Archiv:Das Ende des Edlenzuges (BB 20)

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Das Ende des Edlenzuges
Von der Heimkehr des Heermeisters und einer Schlacht, die nicht geschlagen ward

Abseits mit bitterer Miene stand Signor Teucras Irian Dorgando Schwarzenstamm de Solstono, Commandant der Freien Bosparanischen Compagnie von dem Heiligen Schlachtfahnen, und massierte seinen rechten Arm mit der guten Linken. Von den Lagerfeuern voraus drang das schallende Gelächter der albernischen Freischärler und thorwalschen Söldner zu ihm herüber. O diese Narren! Der Feind würde ihr stumpfsinniges Lärmen meilenweit hören und an den flammenbeschienenen Schemen ihre Stärke und Bewaffnung ablesen. Dann hieße er seine Bogner Aufstellung nehmen und ein oder zwei Daimoniden die Unglücklichen durcheinandertreiben, auf daß sie ein prächtiges Ziel abgäben ... Nein, keine Daimoniden, nicht mehr, nicht hier. Sie lagerten bei Kuslik, nicht bei Ebelried. Von jenen dort drüben hatte nicht einer die Schrecken der Schwarzen Lande gesehen und bei Praios würde es wohl auch nie. Er aber hatte.
Hinter ihm in den Schatten der Nacht geborgen standen die Zelte des Edlenzuges, zumindest jener Hundertschaft Überlebender, die ihm noch folgte. Kein Licht, kein Laut war dorther zu vernehmen. Wer brauchte Feuer in einer warmen Nacht? Was waren die milde schmeichelnden Lüftchen des lauen TSAmondes im Lieblichen Felde gegen die niederhöllische Kälte jenes längsten Winters vor Ysilia? Schweigsam verzehrten die Zugsleute ihr gewohnt knappes Mahl, während die anderen Krieger horasische Spezereien völlerten, als würden ihre Vorräte ewig reichen. Und ihre Offiziere, wenn man so sagen durfte, unternahmen nicht einmal den Versuch, das heitere Treiben zu unterbinden. Nicht nur aus taktischen Gründen hatte Teucras seine Leute ihre Zelte auf einem Hügel oberhalb der anderen aufschlagen lassen. Seine Durchlaucht den Prinzgemahl schien dies nicht zu stören, oder war es ihm entgangen? Die Talsenke barg den Schein der Feuer nur unzureichend, bot jedoch eine Umkesselung mehr als an, vielleicht sogar ein Bombardement. Und wenn der Boden der Senke nun selbst erwachte ... Nein, verdammt, nicht mehr, nicht hier. Der Griff der Linken wurde fester, zwingender.
Aber was tat er, Teucras de Solstono, an diesem Ort? Noch vor wenigen Wochen hatte das Unternehmen besser, strahlender ausgesehen. "Die alten Werte, die ritterlichcn Tugenden und das edle Gemüt, von dem der Adel seinen Namen hat, liegen am Boden im Reich der Horas, im ehrwürdigen Königreich Yaquiria, dem Lieblichen Felde, der Mutter Gerons, Lameas, Lutisanas, Festos und vieler anderer Helden. Stattdessen regieren dort Arroganz, Hoffart, Falschheit, Ämterkauf und Dekadenz. Den Blender umwirbt man, der Gerechte wird verspottet. Nur Schimpf und Schande erwartet einen Helden, und Treue wird mit Hohn vergolten. Das darf nicht sein, das muß ein Ende haben!" So hatte Seine Durchlaucht Romin Galahan gesprochen, Prinzgemahl der albernischen Königin und Erbe des Fürstenthrons zu Kuslik, und jedes seiner Worte war für Teucras wahr gewesen.
In Gareth ausgezeichnet, in Vinsalt vergessen. Er betastete die goldenen Spangen in Schwertform, die er zum Trotze trug. Die Kaiserin, in deren Garde er einst Hauptmann war, hatte ihm nicht eine Audienz gewährt. Die Mareschälle hatten ihn nicht ernst genommen. Die ranghöchste Heeresperson, die ihn für mehr als einen Händedruck empfangen hatte, war Erlgard von Irendor gewesen, die Directrice für das Kriegswesen und immerhin die Nichte des Staats-Mareschalls. Die Nichte! Und wo war Marchese Folnor Sirensteen während der Dritten Dämonenschlacht gewesen? Teucras wußte es nicht. Ja, man hatte ihm ein hohes Kommando angeboten – die Befehligung eines Halbregimentes im Süden der Drôler Mark .. irgendeiner stinkenden Grenzfeste voller Mengbillarer Mücken. Man wollte ihn abschieben, loswerden, sich von seiner düsteren Präsenz befreien. Alte Kameraden hatten ihm zugetragen, was der Hof von ihm dachte: Sein faltig-narbiges Gesicht war unansehnlich, seine Moralvorstellung unbequem, sein kriegerisches Auftreten unangebracht und er als Ganzes wenig amüsant. Mit der Bitterkeit im Herzen war er an die Front zurückgekehrt. Sie war seitdem nicht von ihm gewichen.
Da war der Fürst im albernischen Exile an ihn herangetreten, leidenschaftlich, geradheraus, beredt. Und Teucras hatte einen zweiten Brin in ihm gesehen. Ein Nicken Teucras', und die Edlen folgten ihm. Aber Romin war kein Brin. Zu ungestüm, nicht selbstlos genug. Kein kühner Stratege, kein erfahrener Regent. Brin war tot. Tot ... wie so viele. Eine irre, süße Sehnsucht überkam ihn mit dem Wehmut Marbos. Doch diesmal behielt Teucras seine Gcdanken in der Gegenwart. Die Lebenden harrten seiner Befehle. Die treuen Kampfgefährten. Randulfio Aurandis von Elmantessa, Rondrigo von Kabash und auch Larissa Korisande di Torrem-Alenee, die sich mit 'ihren' Andergastern wieder seinem Banner angeschlossen hatte, warteten bereits auf ihn. Die Lebenden bedurften seiner, des Heermeisters des Edlenzuges, als unbewegtem Anker in dieser verwirrend unergründlichen Welt. Er verbannte den Zweifel aus seinem Oesieht und wandte sich um.

