Archiv:"Fort flog der Falke, es leidet das Land" (BB 17)

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Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 17, Seiten 18-21
Aventurisches Datum: 1020-1022 BF



"Fort flog der Falke, es leidet das Land"
- Vom fortwährenden Wirrwarr in Tikalen nach Baron Brodericos Verscheiden -


Rangkrone
Wappen

Baronie Tikalen

Wohl an die zwei Götterläufe sind mithin verstrichen, seit der Baron von Tikalen, Broderico der Münzreiche, der auch Grangorias Connetabel war, im Kampf wider Borbarads Brut in der Kabashpforte fiel. Doch keine Ruhe war seinen sterblichen Überresten noch seinen derischen Hinterlassenschaften beschieden! Untot, als wandelnder Leichnam, fuhr er auf dem Ständetag zu Oberbomed im Traviamond 2512 zwischen die tikalischen Signori, und seit diesem Tage ward nichts mehr wie vordem in der alten Baronie.

Erlaubt, werter Leser, daß ich, der Cavalliere Corto di Gaviani, Euch nun wie damals getreu berichte, was seit jener Zeit geschah, und verzeiht, wenn manches Euch zu weitschweifig ausholend dünken sollte, doch muß ich der vergang'nen Monde viele mit Bedeutung füllen. Wohlan denn!


Im eignen Heim gefangen

Ihr werdet gewiß Euch noch erinnern, daß des verschiedenen Barons Gemahlin, die Dame Cavarya Berlînghan, eine Nichte des methumischen Herzogs, von der versammelten Signoria Tikalens der Schwarzzauberei und Totenbeschwörung (ihres eignen Gatten!) verdächtigt und auf Geheiß der Gräfin Bomed und ihrer Räte in Ehrenhaft auf der Yaquirwacht (der Tikaler Stammburg) genommen wurde. Dort harrte sie nun des angedrohten Prozesses vor dem Grafengerichte, und der alte Waffenmeister Brodericos, Signor Rassuan Tharedion, wachte über sie. Tagaus, tagein schrieb sie dringliche Briefe an Hohe Herren und Damen - die Gräfin, den Herzog, die Königin gar - bis daß ihr die Brieftauben ausgegangen waren. Doch keine der ebenerwähnten Personen erhörte ihre Petitionen, zu sehr war man in andere Kabale hineingezogen und zu schwer wogen vor den Augen dieser Herrschaften die Verstöße, die sich der verstorbene Broderico gegen ihre angestammten Privilegien und Autoritäten geleistet hatte. Bitter ist's, wenn kühner Geist, der sich in vielen Ämtern zur Macht entfaltet, nach dem Tode als Bannfluch, gesprochen durch die alten Neider, auf die Erben zurückfällt!

Nur der Signor Phygor da Marascenta-Ardismôr und ihre Vettern und Basen aus dem Haus der Berlînghan nahmen offenkundig Anteil an der Dame Cavarya Schicksal, die immerzu ihre Unschuld beteuerte. Es heißt, daß sie darüber hinaus geheime Zeitung von anderen Adeligen erhielt - doch selbst wenn das wahr sein sollte, so half ihr auch diese nicht aus der mißlichen Lage. Und für einige Wochen sah man Frau Cavarya jeden Tag in den Gärten der Burg ihre Kreise ziehen, während die Amtsleute der Gräfin die Gemäuer auf der Suche nach Beweisen (und wie böse Zungen raunen, unterschlagenen Steuergeldern) durchwühlten.


Herr Geron zieht ins Felde

Dies war die Zeit, in der Herr Geron Cornaro Rondralieb Tharguïn, der zwanzig Winter zählende Sohn des Hauses, voll Feuer und Eifer sprühte, in den Landen jenseits der Schwarzen Sichel wider den Dämonenmeister selbst zu streiten, sei's um des Vaters Tod zu rächen, sei's um die derischen Lande vor dem Schlimmsten zu behüten. Der junge Baronet wurde zu einem glühendsten Fürsprecher der bald als "Zug der Edlen" allseits bekannten Bewegung. Viel und oft beriet er sich wohl mit seiner Mutter, bevor er seinen Abschied nahm, und es war wohl ein Gespür der Dame Cavarya, das den ungestümen Erben Tikalens mit ihrem Segen ziehen ließ, denn für seine Sicherheit konnte sie selbst im eignen Heim nicht mehr bürgen. Und so sprach Geron Lebewohl, schloß Mutter, Schwester, Bruder, noch einmal in die Arme, um dann mit seinem Freund Gareno Dracorio von Treuffenau-Veliris, dem gleichfalls ältesten Sproß eines Barons, durch die Lande und schließlich in das ferne Tobrien von dannen zu ziehen. Mit sich nahm er - noch von den Gütern seines Vaters aufgebracht - neun Panzerreiter, vierzehn Schwertfechter, acht Bogner und zwölf Troßleute sowie zwei Wagen und dreiundzwanzig Pferde. Da zog er hin, der Baronet, der binnen Jahresfrist den Tikaler Reif empfangen und seinem Vater in allen Ämtern nachfolge hätte sollen. Diese eigenmächtige Handlung (ohne den Gunstbescheid der Kaiserin einzuholen) und die Makel auf dem Ruf des Hauses Berlînghan-Tikalen veranlaßten wohl Seine Hoheitliche Exzellenz Hakaan von Firdayon-Bethana, Erzherzog von und zu Horasia, die auf den 21. Tsatag des jungen Geron anberaumte Hochzeit des nämlichen mit des Erzherzogs eigener Tochter, Prinzessin Lorindya Amene Usvina von Firdayon-Bethana, abzusagen und das noch zu Brodericos Zeiten getane Verlöbnis samt und sonders aufzulösen. (Worüber, so geht der Schelme Wort, der junge Baronet nur für die Form erbost gewesen sei ...)


