In Sachen Ramaúd/Richezas Eintreffen

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Dieser Text entstand im Rahmen des Briefspiels In Sachen Ramaúd und schildert eine Szene abseits des großen Treffens auf Gut Zweiflingen.



11. Rondra 1036 BF:

Der Wind hatte sie hergetragen, der launische Wind, der in dieser heraufdämmernden Nacht von Osten her über die Ponterra wehte, ein wenig frisch für die Jahreszeit, ein wenig stärker als sonst. Wieder einmal war sie in seinem Leben aufgetaucht, unvermittelt, unverhofft, wie so oft schon.
Beinahe hatte er sich ein wenig erschrocken, als er gedankenversunken, eine Hand an der papierenen Rinde des Elefantenbaumes, über den Ausgang des bevorstehenden Duells nachgesonnen hatte, den Blick auf die ersten Steine der Kapelle gerichtet – ob er deren Vollendung noch miterleben würde? –, der Kapelle zu Ehren der Heiligen Rahjalina, jener Hochheiligen der Schönen Göttin, die, der Sage nach, im Traume den Bosparanjer erfunden hatte; wie im Traume waren seine Gedanken zu ihr geflogen, wie im Traume hatte er ihre Stimme hinter sich vernommen, und als er sich – erschauernd – umgedreht hatte, hatte sie da gestanden, leibhaftig; da stand sie noch immer.
„Da also wohnt Ihr nun„, sagte sie. Sie hielt einen Caldabreser in beiden Händen, die Straußenfeder wiegte im Wind, ihr Haar umspielte ihre schlanken Schultern. Gut sah sie aus, das Haar noch immer schwarz und voll, ohne eine Spur von Grau, die Wangen rosig vom Wind oder dem letzten Schimmer des Tages, der im Westen verblich, nur in den Augenwinkeln, da zeigten sich die ersten tieferen Falten, doch jetzt, da sie lächelte, schienen die Falten nicht Zeichen des Alters, nur der Freude.
Sie trug ein blaues Wams, mit Silber bestickt, die Reiterhosen edler als meist, die Stiefel blank, noch selten getragen. Kleine Veränderungen, die ihm doch nicht entgingen, etwas war anders, etwas in ihrem Lächeln, freier, froher vielleicht, ohne den bitteren Zug, die sorgenvollen Schatten, die so oft ihr Gesicht verhangen hatten, die Kleider wohl gewählt, nicht zufällig zusammengestellt, wie oft zuvor, nichts wirkte gleichgültig oder gar nachlässig, hier stand sie, ruhig wie der Baum hinter ihm, kein von den Winden geschüttelter Stamm, nein, einer, der ihnen trotzte, der sich nicht um sie scherte, hier stand eine andere Frau, und doch war sie ihm so vertraut, das es beinahe schmerzte.
„Der Moha hat gesagt, dass ich Euch hier finde. Störe ich Euch? Ihr habt Besuch, wie ich bemerkte.“ „Er stammt vom Volk der Oijaniha...“, setzte Gishtan aus schierer Gewohnheit zu einer Korrektur an, ehe er seine Überraschung überwand. „Ach, was soll's... Viel wichtiger: Seid Ihr's wirklich, oder lediglich eine tröstende Erinnerung, die Phex mir schickt, weil er mich trotz all meines Feilschens und aller Vorkehrungen schon morgen früh als weiteren Stern an die Sphärenschale heften wird?“
Ehe seine unerwartete Besucherin antworten konnte, trat er einen Schritt auf sie zu. Vom Haupthaus des Guts her, wo die verbliebenen Gäste tranken, tanzten und scherzten, fiel etwas Licht auf sein Profil. Es zeigte nicht die vertraute Selbstsicherheit, die er sonst auch inmitten Dutzender Hochadeliger nicht ablegte, und un die ihn wohl mancher beneidete. Die Last seiner Lebensjahre und die Sorge vor Bevorstehendem schienen auf sein Gemüt zu drücken.