Zwei Tage vergingen.

Das Gefecht war in vollem Gange. An diesem Morgen war das Glück nicht auf Seiten der Horastruppen. Der Verzicht auf Artillerie war ihnen zum Verhängnis geraten. Teucras de Solstono dagegen hatte den Prinzgemahl im Einsatz seines Heeres wohl beraten. Die Thorwaler hatten ganze Arbeit geleistet und die Reihen der gegnerischen Vorhut durchbrochen. Um den Kampfesmut des Hauptkontingentes war es nicht mehr gut bestellt, allein die Horasische Elitegarde hielt noch stand, und dahinter blieben die Bethanischen Bogner verborgen. Es war Zeit, die Zähesten der eigenen Soldaten in die Schlacht zu werfen und dem Feind den Todesstoß zu versetzen. Teucras ritt mit einer knappen Verbeugung von Fürst Romins Seite und ließ den Zug der Edlen aufmarschieren. Der Sturmangriff würde sie mitten durch die Horasgarde, die Schußweite der Bögen unterlaufend, in den Troß des gegnerischen Heeres tragen. Die Gelegenheit war allzu günstig, doch Mitleid mit einem Feind, so unterlegen er auch sein mochte, war ihm fremd geworden. Teucras maß die Distanzen und zog sein Schwert. Er hob die Hand. Worte waren keine nötig, die Frauen und Mannen achteten ohnehin auf ihn. Sein Roß schnaubte kampfeslustig unter ihm. Ein Augenblick des Atemholens.
Da hallte ein Ruf über das Schlachtfeld, mehr ein Brüllen von der anderen Seite her. "Meiner Treu, Teucras, was tust du da?" Etwas ließ ihn innehalten. Diese Stimme ... "Willst du die heiligen Banner mit dem Blut der eignen Landsgenossen tränken, sind sie nicht rot genug geworden?" Die Stimme, nein, das war unmöglich. Teucras Augen suchten, fanden. Dort, von nur wenigen Reitern umgeben, deren Pferde schweißbedeckt von scharfem Ritt waren, erblickte er eine vertraute Gestalt. Die Gesichtszüge konnte er von hier nicht ausmachen, aber die Statur stimmte, die Gestik und die Haarfarbe auch. Der viergeteilte Wappenrock fehlte, aber das war bedeutungslos. Teucras ließ den Arm sinken, langsam. Der Edlenzug rührte sich nicht. Der Heermeister nickte Rondrigo von Kabash zu, das Kommando zu übernehmen. Dann trieb er sein Streitroß an und auf die kleine Gruppe zu, den zornig fragenden Blick des Prinzgemahls in seinem Rücken ignorierend. Randulfio d'Elmantessa folgte ihm. Und von der Gegenseite setzten sich die Fraglichen in Bewegung, die letzte Kraft ihrer Reittiere nutzend. Mitten auf dem Schlachtfeld trafen sie aufeinander, und jeder Zweifel schwand.
Der Neuankömmling war Erbbaronet Geron Cornaro Tharguin Rondralieb von Berlînghan-Tikalen, der erste Heermeister des Edlenzuges, den alle seit der Dritten Dämonenschlacht tot glaubten. Aber hier war er, lebendig, und an seiner Seite erkannte Teucras Khorena da' Marascenta-Ardismôr und andere alte Kampfgefährten, die bereits vor Monden in die Heimat zurückgekehrt waren. Nur Gerons treuen Freund, den Erbbaronet Gareno Dracorio von Treuffenau-Veliris, der mit ihm verschollen war, konnte man nicht ausmachen. Für einen Moment war da nichts als Stille. Dann schwang sich Teucras vom Pferd, und der Tikaler tat es ihm gleich. Sie schritten