Briefspiel:Im Auge des Chaos/Madaraestra
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4. Namenloser – Madaraestra
Verdorbene Lust
In der Nacht hatte es geregnet, aber es brachte keine Erleichterung. Die Luft war immer noch schwül und man hatte das Gefühl, dass es Stunde um Stunde schlimmer wurde. Nebelfetzen zogen durch die Gassen der Stadt, was bei dieser Witterung eigentlich unmöglich wäre, aber sie schienen ein merkwürdiges Eigenleben zu führen.
Junivera Ghiberosi war, wie die anderen Flüchtlinge, im verlassenen Palazzo des Hauses di Punta untergebracht worden. Die Rahjageweihte war durch den Brand im Tempel zutiefst erschüttert. Natürlich wollte sie den Flüchtlingen hilfreich sein, hörte ihnen zu, spendete Trost und gemeinsam versuchten sie das Geschehen mit Gebeten zu verarbeiten. Aber es fiel ihr zunehmend schwerer. Ihr selbst lag die Erinnerung wie ein Stein auf der Brust. Ihre langen braunen Haare waren zerzaust und einige Strähnen klebten durch die Feuchtigkeit auf ihrer Stirn. Schweiß klebte auf ihrer Haut. Sie hatte unzählige Gebete an die heitere Göttin gesprochen, aber sie fühlte sich in diesen Tagen fern von ihr. “Oh Herrin Rahja..”, sprach sie “Berauschende Göttin, höre meine Worte. Schenke mir Mut und Kraft, diese dunklen Tage zu überstehen.” Aber wie schon in den letzten Tagen, fühlte sie sich der Göttin so fern wie nie zuvor.
Traurig blickte sie vorsichtig durch ein Fenster nach draußen in den Garten. Dort sah sie eine Gestalt. Klein, zierlich in einen zerrissenen Mantel gehüllt. Schwankend schlich sie durch den Garten. Ein Kind, dachte die Geweihte und da fiel es auch schon vor Schwäche zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Junivera musste helfen und ohne lange über die ausgesprochenen Warnungen nachzudenken, öffnete sie das Fenster und sprang. Das Gras war feucht und jeder Schritt wurde von einem schmatzenden Geräusch begleitet. Je näher sie der Gestalt auf dem Boden kam, wollte Junivera ihren Augen nicht mehr trauen. Die Farben des Mantels schienen immer mehr und mehr zu verblassen, ja durchscheinend zu wirken. Sie beschleunigte ihre Schritte. Aber die Gestalt faserte noch mehr auseinander, bis nichts mehr davon übrig blieb. Nichts, nur leichte Nebelschwaden. Junivera kniete nieder und suchte nach Spuren oder Überresten.
Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie war nicht mehr allein. In ihrem Rücken hörte sie Schritte im feuchten Gras, die sich näherten. Einer der Flüchtlinge oder Geweihten aus dem Palazzo? Hatte man bemerkt, wie sie das Gebäude verlassen hatte und wollte sie zurückholen? Langsam wandte sie sich in die Richtung, aus der sie die Schritte vernahm und erblickte eine Frau. Gemäßigten Schrittes kam sie auf Junivera zu. Sie war schlank und wohlgeformt. Ihre hüftlangen schwarzen Haare klebten an ihrem feuchten Körper und bedeckten das Nötigste. Ansonsten trug sie nichts an Kleidung. Die Haut war seltsam bleich und auf ihrem Gesicht lag ein freundliches Lächeln, welches ihre Augen nicht erreichte. Diese blickten seltsam. Eine Art Begierde lag darin. Junivera konnte dies nicht so richtig deuten. Je näher die Frau kam, desto unwohler fühlte sie sich. Ihre Nackenhaare stellten sich auf.
Die Frau öffnete den Mund und jedes ihrer Worte war wie eine schneidende Klinge in dem Kopf der Rahjani. “Eure Schönheit…so besonders….Ich spüre eure Nähe zu IHR…” Bei dem letzten Wort schien die Stimme ihren Schädel zum Platzen zu bringen. Als das Pochen schwächer wurde und die Gedanken wieder klarer, spürte sie eine kräftige Umarmung. Nicht zärtlich oder freundlich wie zu einer Begrüßung, sondern brutal. Die Berührung der Frau verursachte ihr Schmerzen. Dort wo Haut auf Haut traf, spürte sie ein Brennen. Sie blickte in ihr Gesicht und die Augen schienen tief in ihrer Seele zu brennen. Junivera öffnete den Mund. Nicht ein Wort verließ ihre Lippen. Sie wollte sich aus der Umarmung winden. “Du hast Schmerzen…..warte……” Die Geweihte hatte das Gefühl, als würde sie den Druck noch verstärken. Leicht stöhnte sie auf. “Ja…….genau so…..spüre den Schmerz….” Das Gesicht der Frau änderte sich. In ihrem Blick lag auf einmal eine Art Lust, ja schon fast Begierde. Und mit jedem Schmerzenslaut schien sie es mehr und mehr zu genießen.
