Briefspiel:Im Auge des Chaos/Aphestadil
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2. Namenloser – Aphestadil
Aphestadil
Das Feuer schwelte vor sich hin, doch die großen Flammen waren vom Regenschauer der Nacht auf den zweiten Namenlosen schnell besiegt worden. An dem Ort, an dem einst der Rahjatempel stand, war nur noch eine Ruine. Folman und Ralnor aus der Truppe der Rondrikan-Löwen hatten sich als erster zu diesem Ort getraut und hofften auf ein erträgliches Plündern. Vorsichtig zogen sie sich durch ein Labyrinth aus verkohlten Brettern und angesengten, gesprengten Mauerwerk.
„Was für eine Sauerei.“ gab Folman kopfschüttelnd von sich, während sich Ralnor nach etwas bückte, was erst wie eine Münze aussah, sich aber als wertloser Tand entpuppte. „Ja. Das werden wir alles neu aufbauen müssen. Ne Stadt bei Belhanka ohne Rahjatempel, wo gibt’s denn sowas…. He! DA!“ Der Söldner griff nach einem Gegenstand auf dem Boden und brachte so einen Messingkelch ans Tageslicht. „Der wird sicher was wert sein. Damit bekommen wir zwei Mahlzeiten, minimum!“ Folman lächelte zufrieden, dann bemerkte er etwas anderes am Boden und ging auf die Stelle zu. „Was ist das denn?“ Ralnor blickte verwundert in Folmans Richtung. Der Fußboden schien sich zu bewegen. „Sind das Schlangen?“ „Seit wann blinken Schlangen?“ gab Folman lakonisch zurück. Tatsächlich, die Pflastersteine schienen ihre Position zu ändern, wirkten wie sich umherschlängelnde Schlangen oder Aale und pulsierten dabei in einer weißlichen Lichtsequenz. Schnell beschleunigte sich das Pulsieren, der Boden wurde immer heller und die Bewegungen der schlangenartigen Pflastersteine immer schneller. Sie begannen dabei, sich nun ständig um Folman zu drehen. „Was passiert hier?“ wunderte sich der Plünderer nur, während Ralnor langsam rückwärts ging. „Das ist nicht geheuer. Es sind die Namenlosen Tage, ey, das kann nix gutes sein…“
Schnell begannen die weißen Lichter geradezu um Folman zu tanzen und ließen es so aussehen, als würden sie einen Strudel bilden. Aus ihrer Mitte fuhr letztendlich ein Lichtkegel hinauf und tauchte Folman gänzlich in grelles, weißes Licht.
„Was zum Geier….. AAAAAAAAAAAAAH!“ Dort, wo das Licht den Plünderer erfasste, begann dieser nun zu schmelzen, sodass bald nicht mehr viel mehr als ein Häufchen Asche und Knochen übrig blieb. Aus dem Lichtkegel trat eine schemenhafte, geistförmige Gestalt heraus, grob humanoid, doch schwebend. Ralnor war starr vor Schreck, seine Hose begann feucht zu werden und unten tropfte eine gelbliche Flüssigkeit auf seine Schuhe. Die geistförmige Gestalt schien sich umzuschauen. Als sie Ralnor gewahr wurde, nahm sie sofort auf ihn Kurs. Mit einem Angstschrei versuchte er nun, reißaus zu nehmen, doch das wabernde Lichtgebilde war schneller, holte ihn ein und ummantelte ihn. Sekunden später war von Ralnor nur noch eine bleiche Hülle übrig. Er war tot. Und der Geist zog weiter, während aus dem Lichtkegel zwei weitere dieser Gestalten fuhren. Und noch eine vierte… und noch eine. Es sollten bald noch mehr werden, denn die Geisterhaften Gestalten, die im Umland der Stadt ab dem ersten Namenlosen Kurs auf die Stadt genommen hatten, erhöhten urplötzlich ihr Tempo. Alle mit dem gleichen Ziel…
Asche im Wind
Therengar setzte einen Fuß über die mit Asche bedeckte Schwelle des abgebrannten Rahjatempels und zog ihn mit einem unterdrückten Fluch zurück. Das beantwortete zumindest die Frage ob der Tempel einen Fluchtweg gehabt hatte. Die Antwort lautete ja. Er hatte gehofft, dass das Gelände weiträumig genug abgesperrt gewesen war, um eventuelle Flüchtlinge abzufangen, aber anscheinend war das nicht der Fall gewesen. Keiner der Priester war darin zu Tode gekommen, denn der Tempel war nach wie vor geweiht, wie sein Fuß gerade zu spüren bekommen hatte. Fast meinte er ein hämisches Glucksen aus dem Tempel zu hören. Wenn nicht so dann halt anders. Schließlich hatte er noch zwei Priester.
