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Die andere Seite

Sewamund, 30. Rahja 1033 BF
Er glaubte nicht so recht an die ganze Bankraubgeschichte und noch weniger daran, was dieser Schreiber im Kommentar des Seewinds zu dem Thema zu sagen gehabt hatte. Und jetzt, wo er tatsächlich doch nach draußen auf die Straße gegangen war und beobachtete, wie die Leute in aller Eile ihre Sachen vor dem Unwetter in Sicherheit brachten, hatte die ganze Situation noch weniger Ähnlichkeit mit den Zeitungsgeschichten. Der Markt sah dieser Tage aus wie ein Rummelplatz oder wie die Mittelstraße eines Jahrmarkts. Da kam er zunächst an einem Haufen Imbissstände vorbei, dann waren da hauptsächlich Ausschanke, die kleinsten, die er je gesehen hatte. Aber alles basierte auf einem wohlfeilen Plan, jedenfalls soweit er sah. Er kam an Ständen mit Fassaden aus türkisem Holz, falschem Mauerwerk und Scherben zerbrochener Kacheln vorbei, die zu Strudeln, Sonnen und Blumen angeordnet waren. Ein geschlossener Laden war mit grünen und kupferfarbenen Brettern tapeziert.
Er ertappte sich dabei, wie er über all das grinste, auch über die Leute, die ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten. Sie schienen wild zusammengewürfelt zu sein, alle Altersstufen, Haarfarben und Stände, und alle rannten sie vor dem Unwetter davon, das jetzt ganz eindeutig im Anzug war. Der Wind frischte auf, als er sich zwischen Karren und alten Damen hindurchschlängelte, die Strohkörbe schleppten. Ein kleiner Junge, der mit einer großen roten Vase in den Armen dahinstolperte, lief ihm gegen die Beine. Er hatte noch nie ein Kind mit solchen Tätowierungen gesehen. Der Junge sagte etwas Unverständliches, packte die Vase fester und war dann verschwunden.
Er blieb stehen und überdachte kurz seine Lage. Dann übermannte ihn die Erschöpfung und er wollte nur noch wissen, wo und wann er schlafen konnte, und worum es überhaupt bei diesem ganzen Quatsch ging. In was hatte er sich da reinziehen lassen?
In diesem Moment schlug der Regen zu, der Wind steigerte seine Geschwindigkeit und die Leute gingen nun wirklich in Deckung und überließen ihn, der sich in einer Lücke zwischen ein paar leeren Fässern zusammenkauerte, seinem Schicksal.
Jemand brüllte etwas, aber die Worte wurden vom Wind weggerissen, und er konnte sie nicht verstehen. Er schaute nach unten und sah Wasser um seine Stiefel hochsteigen. Nicht gut, dachte er: Pfützen, nasse Schuhe, ein weiter Weg voraus.
Neben dem einen Fass war ein Obststand, aus altem Holz zusammengehauen wie eine Kinderfestung, doch er stand auf einer Art Podest, das acht Finger hoch war, und dort sah es trocken aus. Er kauerte sich auf das Podest und nahm die Füße aus dem Wasser. Es roch nach überreifen Birnen, aber es war weitgehend trocken, und das Fass hielt den meisten Wind ab.
Er zog seinen Umhang so weit zu wie es ging, schob die Fäuste darunter und dachte an wärmere Tage und ein trockenes Nachtlager.
Die Holzstützen einer Segeltuchmarkise knickten ein wie Zahnstocher, sie kam herunter und schüttete Unmengen Regenwasser aus. Und genau in diesem Augenblick sah er sie, die Person, die ihm beschrieben worden war, direkt da draußen vor seinen Augen. Er glaubte zu träumen. Keine sechs Schritt entfernt. Sie stand einfach so da.
Er kroch unter dem Obststand hervor, um ihr zu folgen, die seinen Informanten zufolge, denen er keinen Furz weit traute, wie ihm immer klarer wurde, in die Sache involviert war. Aber wieso war sie dann noch hier oder war sie zurückgekommen? Zurück, um unliebsame Mitwisser umzubringen?
Dicke Regengüsse kamen von oben herab und klatschten auf den Boden. Er glaubte zu sehen, wie sie etwas wegwarf, aber wenn er stehenblieb, um nachzusehen, was es war, würde er sie vielleicht verlieren. Sie bewegte sich jetzt, wich den Wasserfällen aus.
