Archiv:Sewamund zwiefach befreit! (BB 27)

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Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 27



Sewamund zwiefach befreit
Nupercanti vom Pöbel dahingemordet – ‚Rote Liga’ erneuert Ordnung in Praios


Sewamund: Nach den Ereignissen des ausgeklungenen Götterlaufs, als die ‚Rote Liga’ zur Befreiung Sewamunds von der nupercantischen Herrschaft angetreten war, wissen wir zu vermelden, dass die grangorische Handelsstadt befreit und ihre Ordnung in Praios erneuert wurde. Die ‚Blaue Liga’ unter der Führung des Signor Tiro Tristano von Nupercanti wurde den 12. Rondra vor Sewamund aus dem Felde geschlagen, konnte sich jedoch in die Stadt retirieren. Dort kam es nach einiger Zeit der Belagerung zu einer Empörung des Volkes, ging der Nupercanti selbst auf praiosungefällige Weise mit Boron ab, doch wusste alsbald die ‚Rote Liga’ gegen die Empörer vorzugehen und den noblen Standesgenossen und vormaligen Feind zu rächen. Diese Geschichte wollen wir hier erzählen.


Schlacht vor Sewamund

Battalia-sewamund.jpg

Die Schlacht vor Sewamund vom 12. Rondra, deren Ausgang zunächst nicht mit aller Sicherheit referiert werden konnte (BB#26), war ein Sieg der ‚Roten Liga’. Am Vorabend der Schlacht setzte sich der Herr Irion von Streitebeck, der durchaus geschickt zwischen den Parteien taktiert hatte, gegen den Nupercanti in Bewegung und gab vor, er wolle mit der Vorhut zur ‚Blauen Liga’ überlaufen. Dies geschah jedoch lediglich vor dem kühnen Plan, während der Schlacht abermals Verrat zu üben und somit der ‚Roten Liga’ vermittels einer phexischen Kriegslist den Sieg zu schenken.
Eben noch hatten wir die armen Kerle und Maiden, solche als gemeine Kriegsknechte auf dem Feld stehen, verzweifelt und boronsträchtig Lieder singen gehört, da schon brach die Battalia los. Der Herr Irion von Streitebeck, also nur dem Anscheine nach zur ‚Blauen Liga’ übergelaufen, durchbohrte frech einen Offiziellen mit dem blanken Stahl und schickte sich alsogleich an, mit dem geschlossenen rechten Flügel der Schlachtordnung abzumarschieren. Er also beging Verrat, doch konnte es dem Herrn Praios missfallen, sah er die phexische List in seinen ungleich höheren Plan gestellt? Öffnete sich aber solchermaßen die Flanke der ‚Blauen Liga’, da führte der Signor Reon Phalaxan Torrem mit der Reiterei der ‚Roten’ einen fatalen Sturmangriff in die feindliche Seite mitten hinein; und also war die Schlacht entschieden. Der Signor Amaldo Piastinza von Fostanova, stolz im geschwärzten Harnisch vor den Fußknechten der ‚Roten’, gab das Signal zur Generalattacke und vollendete unter lautem Feldgeschrei den blutigen Rausch. Gerade noch konnte sich der Signor von Nupercanti mit einem Reiterschwarm und einigen zeitig retrozedierten Fußknechten in die Stadt Sewamunds flüchten, gerade noch war seine Sache nicht ganz verloren [evtl. Illustration zur Schlacht].
Nicht sehr bald vereinte der Herr von Streitebeck seinen soeben vom Felde abgerückten Haufen mit den Truppen seiner alten und neuen Verbündeten, und hierin endlich lag die Ursache für unsere zunächst mangelnde und widersprüchliche Nachricht vom Sieg (BB#26). Endlich aber sahen wir sie dennoch, die Anführer der ‚Roten Liga’, wie sie sich in einem Bauernhaus – halb an den Fluss gelehnt, halb an einen Hügel – zu neuem Quartier versammelt hatten. Da saßen sie bei Gläserklang und Becherschall, tranken ob des siegreichen Treffens, und bald wollte man vor ihrem Gegröle und Zutrinken gar nicht mehr vernehmen, wie heraußen dort eine Grille im Felde zirpte, dort schließlich ein Karren mit Erschlagenen das Gehöft passierte. Im Baume neben dem Bauernhaus aber saß ein Nachtvogel und zählte mit einsamem Schlagen die Seelen der Toten.
Die Geschichte der kommenden Tage ist schnell erzählt. Nach etwa drei Tagen hatte sich der Belagerungsring um Sewamund geschlossen, und gegen die Landseite war aus der Stadt kein Entrinnen mehr. Wer das wagte, den holten die schnellen Reiter. Die Schivone »Stolz von Efferdas« aber, von der Frau Elanor zu trefflichem Auxilium der ‚Roten Liga’ entsandt (BB#26), lieferte sich auf Kugel, Hagelschlag und Praiossegen ein Seegefecht vor dem Hafen, dass bald eine brennende Potte abendlich die Wogen mit Feuerschein überglitzerte, bald ein gar zu forscher Holk sich, ohnmächtig Rache schwörend, mit schwindenden Kräften davonschleppte. Ihm hatten zwei volle Breitseiten virtuos die Planken zu „Rondrengemüse“ verwandelt. Er ließ kleinlaut einige Geschosse zurücksurren und verfügte sich sodann nach Kuslik oder nach Grangor; das wissen wir nicht genau zu sagen. So heißt es aber endlich, das stolze Schiff der Baronin von Efferdas habe tapfer und ganz allein den Hafen zwar nicht ganz und gar blockiert, sehr wohl jedoch die Zufuhren trefflich behindert und viele herannahende Schiffe verschreckt.