„Herr“, keuchte ein Rekrut hinter ihm „die Priester, nach denen ihr gefragt habt, sind nicht beim Tor. Sie sind anscheinend während der Passage in den Tunneln abgehauen.“ Als sich der Liebesdiener mit hochgezogener Augenbraue umdrehte, stand der Junge vorgebeugt vor ihm und rang nach Atem. Er war anscheinend so schnell gerannt, wie er konnte. Langsam zeigten seine Erziehungsmaßnahmen Wirkung, wie Therengar zufrieden feststellte. Nur bei diesen Soldaten, die die Gefangenen bewacht hatten, war die Botschaft anscheinend noch nicht angekommen. Nun ja, er hatte etwas Zerstreuung nötig. Das war ärgerlich, aber kein Weltuntergang. Viel interessanter war, wie es die anderen Priester geschafft hatten, sich mit übern Daumen gepeilt 20 Personen, die bestimmt im Tempel gewesen sein mussten, in Luft aufzulösen. Waren die Rahjapriester weniger dumm als er gedacht hatte? Oder hatte ihnen jemand geholfen? Und was viel interessanter war, wo waren sie jetzt? Passage durch die Tunnel … ihm schauderte bei diesem Gedanken. Sie dort unten zu finden, würde Wochen, wenn nicht gar Monate dauern, Zeit, die er nicht hatte. Zum Glück waren es horasische Adlige. Sie würden auf keinen Fall auch nur einen Moment länger als nötig in den feuchten Schächten bleiben, vor allem wenn sie Verwundete mitschleppten, die im Tempel Schutz gesucht hatten. Narren. Sie würden sich irgendwo in der Stadt einen möglichst luxuriösen Unterschlupf suchen. Damit konnte man arbeiten.
Von der anderen Seite des Rahjatempels, oder eher von dem, was davon übrig war, hallte ein Schrei zu ihnen herüber. War das da ein Geist? Was immer es war, es hatte gerade einen gestandenen Söldner zu Asche zerfallen lassen. Ein deutliches Zeichen, dass es nun Zeit war zu gehen. Vor allem, da der Zugang zu dem, was unter dem Tempel lag, immer noch verschlossen war. Nun gut, das ließ sich ändern
Gar nicht weit entfernt bewegten sich im Schutt des niedergebrannten Gebäudes einige verkohlte Holzscheide. Ein kleiner Junge hatte sich in das Areal geschmuggelt und schien offensichtlich etwas verzweifelt zu suchen. Immer wieder hob er Trümmerteile nach oben und blickte darunter, doch nie schien er zu finden, was er suchte. Seine Körpersprache verriet, dass er darüber nicht glücklich war. Sein Gesicht war schmutzig, keine Kleidung verschlissen, als hätte er seit langer Zeit auf den Straßen schlafen müssen. Und dennoch schien sein Gesicht hauptsächlich von Asche und Ruß gezeichnet, denn die Tränen, die ihm das Gesicht hinunter liefen, zogen eine gut sichtbare Spur und offenbarten, dass unter diesem dreckigen Bengel noch ein normaler Mensch steckte. Dem war so. Sein Name war Lauro und er suchte seine Mutter, welche gestern Abend eigentlich nur kurz etwas im Rahjatempel besorgen wollte und seitdem nicht wieder zurückgekehrt war. Den Tempel nun als niedergebrannte Ruine aufzufinden, versetzte den Jungen in schiere Panik. Er wusste, dass er nicht hier sein durfte. Es waren die Namenlosen Tage, Kinder mussten im Haus bleiben. Und vor den Löwen musste man sich sowieso fern halten. Aber er musste sie doch suchen gehen…
Hektisch blickte er sich um, als er einige Schritt rechts von ihm ein Geräusch vernahm. Es war ein Söldner, der ebenfalls etwas in den Trümmern suchte. Lauro versteckte sich geistesgegenwärtig hinter einer umgefallenen Säule, die einige Liebenden bei wohl eher Levthansgefälliger Arbeit zeigte. Wenngleich rußverschmiert hatte die steinerne Säule den Brand überlebt. Schon zuvor waren die Zeichnungen darauf etwas besonderes. Sie waren uralt, so viel wusste man einst im Tempel. Und sie zeigten offensichtlich eine weibliche Levthan. Oder doch eine Rahja mit Schwingen und sechs Armen, wie man es bei den Araniern auch gerne sah?
