Briefspiel:Inkognito in Ludovigos alter Heimat
- Briefspielgeschichte aus: Briefspiel in Unterfels
- Datum (aventurisch / irdisch): Ende Rahja 1034 BF bis Travia 1035 BF / 2016
- Beteiligte (aventurisch / irdisch): Erlan Sirensteen und seine Gemahlin Shahane Sforigan y Scheffelstein, der angenommene Sohn Ludovigo von Scheffelstein / Erlan (mit Dank an beteiligte Personen!)
Ein Text, der vor allem innerfamiliäre Angelegenheiten behandelt - aber vor dem Hintergrund der damaligen politischen Situation im Yaquirbruch...
Autor: Erlan
Neues aus Sewamund und Vinsalt
Ende Rahja 1034 - zu Unterfels
Im Palazzo Arindello zu Unterfels informierte der Hausherr Erlan Sirensteen seine Gemahlin Shahane von den neuesten politischen Entwicklungen in Sewamund wie in Vinsalt:
"[...] schlussendlich bat mich der Graf um Erledigung eines kleinen Auftrages durch eine Person, der er vertrauen könne."
Shahane schaute ihren Gemahl mit leicht vorwurfsvollen Blicken an und fragte ihn: "Da fällt dem Grafen niemand anderes ein? Ich dachte er hätte soviele Unterstützer!"
Erlan war natürlich klar, warum seine Gemahlin so reagierte. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass er mal wieder aufgrund eines Auftrages längere Zeit vom heimischen Feuer abwesend wäre. Und im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo er noch keine Familie hatte, erforderte das auch immer einen gewissen Aufwand bei der Planung, denn nunmehr ging es ja auch um andere Personen, die berücksichtigt werden mussten..
"Du hast ja recht", besänftigte er sie, fuhr aber wie folgt fort: "Natürlich hat er viele Unterstützer. Um so mehr ist es eine Ehre für mich, wenn der Graf mich fragt. Außerdem ist es angesichts des Ziels vielleicht ganz angebracht, wenn ich dorthin reise und niemand anderes."
Inzwischen kannte Shahane Erlan gut genug um zu wissen, dass er seinen Andeutungen auch Erklärungen folgen lassen würde und blickte ihn einfach fragend an, ohne konkret eine Frage an ihn zu richten. Wie von ihr erwartet erklärte er sich dann auch nach der kurzen Kunstpause:
"Der Graf hat mir einen Auftrag erteilt, der mich nach Ragath führt. Er hält mich für recht geeignet, da ich mich da einigermaßen auskenne, wie Du ja sicherlich weißt."
Bei der Erwähnung ihrer alten Heimat leuchteten Shahanes Augen auf und sie begann strahlend zu lächeln. Doch noch bevor sie was sagen konnte, richtete ihr Gemahl wieder das Wort an sie:
"Ich hatte vorgeschlagen, dass Du mich begleitest. Das wurde aber leider abgelehnt. Die Gefahr ist zu groß, dass man Dich - und dadurch mich - in Deiner alten Heimat erkennt."
Das Lächeln auf Shahanes Gesicht fror ein, Enttäuschung zeichnete sich stattdessen ab. Erlan hatte mit so einer Reaktion gerechnet, aber es entsprach nunmal der Wahrheit, dass sein Vorschlag abgelehnt wurde. Aber da gab es ja noch etwas...
"Stattdessen könnte ich jedoch Ludovigo mitnehmen und am Rande dann Eure Familie aufsuchen."
Nun war Shahane überrascht - damit hatte sie wahrlich nicht gerechnet. Obwohl sie den Gedanken tröstlich fand, dass ihr Sohn endlich mal wieder seine eigentliche Heimat sehen würde, fragte sie in einem leicht gereizten Ton: "Und bei Ludovigo ist die Gefahr geringer?"
Erlan seufzte kurz, bevor er ihr antwortete: "Nun, liebste Comtessa Shahane von Scheffelstein y Sforigan! Euer liebreizendes Äußeres ist den Magnaten Almadas allseits gut bekannt! Insbesondere im ragatischen dürfte ein jeder Edelmann Dich kennen. Deinen ... Unseren ... Sohn hingegen - nun ja, viele dürften ihn nicht kennen. Insofern ist es doch besser, wenn dann ich selbst noch die größte Gefahr bin, denn mich könnte man noch eher als ihn wiedererkennen."
Shahane wusste, dass ihr Gemahl leider recht hatte. Dennoch hätte sie gerne die Chance ergriffen auch mal wieder die alte Heimat zu besuchen.
