Briefspiel:Im Auge des Chaos/Madaraestra
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4. Namenloser – Madaraestra
Verdorbene Lust
In der Nacht hatte es geregnet, aber es brachte keine Erleichterung. Die Luft war immer noch schwül und man hatte das Gefühl, dass es Stunde um Stunde schlimmer wurde. Nebelfetzen zogen durch die Gassen der Stadt, was bei dieser Witterung eigentlich unmöglich wäre, aber sie schienen ein merkwürdiges Eigenleben zu führen.
Junivera Ghiberosi war, wie die anderen Flüchtlinge, im verlassenen Palazzo des Hauses di Punta untergebracht worden. Die Rahjageweihte war durch den Brand im Tempel zutiefst erschüttert. Natürlich wollte sie den Flüchtlingen hilfreich sein, hörte ihnen zu, spendete Trost und gemeinsam versuchten sie das Geschehen mit Gebeten zu verarbeiten. Aber es fiel ihr zunehmend schwerer. Ihr selbst lag die Erinnerung wie ein Stein auf der Brust. Ihre langen braunen Haare waren zerzaust und einige Strähnen klebten durch die Feuchtigkeit auf ihrer Stirn. Schweiß klebte auf ihrer Haut. Sie hatte unzählige Gebete an die heitere Göttin gesprochen, aber sie fühlte sich in diesen Tagen fern von ihr. “Oh Herrin Rahja..”, sprach sie “Berauschende Göttin, höre meine Worte. Schenke mir Mut und Kraft, diese dunklen Tage zu überstehen.” Aber wie schon in den letzten Tagen, fühlte sie sich der Göttin so fern wie nie zuvor.
Traurig blickte sie vorsichtig durch ein Fenster nach draußen in den Garten. Dort sah sie eine Gestalt. Klein, zierlich in einen zerrissenen Mantel gehüllt. Schwankend schlich sie durch den Garten. Ein Kind, dachte die Geweihte und da fiel es auch schon vor Schwäche zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Junivera musste helfen und ohne lange über die ausgesprochenen Warnungen nachzudenken, öffnete sie das Fenster und sprang. Das Gras war feucht und jeder Schritt wurde von einem schmatzenden Geräusch begleitet. Je näher sie der Gestalt auf dem Boden kam, wollte Junivera ihren Augen nicht mehr trauen. Die Farben des Mantels schienen immer mehr und mehr zu verblassen, ja durchscheinend zu wirken. Sie beschleunigte ihre Schritte. Aber die Gestalt faserte noch mehr auseinander, bis nichts mehr davon übrig blieb. Nichts, nur leichte Nebelschwaden. Junivera kniete nieder und suchte nach Spuren oder Überresten.
Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie war nicht mehr allein. In ihrem Rücken hörte sie Schritte im feuchten Gras, die sich näherten. Einer der Flüchtlinge oder Geweihten aus dem Palazzo? Hatte man bemerkt, wie sie das Gebäude verlassen hatte und wollte sie zurückholen? Langsam wandte sie sich in die Richtung, aus der sie die Schritte vernahm und erblickte eine Frau. Gemäßigten Schrittes kam sie auf Junivera zu. Sie war schlank und wohlgeformt. Ihre hüftlangen schwarzen Haare klebten an ihrem feuchten Körper und bedeckten das Nötigste. Ansonsten trug sie nichts an Kleidung. Die Haut war seltsam bleich und auf ihrem Gesicht lag ein freundliches Lächeln, welches ihre Augen nicht erreichte. Diese blickten seltsam. Eine Art Begierde lag darin. Junivera konnte dies nicht so richtig deuten. Je näher die Frau kam, desto unwohler fühlte sie sich. Ihre Nackenhaare stellten sich auf.