Lauro hatte keinen Sinn für die Freske. Seine Augen fixierten den Wächter, welcher Lauro selbst wohl noch nicht bemerkt hatte. Aber er kam langsam auf sein Versteck zu. Lauro hörte den Mann fluchen. “Lungo? LUNGO? Der war doch eben noch hier…” schien er einen Gefährten zu suchen. nachdem der Mann längere Zeit den Boden fixiert hatte, blickte er kurz auf und hinter sich. “Gibts das? Jetzt ist dieser Rahjageweihte auch nicht mehr zu sehen. Wohin verpissen die sich bitteschön alle?” grummelte er, in Selbstgespräche gefangen. Zwei Schritte weiter kam er noch, da blieb er stehen. Fing der Fußboden gerade an zu leuchten? Ihn packte die Neugier. Ja, tatsächlich. Der Boden fing an zu pulsieren. Als würde sich eine Schlange aus weißem Licht darüber schlängeln. Er entschied sich, dem Licht zu folgen und schob dazu etwas Geröll bei Seite. Damit legte er dummerweise auch Lauros Versteck auf. Ängstlich kauerte sich der Junge sofort auf dem Boden zusammen.
“Was… was suchst du denn hier, du Bengel! Du hast hier nichts verloren! Bist du etwa am Plündern oder noch schlimmer… spionierst du uns aus?” Der Wächter streckte schon die Hand aus, um Lauro wie ein Kätzchen am Genick zu packen, da wurde das Licht um ihn herum intensiver. Es lief genau auf die Säule zu. Und schließlich leuchtete die Säule selbst in einem grellen Licht. Der Gardist war sichtlich abgelenkt, so konnte sich Lauro aus dem Griff frei zappeln und robbte ein paar Spann nach hinten. Doch dann erstarrte er. Seine Augen Schreck geweitet sah er, wie aus der Säule, exakt aus der Stelle des weiblichen Levthans ein Lichtkegel entsprang und davor heran wuchs, dann wie daraus eine schemenhafte Gestalt trat und sich zu einer etwa 8 Spann großen Gestalt aus Licht mit den Konturen einer wunderschönen Frau veränderte.
Auch der Wächter gaffte verdattert. Was geschah hier? Die Lichtgestalt blickte sich um, streckte sich lasziv und blickte dann auf den Wächter. An der Stelle der Lichtgestalt, die bei einem echten Menschen ein Gesicht hätte vermuten lassen, wirkte das Licht, als wäre da ein verführerisches Lächeln. Langsam ging der Wächter zwei Schritte zurück. Das war ihm dann doch nicht geheuer. Doch das Lichtwesen war ob dessen offensichtlich enttäuscht. Leicht legte sie den Kopf schief und man vernahm süßliche Worte. “Liebst du mich denn nicht?” “Äh… Äh… ich…” stammelte der Gardist. Das Geisterwesen schien dem Gegenüber über gewisse Posen betonen zu wollen, dass es zwar die Schemen eines menschlichen Körpers gebildet hatte, nicht jedoch dazu gehörige Kleidung. “Wieder fragte es den Gardisten “Liebst du mich denn gar nicht?” und bewegte sich gleichermaßen auf ihn zu.
“Hören sie… ich bin geschmeichelt, aber…” stammelte der Gardist weiter, die Konturen des Lichtwesens durchaus mit Wohlgefallen musternd. “... aber.. also das ist so… ich… muss weg…” Wieder ging er etwas Rückwärts, doch die Lichtgestalt schien kein Interesse daran zu haben, die Distanz zu verringern. Fast wäre der Mann über einen Balken gestolpert, konnte sich gerade noch einmal fangen, doch nun stand die Lichtgestalt unmittelbar vor ihm.
“Du liebst mich wirklich nicht? Dann muss ich dich liebe lehren…” Die Gestalt umarmte nun den Söldling und drückte ihn, ohne dass er sich groß wehren konnte gegen ihre wohlgeformte Brust. “Hört, gute Frau, ich will das nicht…” stammelte der irgendwie wehrlose Gardist, als er urplötzlich bemerkte, dass sich auf der Brust der Lichtgestalt ein wiederwertiges Maul mit vielen kreisförmig angebrachten Reißzähnen öffnete. Er versuchte sich aus der Umarmung des Wesens zu lösen, doch ihr Griff war zu fest und drückte ihn nur noch fester an ihn. “NAAAIIIIIIIN” schrie er noch aus purer Panik, da biss ihm das Schreckensmaul mit einem Biss das Gesicht vom Kopf. Kurz zappelte der Körper des Gardisten noch, dann fiel es leblos zusammen. Die Gestalt kicherte und rief einfach nur ein erleichtertes “Liiieeebeee!!!” gen Himmel. Dann drehte es sich um, genau in Richtung Lauro.