„Ja, hier wohne ich seit einigen Götterläufen. Die Casa ist nicht herausragend groß, und der Park bedarf noch einiger Pflege, aber solange mir die Stadt und die einflussreichen Familien gewogen sind, habe ich hier dank Weinbergen und Perlweinabfüllung Auskommen und Bleibe. Und in der Tat sind viele Gäste sind in diesen Tagen hier. Doch hätte ich gewusst, dass Ihr mich und diesen Ort beehren wollt, so stünde Zweiflingen allein für Euch bereit. Was bringt Euch so unterwartet hierher? Seid Ihr tatsächlich hier?“ Er streckte die Linke aus, um die langjährige Vertraute zu berühren, vielleicht um zu prüfen, ob er sich ihr Hiersein nicht bloß einbildete.
Richeza von Scheffelstein y da Vanya lächelte, als sie die hingehaltene Hand in die ihre nahm und sacht drückte. „Ich habe Eure Briefe erhalten“, sagte sie. „Und wie ich in meinem letzten schrieb, war... ist es mir ein Bedürfnis, Euch wiederzusehen, statt nur Worte auf dem Papier auszutauschen.“
Sie betrachtete ihn einen Moment schweigend. „Ihr gebt ein Fest?“, fragte sie dann. „Darf ich annehmen, dies sei als gutes Zeichen zu werten und Ihr habet, was Euch zusteht, für Euch einfordern können?“ Doch ehe er antworten konnte, schwand ihr Lächeln ein wenig und sie trat näher. „Gishtan, was meint Ihr damit, Phex wolle Euch zu sich holen? Ihr seht müde aus. Erschöpft, möchte ich beinahe sagen. Seid Ihr Ihr seid doch nicht etwa erkrankt?“ Sorge schwang in ihrer Stimme mit.
Gishtan schaute die Almadanerin einen Augenblick lang fast so verblüfft an, als ob sie ihm gerade erzählt hätte, Kaiserin Rohaja sei in Wahrheit in Mann. Dass jemand sich um seine Gesundheit sorge könne, schien für ihn verwunderlich zu sein. „Krank? Nein... nicht soweit ich wüsste. Peraine hat es immer gut mit mir gemeint, obgleich ich ihr dafür viel zu selten dankte.“ Er setzte ein Lächeln auf, das einer anderen vielleicht als glaubhaft erschienen wäre, nur um gleich wieder ernst zu werden.
„Dieses Fest... ich habe Euch absichtlich nicht dazu eingeladen. Ich wollte, Ihr könntet mich so in Erinnerung behalten, wie wir in Perricum voneinander Abschied genommen haben. Seither ist manches geschehen, aber in manchen Belangen weniger als ich mir gewünschte hätte.“ Nun erst fiel seiner Besucherin auf, dass er zu Beginn ihres Gespräch keine Tobakrolle in der Hand gehalten hatte. Auch nun, näher bei ihm, fehlte der gewohnte Rauchgeruch von seinen Gewändern.