Schwierigkeiten der Belagerung

Nun wissen wir, dass eine Stadt wie Sewamund sich auf einen ganzen Götterlauf halten kann, wenn nicht Seuchen oder mangelnde Provedimente an Nahrung zu einer raschen Übergabe zwingen. Und so tatsächlich, bei den Göttern, schien Satinav bald auf der Seite der Eingeschlossenen zu sein: Die unerhörten Ereignisse am Sikram riefen den Signor Reon Phalaxan Torrem fort [vgl. Urbasi-Artikel], beriefen auch die stolze Schivone in ihren heimatlichen Hafen ab, und zwei Banner der besten Streiter zogen von dannen, die Kriegsvölker der ‚Roten Liga’ manch kräftigen Waffenarms beraubend. Schon sah man, als wollte diese Krise in einem Einzelereignis manifest werden, nächtens einen Kurier ungehindert aus der Stadt ausbrechen und flussaufwärts davongaloppieren. Schon sah man wieder Handelsschiffe ungehindert in den Hafen einlaufen, und bald wollten die Kriegsvölker der ‚Roten Liga’ vor der Stadt wie eine abgeblasene Turneiversammlung zu Arivor wirken. So konnten sie noch die kommenden Monde zubringen – oder aber kriegerisch handeln, Rondra erneut den Tempel öffnen. Vorerst aber sah man nur die unberührte Stadt vor sich, wie sie auf dem Küstenstrich ruhte, allwo der Sewak in das große Meer sich ergießt, und seit der Battalia unweit ihrer Tore war wohl bald ein voller Mond vergangen. Ob die Flottille kommen würde, welche der Kriegsrat der Belagerer aus Grangor um Hilfe angerufen hatte? Ob etwa die Kriegsvölker über bewehrte Scharen aus dem Hinterland oder gar über die Werbeplätze aufgefrischt werden könnten?
Es sollte anders kommen. Es sollte eine Empörung innerhalb der belagerten Stadt sein, welche der ‚Roten Liga’ den Sieg schenkte, doch sollte, ach, zugleich in der launischen Frau Rondra der Herr Praios beleidigt werden. Unter den Häuptern der Bürgerschaft nämlich, götterlästerlich und dem hehren Sinn der Edelleute nicht ebenbürtig, wollte sich Missvergnügen ob der abgeschnittenen Landverbindung regen, also dass jene Besetzung durch den Signor Tristano von Nupercanti mehr und mehr injustifikabel zu wirken begann. So war es endlich an einem Manne namens Gerbondo Filotrin, dem Innungsherrn der Zunft der Spinner und Weber, das Zeichen zum Abfall zu geben und die geschliffenen Dolche aus den Gewändern zu ziehen. Zu sehr wohl hatte jener Meister Filotrin, welcher die Wolle aus dem Umland in Sewamund zu verlegen pflegte, schon Einbußen zu erleiden gehabt, und mancher Bürger mochte diese seine Unbilden und Versuchungen teilen.