[...]
Inkognito unterwegs...
Mitte Rondra 1035 - zu Unterfels
Erlan Sirensteen und ein ungefähr 8-jähriger Junge saßen in einem der Salons des Palazzo Arindellos und Erlan fragte, wie so oft in den vergangenen Tagen und Wochen, den kleinen Ludovigo ab. Auf dessen Frage nach dem Namen antwortete der Kleine wie aus einer Pistole geschossen: "Ludovigo von Kornhammer-Scheffelstein". Dies war zwar nicht gänzlich inkognito, aber für die meisten Zwecke sollte es ausreichen.
Shahane hatte ihn vorher gefragt, ob diese Maßnahmen wirklich notwendig seien und er hatte ihr geantwortet, dass man angesichts der unsicheren Lage im Yaquirbruch lieber einmal zu viel vorsichtig sein sollte. In Oberfels war die Lage ziemlich unruhig aber auch weiter flussaufwärts wusste man nicht, wer dort gerade den phexgefälligen Handel zwischen den beiden Reichen behindern wollte. Denn dies war die "Tarnung", die Erlan und Ludovigo aufrechthalten wollten. Ein Händler aus Almada kommend, der zusammen mit seinem Sohn und einem Schreiberling versuchte im Horasreich Geschäfte zu vereinbaren. So verkehrt war das ja auch gar nicht, überlegte Erlan sich, wiewohl er natürlich nicht aus Almada stammte. Aber würde er sich als Horasier ausgeben, würde er den Namen des von ihm kontrollierten Handelshauses erwähnen - da wäre die Gefahr der Entdeckung wieder größer.
[...]
Maskerade
Ende Rondra 1035 (ein Tag vor der Abreise) - zu Vinsalt
Um die Maskerade von Beginn an aufrechtzuerhalten schifften sich Erlan, Ludovigo und der Schreiber Romin von Unterfels aus kommend yaquirabwärts ein und reisten so nach Vinsalt. Dort angekommen machten sie sich Ludovigo und Romin auf den Weg gen Dracoras, Erlan hingegen traf sich weit abseits davon in Alt-Bosparan mit einer verschleierten Dame, mit der er sich angeregt unterhielt.
"... und Du hältst es wirklich für ungefährlich den Kleinen mitzunehmen?"
Ihr Gegenüber wog die Antwort sorgfältig ab, da er sich sicher war, dass "Natürlich bin ich mir nicht sicher!" nicht das war, was sie hören wollte. Stattdessen antwortete er: "Ich halte es für ungefährlich. Ich denke, dass die Maskerade sogar durch seine Anwesenheit verbessert wird."
Die Dame hinter dem Schleier schien nicht wirklich zufrieden zu sein, wechselte aber dennoch das Thema, während sie aus ihrem Wams eine kleine Ampulle hervorzug: "Hier für Deine Haare, Bruder. Es muss ja nicht jeder Euren Schopf schon von weitem her erkennen."
Erlan nahm die Tinktur dankend an und am Abend probierte er die Substanz aus der Ampulle aus. Das Ergebnis war vielversprechend: Sein Haar hatte tatsächlich die Farbe gewechselt - vom üblichen weißblond hin zu einem kräftigen dunkelbraunen Farbton. Während der Schreiber Romin das Ergebnis augenscheinlich neutral beobachtete, schien Ludovigo es amüsant zu finden, denn er lachte laut, als er ihn so erblickte. "Es freut mich, wenn es wenigstens einen erheitert." war die eher nüchterne Reaktion Erlans darauf, der sein Äußeres kritisch im Spiegel begutachtete und sich an die Worte seiner Schwester nur zu gut erinnerte... Wie sagte sie noch? "Sollte die andere Tinktur nicht wirken - zur Not müssen dann einfach die Haare abgeschnitten werden, die wachsen ja nach." Ihm schauderte bei dem Gedanken.
Ende Rondra 1035 (am Tag der Abreise) - zu Vinsalt
"Mein Name ist Ludovigo von Kornhammer-Scheffelstein, ich bin der Sohn von Erlan von Kornhammer-Scheffelstein und das ist unser Schreiber Romin!" - das was der kleine Ludovigo auswendig gelernt hatte, klang wirklich überzeugend. Nichtsdestotrotz schärfte Erlan ihm kurz vor der Abreise noch ein: "Wenn wir uns Bomed nähern, da halten wir uns zurück. Wir bleiben unter Deck und versuchen die Wachen nicht auf uns aufmerksam zu machen. Das gilt insbesondere auch für die unsrigen!"