Bei Nacht und Nebel: Von Tikalen nach Thurzo

So neigte sich der Herbst dem Ende, doch nicht ohne eine abschließende Überraschung. In den Morgennebeln des 7. Boron 2512, just drei Tage, nachdem Comto Rimaldo di Scapanunzio, der von der Gräfin einstweilen bestallte Regent Tikalens, die Herrenkammer auf der Yaquirwacht bezogen und sämtliche Schreib- und Amtszimmer mit Beschlag belegt hatte, entschwand die Dame Cavarya mit ihren minderjährigen Kindern Iriella und Khadan aus der Feste. Ein alter Yaquirschiffer setzte sie über den Fluß, und so gelangte sie geradewegs nach Thurzo, die velirische Herrschaft, die ihr allein vom Stamme ihres Vaters her zu eigen war. Im dortigen Palazzo fand sie sicheres Quartier. Denn als die Büttel der Gräfin und die Abgesandten der tikalischen Signoria dort anlangten und sie wieder zurückverbringen wollten, stand da eine stattliche Garde des Barons Ariano von Treuffenau-Veliris, die allen Versuchen wehrte.

"Um der Treu willen, die Baron Broderico für Euch und unser Land empfunden", so schrieb Herr Ariano an die Gräfin, "kann Ich die unziemliche Behandlung der Dame Cavarya nicht geschehen lassen. Bis zur Klärung dieses Falles sei sie den Zudringlichkeiten ihrer Kläger entzogen und auf ihrem eigenen Gut und Land unter unserem persönlichen Schutz." Man weiß wohl, daß der Veliriser und der alte Tikalen einander gut Freund waren und Herr Ariano obendrein noch eine Schuld auszugleichen hatte: Nur durch Connetabel Brodericos Fürsprache und Eingreifen kam er 2510 auf den Stuhl der Baronie. Die Gräfin schien sich dreinzufinden, doch die Schergen tobten und suchten Antwort auf die schwierigere Frage, nämlich wie die Gefangene überhaupt aus ihrer Haft zu entfliehen vermochte. Signor Rassuan Tharedion und Hofmeisterin Natalya Darumno wurden vorgeladen, verhört und schlußendlich mit einer Rüge entlassen, da man ihnen nichts Unrechtes ans Bein zu flicken vermochte.


Trügerische Sicherheit

Das Refugium zu Thurzo hielt nur für einen Winter. Dann hatten die Räte der Gräfin Bomed, Hofsecretario Selinan ya Tarcallo und Herr Arralin Aldubhor, im Einvernehmen mit dem Sprecher der tikalischen Stände (und item fürderstem Ankläger), Comto Rimaldo di Scapanunzio, beschlossen, den Fall auf eine höhere Instanz zu verlagern. Am 29. Firun 2512 erscholl - die Gräfin hatte es für gut und richtig befunden - der Ruf nach der Heiligen Inquisition der Kirche des Greifenherrn und Götterfürsten, die ja im alten Reiche nur auf den ausdrücklichen Wunsch eines hohen Adeligen hin in Aktion treten darf. Und der Wahrer der Ordnung Bosparan handelte rasch und bestimmte binnen Wochenfrist Seine Hochwürden Balsamo du Pragozza zum Bevollmächtigten Inquisitor in der tikalischen Angelegenheit. Gern hätten die Verwandten der Dame Cavarya einen Aufschub des ehrwürdigen Bescheides erwirkt, zumindest solange, bis Hochwürden Usvina Berlînghan von ihrer alljährlichen Wallfahrt nach Balträa zurückgekehrt wäre und somit auch zur Wahl gestanden hätte, doch drängten die Bomeder Beamten zur Eile.

Während sich das Tribunal, bestehend aus dem Inquisitor und zwei Geweihten des praiotischen Ordens von Sanct Aldigon, also zu Bomed einrichtete und Mitte des Tsamondes die aufgetürmte Beweislast übersah, wurde die Lage der Dame Cavarya wieder schwierig. Denn Baron Ariano konnte seine schützende Hand nicht gegen den Druck des mächtigen und mittlerweile involvierten Sanct-Aldigon-Ordens aufrechterhalten. Dieser stellte immerhin den Consiliere von Veliris, die rechte Hand des Barons, und forderte unnachgiebig die Überstellung der Angeklagten vor das Inquisitionsgericht.

Dort sah alles wenig günstig aus: Die Amtsleute der Gräfin hatten in den Archiven, welche in den Kellergewölben der Yaquirwacht lagern und zu denen nur die Baronsfamilie Zugang besitzt, Exemplare mehrerer arkaner Machwerke sowie götterlästerliche Schriften gefunden, teilweise mit Randbemerkungen versehen, die in der Handschrift der Dame Cavarya verfaßt waren. Aus ihnen heraus sollte - das war die verbriefte Aussage des respektablen Magus und Gelehrten Arralin Aldubhor, der auch Augenzeuge der Erscheinung war - das Ritual zum Kontaktieren eines machtvollen Dämonen und Schließen eines Paktes mit demselben (Praiosstehunsbei!) ableitbar sein. Die erwähnten Notizen würden geradewegs auf ein solches Unterfangen hindeuten. Ziel des Paktes sei zweifelsohne das Erlangen bestimmter magischer Fähigkeiten gewesen, vergleichbar der von Borbaradianern verwendeten Zauberei. Was zu der zweiten Entdeckung paßte: Die Überreste zweier Schriftrollen, die mit dem Zeichen der Siebenstrahligen Krone gesiegelt wurden, waren unter der Asche des Hauptkamins freigelegt worden!


