Briefspiel:Die Gänse von nebenan
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Zwei traviagefällige Familien finden zueinander.
Von Pilgerreisen und Delphinocco
Haus der Heiligen Gastung zu Vinsalt, Travia 1045 BF
Die junge Frau zappelte ungeduldig - ihre offen getragenen feuerroten Locken wippten. Das ebenmäßige Antlitz war von einer noblen Blässe, doch ihre leicht geröteten Wangen konnten die in ihr wohnende Erregung nicht verhehlen. Gekrönt wurde das aufgeregte Gezappel von einem deutlich wahrnehmbaren Seufzen.
“Liebes … halt still”, versuchte die sanfte Stimme des älteren Mannes zu beruhigen, während er ihr den Kragen ihrer schmucklosen grauen Wollkutte richtete. Der großgewachsene Diener Travias trug sein Haupthaar und den grau-melierten Bart gepflegt, gekürzt und auch das orange Wams stilvoll in Szene gesetzt. Es brauchte nicht viel Fantasie um erkennen zu können, dass sich jemand um das Auftreten des Erzgeweihten kümmerte, konnte man den Dienern der Gütigen doch viel attestieren - Stilbewusstsein war für gewöhnlich nicht darunter.
“Vater, es kratzt und juckt”, protestierte die Frau nun abermals und stampfte dabei bockig mit ihrem rechten Fuß auf den marmornen Boden des Göttinnenhauses.
“Ich weiß, Traviana …”, schmunzelte der Angesprochene, “... aber das ist der Sinn einer Pilgerreise. Du dachtest doch nicht etwa, dass ich dich in Seide kleide und dann auf einer Sänfte nach Terubis tragen lasse.”
Die junge Rizzi kicherte amüsiert und vergessen schien ihr Leid von wenigen Herzschlägen davor. “Das wäre nicht schlecht”, befand Traviana dann, blickte an ihrer grauen Wollrobe hinab und seufzte abermals. “Ist es denn wirklich nötig?” Travileas Rizzi, seines Zeichens hoher Bruder im Vinsalter Tempel der Travia, nickte erbarmungslos. “Ja, Liebes. Du weißt, dass es in unserer Familie Tradition hat, dass unverheiratete Angehörige nach ihrer Ausbildung auf Pilgerreise gehen … deinen Bruder zog es gar nach Rommilys … da ist Terubis …”
“... jaja, ich weiß”, fiel ihm Traviana ins Wort.
“Und auch deine Mutter …”, ließ sich Travileas nicht von seinem Sermon abbringen.
“... ja, ich weiß …”, versuchte es seine Tochter noch einmal etwas lauter und nachdrücklicher. Es hatte den Anschein, dass sie sich geschlagen gab, so fiel es ihr schwer, Schultern und Blick oben zu halten.
Der Geweihte nickte zufrieden. “Sehr schön, dann wäre das geklärt.” Travileas legte seiner Tochter eine hölzerne Kette mit einer hölzernen Gans um den Hals. “Und nun lass uns beten.”
einige Meilen außerhalb der Stadt Terubis, etwa eine Woche später
Das väterliche Lächeln stand Phelizzio d'Antara deutlichst ins Gesicht geschrieben, als er die kümmerliche ,,Reiterei” seines Sohnes Timor bemerkte.
,,Timor, nimm doch Haltung an, damit deine Robe nicht so in Mitleidenschaft gezogen wird. Komm, bewahre die Ruhe und gib auch dem Pferd Sicherheit. Du vertraust ihm unsere Reise an, also musst du ihm auch von deiner Seite Vertrauen entgegen bringen, mein Sohn.”
,,Ja, Vater…ich…versuche es…puh…schau mal”
,,So ist es richtig. Du lernst ja doch noch auf deinen Herrn Vater zu hören!”, sagte Phelizzio und lachte herzlich. Sein Sohn schmunzelte und stimmte dann in das Lachen mit ein.
,,Nun aber im Ernst, Timor. Du weißt genau, dass diese Pilgerreise nach Terubis unserer Tradition entspricht. Es nahen bald große Tage für unsere Familie, das kann ich spüren, und darum bitten wir die gütige Göttin um ihren Segen. Vor allem du, damit wir weiter bescheiden und auf dem Boden der Tatsachen…”
,,...Fleißig Hand an ehrlich Werk verrichten und das heimelige Herdfeuer niemals vergessen”, vollendete sein Sohn den Satz.
,,Und du hörst deinem Herrn Vater zu, welcher Tag doch heute ist!”, rief Phelizzio lachend aus und gab seinem Pferd einen leichten Druck in die Flanken, sodass es schneller wurde. ,,Da, Terubis. Wir sind da!”, rief er Timor zu, strich sich über sein eigenes graues Pilgergewand und zog den orangenen Schal fester.
Terubis, kurz darauf
Terubis war eine kleine Stadt an der Küste des Meeres der Sieben Winde. Den alten Überlieferungen nach hatte hier der Heilige Segostiano den ersten Tempel des Kultes nach dem Fall Bosparans erbaut - zu Ehren der Heiligen Lamea, die 69 Gefahren überstehen musste, um in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Der Tempel selbst war kein wirklicher Prunkbau, doch sind diese unter den Göttinnenhäusern der gütigen Mutter auch wahrlich rar gesät.
“So, jetzt haben wir es bald geschafft”, schien Traviana mit sich selbst zu sprechen. Die junge Frau durchschritt soeben das Stadttor und erntete für ihre Wortmeldung verwunderte Blicke. Denn was die Umstehenden nicht vernehmen konnten, war das leise Maunzen aus ihrer Umhängetasche.
Die junge Rizzi hatte sich die letzten Wochen als Pilgerin quer durch das Reich durchgeschlagen. Zwar war Ihre Reise nicht durch Frömmigkeit und Überzeugung getrieben gewesen, sondern durch die Pflicht gegenüber ihrer Familie, doch bemühte sie sich sehr, zumindest die fürchterliche graue Pilgertunika nicht abzulegen und in den Tempeln auf ihrem Weg einzukehren.
Traviana atmete tief durch, strich ihre graue Tunika zurecht und eine widerspenstige feuerrote Haarlocke aus dem Gesicht. Dann schritt sie den letzten Weg in Richtung ihres Pilgerzieles, dessen Säulen sich bereits von weitem abzeichneten.
In diese schöne kleine Siedlung an der covernischen Küsten kam Phelizzio gerne. Neben seinem tiefen Glauben an die Göttin Travia, kamen ihm auch gerne die Erinnerungen hoch, wie er mit seinem Vater die Pilgerreise zum Zukunftssegen und Dank an die Göttin absolvierte. Hier spürte er seine Familie. Die Beiden durchquerten die kleine Stadt und sahen bereits ihr großes Ziel: Den Tempel der Göttin.
Noch bevor die beiden Pilger den Tempel der Gütigen erreichten, hörten sie plötzlich den alarmierenden Ausruf einer jungen Frau. “Vorsicht!”, rief sie und lief von der Seite an die Pferde von Phelizzio und Timor heran. “Ach Mio, was machst du denn für Sachen”, plapperte die Rothaarige dann weiter eher an sich selbst und weniger an die beiden Herren gerichtet, während sie sich nach einer kleinen, rot-weißen Katze bückte. “Büxt du mir aus und läufst anderen Leuten vors Pferd.”