Die Frau öffnete den Mund und jedes ihrer Worte war wie eine schneidende Klinge in dem Kopf der Rahjani. “Eure Schönheit…so besonders….Ich spüre eure Nähe zu IHR…” Bei dem letzten Wort schien die Stimme ihren Schädel zum Platzen zu bringen. Als das Pochen schwächer wurde und die Gedanken wieder klarer, spürte sie eine kräftige Umarmung. Nicht zärtlich oder freundlich wie zu einer Begrüßung, sondern brutal. Die Berührung der Frau verursachte ihr Schmerzen. Dort wo Haut auf Haut traf, spürte sie ein Brennen. Sie blickte in ihr Gesicht und die Augen schienen tief in ihrer Seele zu brennen. Junivera öffnete den Mund. Nicht ein Wort verließ ihre Lippen. Sie wollte sich aus der Umarmung winden. “Du hast Schmerzen…..warte……” Die Geweihte hatte das Gefühl, als würde sie den Druck noch verstärken. Leicht stöhnte sie auf. “Ja…….genau so…..spüre den Schmerz….” Das Gesicht der Frau änderte sich. In ihrem Blick lag auf einmal eine Art Lust, ja schon fast Begierde. Und mit jedem Schmerzenslaut schien sie es mehr und mehr zu genießen.
“Nicht wehren…….mehr…..mehr……” Auf einmal erschienen auf der makellos bleichen Haut kleine schwarze Punkte und daraus bildeten sich Dornen. Langsam bohrten sich diese sich erst in das Kleid und dann in den Körper. Erst ein Stich und dann spürte Junivera einen brennenden Schmerz. Blut trat aus den Wunden hervor. Die Bleiche fing an wie irre zu lachen. Ihre Augen verdrehten sich. “Schrei Verblendete, schrei…..gib mir das, was ich verlange….was ich begehre….” Und Junivera konnte nicht mehr anders. Sie schrie.
Rahjalin Legari gab sich alle Mühe, um mit dem, was passiert war, zurechtzukommen. Er hatte ein wenig Zeit in einen Tempeltanz investiert, was zwar ein bisschen geholfen hatte, aber nicht so sehr wie sonst. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie sich erst am Ende der Namenlosen Tage wieder wirklich entspannen sollten. Ihm stäubbten sich ständig die Nackenhaare, als würde ein sehr unfreundliches Etwas ihn beobachten.
Andererseits konnten sie schlecht die Zeit bis zum 1. Praios in ständiger Panik verbringen. Sie mussten helfen wo sie konnten und ihr Bestes geben. Trotzdem saßen sie in diesem Palazzo ohne anständige Beleuchtung und verhielten sich so ruhig wie sie konnten, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wie ein Kaninchen vor der Schlange dachte er, während er, wie die anderen auch, durch die Räume des Palazzos ging, um zu schauen was es zu tun gab. Ihm fiel auf, wie schlecht Junivera aussah, sie wirkte zerzaust. Ihr Gericht hatte eine ungesunde blasse Farbe und sie machte einen niedergeschlagenen Eindruck, den er so von ihr nicht kannte. Wann hatte sie eigentlich zuletzt etwas gegessen? Kopfschüttelnd machte er sich auf die Suche nach etwas zu Essbaren, denn wenn sie zusammenbrach, war niemandem geholfen.
Der Käse, den er fand, war bestenfalls mäßig und das Brot, wie immer auf der Hälfte der Namenlosen Tage, nicht mehr frisch, aber im alten Weinkeller des Palazzos stieß er, zwischen den ganzen Trümmern und zerschlagenen Flaschen, auf einen unerwarteten Schatz - eine Flasche 1040iger Belkramer Bosparanjer. Er kannte ihn zwar nicht, aber er vertraute sowohl der Winzerei als auch dem guten Geschmack der di Punta. Er steckte die Flasche ein und ging um nach seiner Tempelschwester zu suchen. Er fand sie schneller als gedacht. Als er durch die Eingangshalle ging und einen Blick durch ein Fenster in den Garten warf, sah er sie in inniger Umarmung mit einer nackten Frau, aber etwas stimmte nicht.
