Nachricht für den Signor
Dieses Geschichtenfragment entstand im Sommer 2011 als Teil des Briefspiels um die geheimnisvolle Verehrerin des damaligen Signors Gishtan re Kust.
(Shenilo, 29. INGerimm 1033 BF)
"Rahjada, könntest Du bitte einen Brief für mich schreiben?", bat Sharane die junge Schreiberin, "wo du schon grade hier bist?" Rahjada lächelte. "Nun ja, ich bin ja auch nicht ganz zufällig hier. Ein Schreiben mehr macht das Kraut nun auch nicht mehr fett. Also, an wen soll der Brief gehen?" Sharane schmunzelte bei Rahjadas bissigem Kommentar und begann dann zu diktieren. "Hochgeschätzter Gishtan re Kust...."
Kurz zuckte Rahjada zusammen, als Sharane den Namen dieses Mannes nannte. Es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung, so zu tun, als wäre dieser Brief einer wie jeder andere für sie. Doch das war nun wirklich nicht der Fall. Der Brief würde an IHN gehen. Wie sie hoffte, ihn bald wieder sehen zu können, auch wenn er - wie üblich - keine Notiz von Ihr nehmen würde. Wie auch, da er ja nicht wusste, von wem er da gelegentlich heimliche Briefe bekam. 'Konzentrier' dich Rahjada, sonst fällt es noch auf!', schalt sie sich selbst und versuchte sich auf Sharanes Worte zu konzentrieren. "...verfolge ich mit regem Interesse... Hast du das?" setzte Sharane ihr Diktat fort. Leise kratzte die Schreibfeder über das Papier, während Rahjada nickte und ohne Pause weiterschrieb.
Wenig später war der Brief fertig. Sharane setzte noch ihre Unterschrift unter den Brief und siegelte ihn dann. "So, das wäre erledigt. Könntest Du ihn auf dem Heimweg gleich dort abgeben? Alrizio ist gerade wegen eines Handelsgeschäfts unterwegs und Lessa mag ich nicht schicken. Sie ist noch nicht wieder richtig gesund." Bittend blickte Sharane die junge Schreiberin an, der für einen kurzen Augenblick die Schamesröte ins Gesicht stieg. "Ich?!? Nun ja... also... wenn du meinst", stammelte sie kurz und nahm den Brief an sich. "Ich muss ja sowieso in die Richtung", fuhr sie dann etwas gefasster fort und nahm den Brief an sich. "Danke, das ist sehr lieb von dir", meinte Sharane und lächelte erleichtert. "Dann mache ich mich mal auf den Weg", sagte Rahjada und packte ihre Schreibsachen zusammen. "Wir sehen uns dann übermorgen wieder." Sharane nickte und wenig später war Rahjada auf dem Weg zum Heim von Gishtan re Kust, um den Brief zu überbringen.
Was, wenn er sie erkannte? Würde er überhaupt da sein? Mit jedem Schritt stieg die Nervosität in Rahjada an. Bestimmt hatte sie bereits einen hochroten Kopf. So atmete sie erst ein paar Mal tief durch, bevor sie an die Tür von Gishtans Haus klopfte.
Es dauerte einige Zeit, nachdem das Schlagen des eisernen Löwenkopfes gegen das Portal dumpf verklungen war, ehe Rahjada nahende Schritte im Gutshaus von Zweiflingen vernahm. Sie hörte unwilliges Gemurmel einer weiblichen Stimme von drinnen: „...kein Geld für Personal... weniger Cigarillen... stattdessen muss ich...“ Dann öffente sich der rechte Flügel des Eingangs und eine rotwangige Frau mittleren Alters öffnete ihr. Rahjada sah auf einen Blick die heimlichen Insignien einer Schreiberin an ihrem Gegenüber: Einen Gänsekiel hinterm Ohr steckend, Ärmelschoner und Tintenflecken an den Fingerspitzen. „Ihr wünscht?“, begrüßte die Fremde den Neuankömmling, darum bemüht, nicht unfreundlich zu wirken.
Rahjada räusperte sich verlegen und wechselte Sharanes Depesche von der Rechten in die Linke, ehe sie antwortete: „Rahjada. Ich meine: Rahjada ya Papilio ist mein Name. Ich habe eine Depesche für Seine Excellenz, Signor Gishtan re Kust.“
„Waliburia Weltinskwant, Erste Secretaria des Ersten Rats“, sagte die Rotwangige mit spöttischem Unterton. „Das ist zumindest mein Titel. Dabei leistet sich Seine Wohlgeboren lediglich eine Bedienstete dieser Funktion. Und außerdem darf ich nicht bloß seinen Schriftverkehr erledigen, sondern mich meist auch um das Tagesgeschäft auf Gut Zweiflingen kümmern. Ihr glaubt nicht, wieviel man binnen eines Götterlaufes über Weinbau und Bosparanjerherstellung lernen kann, wenn man vorher davon keinen Nandushauch wusste...“ Abrupt unterbrach sie ihren Redeschwall, als ihr aufging, dass sie vielleicht schon zuviel Persönliches erzählt hatte: „Aber das ist für Euch ja nicht von Belang. Also, ein Schreiben an den Herrn. Soviele Depeschen wie die vergangenen paar Wochen bekommt er sonst ja nie. Hat auch dieses etwas mit seiner Erbstreitigkeit zu tun? Ach ja, das dürft Ihr mir natürlich nicht sagen. Wisst Ihr was, geht doch einfach selbst in den ersten Stock hinauf zu seinem Arbeitszimmer.“
Waliburia trat mit einem wiegenden Schritt zur Seite und winkte Rahjada in den Empfangsraum des Gutshauses. Zwei geschwungene Treppen führten links und rechts hinauf ins Obergeschoss. „Nehmt die Linke“, sagte die Verwalterin. „Die dritte Tür den Gang hinunter ist es. Ich hab ja nicht den ganzen Tag...“, murmelte sie, während sie das Portal schloss und die Überrumpelte zur Treppe komplimentierte. Als Rahjada bewusst wurde, wie ihr geschah, stand sie schon vor einer Tür aus dunklem Holz, hatte zaghaft dagegen gepocht, und nun erklang daraus eine nur allzu bekannte Stimme: „Nur herein, wenn's kein Schuldeneintreiber ist!“
Rahjada stand da, als hätte man ihr die Butter vom Brot gestohlen. Hinter der Tür war ER, und sie sollte hereinkommen. Was sollte sie zu ihm sagen? Sie konnte doch nicht einfach hinein gehen und... Nein das ging nicht. Aber vor der Tür stehen bleiben war nun auch recht unziemlich, wo sie doch schon angeklopft hatte.
