Krone auf ihm liegt.
Meisterinformation: Hintergrund und weiterer Verlauf
Ein Hinweis vorweg: Die feststehende Ablösung des Comto Seneschalls Urras von Malur durch Cordovan von Marvinko ist in Reich des Horas, Seite 212 in Spielerhände gelegt worden. Dieses Angebot wird mit dem vorliegenden Artikel nun fürs Briefspiel aufgegriffen. Die geschilderten Geschehnisse sind insofern aber auch nur im Briefspiel ‘offiziell’.
Der Namensstreit im Großhause Marvinko ist tatsächlich ausschlaggebend für die im Artikel geschilderte Eskalation zwischen dem Comto Seneschall und seinem ‘Opfer’ Findualia. Doch wie so oft im Horasreich gilt: Es ist nichts so, wie es scheint.
Dies fängt schon beim ursprünglichen Streit an, denn die Klage Croenars gegen die Nebenlinie ist ein Schauspiel, in dem dem Chef der Nebenlinie, Baron Panthino von Urbet, eine entscheidende Nebenrolle zukommt. Der pragmatische Patriarch hat bereits im Zuge der Marudreter Fehde (BB#37) erkannt, dass er gegen den Grafen, wenn es darauf ankommt, nur verlieren kann – und ist deshalb im Winter 1033 BF bei diesem zu Kreuze gekrochen. Croenar verzichtete allerdings auf eine öffentliche Unterordnung der Nebenlinie, weil er sich von der Alternative mehr versprach: Das Haus Urbet(-Marvinko) sollte weiter nach außen hin in Opposition zum Grafen stehen und so Ansprechpartner für dessen Widersacher bleiben. Die öffentliche Klage Croenars erhielt den Eindruck des innerfamiliären Streits aufrecht.
Die Idee, dies für eine Rückkehr des Hauses in den Kronrat nutzen zu können, hatte indes seine Tochter Findualia. Die betörend schöne Comtessa war sich sicher, Urras von Malur zu Fall bringen zu können. Dazu nahm Panthino in der Folge Kontakt zum Comto Seneschall auf und versuchte diesen offenkundig zu einer für seine Nebenlinie günstigeren Entscheidung des Heraldischen Tribunals zu bewegen (vulgo: zu bestechen). Dass der Opportunist Urras hierauf nur zum Schein eingehen würde, war den Marvinko von Beginn an klar. Tatsächlich erkannte Urras spätestens jetzt, welche Möglichkeiten ihm stattdessen eine Zusammenarbeit mit der Grafenfamilie zu eröffnen schien. Eine Heirat mit der unvermählten Grafenerbin war eine naheliegende und greifbar erscheinende Option. Briefe, die seinen diesbezüglichen Vorstoß vorbereiten sollten, gingen über Wochen und Monate hin und her.
Dann sah Findualia im nebligen Vinsalter Frühling den rechten Zeitpunkt für das Finale ihrer Intrige gekommen: Sie ließ den Leibdiener des Comtos eine Einladung an selbigen zum privaten Stelldichein überbringen und sich die Zusage danach persönlich vom Diener bestätigen. Als dieser sich danach schon wieder zum Gehen wandte, trat jedoch die jüngere Schwester Findualias vor, die Rabenhexe Sarissa. Diese änderte mittels MEMORABIA die Erinnerung des Leibdieners ans Geschehene so ab, dass dieser denken musste, eine vom Comto ausgehende Einladung übermittelt zu haben, nicht umgekehrt.
Beim Treffen Findualias mit Urras selbst auf der Insel kokettierte die ältere Schwester danach so lange mit ihrem (eigennützigen) Verehrer, bis dieser sich ihr annäherte und schlug ihn dann unter für ihn plötzlichen und unverständlichen Vorwürfen zurück. Urras zog zornig von dannen. Sarissa aber änderte auch die Erinnerung ihrer Schwester im abgesprochenen und gewünschten Maße ab, so dass sie selbst der erwarteten arkanen Durchleuchtung ihrer Gedanken in der Connetablia standhielt. Die Ruderer, die beide Comti auf die Insel befördert hatten, konnten das Ganze im Nebel nicht sehen, sondern nur die Schreie Findualias hören.
Findualia wird die Rolle der geschändeten Comtessa auch bis über den anstehenden Prozess gegen Urras hinaus perfekt verkörpern – schon weil ihre eigenen Erinnerungen ihr dies vorgeben. Urras wird sein Kronamt verlieren, auch wenn er womöglich ohne eigentlich fällige Hinrichtung als geächteter und gebrochener Mann davon kommt. Und unter dem Eindruck seiner Schandtat sowie aus einer gewissen empfundenen Schuldigkeit gegenüber dem Haus Marvinko wird schließlich Findualias Bruder Cordovan, der von der Familie lange als sauberes Aushängeschild lanciert wurde, vom Kronkonvent zum Nachfolger als Comto Seneschall gewählt werden.
Bereits zuvor entscheidet das Heraldische Tribunal, dem Haus Marvinko in seiner Klage gegen die Nebenlinie recht zu geben: Aus dem Haus Urbet-Marvinko wird erzwungenermaßen das Haus Urbet und der Panzerhandschuh der Marvinko aus dem Wappen verbannt. Panthino erhält die Fassade als Widersacher Croenars auf absehbare Zeit aufrecht. Sein spät in das falsche Spiel eingeweihter Vetter Auricanius trifft indes Vorkehrungen, die nun formelle Abspaltung mittelfristig auch (wieder) faktisch zu vollziehen …