Archiv:Graf Cedor lebt (BB 15)
Seit Jahr und Tag drang kaum eine Nachricht vom Verbleib des Grafen von Thegûn an die Öffentlichkeit, der im Herbst 2512 Horas die kaiserliche Gesandtschaft nach Praske leitete, aber von dieser Reise nie zurückkehrte. Das Bosparanische Blatt schätzt sich glücklich, nun mit Genehmigung Ihrer Hochwohlgeboren einen Brief veröffentlichen zu dürfen, den der Graf dieser Tage an seine Gemahlin richtete.
An die Gräfin von Thegûn, Donna Lutisana ay Oikaldiki, nach Burg Eskenderun.
Geliebte Lutisana,
als ich heute morgen durch die Gassen ging, kam ich zu einer öffentlichen Rahjamesse hinzu, selten genug im Monat des Totengottes, und wem, hörte ich, war dieser Göttinnendienst gewidmet? Bei den Drachen von Abbadom, meine Lutisana, Du hast eine verblüffende Weise ersonnen, mich aus diesem Krieg nach Hause zu holen... Um meine glückliche Rückkehr öffentlich beten zu lassen!
Wie Du bemerkst, weile ich inzwischen in der glorreichen Kaiserstadt dieser armen gebeutelten Mittelreicher. Obwohl ich zum vierten Mal in der größten Stadt der Welt bin, obwohl ich vor sieben Jahren den Glanz des Großen Hoftages gesehen habe und obwohl der Krieg mit dem Bethanier schwer auf ihr lastet, ist Gareth noch immer die gleich überwältigende, faszinierende Stadt, die es immer für mich war. Du hast mir erzählt, wie Dich Staunen ergriff, als Du, keine zwanzig Jahre alt, auf der Reise zur Schule in Zorgan hier Station machtest, und das selbe Staunen ist in mir wieder und wieder.
Meinen letzten Brief schrieb ich Dir von der Inthronisation der neuen Weidener Herzogin Walpurga, und laß mich nun kurz erzählen, was wir seitdem getan haben. Ich stieß im Gefolge des Reichsbehüters zurück von dem Abstecher nach Trallop zum Lager des Reichsheeres. All die Kameraden aus meiner Truppe waren wohlauf und die anderen aus dem Zug der Edlen ebenfalls. Wenn wir nur noch mehr gewesen wären! Aber wie ich Dir schilderte, nicht die Hälfte von denen, die mit mir nach Tobrien hineinzogen, sind auch wieder herausmarschiert. Irgendwo jenseits der Schwarzen Sichel ruhen sie in Frieden, wenn Boron gnädig ist, oder sie marschieren immer noch, aber in einem anderen Heer...
Was uns betrifft, legten wir alle gemeinsam – das Reichsheer und der Zug der Edlen – auf der alten Reichsstraße 2 den Weg nach Wehrheim zurück, das ich somit nach fast genau einem Jahr wiedersah. Waren wir damals nur auf der eiligen Durchreise zu jener Heerschau, die mit der Entführung des jungen Herzogs Bernfried endete, so schlugen wir diesmal für längere Zeit unsere Quartiere auf. Denn Wehrheim ist das Winterlager des Garether Reichsheeres und von uns Liebfelder Edlen. Vor dem nächsten Frühling erwartet uns kein Feldzug mehr, aber andererseits ist der Krieg keineswegs zu Ende! Darum kann ich auch noch nicht nach Hause kommen.
Oder besser gesagt, ich könnte schon und müßte nach dem Winter wieder hinreisen – es wäre die Mühe hundertfach wert, um Dich zu sehen... Aber wie würde das für meine einfachen, treuen Soldaten aussehen, wenn ich sie für mehrere Monate in der Fremde zurückließe, um es mir am heimatlichen Herd wohlsein zu lassen? Nein, so lange der Krieg dauert, muß ich beim Zug der Edlen und dieser beim Reichsheer bleiben. Da unsere Dame Firdayon mich an die Seite Brins befohlen, dieser aber sich gen Gareth begeben hat, bin ich eben jetzt ein paar Tagesritte von unseren Leuten entfernt. Ich glaube, er hat sich unbändig gefreut, wieder in seiner Heimatstadt zurück zu sein. Alle getrennten Liebenden können ihm das nachfühlen, auch für ihn war es ein Jahr, bis er Königin Emer wiederfand. Wenn ich an Dich denke, hoffe ich sehnsüchtig, daß dieser Krieg bald aus ist...
Im Getümmel Gareths und abseits des Wehrheimer Feldlagers kann ich das Inkognito Alrizio von Abbadom ablegen, unter dem ich noch auf den Vallusanischen Weiden in die Schlacht geritten bin. Der Feind weiß über die Löwinnenschwerter schon zu gut Bescheid, als daß es noch nötig wäre, sie zu verbergen. Doch trage ich die Amethystlöwin ständig am Leib, und der Feind wird schon mich holen müssen, wenn er sie haben will.
Ich sollte mich im Herzen des Mittelreiches eigentlich sicher fühlen. Aber der weite Himmel über der Goldenen Au gefällt mir nicht. Kalt und grau wölbt er sich im Totenmonat. Praios zeigt sich nicht. Ich habe ein ungutes Gefühl, so eine Ahnung, als ob uns aus der Luft Gefahr drohen könnte... Dient dem Feind nicht ein Schwarzer Kaiserdrache? Und was bedeutet die Prophezeiung von den Belagerungstürmen, die über den Himmel ziehen?
Übrigens habe ich gehört, daß kurz vor meiner Ankunft hier Graf Litprand von Darbonia aus Gareth abgereist ist. Er ist oder besser war Graf von Mendena, ein sehr traviagläubiger Mann, dessen Heimat nun ein verdorrtes, verfluchtes Land geworden ist. Im Rondra, als nach Vallusa das Ende des Krieges nahe schien, vereinbarten wir, daß er mich auf der Heimreise begleiten werde, um im Lieblichen Feld um Spenden für die tausenden tobrischen Vertriebenen zu werben. Ich wollte auf dem Turnier des tobrischen Herzogs, das in Ebelried an den Hängen der Drachensteine abgehalten wurde, mit ihm zusammentreffen, aber wir versäumten es beide. Nun ist er also allein aufgebrochen. Wahrscheinlich kommt er auch nach Eskenderun, empfange ihn bitte freundlich. Sein Sohn Folkwin ist im letzten Rahja geboren, so wie unsere Celissa.
Ich darf gar nicht dran denken, daß ich meine jüngste Tochter noch nie gesehen habe, und ich fürchte, sie wird ihren ersten Geburtstag ohne Vater feiern... Grüße Tizzo und Tilfur von mir, und Tilliana und Caliane, natürlich auch Meinhard und all die Leute auf Eskenderun. Ich denke jeden Tag an Dich und drücke heiße Küsse auf dieses Pergament, das Dir ein Beilunker sicher überbringen soll.
Cedor
Gegeben zu Gareth, am 16. Boron in des stolzen Bosparan Falles Jahr 1021oder, wie sie hier sagen, 28 Hal. Bei den Guten Göttern!
Michael Hasenöhrl