Briefspiel:Aus dem Leben der jungen Catalina
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Aus dem Leben der jungen Catalina
„Geh… von… mir… runter… au… AU… AUUUU!!!“
Dem kleinen Verian war schnell klar geworden, dass dieses dickliche Mädel mit dem runden Gesicht und dem zotteligen rotblonden Haar vielleicht doch die falsche Person war, um ihr frisch gepflückte Hagebuttenkörner in den Kragensteg zu schütten. Wer konnte ahnen, dass dieser Bär von einem zwölfjährigen Mädchen, welches nicht viel mehr tat als am Palazzo Orsino im Unterfelser Almadinquartier ein paar viele heiße Maronen zu futtern, dann letztendlich doch so flink war. Verian kannte das anders. Die anderen Mädchen, denen er streiche spielte, hätten erst gequiekt, hilflos mit den Armen gewackelt in der Hoffnung, das juckende Leinengeflecht irgendwie von der Haut zu bekommen und dann geflennt, bis die Wirkung der Hagebutten endlich nachgelassen hätte.
Diese drehte sich nur um, legte ein Gesicht auf, als hätte er gerade sein Todesurteil unterschrieben und rannte auf ihn zu, sprang die letzten Meter mit den Schultern voran auf den verblüfften Sohn eines nichts ahnenden Weinverkäufers und zog ihn mit ihren Händen an beiden Kniekehlen zurück, sodass er laut krachend auf dem Rücken landete. Noch bevor er realisierte, in welcher misslichen Lage er sich befand, war dieses riesige Monster bereits auf seine Brust geklettert, legte beide Knie auf seine Oberarme, ihm keine Chance gebend, irgendwie aufzustehen und kassierte nun wütende Faustschläge in sein Gesicht. Sie war… kräftig. Wollte ihm denn niemand helfen?
Tatsächlich waren schon wenige Momente danach zwei, drei Söldlinge aufgestanden, welche in der Nähe der Szenerie sich zu einem Gespräch bei einem Glas Dâler Friedensträubchen zusammengefunden hatten. Ihre speckige Lederkleidung zierte das Emblem eines roten Falkens über einer kleinen, roten Rosenblüte auf goldenem Grund. Tatsächlich gingen sie genau auf die beiden raufenden Kinder zu; im Augenwinkel konnte Verian das auch ausmachen und sah eine Rettung nahen.
In der Tat legte einer dem Mädchen die Hand auf die Schulter und fragte nur: „Cachorra Leòn?“
Das Mädchen blickte auf.
„Der Spack hat mir was in den Rücken gekippt!“, erklärte sie sich dem Söldling in einem protestvollen Ton.
„Verstehe…“, nickte der Söldner und beugte sich über Verian, welcher den Söldner mit großen, tränengefluteten Augen ansah. „Wer ist dein Vater?“, kam vom Söldner nur knapp.
„Alando Derribado, der Weinhändler aus Hohensteyn … Wollt ihr mir nicht helfen?“, fragte der Bengel mit erstickter Stimme.
Doch die drei Söldner lachten nur, klopften dem Mädel auf die Schulter und sagten nur noch: „Geht klar, wir kümmern uns.“
Dann verschwanden sie wieder und eine neue Salve von Faustschlägen prasselte über den schockierten Verian ein.
Etwa eine Minute und viele Faustschläge später kam dann doch überraschend die Rettung. Irgendjemand zog das Mädchen an ihrem linken Ohr, zudem kam ein strenges „Catalina Phexlana! Was habe ich dir gesagt? Mädchen raufen nicht mit anderen in der Öffentlichkeit!“
Der Mann, offensichtlich ein wohlhabender Adeliger Anfang 50 mit langsam grau werdenden langen Haaren, gebunden zum Almadanerzopf und einem ähnlich grau gewordenen Vollbart blickte streng auf das Mädchen.
Diese blickte grimmig zurück, doch stand sie immerhin von ihrem Opfer auf.
„Papá! Der wollte mich ärgern!“
Catalinas Vater ließ sich davon nicht umstimmen, er wedelte streng mit dem Finger.
„Das ist kein Grund, dich in der Öffentlichkeit auf sein Niveau herab zu lassen. Du bist eine Culming! Ich erwarte von dir eine andere Form der Rache.“
Verian hatte mit Schrecken dieses Gespräch mitverfolgt; ihm wurde schnell klar, dass es Zeit wurde, Fersengeld zu geben. Er sprang auf und sprintete davon.
Catalina wollte ihm fast noch einmal nachsetzen, doch ihr Vater hielt sie fest.
„Cata! Lass es! So geht das wirklich nicht weiter, ich hab es dir gesagt!“
„Der hat das doch verdient! Diesen Spast hätte ich nass gemacht!“, setzte sie ein sehr schmolliges Gesicht auf.
„Das steht zu befürchten. Catalina, das geht so nicht weiter. Ich habe dir gesagt, dass wir dir einen Knappenvater suchen müssen, der dein Verhalten verbessert. Ich hatte neulich noch ein Gespräch mit der Vorsitzenden der Unterfelser Schreibergilde, Signora Bolburri. Sie meinte, sie hätte da bereits eine Idee für deine Ausbildung und ich bin geneigt, sie mir anzuhören.“
„Selina Bolburri? Was soll mir diese schwindsüchtige Krähe denn beibringen? Keuchhusten?“
Catalina kassierte eine kleine Ohrfeige und wieder den wedelnden Finger ihres Vaters. Brummelnd hielt sie sich die Wange.
„Und auch dieses Verhalten gegenüber anderen hört auf, du wirst ihr das auch nicht schon wieder ins Gesicht sagen, wenn wir uns treffen, ist das klar? Sie ist die Vorsitzende der Schreibergilde, wenn ich im Unterfelser Yaquirkurier einen Artikel lesen muss, dass sich die älteste Tochter von Hasrolf von Culming einfach nicht benehmen kann, haben wir zwei richtig Ärger.“ Der Almadaner, welcher sich in der Yaquirstadt Unterfels einen Namen dadurch gemacht hatte, sämtliche Söldner mit Waffen zu versorgen und den diversen Condottiere der einzelnen in der Stadt stationierten Söldnereinheiten ihre Aufträge zuzustecken, blieb streng.
Catalina zog mit ihrer Unterlippe eine Schippe.
„Ich werde mich von dir nicht zu irgendeiner Schreibtischtuse ausbilden lassen. Das passt nicht zu mir!“
„Da bin ich auch schon draufgekommen. Keine Sorge, niemand wird dir deinen Brabakbengel wegnehmen. Aber du brauchst eindeutig eine andere Ausbildung, wenn du eines Tages in meine Fußstapfen treten willst. Und jetzt komm.“
Er zog seine zeternde und rauflistige Catalina an ihrem Kleid zurück in Richtung Palazzo Culming. Sie würde einen Knappenvater bekommen. Doch um seine Tochter zu überführen, wäre es vermutlich besser, ein paar fähige Söldner zu finden, die sie beschützten – hauptsächlich vor sich selbst. So führte ihr Weg heute noch einmal über den großen Marktplatz, vorbei am Raulspalast und der Hahnenkampfarena hin zu diesem schicken kleinen Palazzo im Schatten des Palazzo Neethling. In dessen Schatten passierten sie auch einen von drei Söldnern völlig kurz und klein geschlagenen Weinstand, wo zuvor noch ein Alando Derribado versuchte, seinem Tageswerk nachzugehen, bis er Besuch von den Drôler Falken erhielt. Das passierte eben, wenn man sich mit dem Löwenjungen anlegte.