In Sachen Ramaúd/Pandolpho Weyringer zu Gast in der Villa Pechstein

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Dieser Text entstand im Rahmen des Briefspiels In Sachen Ramaúd und schildert die Unterredung Pandolpho Weyringers, Castellan der Residenz von Ramaúd mit Maestra Roana Pechstein in der Villa Pechstein am 4. Rahja 1033 BF.

4. Rahja 1033 BF, Craco an der Kupferküste, Landgut der Familie Pechstein

Die Frau saß mit dem Rücken zur Tür in ihrem hölzernen Sessel, als Pandolpho eintrat. Der in die Jahre gekommene, aber immer noch rüstige Mann starrte eine Weile auf den Siegelring seiner Familie, den er sich vor etwa einer Dekade aus Mammuton hatte fertigen lassen. Er wusste, dass die Maestra keine große Freundin von Unterbrechungen ihrer manchmal Stunden andauernden Kontemplationen der Landschaft der Kupferküste war. Also wartete er ab und befasste sich derweil mit dem Zustand seiner Stiefelspitzen. Dieser vermaledeite Waldmensch hatte schon wieder eine Stelle übersehen! Einer der überschaubaren Vorzüge gegenüber der früheren Politik im Umgang mit Dienstpersonal von den Waldinseln war derjenige, dass man Unfähige ohne nennenswerte Anstrengungen und finanzielle Einbußen schlicht entlassen konnte. Ob Kusmina Galahan diesen Vorteil auch gesehen hätte? Weyringer lächelte über diesen Gedanken und ließ das Lächeln breiter werden, als sich Roana Pechstein endlich zu ihm umwandte.
Die Frau mit den hohen Wangenknochen war noch immer eine charismatische Erscheinung, auch wenn sie in den vergangenen Jahren stetig abgenommen hatte. Ihre grauen Haarsträhnen im mächtigen Dunkelbraun gaben ihrem hageren Äußeren den Anschein ergrauter Schönheit. Ihre tiefliegenden Augen ließen sie jedoch stets lauernd dreinblicken, lauernd auf jeden Fehler ihrer Gegenüber, seien sie Feinde, Verbündete oder gar Freunde. Pandolphos Lächeln begann zu gefrieren. Von Freunden hatte er in all den Jahren, die er die Maestra kannte, noch nie etwas gehört. Roana Pechstein hatte alle überlebt. Sie war bereits unter dem alten Trabbacantes Maestra von Ramaúd gewesen, unzählige Male wiedergewählt worden, von wechselnden Koalitionen der Bürgerschaft. Sie hatte den Streit der Trabbacantes-Brüder mit ihrem Bastardverwandten re Kust erlebt und sich auf die Seite der Gewinner gestellt. Sie hatte Gwydeon Garlischgrötz und Romualdo Trabbacantes als Landherren von Westenende überlebt. Pandolpho würde jede Wette eingehen, dass sie auch noch den neuen Vogt, Thuân della Gribaldi überleben würde. Der Kusliker hatte aufgrund vielfältiger Verpflichtungen kaum Zeit für Ramaúd, so dass die faktische Macht in der Stadt schon jetzt bei Roana lag.
Es war wichtig, dass sie seine Meinung über das anstehende Problem teilte. Nur eine Person in Ramaùd hatte mehr vom Aufstieg der Trabbacantes – und deren raschen Ende – profitiert als Roana – und das war Pandolpho Weyringer selbst.
Mit ruhiger Stimme wandte sich die Maestra nun an ihn. „Castellan Weyringer, Ihr habt ein Anliegen?“ Pandolpho breitete die Hände aus und bewegte unruhig seine Stiefel. Er entschied sich, ohne Umschweife zum Kern der Botschaft zu gelangen, die er kürzlich erhalten und die ihn so beunruhigt zurückgelassen hatte. „Vor wenigen Tagen erhielt ich ein Schriftstück eines Vertrauten aus Vinsalt, Maestra. Scheinbar streckt ein gewisser Herr von Ramaùd wieder seinen faltigen Hals aus dem Panzer.“ Er lächelte gewinnend ob dieser Polemik, Roana blinzelte nur. Der Castellan räusperte sich und fuhr fort. „Scheinbar hat Signore Gishtan die Unterstützung eines Rechtsgelehrten gefunden, eines Mitgliedes eines eher berüchtigten als berühmten Sheniloer Hauses. Dieser durchstöbert seit Wochen und Monaten die Archive der Rechtsschule von Vinsalt, angeblich möchte er gar das Heraldische Tribunal einschalten. Es gibt keinen Zweifel, dass er nach Wegen sucht, das Urteil der Reichsgerichte über das Erbe Ramaùds zu kippen.“ Er wartete einen Augenblick und fuhr sich mit der Zungenspitze über die wulstigen Lippen.