Die Irrfahrt der Berlînghan: Von Thurzo nach Torvilio

Während das Tribunal sich in Abwesenheit der Angeklagten mit der Befragung der zahlreichen Zeugen, Bürgen und Zuträger begnügte, traf die Nachricht der gewonnenen Schlacht von Ebelried (28. Tsa 2512), die zu Füßen der Drachensteine an der Grenze des Freien Tobrien geschlagen ward, im Yaquirtal ein. Frau Cavarya vernahm nicht nur mit Erleichterung, daß ihr Sohn den schlimmen Winter und die Gefechte überstanden hatte, sondern auch mit mütterlichem Stolz, daß er für seine Verdienste von einem Meister des Bundes zum Ritter erhoben und vom Reichsbehüter Brin zum Reichsedlen zu Waldsend ernannt worden war. Am Hof zu Bomed nährte dies nur den düsteren Argwohn, daß man sich mit dem Geschlecht derer zu Berlînghan-Tikalen eine Verräterbrut herangezogen habe, denn der Vertrag zwischen Greifenthron und Adlerthron war noch nicht gesiegelt!

Als schließlich Baron Ariano am 17. Phex seinen Widerstand aufgab und den Gerichtsbütteln bedeutete, die Angeklagte zu arretieren, da fanden sie die Dame Cavarya im Palazzo Thurzo nicht vor. Sie hatte den zweiten überraschenden Schritt getan und sich über die Grenze der Grafschaft hinaus gen Mittnacht abgesetzt. Wieder warf dies die Frage auf, wer sie wohl gewarnt haben mochte. (Vielleicht ein Bote von Baron Ariano selbst?) Auch bei dieser Flucht mußte die Angeklagte wieder den Großteil ihrer Habseligkeiten zurücklassen, so daß ihr und den zwei Kindern mithin nicht mehr viel verblieben war. Im nachhinein konnte man sich erschließen, daß sie in bürgerlicher Verkleidung und ohne Begleitung durch das shumirer Land, die Capitale weiträumig meidend, und dann quer durch die Erzherrschaft Arivor gen Methumia geflohen war, wo sie auf dem Landgut ihres Vaters Tharguïn Berlînghan, Signor von Torvilio, Unterschlupf suchte. Die dramatische Reise nahm wohl mehrere Wochen in Anspruch - gesichert ist ihr Auftauchen am methmischen Hof erst auf den 1. Rahja 2512.


Grausige Offenbarungen

Das Tribunal zu Bomed nahm diese Flucht als Schuldeingeständnis - denn welcher Rechtschaffene, welche Unbescholtene hätte den durchdringenden Blick eines Inquisitors zu fürchten, vermag dieser damit doch nichts anderes als die volle und ganze Wahrheit zu erkennen! Welche Gründe sollte das Fortlaufen der Dame Cavarya sonst gehabt haben? Wiewohl der Prozeß für eine Dauer von fünf Wochen ausgesetzt wurde, in denen man nach der Flüchtigen fahndete, so trat das Tribunal danach nur um so entschlossener wieder zusammen, um die Verhandlungen bald abzuschließen.

Weitere Indizien wurden ans Licht geholt: Eine Magd bezeugte glaubhaft, sie habe die Baronsgemahlin des Nachts bei düsteren Anrufungen beobachtet. Andere Zeugen wußten, daß im Schutze der Dunkelheit desöfteren ein vermummter Mann in den Wohngemächern der Burg ein- und ausging, wenn der Baron Broderico gar nicht anwesend war. (Über die Identität dieses unbekannten Buhlen wurde aber nichts bekannt.)

Mit Fleiß und Mühe brachte das Hohe Gericht schließlich die Beweggründe der Untat zu Tage: Wiewohl seinerzeit im "Bosparanischen Blatte" aufs schärfste dementiert, hatten sich Baron und Baronin Tikalen bereits vor Jahren entzweit. Eine - wie es heißt - "tödliche Beleidigung" trieb die Dame Cavarya damals zu einem mehrmonatigen Aufenthalt in Torvilio, dem Landgut ihres Vaters, zu dem sie ihre drei Sprößlinge mit sich nahm. Sie kehrte zurück, doch mit der Rache im Herzen. Cavaryas jüngerer Bruder, Herr Farungil Berlînghan de Torvilio-Thurzo, der lange auf der Yaquirwacht geweilt hatte und nunmehr die Herrschaft Thurzo für seine Schwester und den Herrn Baron verwaltete, bestätigte, daß es in den letzten Monden vor Don Brodericos Verscheiden zu häufigen Streitigkeiten zwischen dem Vater einerseits und seinem ältesten Sohn und seiner Ehegattin andererseits gekommen war. Der verschrobene Astrologe, Oneiromant und Traumdeuter Hyronimus van Heest hatte dem Herrn von Tikalen wohl eine düstere Prophezeiung offenbart, die ihn zutiefst bedrückte. Auch wenn der genaue Wortlaut dieses Orakels nicht ermittelt werden konnte (Magister van Heest befindet sich seit einem Wahrtraum während der Namenlosen Tage in der Obhut der Noioniten), so sprechen doch die Konsequenzen, die Baron Broderico daraus zog, für sich selbst: Er verbannte seinen Sohn Geron, der just erst von einem mehrjährigen Aufenthalte am Hof des Erzherrschers zurückgekehrt war, entschlossen (und gegen den verzweifelten Widerspruch der Mutter) aus seiner Gegenwart! Auch untersagte er ihm ausdrücklich, ihn auf die Reise nach Kabash zu begleiten. Es schien allen Beobachtern so, als würde er seinem eigenen Fleisch und Blut nicht mehr trauen.