Fast hätte er ihre Spur verloren oder wäre aufgeflogen. Die beiden Optionen, die eine leere Straße im Unwetter bot, wollte man jemanden beschatten. Wollte man es richtig machen, brauchte man mindestens einen Partner.
Sie war schlank, ihre Beine ragten aus einem weiten Umhang heraus, der ein paar Jahre in einem Schuppen gehangen haben mochte, und sahen aus, als ob sie oft zu Fuß unterwegs sei. Sie steckten unten in dunklen Stiefeln oder Schuhen mit hohen Schäften.
Er konzentrierte sich so sehr auf sie und gab sich solche Mühe, außer Sicht zu bleiben, falls sie sich umdrehte, dass er es fertigbrachte, direkt unter einen der Wasserfälle zu geraten. Das Wasser lief ihm genau in den Nacken. In diesem Moment hörte er, wie ihr jemand zurief. „Pst, bist du das?“ Und er ließ sich in einer Pfütze hinter einem Stapel luntfeldscher Holzstücke mit aufgeweichtem Putz daran auf ein Knie nieder. Jetzt waren es zwei.
Der Wasserfall hinter ihm machte zuviel Lärm, als dass er hätte hören können, was danach gesprochen wurde, aber er konnte sie sehen, einen jungen Burschen mit einem Lederwams, der neu war, und noch jemand anderen – Nummer drei – in etwas Schwarzem, mit einer Kapuze auf dem Kopf. Sie saßen auf einem Kistenstapel und der Kerl in Leder rauchte Pfeife. Er hatte die Haare zu einer Art Haube hochgekämmt, guter Trick, bei dem Regen. Die Pfeife erlosch in der Nässe, und der Bursche sprang vom Stapel herunter und schien mit ihr zu reden. Der mit der schwarzen Kapuze stieg ebenfalls hinab. Er bewegte sich wie eine Spinne. Er trug ein Hemd mit Ärmeln, die ihm fingerweit über die Hände hingen. Er sah aus wie ein konturloser Schatten aus einer phecadischen Gespensterrittergeschichte, in der die Schatten von den Menschen getrennt wurden, so dass man sie einfangen und wieder annähen musste. Den Titel der Geschichte hatte er vergessen.
Er gab sich alle Mühe, sich nicht zu bewegen, während er dort in der Pfütze kniete, und dann bewegten sie sich. Die beiden Burschen nahmen sie in die Mitte, der Schatten warf einen Blick zurück, um zu sehen, ob hinter ihnen alles in Ordnung war. Er erhaschte ein Stück von einem weißen Gesicht und einem Paar harter, wachsamer Augen.
Er zählte: eins, zwei, drei. Dann stand er auf und folgte ihnen.
Er konnte nicht sagen, wie weit sie schon gegangen waren, als er sie plötzlich einfach im Boden versinken sah, wie es schien. Er wischte sich den Regen aus den Augen und versuchte, sich das zu erklären, aber dann sah er, dass sie eine Treppe hinuntergegangen waren, die vor einem Haus hinabführte. Er hörte Musik, als er näher kam, und sah Licht, das durch schmierige Fenster zu ihm drang.
Er blieb einen Moment lang stehen, hörte entlang der Straße Wasser gurgeln und ging dann einfach die Treppe hinunter.
Die Stufen waren steinern mit Rillen darin, aber er wäre trotzdem beinahe ausgerutscht. Auf halbem Wege wusste er, dass es sich um eine Spelunke handelte, weil er Bier und ein paar verschiedene Arten von Rauch riechen konnte.
Es war warm da unten. Es war, als ob man in ein Dampfbad ginge. Und voll. Jemand warf ihm einen Stofffetzen zu. Er war patschnass und klatschte ihm gegen die Brust, aber er fing ihn, rieb sich damit das Gesicht und die Haare ab und warf ihn in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Jemand lachte, eine Frau, wie es klang. Er ging an den Tresen hinüber und suchte sich einen freien Platz am Ende. Fischte ein paar Kreuzer aus der Geldkatze und legte sie auf das Holz. „Bier“, sagte er und schaute nicht auf, als jemand eins vor ihn hinstellte und die Münzen einstrich. Es war eins der besonders billigen Sorte. Er machte die Augen zu und trank etwa die Hälfte auf einen Zug. Als er die Augen aufmachte und das Bier absetzte, sagte jemand neben ihm: „Würfeln?“
Er schaute zur Seite und sah einen kinnlosen Kerl mit einem kleinen, pinkfarbenen Mund und schütterem, sandfarbenem Haar, das glatt nach hinten gekämmt war und von etwas anderem als nur der Feuchtigkeit in dem Raum glänzte.