Ludovigo nickte eifrig und hörte Erlan weiter zu, der ihm noch einige weitere Tipps gab, bevor er ihm noch einen abschließenden Ratschlag mitgab: "[...] und denk dran, es gibt Leute die uns und insbesondere mir feindlich gesonnen sind. Unsere Mission steht unter dem Zeichen des Verschwiegenen und nicht der Leuin. Deswegen beweise im Zweifelsfall keinen falschen Heldenmut sondern sei schlicht und ergreifend ehrlich. Sollte die Situation es erfordern, dann erklärst Du, wer ich wirklich bin und dass ich nicht Dein leiblicher Vater bin und Dich gezwungen habe falsch zu antworten. Niemand wird Dir dann was antun." Bei den letzten Worten musste Erlan sich zusammenreißen - denn ob das auch einem Horasio della Pena gegenüber galt, wusste er nicht. Dieser hatte schließlich damals auch versucht den Sohn seiner Gräfin festzusetzen. Und ob ein Mondino von Calven Respekt vor dem Leben anderer hatte, war spätestens nach der Bluttat von Oberfels mehr als fraglich...
Es fiel ihm schwer trotz der düsteren Gedanken, die er gerade hegte, ein zuversichtliches Gesicht zu machen, aber es gelang ihm anscheinend, denn Ludovigo lächelte ihn erwartungsvoll an.
Auf dem Yaquir
Ende Rondra 1035
Das Horasreich in seinen nominellen Grenzen hatten sie nun verlassen und alles war gut gelaufen. Es schmerzte ihm das Herz als er am Palazzo Yaquirbruch die falsche Flagge im Winde wehen sah, bevor er es sich unter Deck bequem machte. Vermutlich war Oberfels die schwierigste Stelle, denn hier kannte man ihn eigentlich zur Genüge. Doch er hoffte darauf, dass die Thronräuber - egal ob nun die almadanischen oder aber die horasischen - keine Unterstützung durch die Oberfelser erfuhren und ihre eigenen Leute für die Kontrollen zuständig waren. Als das Schiff, auf dem die drei eine Passage gebucht hatten, angehalten und kontrolliert wurde, machten sie es wie geplant. Während Ludovigo und Romin am Tisch saßen und mit Spielkarten die Zeit vertrieben, lag Erlan scheinbar schlafend in seiner Koje. Eine Hand hing schlaff herunter, die andere war unter der Decke nicht zu sehen - und ebenso nicht der Dolch in ihr.
Die Kontrolle war sehr oberflächlich und beschränkte sich auf eine Sichtung. Es wurde keiner nach dem Namen gefragt und das einzig bemerkenswerte war das Gespräch der beiden Wachleute, die wieder gingen. Denn der eine stellte fest, dass wenn der Schlafende ifirnweiße Haare hätte, dann würde er wie ein schlechter Doppelgänger von einem der Unterstützer des Gräflings aussehen. "Genau", sekundierte der andere Wachmann, "wie dieser mit der Echse im Wappen. Dieser Beresic oder so. Aber der, der hat ja ganz andere Probleme als auf dem Yaquir zu schippern". Unter lautem Gelächter gingen die Wachleute wieder und Erlan fragte sich, ob er denn froh sein musste, dass die Wache wenigstens die richtige Seite erkannt haben, wenn schon nicht die richtige Person. Das er Vascal ähnlich sah, hörte er auch zum ersten Mal...
In Ragath
25. Efferd 1035
Am Vortag war das große Grafenturnier zu Ragath gestartet und die Gassen der Stadt waren mehr als belebt. Neben den zahlreichen Gästen die so ein Turnier mit sich bringt, gab es natürlich auch die, die daraus eine klingende Münze machen wollten. Ausrufer warben für die Spezialitäten ihrer Lokalitäten, fliegende Händler versuchten allerlei notwendiges - viel mehr aber unnützen Tand - an den Mann und die Frau zu bringen und die eine oder andere Geldkatze wechselte auch ohne Gegenleistung den Besitzer, denn natürlich waren Langfinger bei einem solchen Ereignis nicht weit.
Erlan genoss es über die Straßen zu gehen, Ludovigo das eine oder das andere zu erklären und vor allem hier ein "Niemand" zu sein: Einer aus einer Heerschar von vielen tausenden Besuchern, der nicht auffiel, wo man nicht - wie in Unterfels oder Vinsalt - befürchten musste, dass wenn einem ein Missgeschick passiert, es kurz darauf in irgendwelchen Pamphleten auftauchte oder es auch so die halbe Stadt wusste.