“Nicht wehren…….mehr…..mehr……” Auf einmal erschienen auf der makellos bleichen Haut kleine schwarze Punkte und daraus bildeten sich Dornen. Langsam bohrten sich diese sich erst in das Kleid und dann in den Körper. Erst ein Stich und dann spürte Junivera einen brennenden Schmerz. Blut trat aus den Wunden hervor. Die Bleiche fing an wie irre zu lachen. Ihre Augen verdrehten sich. “Schrei Verblendete, schrei…..gib mir das, was ich verlange….was ich begehre….” Und Junivera konnte nicht mehr anders. Sie schrie.
Rahjalin Legari gab sich alle Mühe, um mit dem, was passiert war, zurechtzukommen. Er hatte ein wenig Zeit in einen Tempeltanz investiert, was zwar ein bisschen geholfen hatte, aber nicht so sehr wie sonst. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie sich erst am Ende der Namenlosen Tage wieder wirklich entspannen sollten. Ihm stäubbten sich ständig die Nackenhaare, als würde ein sehr unfreundliches Etwas ihn beobachten.
Andererseits konnten sie schlecht die Zeit bis zum 1. Praios in ständiger Panik verbringen. Sie mussten helfen wo sie konnten und ihr Bestes geben. Trotzdem saßen sie in diesem Palazzo ohne anständige Beleuchtung und verhielten sich so ruhig wie sie konnten, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wie ein Kaninchen vor der Schlange dachte er, während er, wie die anderen auch, durch die Räume des Palazzos ging, um zu schauen was es zu tun gab. Ihm fiel auf, wie schlecht Junivera aussah, sie wirkte zerzaust. Ihr Gericht hatte eine ungesunde blasse Farbe und sie machte einen niedergeschlagenen Eindruck, den er so von ihr nicht kannte. Wann hatte sie eigentlich zuletzt etwas gegessen? Kopfschüttelnd machte er sich auf die Suche nach etwas zu Essbaren, denn wenn sie zusammenbrach, war niemandem geholfen.
Der Käse, den er fand, war bestenfalls mäßig und das Brot, wie immer auf der Hälfte der Namenlosen Tage, nicht mehr frisch, aber im alten Weinkeller des Palazzos stieß er, zwischen den ganzen Trümmern und zerschlagenen Flaschen, auf einen unerwarteten Schatz - eine Flasche 1040iger Belkramer Bosparanjer. Er kannte ihn zwar nicht, aber er vertraute sowohl der Winzerei als auch dem guten Geschmack der di Punta. Er steckte die Flasche ein und ging um nach seiner Tempelschwester zu suchen. Er fand sie schneller als gedacht. Als er durch die Eingangshalle ging und einen Blick durch ein Fenster in den Garten warf, sah er sie in inniger Umarmung mit einer nackten Frau, aber etwas stimmte nicht.
Normalerweise hätte er sich abgewandt, um sie ihrem Vergnügen zu überlassen, aber … sie wirkte wie erstarrt. Rahjalin griff nach der Weinflasche, öffnete die Tür zum Garten und näherte sich den beiden, nur um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Langsam, vorsichtig. Je näher er der Szenerie kam, desto unwohler fühlte er sich. Die Nackenhaare stellten sich auf und ein Schwall von Kälte kam ihm entgegen. Er sah, wie seltsame Dornen aus der Haut der Nackten fuhren, nur um in den Körper der Geweihten einzudringen. Dann schrie Junivera auf,
Rahjalin sprang vor und holte mit der Flasche aus. Die Frau fuhr herum, aber da traf die Flasche schon auf ihren Schädel. Sie zerplatzte und exquisiter Schaumwein spritzte. Die Frau stieß ein unmenschliches Heulen aus. Sie löste die tödliche Umarmung und griff sich in ihr Gesicht. Kraftlos fiel Junivera zu Boden. Geistesgegenwärtig warf sich Rahjalin über sie, um sie zu schützen. Die Frau schrie weiter und führte einen wahrlich grotesken Tanz auf. Die Stellen, wo der Bosparanjer sich verteilt hatte, zischten und das Haut begann sich dunkel zu verfärben. Der Geruch von verbranntem Fleisch stieg Rahjalin in die Nase. Unter ihm stöhnte Junivera auf. Sie blutete immer noch aus den kleinen Wunden, die von den Dornen verursacht wurden. Rahjalin versuchte sie aufzurichten. Es gelang nur mit Mühe, denn Junivera sackte immer wieder zusammen. Langsam bewegten sie sich wieder auf den Palazzo zu, weg von dem Ding. Junivera benötigte die Hilfe eines Heilers.
