Briefspiel:Vespa crabro/Eine unerwartete Beobachterin
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Im Wald noch ein Stück weiter nördlich, am frühen Morgen des 11. Firun 1046 BF
Autoren: Gonfaloniere und Rondrastein
Ein entferntes Geräusch schreckte die Cavalliera aus dem Halbschlaf auf. Ein lautes Knacken, wahrscheinlich von einem schon am Waldboden liegenden, morschen Ast, auf den vielleicht etwas schweres getreten – oder ein anderer Ast gefallen war.
'Nun gut, genug geruht', dachte sie sich, obwohl ihr ein Blick durch die ob des Winters vom Laub befreiten Baumkronen verriet, dass der Sonnenaufgang noch eine ganze Weile auf sich warten lassen würde. Pferdediebe entkommen zu lassen, stand ihr aber auch nicht im Sinn. Die Dreistigkeit derselben trieb sie nur noch mehr an.
Seit dem Krieg der Farben hatte es keine Übergriffe mehr auf Rahjadans Herde gegeben. Bis gestern Abend, als der Pferdeknecht ihr in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung von dem berichtete, was er kurz zuvor beobachtete. Zwei Vermummte, einer beritten, der andere nicht, hatten auf einer Koppel einen ihrer Junghengste von den anderen erst separiert und dann eingefangen. Der Knecht war ihnen wohl erst noch hinterher gerannt, am Ende aber schon zu weit weg gewesen, als es passierte.
Yandriga, selbst nur zufällig gerade auf dem Junghengst-Gut, einem Außenstall der Zucht ihres Hauses in Leucano, hatte danach sofort ihre eigene Stute gesattelt und sich auf die Spur der Pferdediebe begeben. Auf Verstärkung aus Leucano zu warten, war ihr nicht einmal in den Sinn gekommen. Die Spur der Diebe verfolgte sie dann bis in den Salsavûrschen Wald, musste sich in der Dunkelheit der hereingebrochenen Nacht aber irgendwann eingestehen, dass sie diese – mit spärlichem Licht und selbst übermüdet – vor dem Morgen nicht weiter würde verfolgen können.
Mittlerweile hatten die Wolken, die ihr vor Stunden noch den Blick aufs Madamal versperrt hatten, sich ein Stück weit gelichtet. Keine zwei Schritt entfernt konnte sie in ihrem notdürftigen Nachtlager darum deutlich auch die Umrisse ihrer Stute erkennen, die wie sie wohl vom Geräusch aufgeschreckt worden war.
„Ich weiß, Shiala”, flüsterte sie dieser zu, „da war was. Lass uns dem Übel auf den Grund gehen!”
Nicht allzu weit vom Nachtlager entfernt, bewegten sich einige Schatten durch den Wald. Es wirkte, als ob sie es eilig hätten. „Pass doch auf, du Trampel”, war es deutlich in der Dunkelheit zu vernehmen, „wir sind zwar spät dran, aber dennoch muss man euch nicht schon meilenweit hören. Achtet darauf, wo ihr hintretet.” Es war eine raue Stimme, die das sagte. Die Gruppe schien auf dem Weg nach Süden zu sein.
Yandriga hatte sich gerade in den Sattel schwingen wollen, als sie die Stimme vernahm. Beruhigend legte sie ihrer Stute stattdessen nun die linke Hand auf den Hals und versuchte auszumachen, wie weit entfernt und aus welcher Richtung genau die Geräusche kamen.
‘Wer ist das?’, fragte sie sich. Sie konnte die Pferdediebe doch unmöglich schon überholt haben, ohne es zu merken. ‘Spät dran’ hörte sich danach an, als wenn da jemand auf dem Weg zu einer Verabredung war. Im Wald? Am frühen Morgen, noch vor Sonnenaufgang? Die Fragen häuften sich. Ihre Sinne waren dafür jetzt mehr als nur geschärft.
„Los schneller, es ist nicht mehr weit”, die Stimme erklang erneut westlich von ihr. „Wir sollten nicht mehr weit entfernt von der Burg sein. Schneller, der Prinzipal wartet!”
Wieder knackte es, gefolgt von einem leisen Fluch, aber keinem erneuten Befehl. Das Antreiben der Belauschten sorgte eher dafür, dass sie lauter als leiser wurden, aber offensichtlich war ihnen eine zeitige Ankunft wichtiger, als unauffällig zu sein.
‘Prinzipal?’ Noch eine Frage, die Yandriga rätseln ließ. Wurden nicht die Stadtoberhäupter Marudrets so bezeichnet? Das machte doch keinen Sinn! ‘Zur Burg?’ Da konnten sie an sich nur auf dem Weg nach Salsavûr sein, wenn sie nicht noch einen großen Haken zurück nach Cindano oder Urbet schlagen wollten …
Der Gedanke, dass die Salsavûrs unter die Pferdediebe gegangen sein könnten, war ihr gestern Abend schon einmal gekommen, zugegeben. Aber … nein, das machte auch keinen Sinn! ‘Verdammt, in was bin ich hier reingeraten’, fluchte die Cavalliera innerlich. Irgendwelche finsteren Gestalten waren auf dem Weg zur Burg nach Salsavûr, und das am frühen Morgen nach dem dreisten Pferdediebstahl am Vorabend. Ihre Absichten konnten nicht gut sein, das war klar … nur ob die Salsavûrs mit ihnen unter einer Decke steckten, war fraglich.