„Was?“, fragte er.
„‚Würfeln’, hab ich gesagt.“
„Hab ich gehört“, sagte er.
„Und? Zeit?“
„Äh, weißt du“, sagte er, „alles, was ich im Moment brauche, ist das Bier hier, ja?“
„Schnelles Geld“, sagte der Mann mit dem pinkfarbenen Mund. „Oder Frauen, schneller Spaß. Wenn du spezielle Wünsche hast, lässt sich auch drüber reden.“ All das kam in einem leiernden Tonfall raus.
„Wart mal ’n Moment“, sagte er.
Der Mann zwinkerte ihm ein paar Mal zu.
„Ich glaub, ich hab dich schon mal gesehen …“ Zweifel.
„Ne“, sagte er. „Ich bin aus Ruthor. Bin gerade aus dem Regen reingekommen.“ Er entschied, dass es an der Zeit war, das Risiko einzugehen, sich umzudrehen und sich den Laden genauer anzusehen. Er schwang die Schulter herum und sah eine bildhübsche Tänzerin. Sie stand nackt auf einer kleinen Bühne, und ihre langen, lockigen Haare fielen ihr bis auf die Taille. Er hörte sich grunzen.
„He“, sagte der Mann, „he …“
Er schüttelte sich, eine merkwürdige, automatische Bewegung, wie ein Hund, aber sie war immer noch da.
„He.“ Wieder das Geleier. „Haste Probleme?“
„He“, sagte er, „warte, die Frau da oben.“
Der Kerl schaute nach oben.
„Wer ist das?“, fragte er.
„Das ist ’ne Illusion“, sagte der Mann mit einer völlig anderen Stimme und ging weg.
„Verdammt“, sagte der Wirt hinter ihm, „du hast gerade ’nen neuen Rekord darin aufgestellt, Chiranor Scheißberger loszuwerden. Hast dir ’n Bier verdient, mein Freund.“
Der Wirt war bullig und trug die kupferroten Haare geflochten. Er grinste ihn an. „Er heißt Chiranor Scheißberger, weil er so viel wert ist und man auch nicht mehr auf ihn geben sollte. Der lädt dich zum Spiel ein, verkauft dir wasweißich alles und knüpft dir den Zaster ab. So ist Chiranor.“ Er stellte ihm ein neues Bier neben das andere.
Er drehte sich wieder der Tänzerin zu. Sie hatte sich nicht bewegt. „Bin gerade aus dem Regen reingekommen“, sagte er, das einzige, was ihm einfiel.
„Guter Abend dafür“, erwiderte der Wirt.
„Sag mal, die Dame da oben …“
„Das ist Astorres Tänzerin“, erklärte der Wirt. „Schau hin. Er lässt sie gleich tanzen, wenn die Musiker ein Lied spielen, das er mag.“
„Astorre?“
Der Wirt zeigte hin. Er schaute in die Richtung, in die er zeigte, und sah einen sehr dicken Mann in einem Armstuhl, dessen Haar die Farbe und Beschaffenheit von grober Wolle hatte. Er trug eine glänzende, blaue Robe mit übergroßen Ärmeln, seine Hände steckten in einer Art grauem Muff auf seinem Schoß. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht ausdruckslos. Er hätte nicht mit Sicherheit sagen können, ob er nicht schlief.
„Eine Illusion?“ Die Tänzerin hatte sich überhaupt nicht bewegt.
„Astorre macht es ununterbrochen“, sagte der Wirt, als handle es sich um etwas, wogegen man nichts machen konnte.
Er schaute zu dem Fetten im Armstuhl und wurde traurig. Und wütend. Als hätte er etwas verloren.
„Fällt jeder drauf rein“, sagte der Wirt.