Traviana ließ den Stubentiger in ihrer Umhängetasche verschwinden und strich sich dann eine ihrer widerspenstigen und wilden Locken aus dem Antlitz, bevor sie zu den beiden Männern zu Pferd hoch blickte. “Bitte entschuldigt”, meinte die junge Rizzi erst grußlos, bevor sie sich dann doch noch eines Besseren besann. “Traviana Rizzi ist mein Name … Hofkünstlerin, Tanzlehrerin … und Pilgerin. Mit wem habe ich denn die Ehre?”
Timor d’Antara kam aus dem Strahlen nicht wieder heraus. Es war sein Vater, der sich zuerst an die junge Frau wandte. ,,Aber nicht doch, es ist doch nichts passiert, mein Kind. Euch ist doch ebenfalls nichts passiert?, begann Phelizzio und schwang sich aus dem Sattel seines Pferdes, während die Angesprochene auf die Frage hin knapp den Kopf schüttelte. ,,Signorina Traviana, es ist uns eine große Freude.” Timor, der sich nun auch in der Realität wiedergefunden hatte, schwang sich ebenfalls vom Pferd und neigte seinen Kopf höflich wie zuvor sein Vater. “Gestattet Ihr? Phelizzio d’Antara, Werftbesitzer und gläubiger Pilger und dies ist mein Sohn Timor, ebenfalls in meiner Werft tätig und mit mir auf dieser Pilgerreise”.
,,Es freut mich sehr!”, sagte Timor lächelnd und streckte Traviana die ausgestreckte Hand zur Begrüßung hin. Sein Vater räusperte sich und übersah diese ungewöhnliche Geste, denn den Namen Rizzi verband er sofort mit etwas, doch als die junge Dame die Begrüßung erwiderte, schmunzelte der alte Fasan nur unscheinbar.
,,Aber Ihr seid doch nicht alleine von so weit hergekommen?”, fragte Phelizzio doch besorgt.
Traviana griff nach der Hand des jungen Mannes, der scheinbar im gleichen Alter zu sein scheint und begrüßte ihn. Insgeheim fragte sie sich, ob es in der Heimat der beiden Männer üblich war, eine Dame per Handschlag zu begrüßen. Sie lächelte freundlich. “Freut mich Euch kennen zu lernen, Signori. Ich bin allein hergekommen, ja”, bestätigte Traviana dann. “Aus Vinsalt und zu Fuß.” Knapp verzog sie ihr Antlitz, hatte ihr Vater doch nicht einmal den Luxus eines Pferdes für die Pilgerreise zugestanden.
Das nun deutlich vernehmbare protestierende Maunzen aus ihrer Tasche riss die junge Rizzi sofort wieder aus den Gedanken. “Jaja … Mio …”, flüsterte sie, bevor sich die junge Hofdame wieder den beiden Herren zuwandte. “Nicht ganz alleine, mein Kater hat mich begleitet. Aber sagt …”, versuchte Traviana so gleich wieder das Thema zu wechseln, “... woher kommt Ihr denn, Signori? Da Ihr eine Werft betreibt, gehe ich davon aus, dass Ihr nicht aus dem Landesinneren stammt?”
,,Zu Fuß? Das ist zu beneiden und Euch gebührt höchsten Respekt. Wir hätten es Euch gleichgetan, doch mein Bein trägt eine alte Handwerkswunde, sodass mir längere Wanderschaften leider vorenthalten sind. Ihr habt übrigens ganz recht, unser Handwerk liegt an den Küsten der Coverna, genauer gesagt in Efferdas etwas südlich von hier, Signorina. Ich kann Euch nur empfehlen die schöne Hafenstadt einmal selbst aufzusuchen”, warb Phelizzio herzlich lächelnd.
,,Dürft Ihr uns für den Rest des Weges zum Tempel die Ehre geben, Euch zu begleiten?”, fragte Timor lächelnd und neigte höflich den Kopf und lächelte ebenfalls unscheinbar in Richtung der zwei funkelnden Augen, die aufmerksam durch einen kleinen Spalt in der Tasche lugten.
Neugierig streckte Mio seinen Kopf aus der Tasche und musterte Timor dann neugierig. Fast schien es dem jungen Mann, als wäre hinter den Augen des Tieres mehr, als es bei einem normalen Stubentiger sein mochte.
“Oh sehr gerne, Signor”, antwortete derweil Traviana sichtlich erfreut. “Nach der weiten Wanderschaft freue ich mich über etwas Gesellschaft. Ist es denn Euer erstes Mal hier in der Stadt oder seid Ihr öfters hier?”
,,Aber nein, Signorina. In unserer Familie ist es Tradition und Glaubensgrundsatz, vor und bei allen großen Zukunftsentscheidungen hierher zu kommen und die Gütige Göttin um Segen und Rat zu bitten. Es ist immer als käme ein Teil von uns allen Nachhause wenn wir hier ankommen”, erklärte Phelizzio mit Traviana und Timor in Richtung des Tempels gehend.
,,Wenn mir die Frage gestattet ist, was ist Euer Grund für diese Pilgerreise? Noch dazu alleine?”, ließ Phelizzio folgen.
Traviana überlegte für einen Moment still vor sich hin - fast schien es, als wolle sie nach den richtigen Worten suchen. Wer die Künstlerin kannte, wusste, dass dieses Gebaren unüblich für die sonst eher impulsive junge Frau war. “Nun, mein Vater ist ein Rizzi und meine Mutter eine Hugedeel”, scherzte sie, doch waren beide Häuser für ihre Nähe zur gütigen Mutter weithin bekannt gewesen. “Vater hat gemeint, dass diese Reise meinen Horizont erweitern würde. Es ist bei uns in der Familie wohl einfach üblich, aber ich weiß noch nicht, für was ich bei der Göttin bitten soll.” Das wusste die junge Hexe als eine Tochter Satuarias tatsächlich nicht, waren die Zwölfe doch alles andere als ihr Metier gewesen.
“Was für große Zukunftsentscheidungen stehen bei Euch denn an?”, fragte die Rizzi mit beinahe schon ungehöriger Neugier.
,,Dann seid erstmal nochmals herzlich willkommen, den Covernischen Horizont zu erblicken und die Seeluft genießen zu können, Signorina. Manchmal bedarf es vielleicht keines Abenteuers für eine neue Betrachtung der eigenen Weltsicht, vielleicht hilft ja einfach nur das”, sagte Timor und deutete zeigend auf Himmel und Umgebung.
,,Mein Sohn hat Recht, Signorina. Uns hilft es, hierher zu kommen, neu zu betrachten, neuen Glauben zu schöpfen und neu zu danken. Unsere Familie ist noch nicht lange nobilisiert. Ein Umstand, auf den wir alle hart hingearbeitet haben. Das bedeutet neue Wege und neue Entscheidungen. Doch wir wollen das weiterhin auf dem Boden der Tatsachen machen und die schützende Hand der gütigen Göttin über uns wissen!”, rief Phelizzio stolz aus und begann ihr vom handwerklichen Werdegang zu erzählen, der eben eine Erhebung in das Nobilitat zur Folge hatte.