einander entgegen, Geron die Hand auf dem Schwertknauf, der andere die Klinge nachwievor in der Rechten. Sie blieben auf Armlänge stehen und zählten die Falten, die im Antlitz des anderen hinzugekommen waren. Und ihnen beiden fiel auf, daß sie eigentlich junge Männer waren, "Was ist dir geschehen ...", hub Teucras de Solstono an zu sprechen, "... in all der Zeit seit jenem Tag in der Trollpforte?" "Das ist eine lange und traurige Geschichte," gab Geron von Tikalen die Antwort und frug seinerseits: "Und was ist euch geschehen seitdem?" "Auch das ist eine traurige Geschichte,", gab Teucras zurück. Wieder schwiegen sie, dann, plötzlich, fiel der Solstono auf ein Knie herab, neigte das Haupt und kehrte das Schwert in seiner Hand herum, so daß er den Griff Herrn Geron entgegenhielt. "Mein Heermeister..." Aber der Tikaler nahm die dargebotene Waffe und legte sie wieder fest in des Knieenden Hände, bevor er, selbst mit von Ergriffenheit belegter Stimme, erklärend sprach: "Nein, Teucras, du warst so lange ihr Heermeister nun, daß ich es nicht mehr bin. Ich bin nicht gekommen, um dich der Würde noch der Pflicht zu berauben, sondern nur um an dein Gewissen zu rühren." "Die Horasbürokraten haben die Tugend und die alten Werte verraten,", sprach Teucras, aber es lag wenig Überzeugung in seinen Worten. "Die alten Werte werden nicht durch solche Taten wieder auferstehen, sondern allein, wenn man die vorhandnen Vorbilder wieder zu verstehen sucht. Das aber liegt nicht in unserer Macht. Drum, Teucras, laß die Waffen sinken und die Frauen und Mannen heimkehren. Wir haben lang genug gestritten," "Wahrlich, lang genug," Teucras griff die ihm dargebotene Hand und richtete sich auf. Die beiden tauschten einen Händedruck nach Art der alten Bosparaner, dann umarmten sie einander mit der Innigkeit zweier Freunde, die sich seit Jahren nicht gesehen haben, und ringsum wärmten sich die Herzen.
Dann bestiegen sie wieder ihre Pferde. Teucras riß das seine herum, neigte knapp das Haupt zum Prinzgemahl hinüber und rief der Compagnie zu: "Laßt ab, Mitglieder des Edlenzuges, laßt ab! Geron von Tikalen ist zurück, und er und ich haben beschlossen, daß dies hier unsere Sache doch nicht ist. Senkt die Waffen und die Fahnen, wir rücken ab." Die Frauen und Mannen taten wie geheißen, und manchem entfuhr dabei wohl ein Seufzer der Erleichterung. Dann lösten sich die Formationen auf, die Leute brachen aus den Reihen hervor in Richtung ihrer beiden Heermeister, des neuen wie des alten, und verließen hinter ihnen müde, aber unbesiegt und aufrecht, den Ort des Treffens. Vom Feldherrenhügel hörte man Fürst Romin fluchen.
So ging die Schlacht verloren, und der vermeintliche Befreier aus dem Hause Galahan mußte zum zweiten Mal in wilder Flucht das Land verlassen. Die Edlen des Zuges verstreuten sich über das ganze Königreich. Signor Teucras und Baronet Geron aber wurden – mit starker Bedeckung – vom Prinzen Ralman von Firdayon-Bethana ins nahe Horasia zum Rapport bestellt.

Frank Bartels unter Verwendung vieler Ideen von Peter Diehn