„Scheiße“, sagte er und konzentrierte sich darauf, die drei in der Menge ausfindig zu machen. Jetzt war es nicht mehr der Geruch von Bier oder Rauch, der ihm in die Nase stieg, sondern eher der von nassen Haaren und Klamotten und einfach der von Körpern. Und da war sie, mit ihren beiden Freunden. Sie hockten an einem kleinen runden Tisch in einer Ecke zusammen. Die Kapuze ihres Umhangs war jetzt unten, und er sah einen blonden Stoppelkopf mit einer Tätowierung einer Fledermaus oder eines Vogels an der Seite, dort, wo sie nicht mehr zu sehen sein würde, wenn die Haare nachwuchsen. Glatzkopf hatte im Profil ein hartes, kleines Gesicht, und er schwieg. Sie erzählte dem anderen irgendwas, und sie sah nicht glücklich aus.
Dann spielten die Musiker auf, eine Trommel setzte dazu ein.
Die Tänzerin – die Illusion, rief er sich ins Gedächtnis – hob die Arme und begann zu tanzen, mit schlängelnden Bewegungen, nicht zum Rhythmus der Trommel, sondern zu einer anderen Melodie. Als er auf die Idee kam, zum Fetten hinzuschauen, sah er, dass seine Augen offen waren.
Niemand sonst in der Spelunke schenkte der Tänzerin die geringste Aufmerksamkeit, nur er und der Fette im Armstuhl. Er lehnte sich an den Tresen, sah sich den Tanz der Illusion an und überlegte, was er als nächstes tun sollte.
Am besten war es, wenn er Informationen und sie bekam, das zweitbeste waren Informationen, und nur sie rangierte eindeutig auf dem dritten Platz, war aber ein Muss, wenn sonst nichts ging.
Die Musik endete und der Tanz der Illusion endete. Von ein paar Tischen kam Applaus von Betrunkenen und der Fette nickte ein wenig, als ob er ihnen dankte.
Das Schrecklichste daran war, dachte er, dass der Fette dort saß, in diesen Armstuhl gequetscht, und einfach nicht sonderlich gut darin war, dieses Ding tanzen zu lassen.
Jetzt standen ein paar Leute an einem Tisch in ihrer Nähe auf. Er war sofort mit dem Bier zur Stelle, das er gewonnen hatte, weil er Chiranor Scheißberger abgewimmelt hatte. Er war immer noch nicht nah genug dran, um zu verstehen, was sie sagten, aber er konnte es wenigstens versuchen.
Er versuchte, sich was einfallen zu lassen, um vielleicht ein Gespräch anzufangen, aber das schien ziemlich hoffnungslos zu sein. Nicht dass er aussah, als ob er nicht hierher gehören würde, er hatte den Eindruck, dass die meisten hier keine Stammkunden waren, sondern ein willkürliches Sammelsurium von Leuten, die vor dem Regen geflohen waren. Aber er hatte einfach keine Ahnung, was das für ein Laden war. Und außerdem – worüber sie und der Kerl auch redeten, die Diskussion schien langsam ziemlich hitzig zu werden.
Ihr Kerl, dachte er. Da war was von einer genervten Freundin in ihrer Körpersprache, und wie sich der Junge bemühte, ruhig zu bleiben, das deutete darauf hin, dass sie vielleicht seine ehemalige …
All das endete abrupt im Nichts, als plötzlich jedes Gespräch erstarb. Er schaute von seinem Bier auf und sah Praiodan ter Braken, den kräftigen Anführer der Stadtwache, in seinem dunklen Mantel von der Treppe hereinkommen, einen Filzhut auf dem Kopf. Er stand da und knöpfte sich mit einer Hand den regendunklen Mantel auf, von dessen Saum kleine Bäche runterliefen und Pfützen um seine Kindersärge bildeten. Er hatte darunter einen geschwärzten Kürass an, und nun kam seine Hand hoch und blieb auf dem ziselierten Knauf eines Stoßdegens liegen.
Alle Augen waren auf ter Braken gerichtet.
Ter Braken sah sich in dem Raum um. Er ließ sich Zeit und verpasste ihnen allen eine ordentliche Dosis Gardistenblick.
Er sah, dass Astorre, der Armstuhlfettsack, den Gardehauptmann mit einem Gesichtsausdruck anblickte, den er nicht ergründen konnte.
Ter Braken erspähte die Dreigruppe in ihrer Ecke und ging zu ihrem Tisch hinüber, wobei er sich weiterhin Zeit ließ und alle anderen im Raum zwang, sich die gleiche Zeit zu nehmen. Seine Hand lag immer noch an seiner Waffe.