Die Mutter hatte dem Sohn offenbar ihre boshaften Gedanken anvertraut und einer Natter gleich eingeflüstert, und gemeinsam hatten sie sich verschworen. Noch bevor der alte Tikalen Frau und Sohn enterben und verstoßen konnte, beschlossen sie sein Verderben. Zu diesem Zwecke benutzte die wohlgebildete Dame Cavarya ihre schwachen arkanen Talente (die von ihrem Bruder bestätigt wurden), um den Pakt mit einer unnennbaren Macht zu schließen. Unklar wird wohl bleiben, ob die Daimoniden, welche Don Broderico in der Kabashpforte den Tod brachten, gar als Teil eben dieses Paktes auf den Plan traten, oder ob es sich nur um eine günstige Fügung handelte. Die oben erwähnte Korrespondenz mit Dienern der Siebenstrahligen Krone, allen Vermutungen nach der Beschwörerin Saya di Zeforika aus Mengbilla, wurde ja sorgsam vernichtet. Dennoch hatte das Tribunal davon auszugehen, daß der Gattenmord auf irgendeine Art und Weise vorgesehen war.

Der eigentliche Plan ging mit einiger Bestimmtheit dahin, den gefallenen Leichnam des Barons in einer untoten Gestalt unter den Willen der Verschwörer zu zwingen, auf daß er ihnen in vielfacher Hinsicht dienlich sei. Der an seine sterbliche Hülle Gebundene mußte ein feines Testament aufschreiben und vor der Zeit des Todes siegeln (welches aufgefunden wurde), und zahlreiche Geheimnisse von Krone, Kirche, Herzogtum und Landeslehen preisgeben, darunter die Einzelheiten der Bewachung der königlichen Münztransporte (worüber Skizzen und Überfallpläne entdeckt wurden). Auch sollte der Nichttote mehreren Gegnern der Kabale zum Scharfrichter werden, namentlich den Herren Selinan ya Tarcallo, Rimaldo di Scapanunzio und Seiner Hoheit Cusimo Garlischgrötz von Grangor! Vor allem aber ließ die Beschwörung den gefesselten Geist des Verstorbenen Qualen jenseits jeder Vorstellungskraft erleiden: Halb blieb er an die derischen Gefilde gekettet, während der Wind der Sphären seine Seele fortzureißen suchte. O ihr Zwölfe, welch Haß, welch inbrünstiger Haß, ließ als Rache solche Wahnsinnstat entstehen?

Der Leichnam des untoten Barons konnte von den Inquisitoren nicht mehr untersucht werden, da der Boronbruder Osmin vom Oberbomeder Gebeinfeld diesen bereits verbrannt hatte, um weiteren unheiligen Gefahren zu wehren (was ja ein üblich Ding ist in diesen Tagen). Seine Gnaden Osmin bezeugte jedoch, daß um den Leib noch die Aura schändlicher Magie geflossen habe. Darauf reisten Signor Darian Sâl di Scapanunzio, ein Vetter des Comto Rimaldo, und Herr Alricilian von Treuffenau-Veliris, Vice-Dominus des Sanct-Aldigon-Ordens, im Verlaufe des Praiosmondes 2513 bis in die Kabashpforte, um das Grab des Barons in Augenschein zu nehmen, das ihm die Kronprinzessin dort hatte richten lassen. Wie zu erwarten, fanden sie die vermeintlich letzte Ruhestätte Don Brodericos aufgebrochen und geschändet: Die Verschwörer hatten den Leichnam zu ihrem unheiligen Ansinnen in die Gewölbe der Yaquirwacht verbringen lassen.

Die Requisiten in dem Beschwörungsritual mußten, das zeigten die alten Pergamente und beigefügten Notizen der Baronin auf, Krone, Schwert und Ring des Toten sein. Der Tikaler Reif war auf der Yaquirwacht verblieben, als der Baron gen Kabash reiste, das Schwert Severian und der Siegelring Falchon jedoch hatte Don Broderico mit sich genommen. Diese fielen den Verschwörern in die Hände, als die junge Haldana von den Goldfelsen, des Barons Knappin, die beiden Insignien im Auftrage der Kronprinzessin Aldare überbrachte. Von eben jener Haldana, der jüngsten Tochter des Marchese Nitor von Silas-Tegalliani, fehlte seit diesem Rondramond 2512 jeglich verläßliche Spur. Auf Anfrage des besorgten Vaters hatte die Dame Cavarya im Winter verlauten lassen, daß sie das Mädchen seit Brodericos Auszug nicht gesehen habe, es werde wohl am Hofe Baron Ezzelinos oder der Kaiserlichen Kronprinzessin Aufnahme gefunden haben. Doch dem war nicht so. Das Blut der armen Haldana diente der Rachedürstigen dazu, den Dämonenpakt zu besiegen. Vom Gericht bestellte Steinmetze legten am 3. Rondra 2513 die in einem Kellerraum der Burg eingemauerten, schrecklich entstellten Überreste der jungen Frau frei. Ihr Vater Nitor von den Goldfelsen, der 1te Cammerrichter Yaquirias, der nach Bomed gereist war, brach an Ort und Stelle schmerzerfüllt zusammen. So schwer war sein Anfall, daß er für Wochen am Ucurihof durch seine Schwester Nita von Silas-Tegalliani vertreten werden mußte. Vom Krankenbett aus forderte Marchese Nitor die "vollständige und haltlose Aufklärung der Geschehnisse". Selbige besorgten die Richter, Offizialen und Inquistionsgehilfen, doch nur weniges wurde noch verlautet. Die Einzelheiten des nekromantischen Rituals, mit dem der Baron wiederbeschworen wurde, per exemplum sind wohl gar so gräßlich (man munkelt geschlechtlicher Natur), daß es wider allen Anstand und die göttergegebene Vorsicht wäre, diese aufzuführen.