Zaghaft öffnete sie die Tür, schnaufte einmal tief durch und hoffte inständig, wenigstens halbwegs vernünftige Sätze hervorzubringen. Welche auch immer das sein mochten. ‚Nun geh schon rein! Du wolltest doch immer zu ihm!‘, schalt sie sich selbst. Jetzt, da sie die Gelegenheit hatte, mit Gishtan unter vier Augen zu sprechen, ihm vielleicht sogar alles zu offenbaren, fühlte sie sich klein und unwürdig. Sie konnte diesem Mann doch nicht einfach so ins Gesicht sagen, dass sie sich in ihn verliebt hatte, dass SIE ihm die heimlichen Briefe geschickt hatte. Was würde er dazu sagen? Sicher würde er sich köstlich über ihr kindisches Benehmen amüsieren, sie am Ende sogar aus dem Haus werfen, weil sie so dreist war, einem Herrn von Stande wie ihm solche Briefe zu schreiben, die, wie sie wusste, in den falschen Händen durchaus auch kompromittierend für Gishtan sein konnten.
Andererseits, was hatte sie zu verlieren? Nun ja, außer vielleicht ihrer Anstellung und ihrer Würde – falls er sie wirklich hinaus werfen sollte. So trat sie zögernd, mit gesenktem Blick ein und sprach dann leise, aber dennoch mit erstaunlich fester Stimme: „Die Zwölfe zum Gruße, Wohlgeboren. Das Haus ya Papilio, vornehmlich die Cavalliera Sharane, schickt mich, Euch dies zu überbringen!“ Mit diesen Worten trat sie einen zögerlichen Schritt näher und hielt ihm die Depesche entgegen. ‚So nah!‘ , schoss es ihr durch den Kopf. Es kostete sie viel Selbstbeherrschung, den Blick nicht zu heben und ihn anzuhimmeln, wie sie es gerne getan hätte. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr, als Gishtan ihr das Schreiben abgenommen hatte. Hatten seine Finger die Ihren berührt, oder hatte sie sich das nur eingebildet - gewünscht?
‚Was nun?‘, fragte sie sich und war zwischen „panischer Flucht“ und „sich dem Herrn an den Hals werfen“ hin und hergerissen. Der Erste Rat der Stadt Shenilo nahm ihr die Entscheidung ab: „Eine überaus freundliche Antwort der Cavalliera auf mein Anliegen um Unterstützung in der Sache Ramaúd“, sagte Gishtan re Kust mehr zu sich selbst als zu der Botin.
Doch sogleich richtete er tatsächlich das Wort an Rahjada: „Ihr seid doch Rahjada, die Schreiberin, nicht? Ich meine mich zu erinnern, dass Ihr bei der erfolgreichen Vermittlung meiner Wenigkeit zwischen den Interessen der Familien Changbari und ya Papilio die Villa Delgravo betreffend für die rechtsbindende Mitschrift aller Vereinbarungen verantwortlich zeichnetet?“
Gishtan beugte sich über seinen Schreibtisch, um die junge Frau genauer zu mustern, rieb sich plötzlich die Stirn über dem Nasenrücken, als sei ihm jäh etwas entfallen, schüttelte verwirrt den Kopf und fuhr dann fort: „Richtet Eurer... Tante?... Sharane bitte meinen besten Dank aus. Und sagt, Horasio ya Papilio ist Euer... Bruder?“
Während die Schreiberin noch Luft holte und um die richtigen Worte rang, schien re Kust sie schon halb vergessen zu haben und griff in ein auf seinem Schreibtisch stehendes Kistchen, um eine Cigarille herauszuholen. An einem Glutkästchen steckte er die Tabakrolle an und sog den nach fernen Landen duftenden Rauch tief ein. Einen Moment hielt er inne und schnupperte, als habe er etwas Unerwartetes wahrgenommen. Doch sogleich entspannten sich seine Züge wieder, und mit einem nachsichtigen Blick nahm er wieder die vor ihm stehende Botin wahr, um ihre Antwort auf eine Frage zu hören, die er fast schon vergessen hatte.
(für den mit dem weiteren Verlauf der Geschichte nicht vertrauten Leser sei an dieser Stelle angemerkt, dass noch einige Zeit vergehen sollte, bis sich die schüchterne Rahjada ihrem späteren Gemahl als die heimliche Verehrerin offenbarte, die sie gewesen war)
(cd, wus)