“Ah, nun, dann gratuliere ich Euch zum gesellschaftlichen Aufstieg”, warf die junge Rizzi nach einigen Herzschlägen des Überlegens ein. Sie wollte irgendetwas sagen und auf die Schnelle fiel ihr nichts besseres ein.
Während Traviana und Phelizzio plauderten, lief Timor hinter den Beiden her und zeichnete im Gehen mit einem kleinen Koghlestift Pergament den Kater Mio, der den jungen Mann weiterhin neugierig beobachtete.
,,Ah. Da sind wir schon!”, rief Timors Vater aus und wurde nun plötzlich sichtbar ernster und insich gekeehrter. Er band die Pferde an einem Balken fest und klopfte seine Robe und versuchte entstandende Falten glatt zu streifen. Mit einem drohenden Finger forderte Phelizzio auch seinen Sohn dazu auf. Timor nickte.
,,Verzeiht mir meine plumpe Begrüßung von vorhin, Signorina Traviana. Darf ich es wieder gut machen und Euch diese Zeichnung Eures Katers schenken, die ich gemacht habe?” Mit einer leichten Verbeugung bot Timor der jungen Frau das Stück Papier an.
Ein Geschenk, das die junge Frau strahlen ließ. “Oh habt vielen Dank”, meinte sie, als sie das Präsent entgegennahm. “Schau mal Mio, das bist du”, zeigte Traviana das Machwerk ihrem Kater, der daraufhin den Kopf schief legte und gurrte.
“Ich glaube, es gefällt ihm”, übersetzte die junge Patizierin dann die kund getane Meinung des Stubentigers. “Ihr zeichnet gut, Signor. Ist das auch Teil Eurer Arbeit in der Werft?”
,,Es freut mich sehr, dass die Zeichnung Euch und auch ihm gefällt", lächelte Timor. "In der Werft sind Skizzen und Zeichnungen tatsächlich Teil meiner Arbeit, doch meine wahren Stärken finden sich in sportlichen Wettkämpfen. Darunter fallen Wettläufe im zyklopäischen Stil, Faustkämpfe und neuerdings hat Delphinocco meine Begeisterung ausgelöst." Er bemerkte Travianas fragenden Blick. "Oh, verzeiht, ist Euch Delphinocco bekannt?”
Die junge Frau ging für einen Moment in sich und tippte dabei auf ihr Kinn. “Hmmmmm, ich habe den Namen schon einmal gehört. Hat es mit Delphinen zu tun?”, fragte Traviana begleitet von einem schüchternen Lächeln.
,,Oh”, Timor schmunzelte und begann zu erklären: Delphinocco wird auf einem 70x20 Schritt großen Spielfeld im Meer gespielt. Dabei befindet eine lange Seite des Feldes etwa 1 Schritt vom Ufer entfernt in etwa knietiefem Wasser. Mittig an den Stirnseiten des Feldes sind die beiden Zielkisten, die sogenannten Renze, verankert. Eine Mannschaft besteht aus 6 Spielern, die sich meist auch untereinander bereits kennen. Die Spieler werden wie folgt aufgeteilt: die in Strandnähe spielenden Läufer, die in der Mitte spielenden Wühler und den seewärts spielenden Schwimmer. Spielgerät ist der “Fisch”, also ein ovales Holzstück und der mit den Delphinoccoschlägern von Spieler zu Spieler geworfen wird. Ich kann den Spaß bei der Sportart nur betonen”, erklärte Timor mit einem Lächeln.
Traviana schien sich die Erklärung Timors vor ihrem inneren Auge vorzustellen, so zumindest konnte man die Tatsache deuten, dass die junge Frau ihre Augen schloss. “Man wirft sich den Fisch zu …”, führte die Rizzi die zögerlich aus, “... und muss ihn dann zum Zielkissen bringen?” Dann sah sie an sich selbst herab. Traviana war eine überdurchschnittlich große, aber schlanke Frau. “Könnte ich das auch spielen?”, fragte sie neugierig.
,,Selbstverständlich! Darf ich Euch das bescheidene Angebot machen, mich zu einer Partie von Delphinocco zu begleiten. Selbstredend würde ich es Euch gerne dann vorher bei einer Trainingseinheit erklären, wie zeigen?”, lächelte der junge Mann.
,,Und Selbstverständlich möchten wir Euch dann als unseren Gast in unserem Hause in Efferdas begrüßen, Signorina”, bot Phelizzio an und neigte höflich den Kopf.
Traviana lächelte auf die Einladung hin breit. “In Efferdas war ich noch nicht, Signor. Sehr gerne würde ich Eure Einladung annehmen …”, für einen Moment biss die junge Frau sich nachdenklich auf die Lippe, “... gilt diese Einladung denn nur für mich, oder meine Familie?”
Dann wandte sie sich dem jungen Timor zu. “Spielt man Delphinocco auch hier in der Stadt?” Der Besuch eines Sportereignisses auf einer traviagefälligen Pilgerreise … Traviana war sich sicher, dass ihr Vater sowas nicht gut heißen würde, doch fand sie gerade diesen Gedanken irgendwie erheiternd.
,,Oh, aber nein. Efferdas ist da der richtige und bessere Ort. Die Küstenlinien dort erlauben das Spielen ideal,” erklärte Timor und konnte sein Freude nur durch ein Lächeln in Zaum halten.
,,Ist denn Eure Familie denn bereits in Efferdas gewesen?”, unterbrach Phelizzio das gegenseitige Anlächeln der Beiden. ,,Wenn Ihr möchtet, schlagt Eurer Familie doch einmal vor an die Covernische Küste zu kommen, es wäre uns eine Ehre Eure Familie als hochgeschätzte Gäste begrüßen zu dürfen.”
,,Und Euch”, betonte Timor lächelnd.
Die junge Frau lächelte dankbar. “Nun also ich denke schon, dass Angehörige meiner Familie die Stadt Efferdas kennen. Ich war noch nie dort … ich war überhaupt noch nicht so oft außerhalb von Vinsalt …”, sie hing für einen kleinen Moment einem Gedanken nach, “... ein paar Mal war ich in Unterfels, aber das ist ja nicht so weit weg von zuhause. Ihr seid öfters unterwegs, nehme ich an?”
,,Gelegentlich, Signorina”, erklärte Phelizzio. ,,Einige Freunde unserer Familie sind etwas weit verstreut, aber das gibt einem immer die schöne Gelegenheit, das Land zu sehen”, fuhr er fort.
Die Drei begaben sich nun gemeinsam in den Travia-Tempel, während Timor Traviana höflich den Vortritt ließ, ehe er ihr und seinem Vater ins Innere folgte.
