Archiv:Großer Ball in Nupercanti (BB 15)

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Von des Boron Tribut und der Travia Geschenk

Großer Ball in Nupercanti

Die güldene Scheibe des Sonnengottes versank gerade hinter den bewaldeten Höhen des Phecanowaldes, süß dufteten die von einer Blumenpracht überzogenen Auen und Felder Nupercantis und ein warmer Wind wehte um das Schloß Azay, die Residenz des Signore von Nupercanti, als am Abend des 24ten EFFerd des Jahres 2513 Horas die ersten Gäste eintrafen, die mit Signore Tiro II. von Nupercanti und Löwenhag die Vermählung seiner Schwester begehen wollten.
Woher konnten all diese Signori und Gransignori denn wissen, was für ein Gericht der ZWÖlfe sie erwartete und wie dunkel die Schatten der Trauer seien sollten, die sich nach diesen Tagen über ganz Nupercanti legen sollten. Doch lest selbst, verehrte Leserschaft, und lest über den prunkvollen Beginn des Balles und sein Endes.
Als erster Gast traf an jenem Abend die Signora von Arreth ein, die überaus herzlich von seiner Wohlgeboren begrüßt wurde - den Gerüchten über den Kontakt der beiden Signori gab diese Geste dann erneute Bestätigung, munkelte man doch von rahjanischen Nächten zwischen den beiden Wohlgeborenen.
Schon kurz danach erreichten die Droschken der Signori von Osthzweyg und Sêwalitzingen den Hof des Schlosses, ebenso Signore Vascal ya Berisac de Mantrash mit Erlan Sirensteen von Irendor. Überaus freundschaftlich verlief die Begrüßung, wohl auch da der Yaquirbrucher seinen Knappen Arlan mit sich führte, den Sohn seiner Wohlgeboren. Besonders Signorina Ravena von Nupercanti war über die Rückkehr ihres Sohnes hocherfreut, hatte er doch bei einem Attentat auf die beiden Yaquirbrucher der Comtessa von Felsfelden das Leben gerettet. Von dem Gerücht, die Beziehungen zwischen Nupercanti und Mantrash seien abgekühlt, war rein nichts zu bemerken. Als nächstes erreichte Baronet Alricillian von Treuffenau-Veliris Azay, der Sohn Baron Arianos von Veliris. Er wurde von vielen Nupercantiern begrüßt, die jubelnd die Wege säumten, nur ein Zeichen für die Freundschaft, die Veliris hierzulande zuteil wird. Der Signore von Kullbach, Horasio della Pena erreichte Azay und wurde von Signorina Yassia, der jüngeren Tochter seiner Wohlgeboren begrüßt, währenddessen sich der Signore selbst um die Begrüßung des Gransignore von Clameth, Ulim Marciero von Selzin und Harderin kümmerte, der mit seiner Angetrauten Demeya del'Pianzano gereist war. Einige Worte wurden gewechselt, dann führte seine Wohlgeboren den Kullbacher zu den anderen Gästen. Die Stimmung war sichtlich kühl, war vielen Grangoriern die Belagerung Mantrashs doch ein Dorn im Auge gewesen. Neben dem Signore von Amarinto und dem Erzmagus Talisien vom Madasee trafen auch noch die Vertreter der Societas Rohal ein, unter ihnen Taranja Majola und Dalida Marciero. Als letzte trafen Signora Tsaida Tribêc und ein Botschafter Pertakis, Garcia de Mortutis, den scheinbar nur der Gransignore von Clameth kannte.
Nach einer förmlichen Begrüßung im Rosensaal des Schlosses und einigen Gläschen Bosparanjer verlaß Garcia de Mortutis ein Schreiben des Sohnes des Gransignore von Pertakis, Endor Dorén von Shenilo-Felsfelden, der dem Fest aus persönlichen Gründen fernblieb.

Nachdem die Gäste ihre Zimmer bezogen hatten, lud seine Wohlgeboren ins Theater Nupercantis, wo das Stück ‚Die Widerspenstige Katrina' seine erste Aufführung erleben sollte. Das leicht satirische Lustspiel wurde begeistert aufgenommen und erntete stehende Ovationen. Doch fast interessanter als die tragikomisch Beziehungen der beiden Hauptcharakter war die Begleitung des Signore in dessen Loge, wo neben seiner Gattin auch die Signora von Arreth, Dalida Marciero und der Signore von Mantrash Platz genommen hatten.