„Wenn Signore re Kust etwas für die Jurisprudenz tuen möchte, sei ihm das vergönnt, Castellan. Ich glaubte die Sache ist eindeutig?“ Das Zucken einer Augenbraue verriet die Ungeduld der Maestra. „Das war sie auch, Maestra und ist sie zweifelsohne noch immer!“ beeilte sich Pandolpho zu versichern. „Indes...“ er nestelte am Ärmel seines Wamses herum. „Ich habe mir erlaubt, der Sache einmal nachzugehen und musste in Erfahrung bringen, dass besagter Rechtsgelehrter, Signore Leophex von Calven, meine ich, sei sein Name, nicht länger in Vinsalt weilt, sondern nach Shenilo zurückgekehrt zu sein scheint. Zunächst hoffte ich, dass ihm einfach nur sein Geld ausgegangen ist. Doch dann erfuhr ich, dass im Umfeld seiner Rückkehr die Oberhäupter mehrerer Familien der Stadt auf dem Gut Zweiflingen, wo Signore Gishtan residiert, weilten. Ich fürchte, Gishtan hat etwas gefunden.“ Er beendete seine Ausführungen mit diesen etwas vagen Hinweisen und blickte die Maestra erwartungsvoll an.
„Eure Beunruhigung würde mich amüsieren, wenn sie nicht so jämmerlich wäre, Castellan.“ Der Tonfall der Stimme der Maestra hatte sich nicht geändert. Dennoch blinzelte Pandolpho unter diesem Peitschenhieb. „Fürchtet Ihr, dass Euch endlich Eure alten Loyalitäten einholen könnten. Was kümmert es mich, was Signore Gishtan ‚gefunden‘ hat?“ Pandolpho schluckte. „Nun sicherlich werdet Ihr mir zustimmen, Maestra, dass nur unschwer zu erahnen ist, wie der Signore zu all jenen steht, die Anteil daran hatten, dass seine – zweifellos unrechtmäßigen – Ansprüche seit zwei Dekaden unerfüllt blieben. Naturgemäß würde ein Wechsel in der Herrschaft auch Eure eigene Position...“ Roana Pechstein machte eine knappe Handbewegung. „Seit Jahrzehnten bin ich eine treue Dienerin dieser Stadt und ihrer Herren. Ich habe mich stets um strikte Neutralität in politischen Zusammenhängen bemüht. Ich...“ sie betonte das Wort, „muss keine Strafe für mein Tun fürchten, Castellan!“ Sie wandte sich zum Fenster, die Sache schien für sie erledigt. Pandolpho rieb sich den Hals, als fühle er bereits einen Strick darum. Doch so schnell gab sich ein Weyringer nicht geschlagen! „Natürlich nicht, Maestra! Doch werdet Ihr mir zustimmen müssen, dass mit Signore Gishtan Gefolgsleute, Getreue und Speichellecker nach Ramaùd kommen würden, sollte er wahrhaft etwas gefunden haben. Auch Ihr schätzt nicht den prüfenden Blick über die Schulter, wie ich meine...“
Für einen Augenblick war Pandolpho sicher zu weit gegangen zu sein, als er das sich verfinsternde Gesicht der Maestra sah. Eine endlos wirkende Weile lang blickte sie ihn ausdruckslos an, ihre Abneigung sprach nur aus ihren Augen. Dann drehte sie sich wieder zum Fenster. Pandolpho sackte in sich zusammen, hielt aber noch die Luft an. Sein Warten wurde belohnt. „Gut, ich denke, es wird nichts schaden, wenn wir die Augen ein wenig offen halten, Castellan. Womöglich gelingt es zu ergründen, welche Absichten Signor Gishtan verfolgt, auf dass Ihr ruhiger schlafen könnt.“
Pandolpho Weyringer bedankte sich überschwänglich und verließ die Kammer der Maestra. Draußen tupfte er sich zunächst den Schweiß mit dem Ärmel von der Stirn und beeilte sich dann, seine Kutsche zu erreichen. Er musste dringend einige Briefe schreiben.