Besuch in Efferdas
Efferdas, ein paar Monde später
Die Ruhe vor dem Haus der Familie d'Antara wurde jäh durch die Ankunft einer vierspännigen Ferrara-Eisenherr beendet. Die Kutsche war, genauso wie die Zugtiere, in Schwarz gehalten und einzig die Orange-Goldenen Vorhänge, die die Insassen vor neugierigen Blicken schützen, boten farbliche Abwechslung. Am Kutschbock saßen zwei wortkarge und bedrohliche Gesellen, die das Umfeld und die Umstehenden missgünstig musterten. Die vier Pferde vor eben jenem Gefährt bestachen durch elegante, ausladende und beinahe tänzerische Schrittfolgen, die perfekt aufeinander abgestimmt schienen und einen höchst extravaganten Anblick boten. Ein Kenner würde die edlen Tiere sogleich als Yaquirtaler erkennen - der Krone neureichischer Pferdezucht.
Als die Kutsche vor dem Haus hielt, begaben sich die beiden Männer vom Kutschbock hinunter und nahmen an der Seite der Kutsche Aufstellung. Ihnen stand eine Begrüßungsformation der Palmyramischen Wache, der Hausgarde der Familie d’Antara entgegen. Diese waren in tulamidischer Tuchrüstung mit Turbanen gewandt. Einer der beiden öffnete die Tür, der andere bot seine Hand dar, um den Insassen aus dem Gefährt zu helfen. Heraus trat als erste eine groß gewachsene Frau in ihren Vierzigern, gewandet in ein grün-goldenes Kleid und mit ihrer roten Haarpracht zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Gerade das feuerrote Haar hatte die Dame mit den beiden jüngeren Frauen gemein, die nach der Älteren aus dem Gefährt stiegen; beide Frauen zählten um die 20 Sommer und sahen sich sehr ähnlich; sie trugen ihre Mähnen offen und waren beide in sehr züchtige, in orange und Gold gehaltene Kleider gewandet und zusammen mit der zuerst Ausgestiegenen warteten sie auf die letzte Person, die sich aus dem aufwendigen Gefährt schälte. Der ebenfalls großgewachsene Mann gab ein äußerst gepflegtes Erscheinungsbild ab, trug eine orangene Steppweste mit eingestickten goldenen Gänsen und darüber einen braun gehaltenen Reitrock. Sein Antlitz zierte ein mildes Lächeln.
"Ich denke wir werden erwartet", meinte Gwena Hugedeel, während sie den Sitz der Kleider ihrer Töchter Traviana und Travienne prüfte. Dass die beiden aus ihren Haaren nicht viel machten und diese für gewöhnlich offen trugen, empfand die Edeldame als vergebene Möglichkeit, doch sollten ihre beiden Mädchen wenigstens in der - selbstverständlich von Gwena ausgesuchten - Mode glänzen.
"Dann gehen wir", stimmte Travileas Rizzi, seines Zeichens hoher Bruder der Traviakirche, seiner Frau zu, wartete bis sie sich an seinem Arm gehängt hat und schritt dann in die Richtung des Palazzos der Familie d´Antara.
Der Palazzo der Gastgeber befand sich auf einer gepflasterten Piazza, umringt von weiteren Häusern. Die Außenfassade des Hauses wirkte kolossal, aber doch mit einigen horasisch-aranischen Elemente wieder verspielt und bodenständig. Die Fensterbögen waren aufgrund der Sonnenseite des Hauses mit tulamidischen Holzgittern verdeckt, doch auf den Balkonkästen sowie im Vorgarten blühten prächtige Hibiskusse, Rosen und weitere strahlende Blumen.
Die Fassade war zudem mit orangefarbenen Lampions geschmückt und auch elegante Girladen zierten das Haus. Das Licht der sinkenden Abendsonne verwandelt das Gebäude in eine romantische und märchenhafte Atmosphäre. Am Eingang vor der Ehrenformation stehend, erwarteten bereits die Gastgeber Phelizzio mit seiner Frau Sybilla sowie ihrem ältesten Sohn Timor die Eintreffenden. Es wurde noch kurz die Gewänder glatt gestrichen, ehe der Hausherr und seine Familie freundlich lächelnd ihre Gäste mit einer Verbeugung und einer herzlichen Begrüßung aufwartete. Phelizzio war in der edlen braun-orangen Kaufmannskleidung mit dunkelgrüner Schärpe gekleidet, Sybilla trug ein Kleid, das aus horasisch-tulamidischen Elementen bestand aber dennoch keine Anstoßerregung auslöste. Deren Ältester Timor trug ein weißes Hemd mit einer orangen Tunika darüber.
Es folgte die gegenseitige Begrüßung, die herzlich verlief und doch gegenüber der Familie Rizzi von hohem Respekt geprägt war. Timor lächelte Traviane wie in Terubis an und sein Lächeln wurde noch breiter, als er Travienne erblickte. Diese erwiderte den Geste etwas schüchtern und es fiel ihr etwas schwer, seinen Blick zu halten.
“Die gütige Mutter Travia vergelte Euch Eure Gastfreundschaft”, war es Travileas, der seine Gastgeber als erstes begrüßte. “Meine Tochter Traviane kennt Ihr bereits aus Terubis”, der Erzgeweihte wies auf die geringfügig Ältere der beiden jungen Damen, die einen knappen Knicks folgen ließ. “Die andere junge Dame ist unsere jüngste Travienne. Derzeit studiert sie noch in Methumis.”
Dann wandte sich der charismatische Mann seiner Frau zu. “Und meine Gemahlin Gwena, aus dem traviagefälligen Haus Hugedeel.” Die groß gewachsene Frau mit dem feuerroten Haar nickte den Hausherren ebenfalls grüßend zu. “Wir freuen uns sehr über die Einladung und darüber, Euch kennenlernen zu dürfen."
Daraufhin verbeugten sich die d’Antaras mit einem Lächeln.
,,Bitte”, bot Phelizzio den Herrschaften an, ,,Darf ich Euch hinein bitten?”, sagte er lächelnd und sogleich begaben sich die Herrschaften in das Haus der Schiffsbauerfamilie und fanden sich im prächtigen Eingangsbereich wieder.
Der Boden bestand aus Marmor, spiegelglatt und anlässlich des hohen Besuches auf Hochglanz poliert. Einfache und doch edle, tulamidische und horasische Wandteppiche begrüßten die eintretenden Besucher.
Die riesige Freitreppe, die von der Halle hinauf führte und sich in der Mitte zur Rechten und Linken teilt, war umgeben von schönen blühenden Zimmerpflanzen wie orangener Hibiscus und prächtiger Grünpflanzen. Schön geschnitzte Fasane und Wasservögel aus Holz hauchten der Fauna dabei eine verträumte Kulisse ein. Aus der oberen Etage war das sanfte Plätschern eines Hausbrunnes zu hören. Im Zentrum der Halle hing ein gewaltiger Lüster, der mit orangenen und gelben Lampions geschmückt war. Unter diesem auf dem Boden platziert fand man, wo früher das marmorne Wappen der Changbari war, jetzt lediglich ein Mosaik mit kühlen Farben.
,,Herzlich Willkommen im Palazzo d’Antara”, begann Sybilla und gab eine kleine Beschreibung zum Eingangsbereich wieder, in dem covernische Bodenständigkeit mit aranischer Verspieltheit fließend ineinander überging.