Die Schreie hörten abrupt auf. Rahjalin drehte sich erschrocken um. Das Wesen stand dort und schaute in die Richtung der Geweihten. Sie lächelte verzerrt. Dort wo der Bosparanjer es getroffen hatte, waren tiefe Furchen ins Gesicht gebrannt. Ein Auge war erblindet und auch der makellose Körper war nicht verschont geblieben. Hautfetzen hingen herab und widerlich stinkendes Fleisch kam zum Vorschein. Sie deutete auf die beiden Rahjajünger. “Du hast mir Schmerzen verursacht, Verblendeter.” Sie riss sich einem Hautfetzen ab und warf diesen zu Boden. Dort wo er aufschlug, verwelkte das Gras und verfärbte sich schwarz. “Es war ….erregend und doch fühlte es sich nicht richtig an, war dieses Gesöff von ihr verdorben?” Die Gestalt spuckte und ein Schwall schwarzes Blut floss aus ihrem Mund. “Wahrscheinlich. Aber nun gut. Genug gespielt. Der Höhepunkt steht an.” Sie grinste und ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. Ruckartig beugte sie sich vor und ein Geräusch, als ob Knochen brachen erklang. Die Schulterblätter wölbten sich. Weiter wollte Rahjalin nicht schauen und er beschleunigte seine Schritte, zog Junivera hinter sich her, getrieben von einer Angst, die wie eine Faust sein Herz umfasste. Hinter sich hörte er ein Schlagen von Flügeln. Er rannte aber weiter, immer weiter Richtung Palazzo.
“Heda, ihr dort. Wohin so eilig.”, rief eine barsche Stimme und in einiger Entfernung sah Rahjalin zwei Soldaten. Welcher Einheit sie angehörten, konnte er nicht sehen, aber wohl den Schatten, der sich über sie legte. Dann ein Aufschrei, als einer der beiden in die Höhe gerissen wurde. Der andere zog seine Waffe und blickte zum Himmel.
Rahjalin blendete alles weitere einfach aus, stolperte vorwärts bis sie den Eingang des Palazzo erreichten. Schnell schloss er die Türen und fiel zu Boden. Schwer atmend versuchte er zur Ruhe zu kommen, seinen Atem zu beruhigen. Neben ihm lag Junivera. Bewusstlos und immer noch aus zahlreichen kleinen Wunden blutend. Er musste sich zusammenreißen und Hilfe holen. Jetzt sofort.
Entscheidung in der Kaserne
Erdano ya Pirras hatte Mühe den Enthusiasmus der jungen Liaiell di Camaro zu bremsen, aber er konnte sie dann doch davon überzeugen, den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten.
Im Schutz der Nacht schlichen sich drei Gestalten zum Versorgungstrakt der Kaserne. Auch hier waren Spuren des Aufstands zu sehen. Die ausgebrannten Reste eines Fuhrwerks und Trümmer von zerstörten Kisten waren zu sehen. Sie warteten ab, bis die Patrouille um die Hausecke verschwand, um dann schnell zu einer Tür zu gelangen. Kurz lauschten sie, hörten aber keinerlei Geräusche in dem Raum dahinter. Vorsichtig drückte Erdano langsam die Klinke mit einer Hand hinunter, während die andere auf seinem Schwertgriff ruhte. Sie betraten eine Großküche. Der Raum wurde nur durch das Licht des Madamals aus den Fenstern erhellt. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, dauerte es einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Weiterhin hörten sie keinerlei Geräusche in ihrer Umgebung. Sie nickten sich gegenseitig zu und begannen die weiteren Räume zu erkunden.
In der Dunkelheit saß eine gebeugte Gestalt auf einer Pritsche. Valerio ya Pirras konnte nicht mehr abschätzen, wie lange er in diesem Loch saß. Am Anfang hörte er noch Proteste seiner Leidensgenossen und auch er begehrte auf, aber dies wurde sehr schnell unterbunden. Die Handlanger des Thirindar sorgten auf brutale Art und Weise dafür, dass Stille herrschte. Als Folge davon, war sein linkes Auge angeschwollen. Valerios Magen knurrte. Seit sie hier festgesetzt wurden, bekamen sie nur eine dünne Suppe, die den Magen nur bedingt füllte und eher den Durst stillte. Was noch schlimmer war, war der Geruch, denn für die Notdurft gab es hier nur Stroh. Was bezweckte der Verräter damit? Wollte er sie zermürben oder war dies nur der letzte Schritt, sich ihrer zu entledigen? Egal was, er würde erhobenen Hauptes vor ihm stehen und sein Leben in die Hände des himmlischen Richters legen.
“Nun stellt euch nicht so an Signora Liaiell. Zieht die Uniform an. So fallen wir hier nicht sofort auf.”, herrschte Erdano die junge Frau an. Nachdem sie die Küchenräume verlassen und die Räume der Bediensteten außer Acht gelassen hatten, betraten sie die eigentliche Kaserne. Nachdem sie vereinzelten Patrouillen ausgewichen waren, standen sie in einer Rüstkammer der Kaserne. Hier befanden sich keinerlei Waffen. Diese wurden im benachbarten Waffenarsenal aufbewahrt. Aber Rüstungen und Wappenröcke der efferdischen Garde befanden sich hier.
