Sonderbare Düfte

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Diese Geschichte entstand Anfang 2010 als Teil des Briefspiels um die geheimnisvolle Verehrerin des damaligen Signors Gishtan re Kust.


Sonderbare Düfte

(Côntris, im Hesindemond 1032 BF)

Efferd meinte es an diesem Tag gar zu gut mit der kleinen Gesellschaft, die in der Villa Delgravo zur Unterzeichnung des Pachtvertrags zusammenkam. Während von Alveran herab ein kühler Nieselregen rann, schwebte vom Yaquir herauf ein klammer Nebel, der unangenehm die Knöchel umstrich.
Signor Gishtan ya Ramaùd blickte in die Runde, die sich im trotz aller Bemühungen der Handwerker noch ein wenig heruntergekommen aussehenden Salon des Herrenhauses versammelte: Massimiliano Changbari, Oberhaupt seiner Familie und im Moment bedeutsamster Mann in diesem Raum, nebst seinem Gefolge. Dann waren da die Vertreter des Hauses ya Papilio, Federico - die rechte Hand des Familienoberhauptes Caron - und sein Bruder Philippe, weiter Horasio, der vor nicht langer Zeit erst aus Methumis zurückgekehrt war - ein Advocat und formidabler Inrahspieler -, sowie Rahjada, eine junge Schreiberin, die trotz ihrer Ansehnlichkeit anscheinend niemandem gerade in die Augen zu blicken wagte.
Präfekt Dartan di Côntris als Vertreter der Hafenstadt durfte bei diesem wichtigen Schritt für den Handel nicht fehlen. Auch er hatte eine Handvoll Berater und Bedienstete mitgebracht, wenngleich die Unterschriften fast nur noch ein Formalität waren: Die Patrizier, der Gransignor, Massimiliano, die Papilios und nicht zuletzt der Erste Rat selbst hatten in den vorangegangenen Tagen das Allermeiste bereits zu Shenilo ausgehandelt.
Gishtans einziger Helfer war der blinde Rebec-Spieler, der in Gesprächspausen mit sanftem Saitenklang Kurzweil und Entspannung gewährte. Re Kust schmunzelte einen Wimpernschlag, als er an die atonalen Lautfolgen dachte, die zuweilen nächtens aus Ogdan Zahins Kammer in der Casa Zweiflingen drangen. Diese hätten gewiss die Verhandlungen höchst ungemütlich gefärbt.
Doch der Musicus spielte Leichtes und Eingängiges, dem Anlass angemessen. So konnte er auch sein bestechendes Gehör und Gedächtnis nutzen, die für Gishtan einen Protokollanden ersetzten. Die junge Papilio, die für die bald vormaligen Besitzer Gesprächsnotizen machte, ließ sich jedoch ebenso wenig ein Wort entgehen. Hoch konzentriert folgte sie den Worten jedes Sprechers, wie Gishtan bemerkte, und ihre Feder eilte in säuberlichen Schwüngen über das Pergament. Rahjada schien nur dann unaufmerksam zu werden, wenn sie wahrnahm, dass jemand ihre Tätigkeit verfolgte; einmal kleckste sie sogar einen Tintenfleck auf das Blatt, als sie ertappt wegschaute, nachdem der Signor ihren Blick aufgefangen hatte.
Schließlich waren alle Unterschriften und Siegel unter dem Pachtvertrag zwischen den Häusern Changbari und ya Papilio. Die Gesellschaft trat wieder hinaus in den Nieselregen und machte sich auf den Weg zu einem Saalbau, den Gishtan eigens für die Feier des Vertragsabschlusses gemietet hatte. Zurück blieben nur einige Bedienstete, die die Villa aufräumen und abschließen würden.
Der Erste Rat Shenilos reichte seinem Berater, der sein Instrument in eine schwarz gewachste Kiste gelegt hatte, den Arm, um ihn zur Kutsche zu führen. Ogdan lief bewusst langsam, so dass die beiden rasch die letzten in der Reihe waren. Der Blinde wollte Gishtan also etwas mitteilen. "Mieses Wetter", begann er mit einem gänzlich belanglosen Thema. Das machte er immer so. Besonders wenn er wusste, dass Gishtan von den Eindrücken seiner Sinne erfahren wollte.
Dieser Regen und erst recht der Puder, ganz zu schweigen von dem schalen Raumgeruch..." Der Erste Rat wurde ungeduldig: "Ja?" "...das macht es mir nicht leicht." "Ja??" "Nun...", hielt Ogdan an und prüfte, ob sein Instrument richtig verpackt war. "Ja?!" "...Ihr erinnert Euch vielleicht an diese sonderbaren Briefe, die Ihr anonym erhalten habt." "Ja!" Was für eine Frage. Zahin liebte es, seinen Arbeitgeber aufs Rad zu flechten. "Und?!" "Jemand, der mit uns im Delgravo-Salon war, trug das gleiche Duftwasser wie die Verfasserin jener Schreiben."
Gishtan sagte nichts, war zu überrascht. Ausgerechnet in dieser Runde könnte die Verehrerin sein, die ihm seit Wochen schwärmerische Depeschen einwerfen ließ? Es hatte vielleicht ein halbes Dutzend Frauen zu der Runde gezählt, eingeschlossen Dienerinnen und Dartans Gemahlin. Bei mindestens der Hälfte hoffte der Signor, dass Sie nicht die Verfasserin der Briefe war. Bei der anderen war er sich fast sicher.
Er holte tief Luft und zog seine Weste vor der Brust stramm. "Danke. Wichtiges Wissen", gab er knapp an den Musicus zurück. "Kann natürlich ein Zufall sein. Nur die Reichsten lassen sich eigene Parfüme fabricieren. Ich halte die Augen offen... nichts für ungut", bedauerte er sofort. "Ich habe keinen Anstoß genommen, Hochachtbarer Herr", antwortete Zahin und rückte demonstrativ die dunklen Kristallgläser vor seinen leeren Augenhöhlen zurecht.
Gishtan führte ihn grübelnd zur wartenden Droschke. Was hätte er jetzt gegeben, sich eine beruhigende Cigarille anzünden zu dürfen! Doch wenn er Ogdans feine Sinne nutzen wollte, lautete die Bedingung, in dessen Gegenwart keinen Rauch zu trinken. Nun gut...