Während ein paar Diener traten heran, um den Gästen ihre Mäntel und Umhänge abzunehmen lächelte Phelizzio stolz, denn sein Haus ist neben der eigenen Schiffswerft das Sinnbild des in den Niederadel aufgestiegenen Handwerkes.
,,Wenn ihr mir folgen würdet, begeben wir uns in den Orangensalon, um Platz zu nehmen”, sagte Phelizzio und nickte seinem Ersten Hausdiener Elam zu, der sich sogleich nach oben begab.
Die Gäste hatten sich auf dem Weg durch den Palazzo interessiert umgesehen. Die junge Travienne holte sogar ein kleines Notizbüchlein hervor und schien sich Notizen und Skizzen zu machen, während der Diener und die Gastgeber auf die knappen Fragen der Gäste antworteten, die sich die Beschaffenheit und die Geschichte des Gebäudes erklären lassen wollten.
Timor d’Antara trat an Travienne heran und bot ihr seinen Arm auf dem Weg zum Salon an und lächelte. ,,Ihr zeichnet? Darf ich sehen, wenn Ihr es erlaubt, werte Travienne?”
Erst blickte die junge Frau etwas schüchtern und im ersten Impuls presste sie das Büchlein gegen sich, doch schien sie sich schnell wieder zu beruhigen. Der junge Mann wirkte freundlich und Travienne wusste, dass sie gut zeichnen konnte. “Ja, wenn Ihr möchtet”, nickte sie und gab ihm das Buch. Ihre Wangen nahmen dabei einen leichten Rotton an.
Timor sah einige wirklich hübsche Skizzen, von allerlei Dingen, die die Vermutung zuließ, dass Travienne wohl ab und an einzelne Szenen und Eindrücke zeichnete. Er sah fremde Personen, wiewohl das Hauptaugenmerk des Bildes auf den getragenen Kleidern lag. Auch Tiere konnte Timor sehen; Skizzen von Katzen, Hunden, Tauben … auf der letzten Seite angekommen, sah der junge Herr eine Skizze von Pflanzen und Vögeln, die Timor aus der Halle mit der Freitreppe kannte.
,,Ihr habt ein wirkliches Talent fürs Zeichnen, mehr als das meinige, möchte ich meinen”, sagte er und lächelte. ,,Wenn es mir erlaubt ist das zu sagen, Ihr werdet Euch damit einen Namen machen, das spüre ich”.
“Habt Dank für Eure Worte, junger Herr”, bedankte sich Travienne artig und fast schien es schon als wollte sie dem nichts mehr hinzu setzen. “Ihr zeichnet auch?”, fragte sie dann den jungen Timor.
,,Ja, junge Herrin Travienne. Ich übe mich derzeit in bescheidenen Skizzen von Momenten. Zudem faszinieren mich Alltagsszenen der Tulamidenlande. Sie verheißen eine neue und märchenhafte Welt, selbst in ihren täglichen Wirken. Wenn es Euer Gefallen finden würde, wäre es mir eine Freude, Euch ein paar Meine Skizzen zeigen zu dürfen”, bot er der jungen Frau an.
“Sehr gerne”, meinte die junge Frau sogleich. “Wart Ihr denn schon einmal in den Tulamidenlanden?”
,,Bisher war es mir noch nicht vergönnt, doch eines Tages werde ich die Heimat meiner Mutter sehen!”, sagte Timor selbstbewusst.
,,Was haltet Ihr denn von den Ländern des märchenhaften Osten, junge Herrin?", fragte der Hauserbe seine Begleiterin dann.
Travienne schüttelte ihr Haupt. “Nein, ich war leider noch nie außerhalb des Reiches”, meinte sie dann etwas wehmütig. “Aber Ihr lest sehr viel darüber? Oder lässt Ihr es auch von Eurer Mutter erzählen?”
,,Richtig. Ich lese eifrig die tulamidische Geschichte und lausche den Geschichten von Seeleuten und Händlern aus dieser Regionen. Das ersetzt natürlich keine eigene Erlebnisse”, lächelte Timor.
“Und würden es Eure Verpflichtungen in Efferdas zulassen, dass Ihr einmal dorthin reist? Es ist ja immerhin einmal quer durch den Kontinent”, fragte die junge Frau interessiert weiter.
,,Da bin ich optimistisch, dass ich mit Travia und Aves Segen wie ein Zugvogel gen Osten eines Tages reise. Wisst Ihr, ich versuche mich grad auch in Kalligraphie, das ist eine kunstvolle Schreinschrift aus eben jenen Landen. Gestattet Ihr mir, dass ich Euch schreiben darf, den Brief werde ich dann in meiner schönsten Schrift schreiben”.
“Sehr gerne”, antwortete die junge Travienne sogleich. Sie würde sich sehr über Briefe freuen. “Aber nur wenn Ihr mir gestattet, dass ich Euch ebenfalls per Brief antworte, Signor.”
,,Es würde mir große Freude bereiten!”,freute sich Timor.
Während die Beiden sprachen, gesellte sich Sybilla zu Traviana und heißte sie nochmal persönlich willkommen.
,,Wir schulden Euch Dank, werte Traviana, dass Ihr unsere Einladung an Eure hohe Familie weitergegeben habt, es ist uns wie gesagte eine große Ehre." Sybilla war selbst eine ehemalige Katzenhexe, doch hatte ihr Seelentier vor Jahren verloren und seitdem kein neues gefunden und konnte daher Travianes Fähigkeit spüren. ,,Bitte nach Euch.”
Die Angesprochene Frau nickte ihrer Gastgeberin knapp zu.
Die Gäste fanden sich nun im Gardesalon im ersten Stockwerk ein. Im Raum stand ein großer, fein gedeckter Tisch. An den Wänden hingen verschiedene Bilder von Orangenhaine, die eine entspannende und erfrischende Wirkung auf die Betrachter wirken.
,,Bitte doch meine Freunde, darf ich bitten?”, lud Phelizzio freundlich lächelnd die Gäste zum Platz nehmen ein.
“Travia vergelt es Euch”, war es nun wieder Travileas der sich als erstes beim Hausherren bedankte und Platz an der Tafel nahm. Seine Frau Gwena, die dritte Katzenhexe im Bunde, nahm zu seiner Rechten Platz. Nebenbei ihre Töchter, wobei Travienne vis a vis vom jungen Timor Platz nahm.
“Wir möchten Euch für die Einladung danken”, erhob nun die Hugedeelerin das Wort. “Und hoffen, dass wir Euch auch einmal bei uns zuhause in Vinsalt begrüßen dürfen.”
Ihr Gemahl nickte zustimmend. “Es ist immer schön eine Familie zu treffen, die hier im Reich die Gebote der Gütigen so hoch hält wie die Eure. Es ist uns immer sehr daran gelegen, Verbindungen und Kontakte zu diesen Familien aufzubauen.”
Phelizzio nickte dankend. ,,Es wäre meiner Familie und mir eine große Ehre!”, sagte der Hausherr und läutete ein kleines Glöckchen, das an seinem Platz lag. Nach einigen Momenten kam Elam mit zwei weiteren Dienern hinein und servierte den Anwesenden auf Tabletten kleine Gläser gefüllt mit einem leichten Apfelwein als Begrüßungsgetränk.