Volksempörung in Sewamund

In einer lauen Nacht endlich war es, dass von Haus zu Haus Meister Filotrins dunkle Knechte sich schlichen, unter den Bürgern Gefolgschaft anzumahnen und im tiefsten Pfuhl der Klientelbindungen zu rühren. Auch die anderen Häupter der Stadt, sämtlich reiche Händler oder gleichwohl exponierte Erscheinungen, zogen hinter sich den Rattenschwanz der gemeinen Leute her, ihre kleinen und großen Schuldner, ihre Verwandten und Verschwägerten nebst Hausstand, ihre clientes – kurz: die Bürgerschaft griff zur Wehr, ihrem jeweiligen Patron zu dienen. So hatten sich einige Züge von Bewaffneten gebildet, die, hier und dort von einer Laterne angeführt, schweigend durch die Gassen stapften und sich vor den Häusern der Patrizier sammelten.
Die Belagerer nahmen von den nun folgenden Ereignissen unfreiwillig Notiz, indem sie aus ihrer nächtlichen Ruhe aufgestört und mit boronstrunkenen Augen an den fernen Anblick der Szenerie herangeführt wurden. Der Herr Irion von Streitebeck, kaum aus dem Schlafe gerissen, als er vom Stadttor herüber die Sturmglocke läuten hörte, gürtete sich zwar alsogleich das Schwert, doch vermochte er nur staunend über lange Augenblicke die auf den Zinnen entlanglaufenden Kriegsknechte zu beschauen, ohne dass der Gegner Miene zu einem Ausfall oder zu ähnlicher Gebar gemacht hätte. Auch stolperte der Signor von Fostanova, gekleidet nur in lange Unterhosen, verdutzt aus seinem Zelt heraus, in der Hand den Säbel, doch vor seinen Augen setzten sich allein die eigenen Mannen in aller Eile unter Waffen. Der Feind hingegen, - er kam nicht. Nur ein leiser und milder Windzug kämmte sich über die Wiesen.
In der Stadt jedoch, als Praios unwillig die ersten Strahlenbündel des nahenden Morgens über das Land schickte, hatte sich die Volksempörung mit Ernst gegen den Signor von Nupercanti und dessen Kriegsvölker entladen. Auch war mancher feiger Knecht übergelaufen, sich in Tsa zu bewahren und in Praios zu versündigen, also dass der Edelmann die übelwollenden Kreaturen der bürgerlichen Oligarchie allein nicht wehren konnte. So stand er denn bald ohne Schirm vor den Schergen des Gerbondo Filotrin und jener anderen Widerlinge, so zwang man ihm finsterer Miene die Übergabe seines Schwertes ab, und wie ein gemeiner Verbrecher musste er zur Ergötzung des Volkes und seiner ehemaligen Söldlinge einen demütigen Gang über den Marktplatz antreten und dem Pöbel zur Augenweide eines geschlagenen Gegners gereichen. Hier bölkten zwei gehässige Weiber lauthals dem Edelmanne ins Gesicht, dort gar tanzten einige Gassenjungen einen bösen Ringelreigen, und in allem war es ein Spektakel für das niederste Gewürm und den Auswurf des Volkes.
Von Meister Filotrin aber, dem Urhort einer praiosungefälligen Begier des Herrschens, wissen wir, dass er mitsamt den anderen Häuptern der Bürgerschaft noch am Morgen seines Sieges eine Versammlung einberief. Die Stadt Sewamunds, sie sollte unter seiner Führung als eigengesetzlich sich konstituieren, die praiosgebotene Obrigkeit nicht länger anerkennen und fürder im Zeichen des Phex regiert werden. Schlimmer noch: Phex, so führte der ruchlose Filotrin voce plena aus, gebiete dem tüchtigen Handelsmann zu herrschen und missbillige also der Edelleute vornehme Kontemplativität. Diese Worte – o dass Praios selbst jene lästernde Zunge mit glühender Zange ausreiße! – fanden Beifall und fast ungeteilte Zustimmung. So muss es denn wie eine böse Finte erscheinen, dass man zur Abmilderung des Geschehenen lediglich übereinkam, wenigstens den Herzog noch in alter Autorität über der Stadt zu belassen.
Dieser Irrtum konnte nicht lange bestehen bleiben. Die Götter, so schöpfen wir aus unserem überlegenen Wissen, konnten diese Empörung gegen die praiosgefällige Ordnung nur zulassen, weil sie schon in ihrem Beginnen lediglich die blutige Schau eines Exempels unter den Menschen geplant hatten. Die Vorsehung also wollte Sewamund gestraft sehen wie einst das sündige Elem.