Im Saalbau zu Côntris

(Hesindemond 1032 BF)

Signor Gishtan war zufrieden: Den Saalbau, günstig als Orts für die Feier des Vertragsabschlusses gemietet, hatte die Dienerschaft ansehnlich hergerichtet. Es war kein bosparaner Klub, aber mit geliehenen Möbeln und Wandteppichen leidlich festlich anzusehen.
Er hatte die Gäste ihrem Rang entsprechend an einer langen Tafel platzieren lassen, beiden Verhandlungsführer der beiden Seiten jeweils in der Mitte auf einem erhöhten Sessel. Präfekt Dartan und er selbst saßen an den Kopfenden. Um nicht den Anschein eines Vorsitzes zu erwecken, waren ihre Stühle nicht höher als die der Gäste an den Längsseiten.
So viel Protokollarisches und der Etiketten galt es zu beachten. Doch darin hatte er in den vielen Jahren seit der Rückkehr ins Horasreich eine gewisse Meisterschaft entwickelt. Wichtig war ja letztlich, dass alle Geschäftspartner sich wohl und ernst genommen fühlten. Während zwei Diener auf die Speisefolge einstimmende Getränke auftrugen, entflammten die ersten Pfeifen und Cigarren. Angenehmer Rauchduft verbreitete sich rasch in bläulichen Wolken im Saal.
Gishtan bedauerte, dass dies Ogdans Sinn benebeln würde; aber angesichts des freundlichen Geplauders an der Tafel und den Melodien, die der Musicus selbst seiner Rebec entlockte, würde jener auch wenig hören. Was sollte jetzt auch noch von Belang ausgetauscht werden? Der gastgebende Signor ließ zufrieden mit seinem Arrangement den Blick an der Reihe der Gäste entlang streifen.