,,So hat nun jeder sein Glas? Ich garantiere Euch der Apfelwein wird den Gaumen schmeicheln. Auf unsere hohen Gäste! Auf Travia und unser aller Gesundheit” Die Familienmitglieder der d’Antara erhoben ihre Gläsern und prosteten den Gästen lächelnd zu.
Die Gäste hoben ebenso ihre Gläser. “Auf Euch und die Gastfreundschaft”, dankte Travileas milde lächelnd. “Habt Ihr Euch hier gut eingelebt? Traviana sagte mir, dass Ihr noch nicht lange in der Stadt lebt.”
,,Das entspricht der Wahrheit. Ihr müsst wissen noch vor wenigen Monaten lebten wir noch in Belhanka und arbeiteten noch für die Werft der ya Cabazzos. Ehrbare Leute! Doch nun bauen wir unsere Zukunft ohne Arbeitgeber und Herr auf!”, erklärte Phelizzio.
,,Hört, hört”, sagte Timor ebenfalls stolz und prostete erneut in die Runde.
,,Doch wie ist das Leben in Unterfels”, fragte der Hausherr nun ebenfalls neugierig.
“Da sind wir wahrscheinlich die falschen Ansprechperson”, lächelte Travileas milde. “Auch wenn meine Familie ursprünglich aus dem Yaquirbruch stammt, leben wir in Vinsalt. Dort ist das Leben sehr annehmlich, was Ihr wahrscheinlich aus Belhanka nur zu gut kennt.” Sein Blick schweifte zu seiner Frau, die ihm beipflichtend nickte.
,,Oh, verzeiht mir den Irrtum”, sagte Phelizzio aufrichtig, dann fuhr er fort: ,,Das Leben in Belhanka war angenehm richtig, doch unser Herz schlug Richtung Efferdas, sodass wir wir hierher gezogen waren. Und wir haben uns gut eingelebt”.
Ein Diener trat leise heran und nickte dem Hausherren zu.
,,Ah, das Essen wäre soweit”, stellte Sybilla freudig fest. Sogleich traten mehrere Diener in den Raum und servierten das herzhaft duftende Essen: Auf großen Tabletten, lagen auf grünen Salatblättern knustbrige Fleischscheiben und dazu wurde Brot mit in kleinen Schalen befindene Kräuterbutter gereicht”.
Als das Mahl aufgetischt worden war nahmen die Familienmitglieder der Familie d’Antara stramme Haltung an und falteten die Hände. Timor richtete das Wort an Travileas. ,,Dürfen wir Euch bitten, dass Ihr heute den Tischssegen sprecht, Euer Ehrwürden?”
Der Erzgeweihte erhob sich nickend. Er streckte seine Arme und Hände leicht von sich und begann dann in andächtiger Stimmlage:
“Gütige Mutter,
Wir halten inne vor diesem Mahl.
Dankbar für die Früchte der Erde,
für die Hände, die sie bereitet haben,
für die Gemeinschaft, die uns verbindet.
Lass uns achtsam genießen,
teilen, was uns gegeben ist,
und offen bleiben für das,
was über das Sichtbare hinausgeht.
Sei gegenwärtig in unserem Gespräch,
in unserem Schweigen,
in unserem Miteinander.
Es sei.”
Dann schloss der Geweihte für einen kurzen Moment seine Augen.
“Herrin Travia, segne diese Speisen aufdass sie ihren Zweck erfüllt, uns nähret und unseren Hunger stillt.”
Travileas öffnete seine Augen und sah dann zu den beiden Gastgebern Phelizzio und Sybilla.
“Heilige Mutter, segne auch dies´ Heim. Mögen Haus und Herd gedeihen.”
Nach diesen Worten nickte der Geweihte Travias dem jungen Timor zu, bevor er sich wieder setzte.
Die d'Antaras blickten ebenfalls auf und dankten Seiner Ehrwürden für diesen Segen. ,,Nun bitte meine Freunde, darf ich nun bitten, gemeinsam das Brot zu brechen und das vorzügliche Mahl einzunehmen”, lud Phelizzio ein. Sogleich wurden jedem Fleischscheiben sowie das Brot serviert und das Essen kann beginnen.
Die Gäste griffen beherzt zu und während des Essens ergab sich die Gelegenheit, über so manches oberflächliches Thema zu sprechen. Erst als die Teller wieder abgetragen wurden, kam das zur Sprache, war die Zeit für tiefgründigere Themen gekommen.
Phelizzio setze den Weinbecher ab und wandte sich nun ernst an seine Ehrwürden Travileas: ,,Euer Ehrwürden. Ihr und Eure Familie haben diesem Haus heute eine große Ehre zu Teil werden lassen. Wir danken Euch vom ganzen Herzen! Doch ich möchte nun in der beginnenden freundschaftlichen Beziehung, so hoffe ich, Euch einen Vorschlag unterbreiten, auf das er auf Euer Wohlwollen stößt. Ich biete Euch eine Investition in meine Werft an mit der Möglichkeit ein Mitgesellschafter zu werden”. Er legte ein Pause ein, dann fuhr er fort; ,,zudem biete ich Euch an in Euren Besitzungen am Yaquir und Uras eine kleine Flusschiffwerft zu errichten, so würden die Stimmen der Unterstützer der Kirche der Gütigen Göttin beidseitig gestärkt werden und Kapital zu deren Stärkung erwirtschaftet. Dieses kann ich Euch garantieren wird auch zur hiesigen Versorgung der ärmeren Mitbürger eingesetzt und den Donatorier zu Teil werden”.
Der Angesprochene war etwas verwundert über das Angebot, sprach er gegenwärtig doch nicht für die Gesamtheit der Familie - das konnte nur die Matriarchin Traviana Rizzi. “Nun, ich danke Euch für Euer Angebot, Signor … und ich werde es sehr gerne weiter an das Familienoberhaupt richten.”
“Wiewohl wir davon ausgehen können …”, warf nun dessen Gemahlin Gwena von der Seite ein, “... dass sie das erste Angebot sehr interessieren wird, aber das zweite wohl ablehnen wird … müssen.”
Auf die fragenden Blicke der Gastgeber hin fuhr sie erklärend fort. “Es würde in Unterfels wahrscheinlich nicht auf viel Gegenliebe stoßen, wenn unsere Familie, die bereits ihre Hände auf dem wohl wichtigsten Wirtschaftszweig der Stadt hat, in die Domänen anderer Familien expandiert. Vor allem die eng mit uns verbündeten Rinaldos wären nicht glücklich.”
Phelizzio nickte und lächelte. ,,Habt dank für Eure Ehrlichkeit. Selbstverständlich möchten wir Euch in Unterfels nicht in eine Lage bringen, die Euch misslich erscheinen mag. Solltet Ihr da in Zukunft jedoch eine gute Möglichkeit sehen, so bleibt meine Hand weiter ausgestreckt”, sagte der Schiffsbauer mit Optimismus in der Stimme.
Travileas Blick lag für ein paar Augenblicke auf seiner Frau, sie war das was er nie sein würde - eine Diplomatin und Politikerin.