Normalerweise hätte er sich abgewandt, um sie ihrem Vergnügen zu überlassen, aber … sie wirkte wie erstarrt. Rahjalin griff nach der Weinflasche, öffnete die Tür zum Garten und näherte sich den beiden, nur um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Langsam, vorsichtig. Je näher er der Szenerie kam, desto unwohler fühlte er sich. Die Nackenhaare stellten sich auf und ein Schwall von Kälte kam ihm entgegen. Er sah, wie seltsame Dornen aus der Haut der Nackten fuhren, nur um in den Körper der Geweihten einzudringen. Dann schrie Junivera auf,
Rahjalin sprang vor und holte mit der Flasche aus. Die Frau fuhr herum, aber da traf die Flasche schon auf ihren Schädel. Sie zerplatzte und exquisiter Schaumwein spritzte. Die Frau stieß ein unmenschliches Heulen aus. Sie löste die tödliche Umarmung und griff sich in ihr Gesicht. Kraftlos fiel Junivera zu Boden. Geistesgegenwärtig warf sich Rahjalin über sie, um sie zu schützen. Die Frau schrie weiter und führte einen wahrlich grotesken Tanz auf. Die Stellen, wo der Bosparanjer sich verteilt hatte, zischten und das Haut begann sich dunkel zu verfärben. Der Geruch von verbranntem Fleisch stieg Rahjalin in die Nase. Unter ihm stöhnte Junivera auf. Sie blutete immer noch aus den kleinen Wunden, die von den Dornen verursacht wurden. Rahjalin versuchte sie aufzurichten. Es gelang nur mit Mühe, denn Junivera sackte immer wieder zusammen. Langsam bewegten sie sich wieder auf den Palazzo zu, weg von dem Ding. Junivera benötigte die Hilfe eines Heilers.
Die Schreie hörten abrupt auf. Rahjalin drehte sich erschrocken um. Das Wesen stand dort und schaute in die Richtung der Geweihten. Sie lächelte verzerrt. Dort wo der Bosparanjer es getroffen hatte, waren tiefe Furchen ins Gesicht gebrannt. Ein Auge war erblindet und auch der makellose Körper war nicht verschont geblieben. Hautfetzen hingen herab und widerlich stinkendes Fleisch kam zum Vorschein. Sie deutete auf die beiden Rahjajünger. “Du hast mir Schmerzen verursacht, Verblendeter.” Sie riss sich einem Hautfetzen ab und warf diesen zu Boden. Dort wo er aufschlug, verwelkte das Gras und verfärbte sich schwarz. “Es war ….erregend und doch fühlte es sich nicht richtig an, war dieses Gesöff von ihr verdorben?” Die Gestalt spuckte und ein Schwall schwarzes Blut floss aus ihrem Mund. “Wahrscheinlich. Aber nun gut. Genug gespielt. Der Höhepunkt steht an.” Sie grinste und ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. Ruckartig beugte sie sich vor und ein Geräusch, als ob Knochen brachen erklang. Die Schulterblätter wölbten sich. Weiter wollte Rahjalin nicht schauen und er beschleunigte seine Schritte, zog Junivera hinter sich her, getrieben von einer Angst, die wie eine Faust sein Herz umfasste. Hinter sich hörte er ein Schlagen von Flügeln. Er rannte aber weiter, immer weiter Richtung Palazzo.
“Heda, ihr dort. Wohin so eilig.”, rief eine barsche Stimme und in einiger Entfernung sah Rahjalin zwei Soldaten. Welcher Einheit sie angehörten, konnte er nicht sehen, aber wohl den Schatten, der sich über sie legte. Dann ein Aufschrei, als einer der beiden in die Höhe gerissen wurde. Der andere zog seine Waffe und blickte zum Himmel.
Rahjalin blendete alles weitere einfach aus, stolperte vorwärts bis sie den Eingang des Palazzo erreichten. Schnell schloss er die Türen und fiel zu Boden. Schwer atmend versuchte er zur Ruhe zu kommen, seinen Atem zu beruhigen. Neben ihm lag Junivera. Bewusstlos und immer noch aus zahlreichen kleinen Wunden blutend. Er musste sich zusammenreißen und Hilfe holen. Jetzt sofort.