„Nicht auffallen? Ich habe grüne Haare!“ grummelte das Mädchen, doch Erdano ließ das nicht als Ausrede gelten. Wortlos nahm er aus der Rüstkammer einen Lederhelm und stülpte diesen dem Mädchen über den Kopf. „Oh…“ bemerkte auch Liaiell, dass sie das nun etwas dämlich aussehen ließ, da hätte sie auch selbst draufkommen können. „Dennoch stimmt hier etwas nicht. Die können doch nicht ALLE vor den Geistern weggerannt sein.“ Misstrauisch blickte sie erneut aus der Tür heraus um die Ecke. Aber weiterhin – für eine Kaserne, die diverse Senatoren irgendwo gefangen genommen hatte, war die bisherige Bewachung mit „schlampig“ noch wohlwollend beschrieben. Sie zuckte mit den Schultern und zog wie alle anderen eine Lederrüstung der Efferdischen Garde an, während hinter ihr ein Geist aus einer Wand ins Zimmer waberte und schnurstracks auf der anderen Seite wieder heraus schwebte.
“Was auch immer der Grund ist, wir sollten es ausnutzen. Kommt.” Erdano bewegte sich zur Tür, aber Isida, die an der Tür zum Hof stand und lauschte, legte einen Finger auf den Mund. Und dann hörten sie es auch. Schnelle Schritte mehrerer Stiefel waren deutlich zu vernehmen. “Lagebericht.”, hörte man eine befehlsgewohnte, harte männliche Stimme. “Drei weitere Deserteure, Kommandant.”, antwortete eine Frau zögerlich. Die Schritte verstummten. "Verdammte Waschweiber. Wenn ihr sie irgendwann in der Stadt seht, tötet sie. Wieviele sind noch hier?” “Weitere sechs hier oben und die beiden Wachen unten, Kommandant.”, antwortete eine andere männliche Stimme. “Unsere Gäste?” “Verhalten sich nach anfänglichem Geschrei ruhig.”
Erdano hatte die Stimme des Condottiere längst erkannt. Giacomo d'Oro, Anführer der Rondrikan-Löwen und militärischer Kopf der Verräter. Ihn aufzuhalten wäre eine entscheidende Schwächung des Aufstands und könnte sie der Befreiung der Senatoren um einiges näher bringen, denn mit den Gästen konnte niemand anderes gemeint sein. Aber dazu mussten sie handeln, jetzt. Langsam ging Erdano auf die Tür zu und deutete Isida an, ihm Platz zu machen. Er öffnete die Tür einen Spalt breit und versuchte, einen Blick zu erhaschen. Ja, es war Giacomo. Eindeutig. Diese große, massige Gestalt mit dem Wappenrock in den Farben der Löwen und dem für ihn typischen Barett mit dem üppigem Federschmuck. Flankiert wurde er von zweien seiner Söldner. Ihm gegenüber standen zwei Soldaten der übergelaufenen Republikanergarde. Und diese zwei kannte er. Übergelaufene seiner
eigenen Einheit, des Chintûrer Banners.
Nach einigen Befehlen teilte sich die Gruppe auf dem Hof auf. Giacomo und seine Handlanger machten sich auf den Weg in die Räumlichkeiten des ehemaligen Kommandanten der Kaserne und die Überläufer begannen mit ihrer Patrouille.
Leise schloss Erdano die Tür und schaute seine Begleiterinnen an. “Wir werden die Senatoren befreien. Hier und jetzt. Wir passen die Patrouillen ab und gehen den Weg in den Zellentrakt. Es sind nur zwei Wachen. Diese werden wir überwältigen können.”
Liaiell biss auf die Unterlippe. “Ich… bin keine geübte Kämpferin, aber ich helfe, wo es geht… aber… ich… bin nicht sicher, ob ich jemanden töten kann…”
“Dies ist auch nicht mein Bestreben und ich würde es niemals von Euch verlangen, Signora. Wenn ich es verhindern kann, wird kein Leben vergeudet. Wir werden die Wachen überwältigen, nicht töten, und die Senatoren befreien. Auch Euren Großcousin Croënar.” Er schaute Isida an und deutete auf ihren Dolch. Sie nickte und überreichte ihn Erdano. Dieser wandte sich dann wieder zu Liaiell. “Ich kann aber nicht für unsere Gegner sprechen, daher nehmt diesen.” Er reichte Liaiell den Dolch. “Nur wenn es keine andere Möglichkeit für Euch gibt. Wir werden Euch mit unserem Leben schützen.”
Die Camaro nahm den Dolch an sich und betrachtete ihn vorsichtig. Sanft fuhr sie mit ihrem Finger an der Klinge entlang, um zu prüfen, wie scharf er wohl war. Er wirkte etwas schartig, als sei er dank seinem gewachsenen Alter inzwischen eher als Hiebwaffe zu verstehen. Einmal atmete sie schwerfällig aus, dann drehte sie den Dolch im Handgelenk, sodass der Schaft des Dolches entlang ihres kleinen Fingers verlief. “Wohlan, dann wollen wir mal. Ich hoffe dennoch, dass wir Glück haben und es vielleicht sogar reicht, wenn wir mal erwähnen, wer mein Vater ist…”
Die Retterbande stürzte, als ihre Zeit gekommen war, entsprechend behende aus ihrem Versteck in den Flur und rannte auf die auserkorenen beiden Wachen zu. Sie hatten offensichtlich nicht damit gerechnet, hier zu dieser Zeit auf irgendwelche Eindringlinge zu treffen, hektisch griffen sie nach ihren Waffen. Doch kaum, dass sie diese aus ihren Scheiden gezogen hatten, waren die drei auch schon in Kampfreichweite. Erdano und Isida in der ersten Reihe, Liaiell eher hinten dran. So tapfer sie auch bisher gewesen sein mochte - nun hatte sie wirklich Angst.