Die Nacht hindurch wurde eifrigst im Rauchsalon debattiert - wobei auch brisante politische Themen nicht ganz ausgelassen wurden - und bis in den frühen Morgen wurden die edlen Rauchkräuter Methumiens und Maraskans genossen. Ein Thema war natürlich auch die Shumirkrise, doch auf Bitten des Signore wurde auf allzu heftige Wortgefechte verzichtet, sollte doch nicht schon am ersten Abend Streit ausbrechen. Das Frühstücksbuffet - üppigst war die Tafel mit nupercantischem Obst und Spezialitäten geschmückt - verlief in lockeren Gesprächen und Bekanntmachungen. Der Baronet von Veliris segnete das Mahl - gekleidet in eine prächtige Robe, die ihn sofort als Diener des Sonnengottes erkennbar machte - und auch Signore Tiro sprach einige Worte, in denen er erklärte, seine Wahl für die Hof- und Leibmagierin sei auf Dalida Marciero gefallen. Sichtlich überrascht erhob sich die junge Magierin neben dem Signore. Doch die meiste Aufmerksamkeit erlangte wohl die verspätet erschienene Signorina Yassia, die in einer atemberaubend rahjanischen Robe erschien.
Kurz nach Mittag brach die Gesellschaft dann zur Burg Sewakwacht auf, der alten Wehrfeste der Signori von Nupercanti, die vor mehr als 600 Jahren wider Veliris errichtet worden war und nach der Schleifung nun als teilweise Ruine fortbesteht. Durch die in voller Pracht stehenden Apfelbaumfelder und blumengeschmückte Auwiesen führte der Weg in die waldigen Hänge des Phecanowaldes, bis nach langem Ritt durch einen recht düsteren Wald auf einer Lichtung endlich die Burg auftauchte. Hier - im alten Rittersaal der Burg - sollte nun der Traviabund zwischen Alinja von Nupercanti und Löwenhag und Jesidoro Weyringer geschlossen werden. Der Saal war prächtig mit Blumen - weißen Lilien und blauen Feldblumen - geschmückt, eine alte nupercantische Tradition, und nachdem die TSAgeweihte des Dorfes Arras einige Riten zelebriert hatte, schritt das Brautpaar unter lauten ‚Hoch'-Rufen in die Halle ein. In der Halle hatten sich nun auch einige Mitglieder der großen Familien Nupercantis versammelt.
Nachdem die beiden auf zwei Steinbänken Platz genommen hatten und auch Baronet Alricillian das Paar gesegnet hatte, wurde der TRAviabund endgültig vollzogen. Wiederum brach Jubel aus, als sich das Paar in die Arme fiel. Glückwünsche und ‚Hoch'-Rufe bestimmten das Bild, so überreichte der Baronet von Veliris eine edle Kristallkaraffe in Form einer Gans, der Signore de Mantrash eine kleine Kiste voll yaquirbrucher Weins und ein edel verziertes Büchlein voll alter mantrasher Geschichten. Der Gransignore von Clameth überreichte ein prachtvolles Diadem aus Silber, mit Mondstein aus der Khom und Perlen besetzt, der Signore von Sêrwitzig einen Bauschkorb, gefüllt mit zwei Rollen kostbarsten Stoffes aus dem Güldenlande. Auch die anderen Gäste überreichten kleinere Gastgeschenke, dann löste sich die Enge im Saal auf und die Gesellschaft strömte in den lichtdurchfluteten Innenhof der Burg. Dort erhob dann Wohlgeboren Tiro seine Stimme:

"Verehrte Gäste, liebe Freunde, liebe Alinja, lieber Jesidoro. Schon lang ist es her, daß das Schloß Azay einen solchen Glanz an Namen und Prunk erleben konnte. Besonders möchte ich an dieser Stelle den Signore de Mantrash, Vascal ya Berisac erwähnen, der sich in unserer Mitte befindet. Eine enge und rege Freundschaft, Vertrauen und Unterstützung prägen den Kontakt zwischen Nupercanti und Mantrash. Signore Vascal hat sich große Verdienste auch um Nupercanti erworben und somit halte ich es für angemessen ihn für diesen Verdienst zu ehren. Und somit soll Vascal ya Berisac, Signore von Mantrash, von heute an Cavalliere von Eylahall geheißen werden, er soll das Lehen Arras und fünf Hufe Land im Süden dieses Landes erhalten und dazu den Gutshof Eylahall. Dies sei ein erstes Zeichen meines Dankes."