“Damit wir aber nicht mit leeren Händen von dannen ziehen …”, fuhr die Hugedeelerin dann in ihrer unnachahmlichen Art fort, “... können wir unsere Familien vor einer eventuellen wirtschaftlichen Verbindung auch im Sinne der göttlichen Mutter verbinden. Habt Ihr für Eure Kinder bereits Pläne?”
Sybillas Blick fiel auf Travienne und Timor, die sich beide schon die ganze Zeit anstrallten. Lächelnd deutete die Aranierin in die Richtung der beiden und Gwena lächelte ebenfalls. ,,Die Zukunft unseres Sohnes Timor, unseres Erben, ist noch unbeschrieben. Wie sieht es mit Eurer lieben Tochter Travienne aus?” Sie schmunzelte, dass beide Mütter nun einen Plan ausarbeiten.
Über Gwenas Züge huschte ebenfalls ein Lächeln, doch wandte sie sich dem jungen Timor zu. “Junger Signor, vielleicht möchtet Ihr meinen Töchtern noch einmal das Anwesen … oder Eure Werft zeigen?” Die Hugedeelerin wollte diese Themen nicht vor ihrem Nachwuchs besprechen, würde dies doch den falschen Eindruck erwecken, Travienne und Traviata hätten bei diesem Thema mitzureden.
Timor stand auf und verbeugte sich leicht. ,,Es wäre mir eine Freude wie Ehre”, sagte er und lächelten beiden jungen Damen zu, doch merklich stärker bei Travienne.
,,Vortrefflich!” , klatschte Phelizzio in die Hände und lachte freudig, dass die Anwesenden ansteckte.
Gwena wartete, bis ihre Töchter in Begleitung des jungen Herrn den Saal verließen. “Wir wären einer familiären Verbindung gegenüber nicht abgeneigt”, meinte sie dann an die beiden Hausherren. “Unsere Töchter sind beide noch unversprochen … Traviana ist dabei jedoch nicht offen für eine Ehe …”, der Blick der Hugedeelerin lag für einige Momente auf Sybia, war sich die Katzenhexe doch dessen bewusst, dass die Aranierin über das Wesen ihrer Tochter bescheid wusste, “... aber Travienne wird ihre Studien bald beendet haben und sich dann in den Dienst ihrer Familie stellen.”
,,Wenn ich das offen sagen darf, Timor und Travienne waren dem Abend bisher sehr einander zugetan. Währet Ihr für eine Verbindung der beiden? Selbstredend nachdem eure Tochter pflichtbewusst ihr Studium abgeschlossen hat”, fragte Phelizzio bewusst sanft.
,,Eine Verlobung können wir, nachdem wir mit unserem Sohn gesprochen haben und er auch zustimmt, bereits ankündigen. Was sagt ihr dazu?”, übernahm Sybilla und richtete die Frage an die hohen Gäste.
Etwas überrascht musterte Gwena ihr Gegenüber. Dass die Brautleute beim Arrangement der Ehe mitreden durften, war selten. “Von unserer Seite spricht nichts dagegen. Ihr seid eine junge, aufstrebende Familie mit einem engen Bezug zu den Werten der gütigen Mutter. Ich denke, dass dies eine sehr fruchtvolle Verbindung werden wird.”
,,Wenn Ihr mich kurz entschuldigt, ich werde umgehend meinen Sohn fragen gehen”, sagte Phelizzio und erhob sich vom Tisch, was von den Gästen mit leichter Verwunderung zur Kenntnis genommen wurde. Das hätte doch Zeit gehabt.
In der Abwesenheit ihres Mannes unterrichtete Sybilla die Gäste vom baldigen Eidspruch der palmyrische Wache, der Hausgarde der Familie und erklärte den Ablauf. Daraufhin bat sie Travileas und seine Familie doch etwas länger ihren Besuch in Efferdas zu gestalten und Teil der Zeremonie zu sein. Man wäre sehr geehrt. Es war ein Wunsch, dem Travileas gerne entsprach.
Die Tür öffnete sich wieder und der Hausherr kam Freude strahlend herein. An seinem Platz stehend, bot er Travileas seine ausgestreckte Hand hin. ,,Der Bund der Familien steht von unserer Seite, willigt ihr ein?”
Zufrieden griff Travileas nach der Hand des Hausherren. “Sehr gerne.”
Gwena hatte sich ebenfalls erhoben. “Wir werden unseren Advocatus damit beauftragen mit dem Euren in Kontakt zu treten, um den Ehevertrag aufzusetzen”, wirkte die Hugedeelerin währenddessen in ihrem Element. “Etwas Zeit haben wir mit dem Eheschluss ja noch, soll Travienne doch erst ihre Studien beenden.”
Phelizzio erhob sich, Sybilla tat es ihm gleich. Beide erhoben nun ihre Gläser.
,,Nun denn. So möge travia diesen Bund segnen sowie auch diese beginnende Freundschaft der Familien. Auf Travienne und Timor!”, prostete er.
Der Eid der Fasane
Efferdas, am Tag darauf
Still lag die Nacht über Efferdas. Über den Dächern der covernischen Hafenstadt schimmerte das fahle Licht des Madamals und Phexens Sternenzelt. Im Schein des Nachthimmels regte sich eine Bewegung in Richtung des Stadtteiles Sankt Parvenus - sanft anstimmend wie ein Lied.
Ein dumpfer Klang von Glocken trug sich durch die Straßen. Aus der Dunkelheit der Gassen traten sie hervor - Männer und Frauen in tulamidischer Tuchrüstung, deren Angehörige, mehrere Handwerker und Arbeiter aus dem Schiffsbau sowie alte Männer und Frauen und Kinder. Jeder Einzelne des Zuges hielt orange Lampion-Laternen in den Händen, deren Licht wie kleine wandernde Flammen durch die Straßen tanzten. An der Spitze des Zuges ging Travileas Rizzi, Hoher Bruder des Travia-Tempels in Vinsalt, und Viana d'Antara, eine Travia-Geweihte und Ordensschwester der Donatorier mit gefalteten Händen voran. Ihnen folgten Phelizzio d'Antara mitsamt seiner Familie sowie die anwesenden Mitglieder der Familie Rizzi als Ehrengäste. Dahinter folgten mehrere Angehörige befreundeter Familien. Diese trugen neben Lampion-Laternen Lindenzweige, vom der gütigen Göttin heiligem Baum.
In ihrer Mitte schritten die Rekruten der Palmyramischen Wache in ihren noch neuen Rüstungen, deren dunkelgrüner Stoff im Schein der Lampions leuchtete. Ihre Schultern waren gesenkt, ihre Schritte ruhig, doch in ihren Gesichtern, lag die stille Anspannung des baldigen Neuanfangs - zwischen Pflicht und Ehre. Das in den ledernen Brustpanzer eingravierte Fasanenwappen glühte wie ein bald angefachtes Feuer.
Die Menge, die sich am Straßenrand angesammelt hatte, wich ehrfürchtig zur Seite. Kinder auf den Armen ihrer Eltern strecken die Hände nach dem Licht aus, und von den Balkonen herab beugten sich neugierige Blicke auf den Umzug. Kein Ruf, kein Wort – nur das Knistern der Lampions und der Klang der Schritte auf dem Pflaster begleiten die Prozession.