Im Zeichen des Greifen

Am 15. Efferd 2513 schließlich erhob sich das Tribunal vor den versammelten Adeligen, Amts- und Würdenträgern in der Halle des Schlosses Hausbach, um das Urteil zu verkünden. "... als Hauptindiz aber hat die Anklage durch den nämlichen Baron selbst zu gelten, der Vorwurf, den jener mit letztem Willen wider Frau Cavarya führte, als die heilige Macht seines Schwertes Severian und die Gnade Frau Rondras Heilig! seine Ketten zersprengten und ihm noch einmal Kraft verliehen, vor den versammelten Signori seines Lehenslandes Zeugnis abzulegen.

Darum also heißen wir die nämliche Angeklagte der Ketzerei, Dämonenverehrung, Praktiken wider die Natur, Schwarzzauberei und Nekromantie, ferner des Mordes an einer unschuldigen Knappin aus edelstem Hause, der Beihilfe zum Mord am eignen Gatten, der Mordpläne wider weitere hohe Adelspersonen, der Verschwörung wider das Reich der Heiligen Horaskaiserin und ihr geheiligtes Recht, auch der Falschsiegelei, des Eidbruchs und der Verhetzung ihrer eigenen Kinder, für überführt und schuldig. Ferner werfen unsere Untersuchungen den Verdacht des Ehebruchs, der Veruntreuung von Geldern, der Femrechtsprechung und der Geheimbündelei auf, die zu widerlegen die Angeklagte nicht vor uns erschienen ist.

Item nicht erschienen ist Baronet Geron (...), dem wir eine maßgebliche Beteiligung an den Umtrieben seiner Mutter vorwerfen, deren willfähriger Handlanger und Nutznießer er gewesen. Unserem Zugriff mögen sie beide sich einstweilen entzogen haben, doch unserem Schuldspruch sind sie nicht entronnen. Wir beten zu IHM, dem Götterfürsten Heilig!Heilig!Heilig! höchstselbsten, daß sie die gerechte Strafe ereilen möge.

Auch können wir unsere Augen nicht vor dem Übel verschließen, daß durch der Mutter Blut und Milch und Wort in die Sprößlinge von Baron Brodericos Stamm eingeflossen. Darum tun wir, im Zeichen des Greifen, die Linie derer von Berlînghan und Tikalen als ein Ganzes in Acht und Bann! Wo die nämlichen sich einfinden oder aufgegriffen werden, da soll man sie der weltlichen Rechtsprechung übergeben. Diese möge mit ihnen verfahren wie seit altersher mit solchesgleichen."

Das sprach Seine Hochwürden Balsamo du Pragozza mit ernst-kalter Stimme, und so war es beschieden.


Zweifel für die Angeklagte

Die Erschütterung schlug ihre Wellen bis an die Bunten Mauern von Methumis, und am Morgen des 21. Efferd erreichte eine Eskadron der Bomeder Gräfin und des Goldfelser Marchese die vieltürmige Patrizierstadt am siebenwindigen Meer. Noch binnen Stundenfrist wurde diesen Audienz gewährt, doch zeigten sich Seine Hoheit Eolan Berlînghan, Herzog und Yaquirias Iustitiar, unnachgiebig. Das Verfahren sei zu prüfen, das Urteil wohl zu revidieren, so sprach der Herzog, denn seine Base Cavarya habe hier an seinem Hofe noch vor wenigen Tagen dem Illuminatus von Methumis Baldur Casparo Berlînghan Herz und Seele ausgeschüttet, die innersten und geheimsten Gedanken offenbart. Und der Erleuchtete habe sie tief und eindringlich geprüft und doch alles, was zu Tage kam, für gut und rein befunden. Nimmer habe die Dame Cavarya Götterfrevel begangen noch Schwarzkunst gewirkt, wie ihr vorgeworfen! Da zogen die Gesandten mit halb grimmen, halb verdutzten Mienen wieder ab.

Die folgenden Monde sahen ein hin und her zwischen Methumis und Bomed. Um das Urteil anzufechten, da müsse die Angeklagte schon in die Grafenstadt kommen, und überdies die Kosten des Verfahrens übernehmen, daß sie durch ihre Flucht fehlgeleitet habe, so die Räte der Gräfin Bomed. Den Beweis ihrer Unschuld vermöge man auch im sicheren Methumis anzutreten, sprach hingegen Herr Eolan, und nicht vordem werde man sie wieder in den Norden schicken. Und beide Seiten suchten nach Gründen und Gegengründen, viele Wochen lang. Überdies brachte der eifrige Herzog der Methumier eine Reihe von Zeugen auf, die den guten Leumund der Dame Cavarya bestätigen sollten. Dies waren einige Damen und Herren aus dem Hause Berlînghan, aber auch Signor Rassuan Tharedion und Hofmeisterin Natalya Darumno sowie ehemaliges Dienstpersonal.

Auch gingen im Winter 2513 einige Briefe zwischen Methumis und Wehrheim, wo der "Zug der Edlen" sein Quartier bezogen hatte, hin und her. Der junge Herr Geron äußerte sich erschrocken und besorgt über die Vorwürfe, die ihm und seiner Familie gemacht wurden, und beteuerte seine Unschuld. Einem der Schreiben angehängt war die Nota zweier Damen, die eine der Rondra geweiht, die andere dem Praios verpflichtet, welche die unbescholtene Aufrichtigkeit des Baronets versicherten. Gleichzeitig aber wurde offenbar, daß der junge Herr nicht in absehbarer Zeit vor dem Gericht aufscheinen werde, und daß er gleichfalls nicht daran dachte, auch nur einen der von seinem Vater ererbten Titel auch nur zeitweilig aufzugeben. Beides wurde von den Räten und Gerichtsherren zu Bomed als Provokation verstanden.