Gemurmel machte sich breit, Signore Vascal stand gerührt und lächelnd da. Alle Blicke ruhten auf dem Yaquirbrucher, dessen Brauen sich nervös bewegten. Der Signore von Irendor gratulierte ihm und auch andere Signori nickten zustimmend. Ohne weitere Reaktionen abzuwarten, fuhr der Signore fort:
"Und auch die Freundin Nupercantis, Savinya Romeroza von Arreth soll schon in Bälde für ihre Zuneigung, Freundschaft und Treue belohnt werden. Nupercanti hat einen neuen Partner, einen neuen Freund. Auch sie soll sich bald Cavalliera nennen dürfen."
Wieder erhob sich Gemurmel, das wohl daher rührte, daß in der letzten Zeit einige Gerüchte um die Signora von Arreth und den Signore in Umlauf gekommen waren und schon jetzt wähnten sich viele Spötter und Unken im Recht. Doch der Signore fuhr wiederum fort:
"Und zu guter letzt möchte ich noch die Ankunft eines Gastes für den Abend ankündigen. Er wird um die sechste Stunde eintreffen."
Ungläubige Blicke folgten dem Signore, als er sich wieder unter die Gesellschaft gesellte. Doch wenig Zeit blieb für Fragen, denn die Gesellschaft brach mit dem Brautpaar an der Spitze wieder nach Azay auf. Doch diesmal war der Himmel von dunklen Wolken verhängt und eine kühle Brise wehte über die Häupter der Gäste. Man hätte dies bereits als schlechtes Omen nehmen können, doch frohen Gemütes erreichte die Gesellschaft Azay, in Erwartung eines üppigen Mahles und eines prachtvollen Balles.
Im edlen Gewande, die Damen geschmückt mit Geschmeide, die Herren mit ihren Prachtdegen oder Floretten, traf man sich dann um die sechste Stunde im großen Festsaal des Schlosses zum Abendmahl. Trotz einer kleinen Auseinandersetzung am Rande der Hochzeit zwischen dem Signore und der Signora von Tribêc wahrte man den guten Benimm, obwohl man sofort die untergründige eisige Stimmung zu erfühlen vermochte. Und erst als die Diener die üppigen Speisen reichten, vergaß man die hohe Politik und wandte sich den leiblichen Genüssen zu. Erlesenes aus EFFerds Reich und andere Köstlichkeiten wurden gereicht, rotem Bosparanjer folgte Wein aus Clameth und Rotwein aus Mantrash. Man parlierte angeregt und viele Gäste amüsierten sich köstlich, darunter vor allem die Signorina Yassia und die beiden yaquirbruchschen Signori sowie Maga Taranja Majola und der Baronet von Veliris. Signore Tiro widmete seine Aufmerksamkeit ganz seiner Gattin aber auch der Angetrauten des Clamethers, Demeya del'Pianzano. Zum Abschluß wurden Cider und Blätterteig - zwei nupercantische Spezialitäten - gereicht und Signore Tiro erhob sich in einem Augenblick der Ruhe von seinem Platz:

"Wiederum möchte ich mein Wort an euch richten, liebe Freunde. Unter der TRAvia Schutz hier versammelt, möchte ich euch nicht länger dem unangekündigten Gast harren lassen. Bitte nehmt ihn ohne Scheu in eure Reihen auf, gewährt ihm Freundschaft und Vertrauen wie ich es ihm hier auf Azay gewährte."