Ermordung des Signore von Nupercanti

Blicken wir alsogleich auf das lästerlichste Spektakel der Ereignisse, - auf die Hinrichtung des Signore von Nupercanti. Die frevle Sache zu vollenden, Begonnenes nicht um den Preis einer Empörung gegen die Urheber abgelten zu müssen, entschloss sich die Bürgerschaft Sewamunds also zur Tötung eines Adeligen des Reiches, und blutbesudelter Finger glaubte sie sodann, den Belagerern der ‚Roten Liga’ die Hände reichen zu dürfen. Doch hierzu später.
Versetzen wir uns auf den Marktplatz, vor das Blutgerüst der Stadt am Sewak, der finsteren Mordtat im Geiste beizuwohnen. - „Praios und mein Recht,“ rief der stolze Signore in die Menge hinein. „Mein Tod soll schwer auf Euch fallen, und macht Ihr meinen Leib zu Würmerfraß, so nenne ich Euch die Maden, niederes Geschmeiß, Gewürm, Pöbel, Dreckspfuhl! Hier ist mein Haupt, das freieste, das je der Pöbelherrschaft –,“ doch schon wurde er von zwei Knechten unsanft zum Richtblock gestoßen, der Signore von Nupercanti, kaum dass er seine finale Rede hätte endigen können. Noch ging ein verunsichertes Raunen durch das versammelte Volk, da sich eine Wolke vor die Praiosscheibe geschoben hatte, doch erstrahlten die Häuserfronten wieder in klarem Lichte, so schlug es alsogleich in ein verhaltenes Seufzen der Erleichterung um. Endlich sodann breitete sich Schweigen aus. Der Signore von Nupercanti beugte den Hals über den Richtblock. Das edle Haupt, es fiel.
Nach der Hinrichtung, so wissen wir zu berichten, wurde der Kopf des Getöteten auf einem Pfahl unweit der Hafenmeisterei aufgespießt, auf dass der Bürgerfreiheit neues Regiment sich am Verwesungsgeruch eines Adeligen manifestieren mochte. Da also tanzten sie, die Fliegen, und Gerbondo Filotrin wusste das Zunftregiment unter seiner Anführerschaft zu festigen und in die weitere Auseinandersetzung zu führen: Noch immer wurde sie belagert, die Stadt.
Im Heerlager der ‚Roten Liga’ wurde die Nachricht vom Tod des Nupercanti mit einiger Schweigsamkeit aufgenommen. Und ob es zwar Verhandlungen mit den praiosspottenden Exponenten jener Bürgerschaft gab, so müssen wir die Häupter der ‚Roten Liga’ entschuldigen. Wer nämlich hätte um den näheren Hergang, wer um die frevle Ursach’ jener Empörung hinter den Mauern wissen können? War es das Aufbegehren der geschundenen Kreatur, oder war es des Pöbels unverwandte Fratze?
Endlich war es die Initiative des edlen Herrn Irion von Streitebeck, die Stadt Sewamunds mit einer Erstürmung und Plünderung zu bedrohen, sollte sie ihre Tore nicht öffnen. Dieses Wort tat denn seine Wirkung, - doch dessen nicht genug. Und also nämlich brachte er mit freier Miene und ohne Zwang fürder die Konzession vor, man wolle die Bürgerfreiheit respektieren und solche, welche sich am Leib des Signore von Nupercanti schuldig gemacht hatten, amnestieren. Wir wollen ihm dies nicht verübeln. Er und die anderen – sämtlich unter dem Eindruck der nupercantischen Umtriebe – wussten zweifelsohne rein gar nicht um den grausigen Hergang der Offension gegen ihrer aller Stand, und so konnten sie in eine solche Amnestierung und eine Schonung städtischer Libertät gerne einwilligen. Wir beteuern also bei Praios, dass jene von der ‚Roten Liga’ gestellten und gewährten Bedingungen nicht etwa eine Finte waren, etwa ein bloß dissimulierter Akkord. Nein, sie fiel ernst und lauter in aufrichtige Falten, die Stirn der Edelmänner. Es besteht hierin überhaupt kein Zweifel.