Nachdem der offizielle, geschäftliche Teil des Vertragsabschlusses beendet war und Rahjada ihre Arbeiten als Schreiberin beendet hatte, begann für sie der gemütliche Teil des Tages. Normalerweise hätte sie in einer Situation wie dieser nach beendeter Arbeit die aufgetragenen Köstlichkeiten ausgiebig genossen, hier und da ein wenig mit den Anwesenden geplaudert und dabei vielleicht das ein oder andere Gerücht aufgeschnappt, was zu Hause sicherlich mit Interesse aufgenommen worden wäre.
Indes, heute konnte sie sich nicht recht aufs Genießen konzentrieren. Immer wieder wanderte ihr Blick vorsichtig in die Richtung, in der Gishtan saß, nur um im selben Augenblick, in dem sich die Blicke zu kreuzen drohten, wieder in eine andere Richtung zu blicken. 'Jetzt bloß nicht rot werden!', ermahnte sie sich in Gedanken, was ihre Wangen freilich nicht davon abhielt, dennoch einen rosigen Schimmer zu zeigen. 'Hoffentlich hat er es nicht bemerkt.'
Beinahe etwas abwesend wirkend stocherte sie in ihrem Teller herum und schien nicht so recht Appetit zu haben. Ihr Blick wanderte immer wieder in die selbe Richtung - jedes Mal mit dem gleichen Effekt. So lange Gishtan nicht her sah, ruhten ihre Augen - natürlich so unauffällig wie nur möglich - auf seinem Gesicht. 'Diese Augen, und das Profil, und...', ein leises Seufzen entfuhr ihr. Ach, wenn sie sich doch nur trauen würde, ihn anzusprechen. Aber er würde sie ja doch nur belächeln. Allein, dass sie ihm all die Briefe geschrieben hatte. Was er wohl darüber denken mochte? Ob er sie überhaupt gelesen hatte?
Wieder zeichneten ihre Augen seine Züge nach, als würde sie im Geiste ein Bild von ihm malen. Jedes Detail wollte sie sich einprägen. So nahe war er ihr - und doch so fern. Da geschah es, dass sie zu spät bemerkte, dass er den Kopf drehte. Ihre Blicke kreuzten sich. Verlegen senkte sie den Blick. 'Oh nein! hoffentlich hat er nicht bemerkt, wie ich in angestarrt habe!Wie peinlich!', schoss es ihr durch den Kopf und -wie konnte es anders sein - die Schamesröte stieg ihr wieder ins Gesicht.

Dem wachsamen Sinnen des Ersten Rats entging selten, wenn ihn jemand beobachtete. So dauerte es nicht lange, bis er auf die verstohlenen Blicke der Schreiberin aufmerksam wurde. Nach einer Weile begannen diese ihn zu verunsichern und er prüfte unauffällig den korrekten Sitz seiner Gewandung. War da irgendwo ein Fleck, etwas unvorteilhaft verrutscht? Dem schien nicht der Fall zu sein. Oder wusste die junge Papilio etwas, was ihm noch unbekannt war, ihm aber vielleich zum Vor- oder Nachteil gereichen konnte und sich auf ihn bezog? Er musste es herausfinden. Mit einem freundlichen Lächeln hob er den silbernen Weinbecher und prostete Rahjada zu, als sie ihm das nächste Mal einen taxierenden Blick unter den Wimpern hervor zuschoss.