‘So oder so, da will ich mehr wissen’, entschloss Yandriga sich, den Schatten im Wald in ausreichender Entfernung erstmal zu folgen. Ihre Stute nahm sie am Halfter, wohl wissend, dass ihr dies das Hinterherschleichen nicht einfacher machen würde. Wenn’s drauf ankäme, wollte sie sich aber schnell in den Sattel schwingen und den direktesten Weg aus dem Wald nehmen können.
Kurze Zeit später stoppte die Gruppe vor Yandriga. „Verfluchte Niederhöllen”, war es deutlich vor ihr zu vernehmen, „wir sind zu weit westlich! Dort ist das Gestüt, wir sollten eigentlich dort sein.”
„Das Tor steht offen”, raunte eine andere Stimme, was dafür sorgte, dass die erste Stimme erneut einen Fluch ausstieß. „Schnell jetzt, noch ein Stück im Wald nach Osten und dann zum Tor, wir sind zu spät. Sie haben schon angegriffen!”
Die Gruppe achtete überhaupt nicht mehr darauf leise zu sein. Sie bewegte sich so schnell wie möglich im Schutz des Waldes. „Los jetzt, zum Tor und dann rein da!”
Mit diesem Befehl verließ die Gruppe den Wald und rannte über die offene Fläche zum Burgtor. Nun Yandriga konnte sehen, dass es sich um etwa ein Dutzend Gestalten handelte, die vor ihr in Richtung der Burg Wulfenblut stürmten.
‘Bei Rondra, die greifen an.’ Es war eine banale Feststellung, die der Cavalliera nun endlich durch den Kopf ging. Dass die finsteren Gestalten mit den Salsavûrs nicht unter einer Decke steckten, war damit auch klar. Die Frage, die sich Yandriga jetzt nicht mehr stellte, war indes, ob sie was dagegen tun sollte. Bei aller Rivalität zwischen ihrer Familie und den Salsavûrs, waren letztere doch Lehnsnehmer ihres Bruders … Schutzbefohlene sozusagen …
In einer fließenden Bewegung schwang sie sich in den Sattel, drückte ihre Schenkel in Shialas Seite und stieß kurz darauf etwas seitlich versetzt neben den Angreifern aus dem Wald. Diese waren klar in der Überzahl, aber offensichtlich unberitten. Vielleicht konnte sie sie noch überholen und jemanden warnen.
„Überfall! Ihr werdet angegriffen”, brüllte sie deshalb in den anbrechenden Morgen hinein, nur auf Abstand zu den über die offene Fläche laufenden Gestalten bedacht.
„Scheiße”, hörte sie lautes Fluchen, „holt den Reiter vom Pferd, bevor er noch alle weckt!” Der Rufende deutete im Laufen auf die Reiterin. Einige der Gesellen blieben stehen und fingen mit ihren Armbrüsten an, auf die Berittene zu schießen.
'Nein, Danke!', ging es Yandriga durch den Kopf, als sie erst den Fluch vernahm und die Gestalten dann auf sie zielen sah. Exakt wegen dieser Möglichkeit hatte sie Abstand gewahrt … und war dennoch nicht gewillt, ihre Stute der Gefahr eines Glücksschusses der Angreifer auszusetzen. So trieb sie Shiala zu noch mehr Tempo an und drehte ein Stück weit ab, ohne den Armbrustschützen freilich den Rücken zuzuwenden.
Während Bolzen hinter ihr ihr Ziel verfehlten, sah sie entfernt vor sich nun den Fluss, die Torre, im Mondlicht schimmern, und davor schemenhaft die Umrisse des Dorfes Salsavûr. Sie drehte weiter, gewillt ihre Optionen auszuloten. Sollten die Gestalten, die gerade auf sie geschossen hatten, nun weiter rennen, konnte sie immerhin ziemlich sicher sein, dass ihre Armbrüste nicht mehr geladen waren … was es ihr ermöglichen würde, sie niederzureiten.
Bevor sie ganz wenden konnte, sah sie westlich des Dorfes jedoch Feuer aufflackern. Die Situation wurde chaotisch! Der Brand explodierte geradezu, breitete sich in Windeseile über das betroffene Gebäude aus. Er war gelegt … natürlich! … und das an einer dafür besonders empfindlichen Stelle.
In dem Moment hörte sie schon Rufe: „Feuer! Es brennt!” Und sie entschied, bei ihrem ursprünglichen Vorhaben zu bleiben.