"Erlan?"
Ihm war natürlich bewusst, dass sein Stand und seine Position ihm viele Vorteile brachte, aber im Moment genoss er vor allem die Anonymität in der fremden Stadt und dass ihn hier außer seinen Begleitern niemand bekannte.
"Erlan?!"
Er fragte sich, warum er plötzlich diese Stimme seinen Namen rufen hörte.
"ERLAN!"
Dann sah er sie plötzlich fast direkt vor sich. Vor ihm stand eine alte Frau, deren Kleidung zwar vom Stil her einige Jahre wenn nicht gar Jahrzehnte alt war, aber von der Beschaffenheit her deutlich Qualität besaß. Die sorgsam nach hinten drapierten schlohweißen Haare, das vom Alter gezeichnete Gesicht und der mit kunstvollen Intarsien versehene Gehstock zeichneten das Bild einer gealterten Edeldame. Ihre Mimik und ihr ganzes Auftreten zeigten jedoch, dass sie sich - trotz des fortgeschrittenen Alters - ihres Standes sehr bewusst war. Ihr Blick war ebenso überrascht wie der Erlans.
Es dauerte tatsächlich eine kleine Kunstpause, bis er die Worte wiederfand: "Tante Carmina? Du hier?" Die ältere Dame nickte lächelnd und antwortete "Natürlich hier. Seit Deinem vermeintlichen Ableben oder vielmehr Deiner überraschenden - den Zwölfen sei Dank dafür! - Rückkehr, musste ich ja aus guten Gründen die Heimat lieber verlassen. In Cres ist es gemütlicher als auf Burg Naumstein." Damit spielte Erlans Tante natürlich auf die Begebenheit vor vielen Jahren an, wo sie - nachdem sein (vermeintlicher) Tod bekannt wurde - versuchte die Macht in Irendor an sich zu reißen. Was scheiterte - und woraufhin sie nach Almada floh, wo sie seitdem als Justitiarin tätig war.
Noch bevor Erlan den Gedanken, wonach sie bei einem Verbleib im Horasreich sicherlich nicht in Naumstein festgehalten worden wäre - denn dafür war sie schlicht und ergreifend zu unwichtig - zu Ende führen konnte, sprach sie ihn wieder an: "Ich bin überrascht. Deine Haare sehen ... anders ... aus."
Es gab für ihn keine Gelegenheit zu antworten, denn jetzt schlossen Ludovigo und Romin auf, die sich zuvor an einem Stand für kleine Miniaturen von Rittersleuten interessierten, zwei davon gekauft hatten und deswegen ein paar Schritte hinter Erlan zurückgefallen waren.
Man hatte Ludovigo beigebracht bei Fremden vorsichtig zu sein, daher suchte er instinktiv Schutz an der Seite Erlans - ein Schutz der natürlich nicht nötig war. Als Carmina den Jungen erblickte, begann sie zu strahlen, beugte sich zu ihm runter und versuchte seine Wange zu streicheln. Ludovigo wich jedoch zurück, so dass ihr das nicht vergönnt war, was sie aber nicht weiter störte. Sie blickte abwechselnd auf Erlan und auf Ludovigo, bevor sie dann mit strahlendem Lächeln sagte:
"So groß ist der kleine Amando schon?! Wie die Zeit vergeht! Ich meine ich las erst gestern von seiner Geburt." Sie schaute sich noch einmal Erlan an und lachte dann ein wenig: "Mit Deiner ... nun ja ... gewöhnungsbedürftigen Haarfarbe seht Ihr Euch noch ähnlicher. Hast Du Dir die Haare deswegen färben lassen? Oder ist das die neueste Vinsalter Mode?"
Noch bevor Erlan antworten konnte, wies Romin auf eine Taverne am Straßenrand hin, wo abseits der Straße Plätze im Schatten eine Linderung von der inzwischen doch schon recht heißen Praiosscheibe bedeuteten. Erlan verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, denn je länger die vier so mitten auf der Gasse standen, umso auffälliger wäre es. Carmina war ob des Ortswechsels zufrieden: "Eine alte Frau, sollte nicht mehr so viel stehen" sagte sie, als sie sich auf die Sitzgelegenheit setzte, die ihr ihr Neffe bereithielt.