Dettmar Gerber lag in seiner Zelle auf einem Strohsack. Der Senator und Hochrichter war so ziemlich am Ende.
Am Ende mit seiner körperlichen Belastbarkeit, der Marsch durch die Tunnel, Schwimmen, Tauchen und erneut marschieren, während er ständig gestoßen, getreten und beleidigt wurde.
Am Ende mit seiner Leidensfähigkeit, sein Kiefer war zumindest angebrochen, er hatte einen Zahn verloren, einige Rippen waren, hoffentlich, nur geprellt und die nasse Kleidung zog langsam aber sicher jede Wärme aus seinem Körper. Am Ende seiner mentalen Widerstandskraft, die vielen, meist sehr harten Schläge bei jedem kleinsten Aufbegehren seinerseits, die Isolation von den anderen Senatoren, die Schmerzen in seinem ganzen Körper und die aufkeimende Hoffnungslosigkeit, hatten ihn zermürbt.
Längst hatte er aufgehört zu versuchen, Kontakt mit den anderen Senatoren aufzunehmen, jedesmal war nach kürzester Zeit eine Wache gekommen und hatte ihn niedergeschlagen und verhöhnt.
Nein, er würde hier liegen und der Dinge harren, die da kommen würden.
Er würde versuchen, Kraft zu sammeln, wer konnte schon wissen, was noch geschehen würde.
Valerio schreckte aus einem unruhigen Schlaf auf. Zuerst hörte er überraschte Rufe, danach ein Rumpeln und erneut Schläge. Es hatte wohl wieder ein Senator aufbegehrt und bekam gerade eine Lektion. Er hörte leise Stimmen, konnte aber nichts verstehen. Zaghafte Schritte näherten sich seiner Türe. Das Klimpern der Schlüssel erklang und dann hörte man eine Bewegung im Schloss. War es jetzt soweit? Wollte man sich ihrer entledigen? Valerio richtete sich auf. Sie sollten ihn nicht liegend vorfinden, sondern aufgerichtet und voller Stolz.
Die Tür wurde geöffnet und eine Gestalt erschien im Türrahmen. Er musste blinzeln. Eine Frau in einer Lederrüstung, kam langsam auf ihn zu. In der rechten Hand hielt sie ein Schwert, welches in seine Richtung deutete. "Signor Valerio? Seid ihr das?”, fragte sie vorsichtig. Er erkannte Isida Legari, die ihr Schwert langsam sinken ließ. “Könnt ihr aufstehen?” “Natürlich Kind.” Valerio erhob sich schwerfällig. Kurz sah es so aus, als ob er sein Gleichgewicht verlieren würde, aber er fing sich wieder. “Dann kommt Signor, befreien wir die anderen.”
Innerhalb kürzester Zeit waren alle Zellen offen und die Senatoren befreit. Sie waren soweit wohlauf, nur Dettmar Gerber musste von Liaiell di Camaro und Hesindio Vinarii gestützt werden. Die überwältigten Wachen wurden in eine der Zellen eingesperrt. Isida schloss ab und warf den Schlüssel achtlos in den Raum. Cordovan di Malavista und Croënar di Camaro nahmen sich der Waffen der Wachen an und gingen hinter Erdano ya Pirras die Treppenstufen zum Hof hinauf.
Vorsichtig öffnete dieser die Tür und blieb stehen. Es hatte angefangen zu regnen und in der Entfernung hörte man leisen Donner. Dies war aber nicht das Entscheidende. Sie wurden bereits erwartet. Die übrigen Soldaten der Kaserne standen mit gezogenen Waffen auf dem Hof. Erdano schlug die Tür wieder zu und blickte die Treppe hinunter und sah fragende Blicke.
“Habe ihn richtig gesehen? Seid ihr es wirklich, ya Pirras?”, hörten sie eine laute Stimme. “Ihr macht es uns wirklich sehr einfach. Auf der Flucht niedergestreckt. Erspart uns jede Menge Erklärungen.” Ein hämisches Lachen ertönte. “Aber ich bin kein Unmensch. Streckt die Waffen und ihr habt mein Wort darauf, dass ihr vor ein ordentliches Gericht gestellt werdet. Aber nur …….. wenn ich Euch jetzt ergebt.” Erdano blickte seinen Bruder an. Dieser schüttelte entschieden den Kopf. “Werte Senatoren. Dort draußen erwarten uns Giacomo d’Oro und sein Haufen. Ein Mann, der den Befehl dazu gab, den Tempel der Rahja niederzubrennen, ohne Rücksicht auf Geweihte, Gläubige oder Flüchtlinge. Ein Mann, der den Aufstand in unserer Stadt militärisch anführt. Ein Mann, auf dessen Wort wir vertrauen sollen. Ich denke, wir sind uns einig darüber, was dieses Wort wert ist. Es wird auf einen Kampf hinauslaufen. Wir stehen wohl etwa zehn Bewaffneten und dem d’Oro gegenüber. Vorschläge?”