„Shiala, voran”, rief sie und drückte ihre Schenkel wieder in die Seite der Stute. Die Schützen vor ihr waren erstaunlicherweise noch in Position, schienen aber hektisch mit dem Spannen ihrer Armbrüste beschäftigt zu sein. ‘Jetzt oder nie’, dachte Yandriga.
Bevor der erste ihrer Widersacher seine Armbrust wieder ansetzen konnte, war sie schon heran, trieb ihr geschultes Ross über einen Schützen und hieb mit dem Schwert nach dem rechts daneben stehenden. Sie verfehlte den zweiten knapp, da er noch auswich, doch stürzte er dabei wenigstens.
‘Rondra, Phex, seid mir gnädig’, dachte sie, als sie die Schützen dann wieder in ihrem Rücken hatte, ihre Stute zu wenden begann. Ein Bolzen zischte einen halben Schritt neben ihr vorbei. Sie drehte weiter und sah, dass die übrigen Schützen auf sie ansetzten. In deren Rücken preschte aber ein weiterer Reiter heran …
Einige Zeit nach den Rufen tauchte einer der Salsavûr hinter den Schützen auf. Timor hatte sich flach über den Hals seines Rosses gebeugt. Er hielt direkt auf die stehenden Fernkämpfer zu. Kurz vor diesen richtete er sich im Sattel auf, zog sein Breitschwert, das an seiner Linken hing.
Ohne zu verlangsamen steuerte er auf einen der Schützen, der dabei war seine Waffe wieder zu spannen, zu. Im vollen Galopp holte er mit seiner Schwert aus und hieb auf den Mann am Boden ein. Der Kämpfer wurde durch den Schwung von den Füßen gerissen und blieb reglos am Boden liegen.
‘Danke’, dachte Yandriga, was wohl an Leuin und Fuchs gerichtet war. Der Angriff des zweiten Reiters brachte Unordnung in die - trotz allem noch überraschend diszipliniert ihre Stellung haltenden - Schützen. Zumindest konnten sie sich jetzt nicht mehr allein auf sie konzentrieren.
„Nochmal”, rief sie ihrer Stute zu, und war mit wenigen Galoppsprüngen wieder bei den Schützen. Der anvisierte Widersacher sprang jedoch im letzten Moment zur Seite, ihr geschwungenes Schwert streifte ihn nur am Arm. „Verdammt!”, fluchte sie.
Timor war gerade dabei zu wenden, um sich den nächsten vorzunehmen, als er zu seiner Linken die andere Reiterin entdeckte. Seine Augen weiteten sich, als er erkannte, wer die Warnrufe ausgestoßen hatte. Ihre Stimme verriet sie beim Fluchen: Das konnte nur Yandriga sein! ‘Eine Urbet…’ schoss es ihm durch den Kopf. Sie hatte er hier am wenigsten erwartet und wenn dann eher auf der Seite derer, die angriffen. Er schob den Gedanken beiseite, für diese war auch noch später Zeit.
Der Salsavûr, den viele als Thorwaler bezeichneten, ließ sein Ross wieder auf die Schützen zu reiten, als auch sein Vetter auf der gegenüberliegenden Seite auftauchte und es ihm gleich tat. Kurz darauf fiel ein weiterer der Schützen tot ins Gras.
„Zur Burg”, rief Timor zum Baron hinüber, „die hier übernehmen wir!” Er warf einen kurzen Blick auf Yandriga, die inzwischen vom Pferd gesprungen war, wohl um die verbliebenen Schützen besser zu Fuß bekämpfen zu können.
Lorian drehte mit seinem Ross ab und machte sich in Richtung des Burgtores davon. Timor beachtete ihn nicht weiter, sondern fixierte sich auf den nächsten Gegner vor sich. Kurz nachdem der Baron sich in Bewegung gesetzt hatte, erscholl der Klang einer Glocke von der Burg herüber.
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Yandriga streckte den letzten kampfwilligen Widersacher vor sich mit einem kraftvoll geführten Schwerthieb nieder. Die unmittelbaren Gefahren des Kampfes hatten sie bis dahin davon abgehalten, zu verschnaufen … oder sich ihrem Kampfgefährten zu erklären, mit dem zusammen sie dennoch erstaunlich effizient unter den Gegnern aufgeräumt hatte. Längst hatte sie ihn trotz der Dunkelheit auch als Timor erkannt.
„Ich war Pferdedieben auf der Spur”, rief sie ihm endlich, noch schwer durchatmend entgegen, „und bin dann in diese Schweinerei hier hineingeraten.”
Timor war nicht gnädig mit seinen Gegnern und hatte auch dementsprechend agiert. Als der letzte Gegner durch den Streich Yandrigas fiel, ritt er näher an die Urbet heran. „Habt Dank", sagte er kurz angebunden, bevor er von ihr zur Burg schaute, „Alles Weitere später, auf zur Burg!”„
Er war sich sicher, dass dies nicht die einzigen Gegner waren, alleine da der Klang der Glocke zu hören gewesen war. Ohne weiter auf Yandriga zu achten, ließ er sein Ross wieder angaloppieren und machte sich auf dem Weg zum Tor.