Dann, an einem bitterkalten Firunsabend, verstarb Seine Hochwürden Balsamo du Pragozza, der Primas des Inquisitionstribunals. Nun, so beschieden die Bomeder, gäbe es gar keine Wahl mehr. Denn der einzige Weg, die Dame Cavarya zu rehabilitieren, sei somit eine vollständige Neuauflage des Gerichtsverfahrens unter einem neuen Richter. Doch da die Beweisaufnahme nur in der Grafenstadt geführt werden könnte, wäre der Ort unstrittig festgelegt. Herzog Eolan bat sich Bedenkzeit aus, um sich mit der Base und den Zeugen zu beraten.


Herr Tharedion begehrt auf

Just zu dieser Zeit wurde die Haus- und Hofmeisterin Tikalens, Frau Natalya Darumno, von den gräflichen Beamten (zu denen wir hier auch einmal den Interimsregenten Comto Rimaldo di Scapanunzio zählen) der Veruntreuung großer Summen aus der barönlichen Schatulle sowie des Betruges bezüglich der dem Grafenhof geschuldeten Abgaben überführt. Am 2. Tsa ließ sie Hofsecretario Selinan ya Tarcallo in den Kerker werfen.

Herr Rassuan Tharedion, Signor von Lumiân, machte nunmehr allenthalben von sich hören. Der Signore empörte sich und wetterte wider die gräflichen Räte und ihre Vorgehensweise in der tikalischen Sache. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, die Herren Selinan ya Tarcallo, Hofsecretario, Arralin Aldubhor, Magus und Geheimer Rat, Rimaldo di Scapanunzio, Comto Cammer-Richter und Regent Tikalens, hätten sich verschworen, um im Bunde mit den Signori Farungil Berlînghan von Torvilio-Thurzo und Darian Sâl di Scapanunzio von Persenciello das Geschlecht derer von Berlînghan-Tikalen zu stürzen und mit übelsten Verleumdungen in Verruf zu bringen! Er nannte die Geschehnisse des vergangenen Jahres "das abgekartete Spiel einer abgefeimten Intrige" und rief die Signoria Tikalens auf, der mörderischen Kabale ein Ende zu bereiten.

Eher bescheiden war die Auswahl an zustimmenden Antworten (schließlich werden vier der elf tikalischen Herrschaften von Mitgliedern der angeblichen "Verschwörung" verwaltet), doch um so geharnischter war die Erwiderung der Beschuldigten: Der Rat der Gräfin erließ Haftbefehl gegen Signor Tharedion unter der Anklage des Rufmordes und der Aufwiegelung, Comto Rimaldo sandte seine Garde aus, und die anderen forderten "Satisfaktion" ob dieser ungeheuerlichen Infamität. Der Signor hatte sich jedoch in seine Feste, das Castello Lumiân zurückgezogen, und weigerte sich herauszukommen - und er erlaubte sich, dieser Weigerung mit einer Armbrustsalve auf die Garde des Regenten Nachdruck zu verleihen.


Tod beim Duell!

In diesem Momente sammelte der Baron Ariano von Treuffenau-Veliris seine Truppen, und manch einer dachte schon, daß er damit wohl auf Seiten des Lumiâners in die tikalischen Erbfolgewirren eingreifen würde. Doch blieb dies ein Trugschluß. Denn wie sich zeigen sollte, hatten sich Baron Ariano und Comto Rimaldo verständigt und allem Anschein nach ein Zweckbündnis geschlossen. So gab des Comtos Stimme bei der außerordentlichen Versammlung des Kronrates im frühen Tsa den entscheidenden Ausschlag dahingehend, daß Prinz Ralman von Firdayon-Bethana bei seinem Marsch gegen den Veliriser die Unterstützung der Kronregimenter versagt wurde. Der Makel, Tikalen für Shumir verkauft zu haben, wird Baron Ariano wohl noch lange anhaften (selbst wenn es andere gute Gründe gab, sich nicht hinter den aufständischen Signor Tharedion zu stellen).

Wie aber gelangte Comto Rimaldo in den Kronrat? Er war dort in seiner Funktion als 2ter Cammer-Richter, als Vertreter des yaquirischen Iustitiars, Seiner Hoheit Eolan Berlînghan, zugegen. Jener verließ Methumis nämlich nicht mehr, seit er von Marchese Nitor der unziemlichen Parteinahme für seine (in den Augen des Marches' verständlicherweise) schuldige Base Cavarya bezichtigt wurde. Die beiden älteren Herren wollten ihren Zwist jedoch nicht mit einem Duell beilegen, und so beließen sie es bei anfeindenden Briefen und kühlem Nichtbeachten. Das dies nur schwerlich mit ihren Amtspflichten zu arrangieren war, ist offenkundig! Die Integrität des Iustitiars, sein Ruf, der Ruf der Königsmacht Yaquirias, stand auf dem Spiel - das ließ Herrn Eolan zurücktreten. Und so willigte er dahingehend ein, einstweilen einen Vertreter zu allen Beratungen zu entsenden. Da boten sich ihm nur zwei Auswahlmöglichkeiten: Der Richter des Ucuri-Hofes, Marchese Nitor, mit dem er im Zwiste lag, oder der Richter des Horas-Hofes, Comto Rimaldo, welcher seine Base ursprünglich angeklagt hatte. Herzog Eolan nahm die Medizin, welche ihm weniger bitter schien, und wählte Herrn Rimaldo.