Nachdem sie einen Wein bestellt hatten, antwortete ihr Erlan und wies auf Ludovigo: "Ich muss Dich enttäuschen. Jedenfalls ein bisschen: Das ist zwar mein Sohn, aber es ist nicht Amando, sondern Ludovigo. Ich habe ihn als meinen Sohn anerkannt. "Anerkannt? Als erbberechtigt gemäß des Codex Amenis? [...]" - die Justitiarin war in ihrem Element und nannte noch Paragraphen und Absätze. Ludovigo schaute sie verwundert und fast ein wenig entsetzt an, doch Erlan nahm seine Hand und hielt sie fest. Er kannte Carminas Redefluss, wenn es um juristische Dinge ging - und genau so wusste er auch, dass er solche Dinge sicherlich nicht hier in der Öffentlichkeit diskutieren wollte. Nachdem ein junger Bursche den bestellten Wein gebracht, Erlan ihn probiert und für gut befunden und der Schankbursche dann die Pokale der Gäste gefüllt hatte, antwortete er ihr:
"Geschätzte Muhme. Es ist nicht die Zeit und der Ort über Ius sanguinis und dergleichen zu reden. Nach ... dem Vorfall ... zu Irendor und Eurer Flucht geht es Dich eigentlich auch gar nichts an, aber lass Dir eines sagen: Juristisch ist - übrigens unter vorheriger Absprache mit dem Comto Proctor - alles einwandfrei geregelt. Unser erstgeborener Sohn wird eines Tages erben. Wenn nicht wieder eine Tante ..."
Carmina verdrehte ein wenig die Augen und fragte ihren Neffen: "Wie lange wirst Du mir das noch vorhalten? Es war ein Fehler, das gebe ich zu. Ich dachte wirklich mein Lieblingsneffe wäre verstorben."
Diese Diskussion, vor allem weil sie in Folge dessen unweigerlich dazu führen musste, dass Carmina sich über seine Schwester nicht in den schönsten Worten auslassen würde, war nicht das, was Erlan wünschte, so dass er seinen Weinpokal nahm, ihn hochhielt und mit dem Trinkspruch "Auf die Zukunft, denn wir sollten die Vergangenheit vergehen lassen und auf das Morgen anstoßen!"
Damit hatte Erlan erfolgreich die Diskussion beendet, noch bevor sie begonnen hatte und Erlan war froh, dass sich Ludovigo lieber um seine beiden Ritter kümmerte als das Gerede um das Erbrecht zu beachten. Im weiteren Verlauf des Gesprächs informierte Erlan seine Tante vor allem über ihre direkte Familie und wie es ihr in den vergangenen Jahren ergangen war, während sie ihm das eine oder andere aus Cres und zur Politik Almadas bzw. des Mittelreiches mitteilen konnte. Nicht ohne ihr noch einzuschärfen, dass sie über den Besuch in Ragath Stillschweigen zu bewahren hätte, trennten sich die Wege nach einigen Stunden und Ludovigo fragte Erlan: "Wenn das Deine Tante ist, dann ist sie ja das für Dich, was Tante Erlgard für mich ist. Oder?" Diese Frage konnte Erlan bejahen - innerlich dachte er sich nur, dass das rein formell so wäre, inhaltlich wären da Welten zwischen: "Werde ich Deine Tante irgendwann wiedersehen? Wird sie uns irgendwann mal zu Hause besuchen?"
"Das kann ich Dir nicht sagen. In unserer Heimat wird sie wegen eines Verbrechens gesucht. Ich bin mir sicher, es wäre inzwischen alles vergeben und vergessen, wenn sie nicht geflohen wäre." so Erlan zu seinem Sohn.
Zu Besuch in Königlich Kornhammer
28. Efferd 1035
Das eigentliche Ziel der Reise war kompliziert. Doch das was jetzt folgte war für Erlan ungleich komplizierter. Natürlich kannte er inzwischen Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein, den Soberan der Familie seiner Frau. Da dieser auch auf der Akademie der Kriegs- und Lebenskunst zu Vinsalt war, gab es auch noch Verbindungen abseits Shahane. Nichtsdestotrotz war es für ihn eine merkwürdige Situation hier zu sein, vor allem, da Shahane nicht zugegen war. Das Familienoberhaupt der Scheffelstein wirkte auch recht überrascht, als plötzlich der Besuch aus dem nahen aber dann doch so fernen Ausland auf Burg Scheffelstein erschien.