Dettmar straffte sich und mobilisierte alle Kräfte: “Lieber aufrecht im Kampf sterben, als wie ein Tier zu Tode gequält werden. Habt ihr irgendeine Waffe für mich? Und wenn es eine Eisenstange ist!” Der betagte Gerber hatte sich von seinen Helfern gelöst und war an die erste Stufe getreten. Er blickte zu ihrem Befreier empor. “Signor ya Pirras, verzeiht, aber wie seid ihr hierher gekommen? Besteht die Möglichkeit, dass von meinen Leuten jemand irgendwo dort draußen ist?”
Auch Croënar di Camaro gehörte zu den befreiten Senatoren. Er war vermutlich so schmutzig wie seit seiner Kindheit nicht mehr, müde, geschunden und erschöpft. Als er seine Großnichte unter seinen Befreiern entdeckte, umarmte er sie glücklich, bis diese ihn die Nase rümpfend wieder etwas weg schob. Dann reichte sie ihm auch umgehend diesen Dolch, sie war der festen Überzeugung, dass er ihn besser gebrauchen konnte. Kaum, dass der alte Gerber sich wieder in Prügellaune zeigte, ging Croënar auf seinen Senatorenkollegen auch schon zu. “Wenn einer von euren Leuten jetzt da draußen steht, dann ist er momentan nicht auf unserer Seite.” antwortete er fast seufzend. Dann gab er Dettmar den Dolch. “Alles mit der Zeit. Ich kann euch diesen Dolch geben, aber ganz ehrlich, wir sollten jetzt nicht mit Waffen kämpfen. Wenn diese Strolche da draußen auch nur einen von uns töten, ist der Schaden an der Republik immens. Und Hand aufs Herz, nach dieser Tortur da draußen ist keiner von uns in der Lage, die Sicherheit von uns allen wirklich zu garantieren. Allerdings gebe ich euch auch recht, wir können nicht hier drin bleiben.” Er wendete sich an seine Befreier. “Wenn da draußen die Rondrikan-Löwen warten, frage ich mich auch, wie ihr hier rein kommen konntet.”
“Zwei Leute der Gerbers haben uns durch die unterirdischen Gänge der Stadt geführt. Sie erwarten uns am Eingang, damit wir dort nicht auch überrascht werden.”, erwiderte Erdano auf die Frage Dettmars. Dann fiel ihm Liaiell ins Wort.
“Da draußen sind überall Spukgestalten, die meisten Gardisten haben längst die Hände in die Hand genommen. Hier rein zu kommen war eigentlich recht einfach.” antwortete Liaiell stellvertretend. Auch Erdano senkte den Kopf leicht. “Wir hätten uns eigentlich denken können, dass diese Typen ein paar Fähige Leute schicken, um die Angelegenheit zu ordnen, von daher müssen wir wohl zugeben, dass wir vielleicht zu langsam waren.”
Hesindio Vinarii schüttelte den Kopf. “Jetzt ist nicht die Zeit für Entschuldigungen, die hat niemand verlangt. Wir brauchen einen Plan, wie wir hier rauskommen, das sollte jetzt Priorität haben.”
“Tatsächlich ist es erst einmal ein Vorteil, hier drin zu sein. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Löwen uns nicht einfach stürmen. Sie werden mit Hellebarden und ähnlichem bewaffnet sein, ein Kampf in einem Treppenhaus würde für sie einen taktischen Nachteil bedeuten.” gab Cordovan di Malavista eine taktische Analyse ab.
“Vielleicht macht es Sinn, weitere Räume nach der Waffenkammer abzusuchen, mit etwas Glück gibt es dort Armbrüste. Wenn wir dann einen Weg aufs Dach finden, hätte diese Bande kaum Deckung und wäre gezwungen, die Kaserne zu stürmen. Dort könnten wir dann diesen Vorteil nutzen.” schlug Erdano ya Pirras vor.
Isida trat vor. “Herr, hier sind nur Zellen. Keinerlei Waffen oder andere Wege hier raus. Wir sind hier eingesperrt.”
Die Gruppe grübelte. Während sie grübelten, waberte mal wieder ein Geist durch die Wand des Flurs, passierte die Truppe, ignorierte sie völlig und verschwand wieder auf der anderen Seite des Flurs ins Nichts. Das Grauen fast schon gewohnt, blickte Liaiell dem Geist etwas Gedankenverloren hinterher, da kam ihr ein Gedanke.
