Curtan de Gonzalez
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Curtan de Gonzalez ist ein Tanzmeister, Gesellschaftslehrer und ehemaliger Choreograph des einstigen Seebads von Sewamund. Seit dessen Glanzzeiten lebt er in einem kleinen, gepflegten Haus am Südrand der Neustadt, wo er weiterhin Schüler unterrichtet und Gäste empfängt, stets mit einer Handbewegung, die halbe Romane erzählt.
Curtan wurde als Sohn eines Schneiders geboren und wuchs in Vinsalt auf. Dort studierte er Tanz, Ausdruck und soziale Bewegung, eine Disziplin, die er selbst als „die stille Sprache der Macht“ bezeichnet. In jungen Jahren tanzte er auf kleineren Bühnen in Vinsalt und Bomed und erarbeitete sich den Ruf eines exzentrischen, aber präzisen Lehrers, der Haltung und Bewegung zu einem moralischen Prinzip erhob.
Um 1028 BF zog es ihn nach Sewamund, wo das Seebad als modisches Zentrum des gehobenen Patriziats und Provinzadels galt. Curtan erhielt dort eine Anstellung als Tanz- und Ausdrucksmeister für Eröffnungsbälle und Sommerfeste, wobei seine Erscheinung – bunt, charmant, aber disziplinierend – zu einer Attraktion wurde.
Berühmt wurde er in Sewamund durch die Brautschau von 1030 BF, bei der mehrere Adelsfamilien, darunter auch das Haus Tribêc, ihre Töchter und Söhne auftreten ließen. Curtan de Gonzalez wurde engagiert, um „den jungen Damen Haltung beizubringen“, was ihm gelang, wenn auch nicht ohne Nebengeräusche. Zeitzeugen berichten, dass er im Ballsaal erschien, als wäre er die eigentliche Attraktion: in dunkelbrauner Weste, engen Beinkleidern, mit stolz geschwungenem Schritt. Sein Satz des Abends: „Meine Damen, wenn ihr schon fallt, dann wenigstens mit Anmut!“ wurde zur stehenden Redewendung.
Mit dem Erfolg der Brautschau begann Curtans fester Aufenthalt in der Stadt. Im Haus in der Badstraße in der Neustadt, ein schmaler, von einigen Weinreben umrankter Bau mit Blick auf Periferia und die Gassen zum Hafen, richtete er seine kleine „Galerie für Haltung und Grazie“ ein. Hier unterrichtete er vornehme Töchter, reisende Höflinge und gelegentlich Matrosen, die „ihr Gleichgewicht an Land“ wiederfinden wollten. Für manche war er Erzieher der höheren Gesellschaft, für andere dekadenter Spaßmacher. Curtan selbst betonte stets, Kultur zu lehren, nicht Tanz: „Das Schwingen des Armes, meine Liebe, ist Philosophie in Bewegung.“
Nach dem Niedergang des Seebads, dessen glanzvolle Gesellschaft sich in den 1040ern auflöste, blieb Curtan in Sewamund. Er lebt von Privatstunden und Einladungen zu kleineren Soireen. Seine Nachbarn halten ihn zwar für sonderbar, aber wohlerzogen. Seine Schüler nennen ihn „Maestro“.
Curtan de Gonzalez gilt als lokale Institution. Seine Gestalt ist aus dem Straßenbild der Neustadt nicht wegzudenken: der schmale Mann mit schwarzem Zopf, der durch die Gassen schreitet, als sei jede Stufe eine Bühne.
Gerüchte
- Einige sagen, er trage in einem Medaillon ein Stück Spiegelglas, „um sich selbst nicht zu vergessen“.
- Andere behaupten, Curtan unterrichte nur Schüler, die ihm mindestens einmal im Unterricht widersprochen haben, alles andere sei „seelenloser Gehorsam“.
- Seine Schüler schwören, Curtan trage immer dasselbe exotische Haaröl. Manche glauben, es sei ein Elixier aus tulamidischen Essenzen, andere, es enthalte den Duft einer vergangenen Liebe.
- Man munkelt, Curtan habe Tanzstunden für eine junge Dame aus dem Haus Tribêc gegeben. Offiziell, um sie auf ein Fest vorzubereiten. Doch wer beide im Ballsaal sah, erzählte, Paloma, bekannt für spröden Charme und Ungeduld, habe sich anfangs über Curtans exzentrische Art mokiert. Er erklärte: „Meine Liebe, du bist eine Frucht, die noch nicht weiß, wie süß sie ist.“ Danach ließ er den Saal schließen. Später war Paloma nie wieder dieselbe. Ihr Gang veränderte sich, ihr Blick wurde weicher, ihr Lachen lauter.
- Andere raunen, beide seien nach einem der Abendbälle im Spiegelsaal des Seebads eingeschlossen worden, versehentlich oder absichtlich. Als man am Morgen die Tür öffnete, war der Boden von Tanzschuhspuren übersät. Curtan lächelt nur und sagt: „Sie hat den Schritt gefunden, den man nur einmal im Leben tanzt.“
- Es heißt, Curtan habe einst einem überheblichen Offizier erklärt, ein höfischer Schritt bestehe aus drei Teilen, dem Stolz, der Furcht und dem Bedauern. Der Offizier habe ihn ohrfeigen wollen, sei jedoch auf dem glatten Parkett ausgerutscht. Curtan verbeugte sich und murmelte: „Vierter Schritt: Demut.“
- Bewohner der Neustadt behaupten, in stillen Nächten höre man aus seinem Haus Musik und Schritte, als ob mehrere Paare tanzen. Curtan lebe allein.