Der Lichtkörper mit ihren ach so aufreizenden weiblichen Konturen war nun blutbefleckt und wahrlich kein liebreizender Anblick mehr. Offensichtlich hatte sie den wie paralysiert wirkenden Jungen entdeckt und bewegte sich langsam auf ihn zu. Aus ihrem Rücken schienen nun auch noch riesige Schwingen aus Licht zu wachsen. Wieder blickte sie mit diesem verführerischen Lächeln auf den armen Jungen und fragte “Liebst du mich nicht?” Für Lauro war das wie ein Signal. Er nahm die Beine in die Hand und rannte so schnell, wie er noch nie zuvor in seinem Leben gerannt war. Er blickte nicht zurück, er hörte nur, dass das Kichern hinter ihm leiser wurde. Erst als er die ersten Häuser erreicht hatte, blickte er ein erstes Mal zurück. Die Gestalt schien ihm nicht gefolgt zu sein. Stattdessen schien sie einfach mit ihren Flügeln zu schlagen, solange, bis sie abhob. Die Gestalt schien nun sechs Arme zu haben und fuhr langsam gegen Himmel. Als sie sicher zwanzig Schritt über dem Boden schwebte, hörte man von ihr einen lauten, markerschütternden Ruf, welchen man so vermutlich in der ganzen Stadt hören konnte.
“Euer Frevel wird belohnt werden!” sprach das Lichtwesen “Jedem, der die Fackel warf, Belikhelais Liiiiebeeee ist euch sicher!!!” Mit diesen Worten erlosch das Lichtwesen auf einmal und ward nicht mehr gesehen. Lauro hatte aber auch genug gesehen. Er nahm die Beine in die Hand und rannte, was das Zeug hielt. Es gab jetzt nur einen Ort, an dem er sich sicher fühlen würde. Der Efferdtempel.
Aus der Not geboren
Sie waren noch einige Zeit in den Katakomben unterwegs und entschieden sich dann doch für den Palazzo di Punta. Und Niccolo hatte recht. Dieser war verlassen. Nur noch einige Möbel standen dort und die Flüchtlinge aus dem Tempel richteten sich erst einmal behelfsmäßig dort ein. Man entschied sich dafür, keinerlei Licht anzuzünden, damit niemand auf sie aufmerksam wurde.
Der zweite Namenlose war inzwischen angebrochen und Niccolo begab sich mit Isida im Schutze der Dunkelheit in den gegenüberliegenden Palazzo der ya Pirras um seinen Vater Bericht zu erstatten.
Am frühen Morgen versammelte sich Erdano ya Pirras mit einigen Soldaten des Chintûrer Banners und Flüchtlingen aus dem Rahjatempel in seinem Arbeitszimmer, um die Geschehnisse aus erster Hand zu erfahren.
“Und es war wahrhaftig Rondrigo d'Oro mit Soldaten der Rondrikan-Löwen, die es gewagt haben, einen Tempel der Zwölfe niederzubrennen? Unter dem Vorwand eines Verbrechens gegen die Republik?” Erdanos Stimme klang wütend und er schaute fragend in die Runde. “Es war wahrhaftig die Stimme dieses Grobians und ja, er war in Begleitung seiner Soldaten, die seit Tagen durch die Gassen streunen und harmlose Bürger belästigen.", sprach Daria Legari mit einem entrüsteten Unterton. Langsam führte sie ihre Tasse Tee zum Mund. Neben ihr saßen die beiden Geweihten der Rahja, Rahjabella Solivino und Rahjalin Legari. Alle drei waren gezeichnet von den Geschehnissen der letzten Nacht, wobei die Geweihten besonders betroffen waren. Beide starrten nur in ihre Tassen und hatten noch kein Wort gesprochen, sondern als Antworten nur genickt oder mit dem Kopf geschüttelt.
Militärisch knapp befragte Erdano die Anwesenden nach weiteren Vorgängen vor und nach dem frevlerischen Geschehen, als es an der Tür klopfte und die Dame des Hauses Nissara di Tamarasco in Begleitung von Elphya dylli Garén die Räumlichkeiten betrtat. Nissara richtete das Wort an Erdano. “Werter Schwager, gönnt unseren Gästen etwas Ruhe. Die Geschehnisse der letzten Stunden waren schwer genug.” Erdano nickte nur und konzentrierte sich schon auf den ausgebreiteten Plan der Stadt Efferdas, auf der er schon einige Figuren platziert hatte.
Nissara wandte sich an Daria. “Wir würden Euch gerne die Möglichkeit geben, Euch frisch zu machen und Eure Kleidung zu wechseln. Dies gilt natürlich auch für Euch, Eure Gnaden. Obwohl es schwieriger mit der Kleidung werden wird. Wenn ihr mir trotzdem folgen wollt? Ihr könnt unsere Gästezimmer nutzen.”