Es kam ihm so vor, als ob der Hauptmann im Begriff wäre, zu ziehen und ein Blutbad anzurichten. Es sah auf jeden Fall so aus, aber was für ein Gardist würde das tun?
Nun blieb ter Braken vor ihrem Tisch stehen, genau an der richtigen Stelle – zu weit weg, als dass sie ihn erreichen konnten, und so, dass er genug Platz hatte, um den Stoßdegen zu ziehen, wenn er wollte.
Er stellte fest, dass ihr Liebhaber aussah, als ob er sich gleich in die Hose machen würde, was ihn irgendwie freute. Glatzkopf sah aus, als ob er in Metall gegossen und einfach an Ort und Stelle erstarrt wäre, die Hände auf dem Tisch. Zwischen seinen Händen sah er einen Dolch.
Ter Braken hielt sie mit der vollen Stärke seines Blicks fest. Sein Gesicht war gefurcht und grau in diesem Licht, und er lächelte nicht. Er rückte seinen Hut zurecht, nur genau dieses eine winzige Stück, und sagte: „Steh auf!“
Er schaute sie an und sah, dass sie zitterte. Es stand völlig außer Frage, dass der Hauptmann sie meinte und nicht einen ihrer Freunde – ihr Liebhaber sah aus, als ob er jeden Moment in Ohnmacht fallen könnte, und Glatzkopf spielte Statue. Sie stand zittrig auf. Der wacklige kleine Holzstuhl fiel hinter ihr um.
„Raus!“ Ter Braken zeigte zur Treppe. Sein haariger Handrücken bedeckte den Korb des Stoßdegens.
Er hörte, wie seine eigenen Knie vor Spannung knirschten. Er ballte die Hände zu Fäusten.
Das Licht ging aus.
Viel später, als er es zu erklären versuchte, wie es gewesen war, als Astorre seine Illusion auf ter Braken losgelassen hatte, sagte er, es habe wie ein wahnsinniger Geist ausgesehen, der sich auf seinen Peiniger stürzte.
Für ihn war alles auf einmal passiert. Als das Licht ausging, wurde es schlagartig stockdunkel, alle Lampen und Kerzen waren aus, und er stieß den Tisch vor sich einfach beiseite, ohne weiter darüber nachzudenken, und sprang dorthin, wo sie gestanden hatte. Und dann war von der Stelle, vor Astorre gesessen hatte, diese Lichtkugel herangesaust und hatte sich dabei ausgedehnt. Sie hatte die Hautfarbe der Illusion, Honig und Marmor, gemustert vom Schwarz ihrer Haare und Augen, wie ein Wolkenwirbel in einem Sturm. Sie hüllte den Hauptmann ganz ein, eine Kugel von einem Schritt Durchmesser um seinen Kopf und seine Schultern, und als sie sich drehte, wirbelten ihre aufgerissenen Augen und ihr zu einem stummen Schrei geöffneter Mund vorbei, alles stark vergrößert. Jedes Auge war für einen Augenblick so groß wie die Kugel selbst, und die weißen Zähne waren ebenfalls riesig, jeder so lang wie die Hand eines Menschen.
Ter Braken schlug nach der Kugel, und das hielt ihn für einen ganz kurzen Moment davon ab, seine Waffe zu ziehen.
Aber die Kugel gab auch so viel Licht ab, dass er sehen konnte, dass er sie und nicht ihren Liebhaber am Wickel hatte. Er hob sie einfach hoch, wobei er alles vergaß, was er je über Fesseln und Festnahmen gelernt hatte, und rannte zur Treppe, so gut es ging.
Ter Braken brüllte ihm irgendwas nach, aber er verstand es nicht.
Wenn ihm die Art gefiel, wie sich der Hintern einer Frau beim Gehen bewegte, sagte er immer, es sähe aus wie zwei kleine Luchse in einem Leinensack. Das kam ihm in den Sinn, als er die Treppe hinauf rannte und sie dabei wie einen großen Beutel mit Fressalien drin vor sich hertrug. Er war heilfroh, dass sie ihm kein Auge ausschlug und keine Rippe brach.
Draußen zog er sie hinter sich her, es war Mitternacht, im strömenden Regen über die Brücke, fort auf die andere Seite.