“Hm… wenn das diejenigen sind, die den Rahjatempel niedergebrannt haben… vielleicht könnte es auch eine Idee sein, sie ihre Tat prahlerisch laut rufen zu lassen. Da draußen sind inzwischen genügend merkwürdige Wesen unterwegs, die auf solche Taten irgendwie reagieren. Und die meisten nicht auf eine freundliche Art…” ,
Erdano blickte auf. “Wir sollen uns mit diesen Geistern und dieser mordenden Wesenheit verbünden, um das eine Übel mit dem anderen zu bekämpfen? Ist das euer Ernst, Signora Liaiell? Was würde euer Herr Vater zu dieser Idee sagen?” Kurz hielt er inne. “Aber ihr habt einen guten Ansatz.”
Von draußen ertönte wieder die Stimme Giacomos. “Ihr hattet jetzt genug Zeit euch zu beraten. Kommt jetzt heraus, oder wir räuchern euch aus.” “Genauso wie die Geweihten und Gläubigen im Rahjatempel? Was habt ihr empfunden, als ihr die Schreie und Hilferufe vernommen habt. Menschlicher Abschaum. Dafür wird eure Seele in der Niederhölle brennen d’Oro. Eure und die eurer Handlanger. Ja, auch Eure Seelen Haldor und Yarina. Was würden eure Familien sagen, wenn sie euch sehen würden? Seite an Seite mit gottlosen Verbrechern und Mördern und nicht mehr der Stolz der Familie in der Republikanergarde. Als der Sold ausblieb, hat unser Haus euch geholfen und jetzt stellt ihr euch gegen uns?” “Haltet euer Maul ya Pirras.” “Warum? Weil aus meinem Mund die Wahrheit kommt, der Herr Praios ist mein Zeuge, und ihr nur Lügen erzählt?” “Es geschah zum Wohle der Republik.” “Genau, denn es ging von den Geweihten und den Flüchtlingen eine große Gefahr aus. Von unschuldigen Frauen und Kindern. Macht euch nicht lächerlich d’Oro. Euch sollte man vor Gericht stellen. Euch und eure Spießgesellen. Zum Wohle der Republik.” “Ihr ermüdet mich ya Pirras und eure Arroganz ist mir schon seit Götterläufen zuwider. Lasst es uns beenden. Du und du, holt das Heu aus dem Stall, seht zu das es nicht zu nass wird und dann räuchert sie aus. “Jawohl Kommandant.” Damit entfernten sich Schritte.
Genauso schnell kamen sie wieder zurück. “Geister, Kommandanten, Geister. Dort hinten.” “Ihr feigen Schweine. Ich gab euch einen Befehl und ihr? Bewegt euch.” “Aber, aber….” Ein Schlag ertönte. “Kein aber.” “Kommandant, seht, sie kommen.” Es wurde still.
Erdano öffnete vorsichtig die Tür zum Hof. Ihm bot sich eine merkwürdige Szenerie. Er sah Giacomo d’Oro und seine Soldaten. Ihnen näherten sich an die zwanzig seltsam gekleidete, durchscheinende Gestalten, gekleidet in Tuchrüstungen, wie sie in den dunklen Zeiten getragen wurden. Lautlos erreichten die Geister die Lebenden und beäugten sie. Eine der Gestalten trat auf Giacomo d’Oro zu und sprach ihn an, aber niemand verstand ein Wort. Die Mimik des Geistes wurde düsterer und er wiederholte seine Worte. Diesmal wohl mit Nachdruck, denn er legte seine Hand auf seinen Schwertgriff. Auch die anderen Geister folgten dieser Bewegung.
Giacomo d’Oro war am Ende seiner Geduld. Mit einem Ruck zog er seinen Säbel und schlug auf den Geist ein. Dieser wollte auch sein Schwert ziehen, wurde überrascht und zerfaserte, als ihn der Säbel traf, nur um im nächsten Moment wieder unversehrt an der gleichen Stelle zu stehen. “Kommandant….Geister……wir können nicht….”, stammelte der Soldat neben Giacomo. Die Geister zogen ihre Waffen und schritten auf die Soldaten zu. Diese wichen bis auf Giacomo verängstigt zurück. Ein Kampf entbrannte, seltsam anzusehen. Dort wo die Geister getroffen wurden, lösten sie sich auf und erschienen an gleicher Stelle neu. Wenn diese trafen, drangen die Waffen ein, hinterließen keine Wunden, aber es blieb Rauhreif an den getroffenen Stellen zurück.
Geistesgegenwärtig blickte Erdano die Gruppe der Senatoren an. “Wir nutzen die Gunst der Stunde. Liaiell, ihr führt die Senatoren auf den Weg zurück, den wir gekommen sind. Schnell. Isida, wir beide decken den Rückzug.” “Jawohl Herr.” Isida nickte und stellte sich neben Erdano. Sie zitterte leicht, bei der Ansicht des unheimlichen Kampfes. Auch die Senatoren stockten, aber durch ein leises aber bestimmt gezischtes “Geht.” von Erdano setzten sie sich in Bewegung.