Nachdem die überraschenden Gäste die Räumlichkeiten verlassen hatten, wandte sich Erdano an seine Frau. “Was macht unser Besuch?” “Die kleine A’Temelon ist höflich, zuvorkommend und verhält sich ruhig. Über die Familienpolitik weiss sie nicht viel, aber ich habe die Vermutung, dass sie ihr Wissen nicht preisgeben möchte.” Erdano kratzte sich über sein Kinn. “Welche Erfahrungen hast du mit Ihnen. Trotz Euer gemeinsam Herkunft, hast du noch nicht viel Kontakt zu Ihnen gesucht.” “Weil dies auch nicht von Nöten war. Sie unterstützen den Seekönig und haben, durch dessen Hilfe, unseren Stammsitz in Garén gestohlen.” Elphya wirkte ungewohnt ernst. “Und dass unser Sohn mit einer von Ihnen ein Techtelmechtel hatte erfüllt mich mit Abscheu.” “ich möchte dich trotzdem bitten ein Schreiben an die A’Temelon aufzusetzen und sie darüber in Kenntnis setzt, das sich eines ihrer Familienmitglieder in unserer Obhut befindet. Und das wir ein Treffen wünschen. Wir müssen sehen, wer auf unserer Seite steht. Das Gleiche gilt für die di Camaro, die di Malavista. Die Legari sind ja bereits hier. Schwieriger wird der Treffpunkt. Er sollte neutral sein, aber trotzdem heimlich genug um die Aufmerksamkeit der Aufständischen nicht zu wecken.”
Erdano und Elphya ließen ihre Blicke über die Karte der Stadt wandern, bis Erdano auf eine bestimmte Stelle deutete. “Der Wassersturz. Dem Herrn Efferd heilig und gemäß des Plans von den Katakomben gäbe es hier auch einen Fluchtweg, falls man doch entdeckt werden sollte.” Elphya nickte. “Ich werde die Schreiben verfassen. Zu welcher Stunde, soll das Treffen einberufen werden?” “Zur Perainestunde.” “Dann werde ich nun die Schreiben verfassen und für die Verteilung sorgen.” “Und ich sorge dafür, daß die anderen Tempel erfahren, was mit dem Haus der Rahja geschehen ist, auf das sie entsprechende Maßnahmen ergreifen.”
Nachdem sie sich etwas frisch gemacht und in ein, für sie sehr untypisches, dunkelgrünes Kleid geschlüpft war, dass sie sich von der Hausherrin geliehen hatte und deshalb an einigen Stellen etwas zu eng saß, erhielt Daria eine Kurzfassung der neuesten Ereignisse von Nissara. „Eine Versammlung möglicher Verbündeter einzuberufen, ist vermutlich der sinnvollste Schritt. Ich würde allerdings dringend davon abraten die Einladungen schriftlich auf zu setzten. Sollte den Thirindar einer dieser Briefe in die Hände fallen, stecken alle Besucher dieses Treffens in Schwierigkeiten . Es wäre sicherer Boten mit einem guten Gedächtnis auszuwählen und sie die Nachricht auswendig lernen zu lassen. So kann man nichts bei ihnen finden, sollten sie aufgegriffen werden. Falls ich noch einen Vorschlag bezüglich der Gästeliste machen dürfte, was ist mit den Vinarii? Sie sind Anhänger der gerade etwas in Mitleidenschaft gezogenen Republik, außerdem war der Rahjatempel eines ihrer größten Prestigeprojekte und soweit ich gehört habe, ist die kleine Chefin bei ihrer eigenen Familie sehr beliebt. Da sie beinahe getötet worden wäre, ist die Familie den Aufständen vermutlich nicht sehr wohlgesonnen.“
“Ich danke Euch für Euren Vorschlag Signora Legari und ich werde diesen meinem Schwager sogleich unterbreiten. Schließlich sind wir mit den Vinarii durch einen Traviabund vereint. Und auch Euer Anliegen mit den Boten werde ich vorschlagen. Aber dies wird nicht so einfach umzusetzen sein. Soviel Dienerschaft ist nicht mehr zugegen. Und unsere Soldaten wären wiederum zu auffällig. Kann Ich Euch sonst noch etwas Gutes tun, Signora?”
“Das mit den Boten ist bedauerlich, den Thirindar muss nur eins dieser Schriftstücke in die Hände fallen und alle, die zu dem Treffen kommen sind geliefert. Hm… Ach ja, ihr könnt tatsächlich noch etwas für mich tun. Mein Sohn ist zu Hause geblieben und weis nichts über die aktuellen Vorgänge, außer das ich zum Rahjatempel wollte. Bitte seid so freundlich und sendet ihm einen Boten, der ihm ausrichtet, dass es mir gut geht und er das Haus unter stärkeren Schutz stellen soll. Langsam wird die Sache hässlich. Ach ja, und er soll sich mit seinem Heilkundekram eindecken, es wird noch gebraucht werden.“
Der Bote
Der Bote schleppte sich langsam den Hügel zur Klippe der Residencia hinauf. Er war langsam und bewegte sich dennoch unauffällig wie ein Schatten. Sein grauer Kapuzenumhang hing ihm bis über die Füße, wodurch es wirkte, als würde er die Anhöhe zum Palazzo Camaro schweben. Als er davor angekommen war, zeigte sich die Eingangstür zum Haus verschlossen und vernagelt. Offensichtlich wollten die Leute darin nicht, dass jemand hinein kam. Der Bote schien sich daran nicht aufzuhalten. Er klopfte an den Holzschlag, was jedoch aus irgendeinem Grund keinerlei Lärm verursachte. Doch von dahinter hörte man zwei Damenstimmen.