"Hättet Ihr doch etwas vorab mitgeteilt, einen Boten geschickt - wir hätten Euch und den liebreizenden Ludovigo ganz anders empfangen", brummte Dom Hesindian. "Und Shahane und Eure anderen Kinder hättet Ihr auch gerne mitbringen können! Wie heißen sie noch? Amando und Elissa?"
"Die kleine Elissa auf so einer beschwerlichen Reise? Ich denke das kommt ein paar Jahre zu früh..." so Erlan, der im darauf folgenden vertraulichen Zwiegespräch Dom Hesindian die anderen Gründe erklärte, warum dies nicht ginge. Außerdem überreichte er einen gesiegelten Brief Shahanes, in dem diese das auch noch einmal mit ihren eigenen Worten erklärte. Danach hellte die Miene Hesindians sich etwas auf, der insgeheim schon befürchtet hatte, nie wieder etwas von Shahane und ihrer Familie zu sehen.
[...]
Nachdem Erlan, Ludovigo und Romin die Burg wieder verließen, schaute Hesindiane den dreien noch lange hinterher. Er dachte an die Stimmen der Nobleza, die sich damals abfällig über die Verbindung an sich und den Gemahl seiner Enkelin im speziellen geäußert hatten und schüttelte ob deren Engstirnigkeit den Kopf. Er rechnete es Erlan hoch an, dass er seinen eigentlichen Auftrag nutzte, um den von ihm angenommenen Sohn die ursprüngliche Heimat seiner Eltern zu zeigen.
Zurück gen Heimat
Anfang Travia - auf dem Yaquir hinter Punin
Das Flussschiff, mit dem Erlan, Ludovigo und Romin von Punin aus fuhren, glitt im Madaschein über den mächtigen Yaquir. Erlan saß an Deck, während Ludovigo schon schlief. Während Erlan noch auf Romin wartete, zog er schon mal innerlich ein Resümee der Reise. Diese war - wenn man es vom eigentlichen Grund der Reise her betrachtete - erfolgreich! Es war davon auszugehen, dass die vermeintliche Gräfin und ihre Helfer jetzt nicht mehr die volle Unterstützung bekommen würde, die sie erwartet hätte. Außerdem freute sich Erlan, dass es Ludovigo gut gefallen hatte. Überraschenderweise erinnerte sich Erlan auch positiv an die überraschende Begegnung mit seiner Tante Carmina und dachte über ihre Worte nach. Er war sich sicher, wenn sie nicht geflohen wäre, dann hätte sie vielleicht ein Jahr Garnisonshaft zu Oberfels absolvieren müssen - wenn überhaupt. Aber sie hatte sich anders entschieden...
In den Gedanken über Carmina sinnierend wurde Erlan plötzlich unterbrochen als Romin sich ihm näherte und eine Skizze zeigte. "Vortrefflich! Wart ihr bei der großen Daria Vindest in der Schule? Das sieht gut aus, damit kann man sicherlich was anfangen!" - er faltete die Skizze von Burg Scheffelstein vorsichtig und nahm sie zu seinen Unterlagen.
Wieder daheim
Mitte Travia - in Unterfels
Das Geschnatter im Palazzo Arindello war groß - Amando und Elissa wollten alles über die Reise von ihrem Vater und ihrem Bruder wissen. Am besten gleichzeitig. "Ich bin nur auf dem ersten Blick ruhiger", so Shahane zu ihrem Mann. "Ich bin genau so gespannt wie die beiden, was ihr erlebt habt! Erzähl es mir jetzt gleich!"
Doch Erlan winkte noch ab und zeigte auf seine Haare. "Erst einmal will ich dieses Zeugnis meiner Reise ablegen. Ich bin ja froh, dass es dunkel war, als wir in Unterfels ankamen. Nicht auszudenken, was das wieder für Fragen provoziert hätte, wenn man mich sofort erkannt hätte." Nach keiner halben Stunde kam Erlan wieder zurück in den Salon, wo Shahane auf ihn wartete und erklärte, dass er unbedingt Erlgard nach der Herkunft der Ampullen fragen musste: "Sie wirken wie ein Zauber. Kaum aufgetragen, war das Haar wieder so, wie es sein soll!"
Shahane lachte und meinte ihm gegenüber "Na wenn das Deine Sorgen sind..."
"Mitnichten", entgegnete Erlan, aber ich fühle mich so ehrlich gesagt wohler. Und den Vergleich mit Vascal - ich habe fast den Eindruck, die Besatzer von Oberfels leider unter einer gewissen Sehschwäche. Selbst die arme Carmina hat bessere Augen um sich nicht täuschen zu lassen!"