Briefspiel: Zwischen Klingen und Visionen
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Die Sonnenscheibe des Praios stand hoch über dem staubigen Übungsplatz und der Klang aufeinandertreffender Klingen hallte durch die milde Mittagsluft. Dort, mitten im Rund eines Trainingsplatzes, stand Leomar von Aringen, ein Bronnjar aus dem fernen Bornland mit goldblondem Haar zu einem Dutt gebunden, der Schweiß glitzernd auf der Stirn. Über seinem Märker-Kettenhemd führte er das Turnierschwert mit der Gelassenheit eines kampferprobten Streiters der Kriegsgöttin, der den Tanz des Stahls wahrlich liebte.
Mit einem Lächeln, das mehr Freude als Hohn verriet, parierte er die Schläge seiner Trainingspartner. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie Wasser und präzise wie aus dem Lehrbuch. Zwischen den Hieben sprach er Worte der Ermutigung, mahnte zu Haltung, Gleichgewicht, Mut – und immer wieder ließ er Rondras Namen in seinen Anweisungen aufleuchten als wäre die Göttin selbst Zeugin dieses friedvollen Wettstreits.
An der Holzabsperrung lehnte indes Folnor di Cerrano, der Streiter seiner Familie, im Kürass über seiner horasischen Kleidung, die mehr an die Gewandung eines einfachen Soldaten erinnerte als an einen Edelmann. Nur die Verzierungen verrieten seine höhere Geburt. Sein Blick war wach während er den Kampf beobachtete. Mit feiner Ironie kommentierte er das Geschehen. Bald schon glitten seine Worte von den Turnierbahnen zu vergangenen Feldzügen der Geschichte, die die letzten 50 Götterläufen auf dem Kontinent standfanden – und er maß deren Taktiken an den modernen Lehren horasischer Strategen.
Nach dem zweiten Kampf legte Leomar das Schwert nur kurz nieder. Folnor trat nun selbst in den Ring, das Einhandschwert locker in der Hand. Zwischen den beiden Männern lag ein vertrautes Lächeln – alter Respekt, neue Neugier. Was als freundschaftlicher Schlagabtausch begann, wurde bald hitziger: Stahl klirrte, Staub wirbelte, Schweiß glänzte auf Stirnen.
Da – plötzlich – verharrte Leomar. Sein Blick wurde leer, die Klinge sank. Ein heiserer Schrei entrang sich seiner Kehle als hätte ihn unsichtbarer Schmerz getroffen. Er stürzte auf die Knie, Hände zitternd, die Augen weit aufgerissen. Folnor trat zurück, das Gesicht ernst, das Schwert senkend. Ringsum verstummte das Gelächter der Zuschauer.
In der Stille bebte Leomars Atem. Bilder, undeutlich, glimmten hinter seinen Augen: Schatten, Feuer, eine drohende Gefahr, die in den Farben des Hauses di Cerrano schimmerte – golden und rot. Dann verflog die Vision, und er blieb verwirrt zurück.
Ohne ein Wort verließ er das Rund.
Später, im kühlen Inneren eines Zeltes, suchte ihn sein Jugendfreund Verian di Cerrano, in bosparanischem Reiterharnisch und mit einer schimmernden Schärpe über der Schulter, auf. „Mein Freund“, begann er mit leiser Sorge, „deine Augen sahen eben mehr als bloß den Staub des Kampfplatzes. Was bedrückt dich?“
Leomar, der noch immer auf einer Truhe saß, starrte auf seine Hände. „Ein Schatten fiel auf mich – oder auf euch“, murmelte er schließlich. „Ich sah Feuer und Gold… doch vielleicht war’s nur die Sonne, die mir den Kopf vernebelte.“ Dann lachte er kurz, rau und gezwungen. „Rondra prüft uns wohl auf ihre Art.“
Verian legte ihm die Hand auf die Schulter. „Dann nimm es als Prüfung an – und nicht als Fluch. Komm, draußen wartet der Wein, und die Gäste sprechen schon über den Baron von Ucurino. Du wirst doch nicht fehlen, wenn die Musik anhebt?“
Leomar erhob sich langsam, zwang ein Lächeln auf seine Lippen und folgte Verian hinaus ins Licht. Über den Zelten flatterten die Banner der Häuser, Musik und Stimmen mischten sich zu einem bunten Strom, der die Sorgen des Rondrageweihten fortzuspülen schien.
Doch als sie nebeneinander über das Turnierfeld schritten, glomm in Leomars Augen noch ein Rest jener Unruhe – ein stilles Wissen, dass die Vision nicht gänzlich Lüge gewesen war.