“Wenn ich es euch doch sage, Herrin, da steht nur ein einzelner Mann.” “Das ist mir gleich, Conceluela. Ich werde niemanden durch diese Tür treten lassen!” hörte man eine bestimmte und dennoch ängstliche Stimme. Sie gehörte Phelippa di Camaro. “Sag dem Mann also, er soll verschwinden!” “Was? Ich?”
“Soll ich das etwa machen?” schien Phelippas Stimme energischer zu werden.
Kurz hörte man das leichte, vorsichtige Trippeln zweier Füße auf den Holzbohlen der Eingangslobby, dann sprach Conceluela vorsichtig durch die Tür. “Hier ist niemand zuhause. Bitte plündern sie woanders." Von der Person am anderen Ende des Holzschlags hörte man nur ein unwirsches Knurren. Ob das an der Ablehnung oder dem wirklich dämlichen Verhalten der Zofe gelegen haben könnte, war nicht genauer definierbar, der Bote machte zumindest nicht den Eindruck, als wolle er nun gehen. Immerhin war für Conceluela das Knurren kein Grund, ihren Auftrag eigenmächtig abzuändern. “Versuchen sie es doch gegenüber bei den Onerdis…” fügte sie eine weitere Unnötigkeit hinzu.
“Nnnaachrrrrriiicht für Caaahhhmaarrrooooo” versuchte es der Bote mit einer extrem tiefen Stimme, welche tatsächlich gruselig genug war, um Conceluelas Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund, um den Schreckensschrei zu unterdrücken. Noch einmal nahm sie all ihren Mut zusammen. “Ah… legen sie die Nachricht doch einfach in den Blumenkübel. Wenn wir wieder da sind, sehen wir sie dann.”
Die Reaktion des Boten war ein noch tieferes und reichlich genervt klingendes Knurren. Gefolgt von einer neuen Bewegung Richtung Holzschlag. Conceluela musste schnell feststellen, dass der Bote offensichtlich in der Lage war, ohne Widerstand durch Holztüren zu gehen, auch wenn sie vernagelt waren. Entsprechend sah sie nun das Gesicht unter der Kapuze, welches aber eher nur aus Schatten zu bestehen schien. Mit einem gellenden Schrei rief sie nur noch nach oben “EIN DÄMON, EIN DÄMON!!!”
Der Geist hingegen blickte Conceluela hinterher und knurrte erneut, nur um seinen Satz zu wiederholen. “Nnnnaaaachrrriiicht für Caaahmaaaroooo” Langsam hob er den linken Arm nach vorne und man sah eine knochige, leicht durchscheinende Hand, welche wiederum eine abgerissene, blutige Hand hielt, welche ihrerseits ein Dokument mit dem Siegel des Hauses ya Pirras hielt. Da niemand die Treppe herabstieg, um dem offensichtlichen Geist die Hand entgegenzunehmen, ließ er sie nun einfach fallen und löste sich mit einem weiteren, knurrigen “Zuuuugestelllt” einfach in Luft auf. Nichts als ein leicht nach Schwefel riechender Dampf und eben jene offensichtlich abgerissene Hand blieb übrig. Es dauerte einige Zeit, bis Conceluela sich wieder nach unten traute. Vorsichtig trat sie erst mit der Fußspitze auf das Gastgeschenk, doch nichts weiter schien zu passieren.
“Herrin… es ist… eine Nachricht…” “Bring sie hoch” ertönte es von oben. “Muss ich?...” “Lass die Albernheiten, Conceluela. Du tust ja, als würde es da unten spuken!”
Die Zofe hob mit Zeigefinger und Daumen vorsichtig die Hand auf und lief damit, sie möglichst weit von ihrem Körper haltend und einem “iiiiiiih” auf den Lippen nach oben.