„Auf meinem Erbe haben ministeriale Günstlinge noch immer ihre Finger, denen ich es nicht alleine entreißen kann. Schlimmer noch: Der Ränkeschmied in Ramaúd hat meinen Halbbruder Kalman gegen mich aufgehetzt, gar versucht, nicht nur mich, sondern auch meine Gäste zu vergiften. Morgen nun soll ich Kalman begegnen, der glaubt ich hätte meinerseits einen Anschlag auf ihn gedungen – und muss ihn davon überzeugen, nicht gegen mich, sondern an meiner Seite gegen die Schurken in Ramaúd zu streiten. Dabei will er mich sicher so schnell und schmerzhaft wie möglich durchbohren.“
Er wies hinüber zum erleuchteten Salon: „Dieses Fest... es könnte mein Leichenschmaus sein. Mancher da drin ist vielleicht nur gekommen, um morgen früh leibhaftig Zeuge des Endes des Gishtan re Kust zu werden. Damit habe ich gerechnet, als ich die Versammelten einlud, auch wenn ich ihnen das nicht sage – dem Tod muss man mit einem Lachen entgegentreten, nicht verzagt.“
Der alternde Diplomat pflückte eine unreife Olive von einem der umstehenden Bäume, biss hinein, spuckte sie wieder aus: „Wenn es nur um mich und meine Ziele ginge... kein Gewinn ohne Risiko. Aber jetzt verlassen sich so viele in der Stadt auf meinen Rat und meine Führung. Bald wird ein neuer Gransignor gewählt, und ich sollte doch dafür sorgen, dass wieder der Richtige das Amt erhält. Wenn es der Falsche wird? Und ich nicht mehr da bin, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten? Wenn sich die mächtigen Familien zerfleischen? Ach... die Sorgen enden nicht.“
Die Landedle beobachtete den Freund, während dieser sprach, ruhig, doch ihr Antlitz verdüsterte sich zusehends, und als er geendet hatte, lag ein grimmiger Zug um ihren Mund. „Was redet Ihr da?“, fragte sie unwirsch und fasste seine Hand ein wenig fester. „Ihr werdet nicht sterben! Fürchtet Ihr die Klinge Eures Bruders? Dann Schande über ihn, dass er sein Blut nicht ehrt, mögt Ihr nun ein Bastard sein oder nicht! Oder fürchtet Ihr diesen Kerl in Ramaúd, der gegen Euch intrigiert? Wer ist dieser Feigling, dass er Euch nicht geradeheraus fordert? Sie runzelte die Stirn noch weiter. „Und was soll das überhaupt heißen: Ihr habet mich nicht hergerufen, weil Ihr wolltet, ich solle Euch so in Erinnerung behalten, wie wir uns trennten? Was für eine Narretei ist das, Gishtan? Ihr wollt doch nicht etwa sterben?“
Wie aus einem bösen Traum erwacht blickte der Baron nach diesen harschen Worten die Vertraute an und erwiderte mit steigendem Nachdruck: „Ich will nicht sterben... Ich werde nicht sterben... Ich fürchte nicht um mich... denn ich bin nicht alleine!“ Das Leuchten einer Erkenntnis bemächtigte sich seiner Miene, der Blick kehrte ins Hier und Heute zurück: „Ihr seid hier – weil Euch an mir liegt. Und meine Gäste sind hier – weil Ihnen an mir liegt – oder zumindest an meiner Funktion im Gemeinwesen. Ich bin nicht alleine!“
Gishtan fasste Richezas Hand mit seinen beiden und sprach nun fest und ernsthaft: „Ihr wisst, dass ich Euch immer lieben werde. Auch wenn bald schon Travia eine andere an meine Seite stellen wird, die ich ehren und achten will. Phex hat Euch heute hierher geleitet. Nicht allein um unsere Verbundenheit zu zeigen und zu bestärken, sondern auch damit Ihr mir ein Fingerzeig seid, wie ich ohne Furcht in den Kampf ziehen und diese Sache auf Seine... meine Weise beenden kann. Verehrte, es wäre mir ein großes Vergnügen, wenn auch Ihr mich morgen zur Duellstatt geleiten würdet. Und falls ich Kalman den Kaiman überzeugen kann, das Erbrecht gemeinsam einzufordern, so hätte ich Euch zu gern zu meiner Linken, wenn wir vor dem Stadttor von Ramaúd stehen.“
