Briefspiel:Bomeder Delegation in Elenvina/Der Mann mit dem goldenen Schlüssel
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Der Mann mit dem goldenen Schlüssel
Elenvina, Praios 1048 BF – auf dem Turnierplatz
Aus der Sicht von Alwene Sâlingor, 11 Götterläufe alt
Alwene hatte gesagt, sie wolle nur kurz nach den Enten sehen.
Es war nicht gelogen. Im Teich hinter dem Rosengarten quakten sie so herrlich albern, wenn man Kieselsteine ins Wasser warf. Und Paloma hatte gerade mit Mama über etwas gesprochen, das so klang wie „Yaquir-Spitzel“ und „Maskerade bloßgelegt“, also war es sowieso langweilig.
Aber dann hatte Alwene im Augenwinkel etwas gesehen, das ihren Atem stocken ließ.
Ein Mann in weiß-goldenem Wams, mit einem schweren Ring aus Schlüsseln an der Hüfte, war zwischen den Zelten hindurchgeschlichen. Nicht marschiert wie ein Herold. Nicht getrippelt wie ein Höfling. Nein, geschlichen wie Onkel Praiesco, wenn er heimlich in der Speisekammer in Bomed mit dem Finger in die Zuckerdose tunkte.
Alwene hatte leise gekichert, aber dann gesehen, wohin der Mann ging: zum Zelt ihres Vaters. Und schlimmer noch: Er hob das Tuch an und schob sich hinein, ohne auch nur zu klopfen. Kein „Bei Rondra, ist jemand da?“, kein „Die Zwölfe zum Gruße“, nicht mal ein „Hallo?!“.
Was dann geschah, war … heldenhaft. Also zumindest für sie.
Alwene war gerannt. Nicht geschlurft. Nicht gewandelt. Nein, gerannt, durch die Zelte, über die Wiese, an einem Barden vorbei, der gerade eine laute Laute stimmte, bis sie vor der Plane ihres Vaters stand. Ihre Hände zitterten ein bisschen, als sie das Tuch hob und in das Halbdunkel spähen wollte.
Da hörte sie Stimmen. Männlich. Tief. Fremd.
„…muss es sein. Dunkle Rüstung, kein Wappen, niemand kennt ihn, denkt ihr wirklich, der Schwarze Ritter ist irgendein namenloser Recke aus den Yaquirreich?“
„Ich schwöre dir, ich habe den Wappenschild gesehen, ganz kurz, als er vom Pferd stieg. Ich sage, das war Hochadel.“
Alwene schluckte.
Der Mann mit den Schlüsseln hatte also nicht nur neugierig gespielt, er wollte herausfinden, wer ihr Vater war. Und das durfte niemand wissen. Das war doch das ganze Spiel, das Masken-Spiel, das Mama ihr erklärt hatte, mit den Worten: „Wenn jemand fragt, ist Papa nur ein mutiger Ritter. Nicht dein Papa. Und nicht der Graf.“
Und jetzt? Was tun?
Alwene blickte sich um. Dann sah sie es, einen Wassereimer, schräg neben dem Zelt. Daneben lag ein Holzknüppel. Und ein Sack mit Kastanien.
Ein Plan entstand. Kein guter. Aber ein lauter.
Sie schlich zur Seite des Zelts, nahm den Eimer, balancierte ihn über das offene Tuch des Eingangs, kippte ihn leicht an und kickte mit dem Fuß gezielt gegen den Sack Kastanien.
KLATSCH, PRASSSEL, KLONG.
Ein Schwall Wasser platschte vor die Füße der Männer im Innern. Der Sack platzte auf, Kastanien rollten in alle Richtungen. Der Eimer schepperte. Und ein Kind mit roten Wangen stürzte unter dem Tuch hervor, rief: „Oh nein! Mein Übungsziel! Ich übe gerade Ritterkampf mit Wassereimern!“
Zwei Männer, durchnässt, wütend und völlig überrascht, starrten sie an.
„Kind!“, brüllte der eine.
„Oh! Ihr seid gar nicht Paloma!“, sagte Alwene mit der süßesten Stimme, die sie je benutzt hatte. Dann duckte sie sich, rannte davon und rief: „Mama! Der Eimer ist schon wieder umgefallen!“
Sie lief. Und lachte. Und hatte das Gefühl, eine Schlacht gewonnen zu haben.
Denn als sie später das Visier des Schwarzen Ritters geschlossen sah, wusste sie: Ihr Vater konnte weiterkämpfen. Inkognito. Und sie war kein Kind gewesen. Sie war eine Heldin gewesen.