Kurze Zeit später erreichte auch Dartan wieder die heimische Villa, nachdem er in der Stadt herumschlich und versuchte, den aktuellen Stand in Erfahrung zu bringen. Philippa kam ihm aufgelöst entgegen gerannt und wirkte, als sei sie schon zuvor mehrfach in Tränen ausgebrochen. Aber auch Estebans zweitältester Sohn rang nach der erhaltenen Nachricht nach Fassung. “Gut… jetzt wird es persönlich. Den Rahjatempel an den namenlosen Tagen nieder zu brennen ist an Gotteslästerung nicht zu überbieten.” “Was sollen wir denn nur tun?” wimmerte Phelippa. “Nun, ich werde mich umgehend zu diesem Treffpunkt am Wassersturz begeben, der in der Nachricht angegeben ist. Vielleicht lässt sich da ja ein wenig mehr erfahren. Und du, geh zu unserem Neffen in den Efferdtempel. Vielleicht lässt ja wenigstens diese Nachricht ihn aus seiner Lethargie erwachen. Das muss ihn einfach berühren.” “Ich… soll da raus? Ich habe eben schon einen Dämon ins Auge sehen müssen!” klagte Phelippa und erntete einen wütenden Blick ihrer Zofe. “Vigo ist ja schon da und hier gehen uns sonst gleich die Bewohner aus.” blieb Dartan streng. “Also los jetzt!” “Conceluela, Schätzchen…?” wandte sich Phelippa an ihre Zofe, welche diese aber - ahnend, was wohl kommen würde - mit einem “Du kannst mich mal!” entgegnete. Vor Schreck vergaß die Camaro-Tochter einen kurzen Moment ängstlich zu tun. Dann erkannte sie, dass sich diese Aufgabe wohl wirklich nicht delegieren ließ. “Na gut… wie ihr wollt…”
In der Gerberstadt
Überrascht hatte Kilian Gerber zur Kenntnis genommen dass seine Cousine Quenia gemeinsam mit ihrem Bruder Niccolo bereits vor Stunden wieder aufgebrochen waren. Auch seine Mutter war mit einigen Leuten der Instandhaltungstruppe losgezogen und sie hatte ihm eine Nachricht da gelassen. Efferdane reichte ihm ein Pergament “Hier, soll ich dir von Nita geben, aber setz dich, bevor du ihre Zeilen liest!”
Am Efferdtempel
Die Zahl derer, die am [[Tempel des güldenen Dreizack|Tempel des güldenen Dreizacks Schutz suchten, wuchs stündlich. Im Eingangsraum kümmerte sich Liaiell di Camaro weiterhin um die traurigen Gestalten, die vor lauter Verzweiflung nicht mehr weiter wussten. Sie hörte sich ihre Geschichten an, redete mit ihnen, spendete Trost und war mitfühlend, wo es nur ging, doch sie selbst merkte, wie wenig sie damit erreichen konnte. Sie war müde, hatte wenig geschlafen. Und die Nachrichten aus der Stadt waren auch nicht besser geworden. Vor kurzem erst hatte ihre Base Phelippa den Tempel betreten, hatte sich kurz mit dessen Bruder Vigo besprochen und waren dann gemeinsam in den Keller gegangen, um ihren Vater zu sprechen. Wie die Menschen in diesem Tempel, so litt auch ihr Vater. Und das zerbrach ihr das Herz. Sie wünschte sich, dass sie doch nur irgendetwas bewirken könnte. So aber blieb nicht viel mehr, als einer Frau, die von einer Palisade gefallen war und hier mit einigen Schrammen auftauchte die Wunden zu säubern. Mitten hinein hörte man von draußen auf einmal eine laute, irgendwie gruselig klingende Stimme. “Euer Frevel wird belohnt werden! Jedem, der die Fackel warf, Belikhelais Liiiiebeeee ist euch sicher!” Die Leute im Tempel sahen sich irritiert an. So auch Liaiell, welche gleich mal zum Eingang des Tempels ging, um zu sehen, wo die Stimme her gekommen sein könnte. Sie sah nichts bis auf einen Jungen, der panisch auf sie zulief.
Lauro hatte auch nicht aufgehört zu rennen, seitdem ihm dieser eigenartige Geist so erschreckt hatte. Dass ihm am Efferdtempel nun freundlicherweise sogar jemand die Tür aufhielt, fiel gar nicht mehr ins Gewicht, er wollte einfach nur noch in den Tempel. Es gab einige Stellen dort, die immer sehr beruhigend auf ihn wirkten. Er war schon fast drin, da hielt ihn die Frau mit den grünbläulichen Haaren am Ärmel fest und bremste ihn so merklich. “He, mein Junge. Wo willst du denn so eilig hin?” “Beten, gute Frau.” kam von dem Jungen nur, während Liaiell ihn zu sich drehte und ihm ins Gesicht blickte. Sie bemerkte seine Tränen sofort und wischte mit ihren Daumen vorsichtig den Dreck von den Wangen. “Dann bist du hier richtig. Was ist denn mit dir passiert? Du siehst ja wild aus.”