Rahjadas Hauch

Einige Tage, nachdem sie Gishtan bei den Verhandlungen wieder gesehen hatte, saß Rahjada an ihrem Schminktisch vor dem kleinen Spiegel in ihrem Schlafzimmer und bürstete ihr Haar. Ihr Blick viel auf den Flacon mit ihrem Lieblings-Duftwasser. Sie seufzte beim Anblick des fast leeren Fläschchens, wusste sie doch, dass es sie sicher ein kleines Vermögen kosten würde, ein neues Fläschchen von genau diesem Duftwasser zu kaufen, ganz zu schweigen davon, dass es sie es natürlich nicht im Krämerladen um die Ecke bekommen würde. Es war wohl bald an der Zeit, sich auf die Suche zu begeben, wenn sie nicht auf ihren Lieblingsduft verzichten wollte. Sie öffnete den Flacon und schnupperte schwärmend an dem Fläschchen. Was für ein Duft!
Beinahe genießerisch tupfte sie sich etwas von der erlesenen Flüssigkeit auf den Hals hinter die Ohren und ins Dekolletee - So wenig wie möglich, aber doch genug, um das verführerische Aroma gut riechen zu können. Dann verschloss sie den Flacon wieder sorgfältig und stellte ihn an seinem Platz auf dem Tisch. Noch ein klein wenig Rouge auf die Wangen, dann war sie bereit, um zur Arbeit zu gehen. Sie packte ihre Schreibsachen in das dafür vorgesehene Kästchen und dieses wiederum in ihre Tasche.
Gut gelaunt machte sie sich auf den Weg und grübelte dabei darüber nach, wo sie wohl am besten ihren Duft herbekommen konnte. Ihr Onkel hatte ihn ihr ja zum Tsafest geschenkt, aber er hatte ihr natürlich nicht verraten, von woher er das Wässerchen mitgebracht hat und schon gar nicht, welches kleine Vermögen er dafür ausgegeben haben musste. "Rahjas Hauch"....Oder wie ihr Onkel es damals liebevoll "umgetauft" hatte "Rahjadas Hauch"... Sie seufzte.
Wenig später saß sie an ihrem Schreibtisch und ging ihrer Arbeit nach. Es galt einen Brief einfachen zu verfassen, eine leichte, aber recht langweilige Aufgabe. Sie war gerade fertig, als einer der Bediensteten ihr einen neuen Auftrag überbrachte. Sie solle für Seine Wohlgeboren re Kust eine Abschrift von diesen Verträgen anfertigen. Rahjadas Blick hellte sich auf... Sie sollte für IHN arbeiten. Dem Bediensteten gegenüber ließ sie sich nichts anmerken, aber innerlich geriet ihr Blut in Wallung, bei dem Gedanken daran, wieder einmal für IHN arbeiten zu dürfen.
Sogleich machte sie sich an die Arbeit und ging mit besonderer Sorgfalt ans Werk. Immer wieder rieb sie sich dabei unbewusst mit der Linken am Hals, hinter dem Ohr - wie sie das meist machte, wenn sie sich voll auf ihre Arbeit konzentrierte - und legte die Hand dann wieder aufs Pergament... Eine ganze Weile später war die Arbeit erledigt und sie gab das gute Stück einem Boten mit, er solle es Seiner Wohlgeboren Gishtan re Kust bringen.

Eine Depesche für Wohlgeboren", tat Berytos kund. Der langjährige Diener Gishtan re Kusts reichte seinem Herr den Umschlag, den er kurz nach Sonnenaufgang aus dem Kasten geholt hatte, welcher neben dem nächtens geschlossenen Tor von Gut Zweiflingen angebracht war.
Ein Blick auf den Absender ließ den Ersten Rat rasch wissen, von wem die Sendung kam und erahnen, worum es ging: Das Haus ya Papilio sandte ihm Abschriften der Vereinbarungen mit den Changbaris. Das würde er bei Gelegenheit in sein persönliches Archiv einordnen.
Nur seltsam, dass der Bote bei Nacht gekommen war. Normalerweise wurden solch wichtige Dokumente persönlich überreicht - selbst wenn es sich lediglich um eine Abschrift handelte. Gishtan brach das Siegel.
In diesem Augenblick kam der blinde Musicus Ogdan zu den beiden Männern. Er wollte auf keinen Fall das Morgenmahl verpassen, das man auf Zweiflingen oft gemeinsam im Gästesalon einnahm. "Schriftwerk", stellte er mehr fest, als dass er gefragt hätte. Das Rascheln verriet es ihm.
Doch dann hielt der Musicus inne und schnupperte: "Schon wieder dieser Duft. Der gleiche wie an jenen seltsamen Briefen. Wie während der Beratungen in Contris. Von wem ist das Schreiben?"
Gishtan blickte seinen Berater halb erstaunt, halb erbost an und schickte Berytos mit einer Handbewegung weg, einen Tee aufzusetzen. Der Diener musste nicht alles hören.
"Seid Ihr sicher, Meister?", frug er dann. "So wahr Misstöne Unbehagen verursachen", bekräftigte Ogdan. "Diese Blätter müssen durch die Hände Eurer heimlichen Verehrerin gegangen sein." Gishtan nickte fast verlegen. Er musste ergründen, wer da für ihn schwärmte, und irgendeine Lösung finden. Sonst mochte diese Schwärmerei ungünstige Folgen für beide Beteiligten haben.

(cd, wus)