Es war ein ungleicher Kampf und die Geister nutzten ihre zahlenmäßige Überlegenheit. Sie trennten Giacomo von seinen Soldaten und während diese durch mehrere Treffer schon von Rauhreif überzogen waren und zunehmend langsamer agierten, schienen sie Giacomo zu schonen. Dieser wurde nur auf Abstand gehalten und hatte noch keinen gegnerischen Treffer einstecken müssen. Mit einem Mal stellte der Geist seine Kampfhandlungen ein und deutete stumm mit selnem Schwert an Giacomo vorbei. Dieser drehte sich um und schaute direkt zu Erdano ya Pirras. Dieser zog sein Schwert. “Empfangt eure Strafe, Verräter.”
Der Nebel hing schwer über dem Hof, als die beiden Männer einander gegenübertraten. Ihre Lederrüstungen knarrten bei jeder Bewegung, durch Schweiß und Regen dunkel verfärbt. Das Schaben von Metall gegen Stein durchbrach die Stille, als sie die Klingen über den Boden zogen. Zwei Männer, kaum mehr als Schatten im Nebel, hoben ihre Waffen. Kein Wort, kein Gruß, nur das starre Funkeln der Augen.
Giacomo schlug zu, grob, ohne Zierde. Stahl klirrte, Funken sprühten, der Rückstoß ließ beide Handgelenke beben. Sie drängten gegeneinander, Schwert an Säbel, bis Erdano zurückwich. Ein tiefer Atemzug, dann wieder ein Vorstoß. Die Klingen trafen wieder mit einem harten Schlag aufeinander, das Geräusch war nicht hell und edel wie in Geschichten, sondern dumpf, rau, fast wie berstendes Holz. Metall schabte über Metall, vibrierte bis in die Fingerknöchel, ließ die Hände taub werden.
Erdano drückte vorwärts, die Zähne fest aufeinander, Schweiß rann ihm über die Schläfen, brannte in den Augen. Das Leder seiner Rüstung quietschte, als er den Körper gegen den des anderen warf und ihn aus dem Tritt brachte. Die Hiebe waren hastig, unsauber, aber voller Wucht. Scharten fraßen sich in die Klingen. Erdano rutschte, fing sich gerade noch ab. Giacomo setzte nach, das Schwert schnitt durch Leder, Blut färbte den Ärmel dunkel. Ein Keuchen, ein Fluch. Sie umkreisten sich, taumelnd, wie Tiere, die nicht mehr fliehen konnten. Jeder Schlag kostete Kraft, jeder Schritt raubte Luft. Klingen krachten aufeinander, bis der Klang mehr Ächzen als Läuten war. Ein Schlag ging daneben, fraß sich in den Boden, spritzte Erde und Gras hoch. Erdano nutzte die Lücke, riss die Klinge nach oben, streifte das Schulterleder und schnitt Fleisch darunter auf. Ein kurzes Aufjaulen, gepresst, halb Wut, halb Schmerz.
Sie keuchten, rangen fast mehr als sie fochten. Schultern stießen an Oberkörper, Ellbogen krachten gegen Rippen. Jeder Hieb war zu nah, zu schwer, um ihn abzufangen, und doch mussten sie. Das Klirren wurde zum Stöhnen der Klingen, abgeschabt, stumpf.
Dann stolperte Giacomo, den Säbel kurz gesenkt. Erdano nutzte den Moment, riss die Klinge nach vorne, mit aller verbliebenen Kraft. Die Spitze drang ein, erst widerständig, dann rutschend, schneidend, brechend. Ein dumpfes Reißen, ein Aufschrei, der sofort zu einem erstickten Röcheln zerfiel.
Giacomo spuckte Blut, es lief ihm aus dem Mundwinkel, warm und bitter, tropfte über Kinn und Brust, versickerte im Bart. Er griff nach dem Schwert, das in ihm steckte, die Finger krallten sich darum, zitterten, aber die Kraft reichte nicht mehr. Die Beine gaben nach, er sackte ab, ein röchelndes Keuchen entrang sich seiner Kehle. Erdano stolperte zurück, stützte sich auf sein Schwert. Sein Herz pochte so laut, dass es die Ohren füllte, sein ganzer Körper bebte. Der Geruch von Eisen, Schweiß und offenem Fleisch hing schwer in der Luft. Im Matsch neben ihm lag der Sterbende, dessen letzter Atem rasselnd, gurgelnd aus der Kehle drang, bis er brach – und Stille blieb.
Die Geister verschwanden und ließen zitternde Soldaten zurück, die ihren Kommandanten in seinem Blut auf dem Boden liegen sahen. Isida stellte sich vor Erdano, der immer noch schwer auf sein Schwert gestützt dort stand. Sie deutete mit gezogener Klinge auf die Soldaten und erhob ihre Stimme. “Verschwindet und erzählt jedem, den ihr seht, dass Giacomo d’Oro seine gerechte Strafe erhalten hat und jeder Verräter diese auch ereilen wird. Im Namen des Himmlischen Richters und seiner göttlichen Geschwister. “