“Ich… ich komme vom Rahjatempel… also den Ruinen. Da… da….” Liaiell merkte, wie aufgewühlt Lauro war und versuchte ihn dann doch erst einmal zu beruhigen. “Komm, wir waschen dir jetzt erstmal das Gesicht.” sie nahm in an der Hand und führte ihn zum Wasserbassin, aus dem die Quelle des Parvenus quillte. Sie nahm den Zipfel ihres Gewandes, tunkte ihn in das heilige Wasser und fuhr ihm damit über das Gesicht. Es wirkte tatsächlich beruhigend. “Ganz ruhig. Sag mir doch erstmal, wie du heißt…”
“Ich… ich bin Lauro. Lauro Achille”
“Und ich bin Liaiell di Camaro. Angenehm, dich kennen zu lernen.” Sie putzte ihm als nächstes die Stirn frei. Der Dreck hatte ihr Leinenkleid an der Stelle nun längst schwarz gefärbt. “Dann sag mir doch mal, was dich so erschreckt hat.”
“Nun… ich war am Rahjatempel und habe meine Mutter gesucht. Aber da war nur dieser böse Gardist, vor dem habe ich mich hinter so einer Säule versteckt, wo eine Frau mit Hörnern drauf war. Und.. und auf einmal…” Lauro stockte. Tränen füllten seine Augen. Es musste etwas wirklich traumatisches passiert sein. “Hat dich der böse Gardist geschlagen?” vermutete Liaiell das Naheliegende. “Nein… da kam so ein Licht aus der Säule… und aus dem Licht trat… ich weiß nicht. Ein Geist oder ein Dämon.” Liaiells Augen weiteten sich. Damit hatte sie nicht gerechnet. “Ein Geist? Und der Geist hat den Gardisten dann vertrieben? Was für ein Geist war das denn?”“Das war eine Frau mit sechs Armen und Flügeln. Und sie wollte irgendwie den Gardisten lieben. Aber dann… dann..”
Liaiell blickte den Jungen erwartungsvoll an, doch dieser blockierte. “Haben sie sich dann geliebt?” vermutete Liaiell wieder das naheliegende. “Nein… nein, sie haben… haben….” Lauro guckte zur Seite. Er fühlte sich dabei wirklich nicht wohl. “Haben sie was Schlimmes getan?” fragte sie vorsichtig. “Nur sie…” schluckte der Junge. “Da war dann nur überall Blut. Sie fing dann an zu fliegen und meinte was, dass sie denen mit den Fackeln liebe bringen würde… Ich bin einfach nur weg gerannt. Ich will so eine Liebe nicht….”
Liaiell wollte Lauro trösten und drückte ihn an ihre Brust, doch Lauro stieß sie sofort weg “Nein! NICHT! NEIN!” Verwundert blickte sie den Jungen an, der sich einfach nur los zu reißen versuchte. Sie ließ sofort von ihm ab. “Tut mir Leid, Lauro, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen. Du hast alles richtig gemacht, hierher zu laufen. Hier gibt es keine Frauen mit Flügeln und sechs Armen.” Langsam entspannte sich der Junge wieder. Sie führte ihn zu einem noch nicht benutzten Matratzenlager. “Komm, hier kannst du dich erst mal ein wenig ausruhen und den Schreck verdauen. Gleich gibt es Essen, wie klingt das?” Lauro nickte nur. “Aber ich muss bald wieder los, ich muss Mama suchen.” “War deine Mama im Rahjatempel?” erkundigte sie sich. Sie hatte durch das Schreiben der Ya Pirras an ihre Familie und durch die Anwesenheit Phelippas und Vigos natürlich schon davon gehört, dass wohl keiner zu Schaden gekommen war. Lauro nickte. So konnte Liaiell ein mutmachendes Lächeln aufsetzen. “Dann glaube ich sogar zu wissen, wo deine Mutter ist. Willst du mir ihren Namen sagen? Dann gehe ich sie gleich mal suchen und sag ihr, wo du bist?” Lauros Augen wurden größer. Endlich etwas Hoffnung. “Sie heißt Sagana Achille” “Dann werde ich gleich mal los gehen und deine Sagana suchen gehen. Du wartest hier so lange, in Ordnung?” lächelte Liaiell so gewinnbringend wie möglich. Lauro nickte nur.
Für die junge Camaro war hingegen klar, wo es als nächstes hin ginge. Zur Perainestunde zum Wasserfall. Sie würde sich mit den Leuten treffen, die schon Dartan eingeladen hatten und wer weiß, wen noch. Sie würde sich dort nach Lauros Mutter erkundigen und zugleich aber auch sich umhören, was das für eine Gestalt gewesen sein könnte, die er da gesehen hatte. Offensichtlich hatte dieser seltsame Ruf in der Stadt wohl etwas damit zu tun. Und eine fliegende, geflügelte Frau aus Licht, welche offensichtlich der ganzen Stadt ihren Namen Belikhelai mitteilte, das konnte nichts Gutes sein.