In diesem Moment öffnete sich eine kleine, in der Wand versteckte Tür und ein blonder Recke trat ein, wohl an die zwei Schritt messend und in beste Tuche gekleidet. Eisige Stille lag im Raum, besonders dem Signore de Mantrash war anzusehen wie aufgewühlt sein Innerstes mit den aufkommenden Gefühlen kämpfte. Vor ihm stand sein Bruder, Ravelian ya Berisac, den er seit der Belagerung Mantrashs in diesem Jahre nicht mehr gesehen hatte. Beide schritten gemessenen Schrittes aufeinander zu und standen unschlüssig voreinander, bis der Ältere schließlich seine Hand auf die Schulter seines Bruders legte und nickte - der Schlußstrich unter all den Vorwürfen, mit denen der junge Ritter zu kämpfen hatte. Die Gesellschaft war verstummt, wahrscheinlich ob dem Hintergrund der Szene, oder aus Unkenntnis eben dieses Hintergrundes. Erst nach wenigen Momenten erhoben sich Stimmen und die beiden Brüder zogen sich in den Rauchsalon des Schlosses zurück. Mit verweinten Augen und zitternden Lippen saß Signorina Yassia an der Tafel, ihre Hände hielten die Serviette engumschlossen als sie sich erhob und mit wehenden Haaren an ihrem Vater vorbei in den Rauchsalon stürmte. Nach weiteren Augenblicken der Stille erschien dann wieder der Mantrasher, klopfte Signore Tiro auf die Schulter und beide setzten sich wieder an die Tafel und vertieften sich in ernstes Gespräch. Die anderen Gespräche wurden wieder lebhafter, häufig fiel der Name Ravelian und oftmals wird die Geschichte um den Bruder des Signore an diesem Abend erzählt worden sein. Der Signore von Kullbach und sein Cousin Jolion von Lunar-Marvinko saßen dagegen fast stumm an der Tafel.
Nach dem üppigen Mahl, das mit einem roten Bosparanjer beendet wurde, nahm die Gesellschaft an einem kurzen Gottesdienst im Heiligtum des Schlosses teil, den der Baronet von Veliris zelebrierte und begab sich dann in ihre Gemächer, um sich auf den anstehenden Ball vorzubereiten.
Die letzten rötlichen Strahlen der Sonnenscheibe verschwanden hinter den Bergen, als auf dem hellen Hof des Schlosses die Damen und Herren eintrafen, um sich zum Festsaal zu begeben. Der Weg zum Dorf Nupercanti und der Hof war mit Fackeln geschmückt, die von hunderten Faltern und Mücken umschwirrt wurden. Signorina Ravena war in ein atemberaubendes schwarzes Abendkleid gewandet, ihr bleiches Gesicht und ihre dunklen, wagemutig aufgesteckten Haare bildeten eine seltsame Gestalt. Der Signore selbst war in feine Stoffe gewandet, erschien wie immer mit Puderperücke und auch die anderen Signori und Gäste - darunter wiederum auch vornehme Nupercantier - waren festlich gewandet. Die marmornen Stufen zum Festsaal empor zwängte sich die Gesellschaft erwartungsfroh nach oben. Der Saal war festlich geschmückt, die Kandelaber und etliche andere Kerzen erhellten den Raum und auf einem Podest hatten vier Musiker Platz genommen.

Und während der eine Teil der Gesellschaft den Abend tanzend und lachend im Festsaal verbrachten, zogen auch wenige den stillen Rauchsalon dem Trubel vor. Darunter unter anderem die Signora von Arreth und der Signore von Mantrash, aber auch der Gesandte Pertakis und Signorina Ravena, die äußerst energisch und mit Passion über ihre politischen Ansichten sprach. Im Saal dagegen tanzten Signorina Yassia und der Signore von Irendor, der Gransignore von Clameth und Madame del'Pianzano. Ansonsten mischten sich Signori und Signorae bunt untereinander und fröhlich und ausgelassen wurde bis zur Mitternachtsstunde getanzt.
Im Rauchsalon dagegen hatten sich nun Signore Tiro und der Mantrasher zusammengefunden, vor sich eine Flasche Rotwein:
"Vascal, ich hoffe Ihr habt Verständnis, daß ich Ravelian Obdach und Zuflucht gewährte. Ich glaube, so war es am besten für uns alle...und vor allem für Ravelian!"
"Aber sicherlich", entgegnete der Yaquirbrucher, "und ich denke, wir sollten nun - wo sich wieder alles zu Guten gewendet hat - die Verlobung angehen die beiden Liebenden zueinanderfinden lassen. Eine Heirat würde nicht nur die beiden endlich zusammenführen, sondern auch Nupercanti und Mantrash durch eine eherne Verbindung."
Der Baronet von Veliris gesellte sich von einem Sofa, auf dem er mit der Signora von Tribêc diskutiert hatte.
"Ah Baronet", Signore Tiro erhob sich, "ich sah euch den Abend kaum!?"
"Nun, die Stille hier gefällt mir wahrlich besser als der Trubel da draußen...doch Freund Tiro, ich glaube ihr seid mir eine Erklärung schuldig. Ravelian ya Berisac, was ist mit ihm?"