So also war Comto Rimaldo bei Hofe und entschied zu Baron Arianos Gunsten. Daraufhin sah sich der Vertreter des Comto Seneschalls, der Pfalzgraf Naumsteins, Delgado von Firdayon-Striazirro, genötigt, eben den di Scapanunzio zu reizen und ihm Falschheit vorzuwerfen, bis daß die Herren sich zum Duell verabredeten. Zwei Tage darauf, in den frühen Morgenstunden des 14. Tsa 2513 wurde vor den Mauern Naumsteins dem Ehrenrecht genüge getan. Bis zum zweiten Blute sollte das Gefecht geführt werden, und der Wachtmeister der finsteren Feste hatte über den Waffengang zu wachen. Als Adjutanten benannte Herr Rimaldo seinen Vetter Darian Sâl und Herr Delgado seine Schwester Mercusia. Zur Klinge war beiden Duellanten das Florett bestimmt. Und mit welcher Kunst es beide führen konnten, das hatte man bei vergangenen Ehrenhändeln wohl gesehen. Don Delgado war ein alter Haudegen, der gegen Mengbiller, Drôler und Novadihaufen mehr als häufig von seiner Waffe Gebrauch gemacht hatte. Zudem wurden ihm 23 Duelle zugeschrieben, von denen er 19 siegreich beenden konnte. Comto Rimaldo hatte Unterricht bei den berühmtesten Fechtmeistern des Horasreiches genossen und stand nach 41 Duellen unbesiegt (drei waren abgebrochen worden). Und wiederum sollte er die überlegene Hand behalten. Doch damit nicht genug: Der Streich, der dies Gefecht entschied, gerad' als ein Käuzchen in den Wäldern schrie, durchbrach sehr hoch des Pfalzgrafen Wehr, und aus dem eignen Impetus heraus fiel dieser in das feindliche Florett hinein wie auf einen Bratspieß. Frau Mercusia, der Waffenmeister und der Medicus eilten rasch herbei, doch war Don Delgados Ende schon beschieden. Wenige Augenschläge später hauchte er auf dem feuchten Gras sein Leben aus. Auch wenn keiner der Zeugen etwas Unrechtes an dem Manöver des Comtos finden konnte, wirft dies doch einen blutigen Makel auf seine Fechtkunst. Allen anderen war dies eine Warnung: Wehe, wenn der Comto blankgezogen...


Die Belagerung

Während sich die Truppen in Shumir massierten und auf das entscheidende Treffen vorbereiteten, zog in der Nachbarbaronie der Konflikt zwischen Regent Rimaldo und Signor Tharedion weite Kreise. Die ehrwürdige Alvana di Yaladan von Oberfels und Lumiân, eine Base des Signors, die als Persevantin Tresimont und Signora von Phecanohang ihre Frau stand, nahm auf Seiten ihres Vetters Stellung in dem Zwist. Und die Base Frau Alvanas wiederum, die Marchesa Alwene von Oberfels-Phecadien, Herrin über den Yaquirbruch, mahnte die Räte Bomeds zu Bedacht. (Und es heißt, daß die yaquirbrucher Signori, allen voran Herr Vascal ya Berîsac de Mantrash, das Eingreifen ihrer Lehnsherrin befürworteten.) Dem stand Marchese Nitor von den Goldfelsen entgegen, der darob böse Briefe gen Oberfels sandte. Da rangen also zwei Markverweser um der Königin Gehör, und das beließ den Streit im Tikaler Land.

Herr Rimaldo sandte noch zwei weitere Male eine Aufforderung an den Lumiân, sich zu ergeben, doch wurden beide - gelinde gesagt - abschlägig beschieden. Dann rief der Comto zu den Waffen und hieß seine Leute um die Burg des Aufständischen einen Belagerungsring zu legen. Diesen zu schließen gelang jedoch erst am 10. Ingerimm 2513, bis dahin wurde er noch allzu häufig von den Mannen des Signors durchbrochen. Eine "ausgewachsene Renegatenbande", wie der Comto zu sagen pflegt, hat sich im Castello Lumiân verschanzt. Neben den Kämpfern des Signors sind da desertierte Burgwachen aus Oberbomed, abtrünnige Schützen aus der tikalischen Cron-Companie, einige Esquirii aus anderen Herrschaften mit ihren Leuten und diverse flüchtige Personen, unter ihnen Argope Darumno, die Tochter der verhafteten Hofmeisterin. Die Belagerung hält Herr Cerrano von Wytzen im Auftrage des Regenten aufrecht. Ihm unterstehen die Bogner und Armbrustiere der "Tikaler Freischützen", ein Trupp leicht gepanzerter Reiter und die Aufgebote aus den Herrschaften Corheno und Cophirya. So blieb die Lage dort seitdem.


Tausend Türme Trauer

Fern am Schwarzen Reiche unter der Schwarzen Sichel ward am 23. Ingerimm 2513 eine Schlacht von gewaltigen Ausmaßen geschlagen. Gewaltig war ihre Wirkung auf Wohl und Wehe der zwölfgöttlichen Lande, und gewaltig waren auch die Listen, in denen die Schreiber die Verluste des Gemetzels notieren mußten. Die jungen Herren von Tikalen von Veliris gingen verschollen und haben schon als tot zu gelten, was jene, die Hoffnung in die Erb-Baronets setzten, ihrer Favoriten beraubte. Viel schwerer wiegt wohl für das Alte Reich der Verlust von Gerons Vetter, des jungen Prinzen Thiolan Berlînghan von Methumia, des einzigen Sprosses des alten Herzogs Eolan. Der Prinz, der mit seiner fröhlich-unbeschwerten Art die Herzen vieler für sich eingenommen hatte, fiel in der Dritten Dämonenschlacht, Seit' an Seite mit seinem Jugendfreund und Weggefährten Ulim di Yaladan, dem Sohn des methumischen Kanzlers. Die Überlebenden des Edlenzuges errichteten den beiden ein Grabmal am westlichen Ausgang der Trollpforte, auf dessen Architrav in Bosparano geschrieben steht: "Eins in allem, Brüder nur im Blute nicht, so stritten diese zwei gemeinsam, so fielen diese zwei gemeinsam."