Richeza betrachtete den Horasier einen Moment lächelnd, wiewohl das Lächeln überrascht, ja fast auch ein wenig steif wirkte. „Ihr werdet heiraten“, sagte sie und blickte an ihrer beider Hände vorbei, die einander noch immer umschlossen, zu Boden. Fast war ihm, als zeigten ihre Wangen eine plötzliche Röte, doch in der zunehmenden Dunkelheit mochte er sich täuschen. „Ich... Gishtan... gewiss werde ich Euch begleiten, wenn Ihr das wünscht und es Euch hilft, Euren Gegnern unverzagt entgegen zu treten. Und seid gewiss, dass ich die Klinge rasch bei der Hand habe, sollte jemand es wagen, Euch vor oder nach dem Hader zu Leibe zu rücken.“
Sie schwieg kurz, betrachtete ihre Hand in der seinen, und ihm schien, als zitterten ihre Finger ganz leicht. Sie sah ihn wieder an, schürzte die Lippen, holte Luft, atmete ganz langsam wieder aus. „Gishtan, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ihr seid... Ihr habt mir immer viel bedeutet... nein, nein, ich meine: Ihr bedeutet mir viel! Ihr seid vielleicht... der einzige... wahre Freund, den ich je hatte. Ich meine... Ihr Götter, verflucht, ich sage es bestimmt falsch!„ Sie schüttelte den Kopf, seufzte. „Vielleicht... werde auch ich heiraten. Vielleicht bald. Vielleicht später. Wenn die Götter es gut mit mir meinen, wenn sie mir nicht zu sehr zürnen, wenn... Oh, Gishtan“, sagte sie und drückte seine Hände, „ich will nicht, dass Ihr denkt, Ihr wäret mir nun egal. Und doch... vielleicht... ich meine: möglicherweise wird sich die Natur unseres Aufeinandertreffens... äh... vielleicht wird nicht mehr immer alles so sein wie bisher.“
Ihre Wangen waren nun gerötet, jetzt war er sich sicher. Der Ausdruck in ihren Augen hatte etwas Verunsichertes, vielleicht gar Verzweifeltes. „Kann man zwei Männer lieben?„, fragte sie leise. „Auf unterschiedliche Weise? Ach, wer hätte je gedacht, dass ich überhaupt wieder des Liebens fähig wäre, und nun das!„ Sie wich seinem Blick aus. „In Almada schien alles so einfach, während der letzten Jahre, doch nun...“ Sie löste eine Hand aus der seinen und wischte sich über das Auge. „Sterbt nicht!“, sagte sie. „Das würde mein Leben zu einfach machen!" Sie schluckte. „Und ungleich leerer.“
Da war es wieder, das zuversichtliche, freundliche, ein wenig nachsichtige Lächeln, das der Almadanerin im Lauf der Jahre so vertraut geworden war, und das wohl kaum sonst jemand zu sehen bekam. Der Horasier hielt weiter ihre Hände, sah wohl keinen Anlass, sie loszulassen. „Wenn die Götter wollen und wir müssen – und darüber, dass dies aufgrund dynastischer Erfordernisse kaum zu vermeiden ist, haben wir schon lange gesprochen – so sollen, werden wir wohl beide früher oder später einen Travienbund schließen. Ich hoffe, dass dies zwischen uns nur wenig verändern wird. Da Eure Bestimmung in Almada liegt und die meine hier, lassen sich Veränderungen nicht verhindern. Solange das, was kommt, nicht den Kern dessen beschädigt, was uns verbindet, kann unsere innige Freunschaft fortbestehen. Kann man zwei Menschen lieben? Ich bin kein Geistesgelehrter, aber meiner Meinung hat die Liebe mehr als nur eine, und auch mehr als bloß drei, Facetten. Das Begehren mag wegfallen, erlöschen müssen, aber die Fürsorge, die Zuneigung, die Freude am hellen Verstand und lebendigen Wesen des anderen dürfen fortbestehen. Auf diese Weisen werde ich Euch immer zugeneigt bleiben, und hoffe von Euch das Gleiche. „Solange ich nicht die letzte Karte gespielt habe, den letzten Horasdor gesetzt, solange soll mich der Fuchs nicht zu sich holen. Wen ich's vermeiden kann, so soll durch mich keine Leere in Euer Leben Einzug halten.“
„Ich würde Euch rächen“, sagte sie. „Und Euch vermissen.“ Lächelnd sah sie ihm in die Augen, senkte kurz den Blick nach links unten, hob ihn wieder, und ihr Lächeln bekam den koketten, beinahe verschlagenen Zug, den er an ihr liebte. „Noch“, flüsterte sie, „sind wir frei.“ Sie ließ seine Linke los, legte ihre Hand an seine Wange und küsste ihn.


(kl, wus)