Der Mantrasher hob eine Augenbraue, blickte langsam zum Baronet herauf. Erinnerungen stiegen in ihm hoch, Erinnerungen an seine Tsafeier und den Baronet. Noch bevor Signore Tiro ansetzen konnte, erwiderte der Mantrasher nur kurz "Es geht ihm doch sichtlich gut..." und tauschte einen wahrhaftig nicht freundschaftlichen Blick mit dem Baronet. Signore Tiro bemerkte die eisige Stimmung und warf ein:
"Er ist tatsächlich wohlauf, Baronet. Doch laßt uns doch nun in den Festsaal gehen."
Damit war das Gespräch beendet und der Veliriser und der Mantrasher trennten sich wortlos. Und während Signore Tiro mitten zwischen die Tanzenden stürmte, bemerkte wohl niemand, daß Signorina Ravena einer Zofe winkte und mit dieser den Festsaal verließ. Die Tür schlug zu, doch niemand störte sich daran. Ravelian ya Berisac und Signorina Yassia schauten sich verliebt in die Augen und ließen ihre Lippen sich immer wieder treffen, Signore Erlan von Irendor und der Mantrasher unterhielten sich angeregt an einem Fenster und die Tanzenden genossen eine weitere Kuslikana, die die Gesellschaft immer wieder lauthals forderte. Gläser klirrten, gellendes Frauenlachen und rauhe Männerstimmen verbanden sich und es wäre wohl noch bis zum Erwachen Praios weitergegangen, wenn nicht ein heller, die Treppe heraufstürmende Schrei die Gäste aufgeschreckt hätte.

Laut und verzweifelt klang der Schrei. Die Gesellschaft wendete sich zur Tür, eine Zofe stürmte atemlos und mit aufgerissenen Augen in den Saal. Keuchend und mit übreschlagener Stimme schrie sie nach den ZWÖlfen und der Signorina, bis sie bäuchlings auf dem Marmorboden aufschlug und sich ihr dunkelrotes Blut schäumend aus ihrem Rücken im Festsaal ergoß. Die Gesellschaft wich zurück, die Signora von Tribêc schrie auf. Dalida Marciero und Hofmedicus Neidhard beugten sich über den blutüberströmten Körper und schüttelten die Häupter. Signore Tiro löste sich von den anderen Gästen und stürzte die Treppe hinab, seine Tochter, der Signore von Mantrash, Dalida Marciero und der Baronet von Veliris folgten ihm. Als sie den Salon des Signore erreichten, sahen sie ein grausiges Bild.
Mitten in einer dunkelroten Blutlache lag der Signore, gebeugt über einen Frauenleichnam, gekleidet in ein dünnes Nachthemd. Die Lippen bewegten sich langsam, formten mühsam die Worte ‚Methumis'. Dann erschlaffte das Gesicht und die Augen blickten starr und leer an die holzvertäfelte Decke. Die Signorina von Nupercanti war gestorben. Zitternd und wortlos erhob sich der Signore, blutbesudelt und mit verwirrten Blick.
Die Gesellschaft im Festsaal stand stumm und betroffen still, als der Signore von Mantrash die Nachricht überbrachte. Nur das Schluchzen eines kleinen Jungen war zu hören und eine hochschwangere Frau, die den ganzen Abend über unerkannt und unauffällig geblieben war, stürmte nach vorne. Es war die Mätresse des Signore Lucrezia Rahjabella d'Este.
Als die Gäste am nächsten Morgen Azay verließen, gehüllt in dunkle Gewandung, schritten sie langsam und gemessenen Schrittes an der aufgebahrten Signorina vorbei. Die blutigen Wunden verdeckten weiße Lilien und roter Fingerhut - die heilige Pflanze der guten TRAvia. Nichts war mehr von der festlichen Stimmung geblieben, mit den Gästen, all den Signori und Gransignori trauerte auch Nupercanti. Das bleiche Gesicht der Signorina war eingefallen aber fast schöner als vorher. Als letzter schritt der Signore von Kullbach an der Signorina entlang, war er es doch gewesen, dem die Signorina auch gegen den Signore ihr Vertrauen schenkte. Nun war sie gestorben.
Am 28ten EFFerd dieses Jahres, drei Tage nach dem schrecklichen Geschehen brachte Lucrezia d'Este einen gesunden Knaben zur Welt: Lodovico Chrîstobal von Nupercanti. Doch die Freude über den Jungen konnte die Trauer über den Tod der Signorina nicht verdecken.