Groß war die Ohnmacht in des Herzogs hunderttürmiger Hafenstadt. Methumis, das man auch Centurria geheißen, war schwer von Grabesstille, ernstem Schweigen und Mienen voller Anteilnahme für das herzogliche Paar. So türmte sich die Trauer hinauf bis in den Himmel, daß die Luft verdrängt schien vom Schatten von eintausend Türmen. Die Patrizier der Stadt, allen voran der alte Bankherr, Vizekönig und Marchese Cyrano ya Strozza, bezeugten den Verbliebenen ihre Ehre im Blauen Saal des Schlosses. Da hielt Herr Eolan seine Herzogin und Kanzler di Yaladan seine Tochter Tsasfira, und die Blicke waren leer oder grimm. Dumpf läutete Gong und Glocke zur Mittagsstunde, und die Bürger von Methumis beteten stumm für das Seelenheil des jungen Prinzen, des unscheinbaren Ulim und all der anderen.

Dann kam die Stunde, in der die Dame Cavarya Berlînghan ihren Anverwandten condolierte. Und der Blick der Herzogin wurde eisig. "Ihr Sohn war's, der unseren Thiolan in die Fremde lockte, damit er dorten umkäme!", sprach sie bitter, "Und Ihr, mein Gemahl, deckt dieses gemeine Weib und ihre Bälger. Ich kann sie nicht mehr sehen - ich bitte Euch, nein ich verlange: schickt sie fort!" Herr Eolan tat einen Seufzer, aber auch ihm stand Harm ins Gesicht geschrieben. Er hieß Frau Cavarya sich rasch zu entfernen.

Am 5. Praios 2514 schrieben Seine Hoheit Eolan: "...und so verbannen Wir diese Frau, die Unsere Base war, aus Unserer Gegenwart und wollen sie auch nicht mehr in den Grenzen Unseres Herzogtumes auffinden. Denn so Wir oder einer Unserer Advocaten, Magistraten und Soldaten die Genannte dort antrifft, so soll sie der Gerichtsbarkeit zu Gräflich Bomed übergeben werden, auf daß man über sie richte, wie Herr Praios es gebietet." Kaum war das Siegel unter dem Pergament erhärtet, sah man Cavarya aus dem Hause Berlînghan mit ihren Kindern auf einem Schiff die Stadt verlassen. Es heißt, es sei gen Teremon gefahren, im Seekönigreich Cyclopea, doch war bis heute keiner da, der dies bestätigt hätte.

Das war das Ende von des Herzogs Gunst und Gnade, und damit auch der Hoffnung, den Prozeß neu aufzurollen. So wie er, so versagte item die Signora Alvana di Yaladan von Oberfels und Lumiân, welche schließlich auch mit dem methumischen Kanzler verwandt war, nun der Sache der ehemaligen Baronsgemahlin ihre Unterstützung, und damit ward es leise um die Widersacher des Regenten Rimaldo.


Nehmt auf Euch den Tikaler Reif

So fiel kaum ein Wort, als der Hofsecretario ya Tarcallo am 16. Efferd 2514 die Oberacht über die Linie von Berlînghan-Tikalen verhängte, denn, so das alte Gesetz, wer sich nach Jahr und Tag nicht einfinde, um dem Urteilsspruch genüge zu tun, dem sei jedes Recht zur Revision genommen. Unauflöslich sei darum nun die Acht über dem gefallenen Hause (gleichwohl da auch niemand mehr im Königreiche Yaquiria ist, der diesem angehören würde). Dies war der Todesstoß für das alte Tikalen. Und so baten die Räte Bomeds und der Herzog von Grangoria höchstselbst Ihro Kaiserliche und königliche Majestät Amene-Horas, die Baronswürde Tikalens auf ein neues, würdigeres Haupt zu übertragen. Vierzehn Tage danach, am 30. Efferd 2514, inaugurierte der Hofsecretario Bomeds im Beisein zahlreicher Honoratioren den bisherigen Regenten der Baronie, Herrn Rimaldo in Amt und Würden Don Brodericos, soweit diese von der Obrigkeit bestätigt worden waren.

Allein der Titel "Unserer Frouwen RONdra Seneschall beim Meister des Bundes zu Arivor, Cavalliere des Ordens der Heiligen und Opfermütigen Frau Ardare vom Tempel zu Gareth in Arivor", den der alte Baron geführt hatte und der traditionsgemäß mit dem Tikaler Reif verknüpft war, wurde von Seiner Eminenz Dapifer ter Bredero und Coadjutor Nepolemo ya Torese noch zurückgehalten, als bis das die Rondratugenden des Comto Rimaldo geprüft seien. Drei weitere Bestallungen wurden am selben Tage vorgenommen, diesmal jedoch von anderen Händen: Baron Ariano bestätigte Herrn Farungil Berlînghan als Signor von Thurzo, Baron Rimaldo gab Herrn Arralin Aldubhor die Herrschaft Estoria zum Lehen und seinem Vetter Darian Sâl die Herrschaft Lumiân, die dem Renegaten Tharedion noch abzuringen sei.

Und so feierte man zu Bomed des Abends bis spät in die Nacht ein rauschendes Fest auf Kosten Seiner Edelhochgeborenen Exzellenz Rimaldo Tanglan Phexdan Cyrano di Scapanunzio, Comto von Corheno, 2ter Cammer-Richter Yaquirias, Ezhgl. Gr. Erzoberhofmünzmeister, achtzehnter Baron Tikalen nach des Neuen Vinsalter Königtums Stiftung, Kanzlist des Yaquirordens, Cavalliere vom Güldenen Passe Signor von Cophirya, Herr auf Yaquirwacht und Estoria.

Frank Bartels