Vor ihnen nähert sich der Travia-Schrein – klein, aber hell erleuchtet. Travileas Rizzi und Viana d'Antara hielten vor dem Schrein und warteten, bis auch die Letzten der Prozession den Schrein erreicht haben.
Als die beiden Geweihten sich sicher waren, dass alle angekommen waren und die beiden die Aufmerksamkeit der Anwesenden genossen, begannen sie mit der Liturgie.
„Tretet heran zum Feuer der Göttlichen Mutter,
ihr, die ihr das Heim bewahren wollt.
Nennt vor Travia und vor den Ahnen, wem ihr eure Treue schenkt.“
Woraufhin die Rekruten unisono antworteten:
„Dem Hause d’Antara, Travia zum Gefallen, der Treue zum Zeugnis.“
In andächtiger Stille schritt Travileas die versammelte Schar ab und blieb dann wieder vor dem Herdfeuer stehen. Eindringlich musterte er die Rekruten - jeden einzelnen von ihnen für die Dauer mehrerer Herzschläge, ganz so als wolle der Erzgeweihte der gütigen Mutter deren Seelen und Beweggründe prüfen.
“Heilige Mutter, segne diese Männer und Frauen”, hob er dann donnernd an.
“Weihe sie in ihrem Tun, lass sie bekämpfen Laster und Leid mit Worten und Taten,
Anstand und Tugend seien ihre Richtschnur alle Zeit.”
Der Rizzi hob seinen Blick. “Sprecht mir nun nach”, wies er die Rekrutinnen und Rekruten an. Es kam nicht oft vor, dass militärische Einheiten den Segen seiner Göttin erbaten. Er entschied sich dafür den Heiligen Travinian anzurufen - den Schutzheiligen gegen dämonische Entitäten und Bedrohungen.
“Heim und Herd wollen wir schützen,
so wie sie uns stets Schutz schenken.”
Travileas stoppte und wartete bis die Anwesenden seine Worte wiederholten. Dies wird sich nun für das gesamte Gebet wiederholen.
“Gleich der Gans werden wir unsere Schar verteidigen.”
“Travinian, du gabst Dein Leben,
Dein Glauben war Dein Schild und Wehr.
Gleich der zornigen Gans fuhrst du unter Deine Feinde.”
“Deine Taten beflügeln und,
Deine Worte spenden uns Kraft.”
“Vergehen sollen Feinde von Heim und Herdfeuer.”
Nachdem die Göttin angerufen und der Schutzheilige Travinian gepriesen wurde, steigerte eine bedeutungsschwangere Pause die Spannung der Anwesenden. “Wiederholt nun die Worte des Schwurs”, war es Travileas in feierlicher Tonlage:
„Ich schwöre bei Travias heiliger Flamme,
das Herdfeuer zu hüten, wo ich wache,
den Frieden zu wahren, wo ich handle,
und die Bande der Familie d’Antara
zu schützen gegen Not, Unheil und Verrat.
Ich will teilen, wo Mangel herrscht,
trösten, wo Trauer wohnt,
und lieben, wo Kälte droht.
So brenne mein Herz wie das heilige Herdfeuer,
rein in Treue, fest in Liebe,
bis meine Glut erlischt und ich heimkehre
in Travias ewige Umarmung.“
Als die letzten Worte der Rekruten verklungen waren, war es nun Viana, die einen Schritt nach vorne machte und in lauter, deutlich wahrnehmbarer Stimme anhob zu sprechen:
„So seid gesegnet in Feuer und in Frieden.
Travia sehe auf euch mit Güte,
und das Heim, dem ihr dient,
sei euch Heimstatt und Heiligtum.“
Die um das Feuer stehenden Rekruten, streckten ihre Schwurhände über das lodernde Herdfeuer und antworteten in einer Stimme:
„Bei Feuer und Brot, bei Herz und Hand — so sei es.“
Travileas blickte in die Gesichter der Rekruten, ganz so als wolle er deren Gesinnung und auch Ernsthaftigkeit prüfen. Knapp schien er jedem und jeder einzelnen zuzunicken.
Auch Viana d’Antara nickte einem jedem der Eidsprecher zu und das mit einem großmütterlichen Lächeln.
Die letzten Worte des Eides verhallten über dem Platz, und für einen Augenblick scheint das Feuer im Schrein stillzustehen – als lausche selbst Travia.
Dann breiteten beide Geweihten die Hände aus und sprechen abwechselnd mit fester und klarer Stimme:
„Travia lehrt uns: Wer teilt, der ehrt.
Wer schützt, der liebt.
Doch der Schwur allein ist nur Wort –
Tat soll ihm folgen, wie Flamme dem Funken.“
Timor d'Antara und seine Geschwister Brigon, Nabila und Jamilla sowie Travienne und Traviana Rizzi traten mit den Rekruten nach vorne. Alle trugen Mäntel aus Wolle. Neben dem Schrein knieten arme Bürger von Efferdas – Alte, Pilger, Bettler, Mütter mit Kindern –, die die Göttin um Beistand bitten.
Die Geweihten sprechen weiter:
„So zeigt, dass euer Herz nicht nur den Starken gilt,
sondern auch jenen, die ohne Herd und Heim sind.
Travia sieht nicht den Glanz des Stoffes,
sondern die Wärme, die ihr teilt.“
Langsam lösten die Rekruten wie die jungen Familienmitglieder der d'Antaras und Rizzi ihre Umhänge von den Schultern und jedem wurde ein einfaches Messer gereicht.
Ernst setzten sie die Klingen an den Stoff, schnitten den Mantel entzwei – die eine Hälfte behielten sie, die andere wurde zusammengerollt.
Viana d´Antara hob segensreich ihre Hände.
„Wer sein Gewand teilt, der teilt sein Herz“, sprach sie feierlich, während einer nach dem anderen der Rekruten zu den Bedürftigen ging und die Alten, Kranken und Kinder in den wärmenden Stoff hüllte.
Dabei sprachen sie stets die folgenden Worte: „Travia segne dein Heim, wo immer du ruhst.“ Manch einer der Rekruten deutlich vernehmbar, andere andächtig flüsternd.
Einige der Armen hatten dabei Tränen in den Augen, andere berührten zögerlich die Hände der jungen Gardisten und für einen Moment verschmolz alles - die Wärme des Herdfeuers, das Licht der Laternen, der Atem der Stadt, das Rauschen des Meeres.
Ein kleiner Junge, in einen halben Mantel gehüllt, schaute auf und flüsterte; „Jetzt ist mir warm geworden.“ Worauf die Geweihte milde lächelte, die Augen schloss und die Arme zum Himmel hob.
„So ist es Travias Wille:
Dass aus einem Mantel zwei werden,
und aus zwei Herzen eines.“
Das Feuer loderte auf, heller als zuvor, und die Bürger begannen leise zu singen – ein Lied vom Teilen, von Heimkehr und vom Licht des Herdes, das selbst in der kältesten Nacht weiterbrannte.
Alle Anwesenden spürten nun eine dauerhafte Wärme, Travias Präsenz hatte nun Einzug gehalten in Efferdas.
- Fin -