Einzug der ‚Roten Liga’

So zogen denn die Kriegsknechte der ‚Roten Liga’ nach bald fünfzig Tagen der Belagerung in die Stadt Sewamund ein, die Frucht des unblutigen Sieges mit Augen und Ohren kostend. Dort flankierte ein eifriger Trommler die tapfre Schar, dort sprang ein virtuoser Musikus mit seiner Flöte bei, den siegreichen Zug mit seinem Spiel zu begleiten. Durch die engen Gassen klirrten die Hufe und Stiefel, aus den Fenstern winkten frische Maiden und Jünglinge, bis dass die Herren der ‚Roten Liga’ auf dem Platz in der Nähe des Hafens feierlich und in glücklich-stolzer Pose innehielten. Das Haupt des Nupercanti, man hatte es freilich alsogleich entfernt, und so wollte es eine erste Feierlichkeit der Begegnung, dass die Bürgerfreiheit Hand in Hand und unbeschwert mit ihren Schützern und Garanten einen Tag des Sieges begehen konnte.
Eine Stille jedoch legte sich über die Stadt, als es daranging, den Leib des getöteten Signore an seine Standesgenossen auszuliefern. Der Herr Amaldo di Piastinza, der zu diesem Zwecke, die Leiche in Empfang zu nehmen, vier Knechte ausgesandt hatte, mochte seinen Augen kaum trauen, als er das Ergebnis seiner Bemühungen erblickte. Wohl war der Leichnam schon arg in Dekomposition begriffen, was jedoch ungleich schwerer wog, war, dass der Kopf unauffindbar blieb. Hatte man ihn zunächst ausgestellt und sodann vor dem Einritt der ‚Roten Liga’ eilends entfernt, so musste er nun für verschollen gelten und konnte gar in falschen Händen sein. Und selbst der Phex-Geweihte von Sewamund wusste nichts, was schon einiges heißen will – oder aber gar nichts. Endlich also ging das Wort von einer tiefen Verstimmung des Herrn von Piastinza und selbstredend auch des Herrn von Streitebeck. Die Summe ihrer Konzessionen, eine wahrhaft travienheilige Geduld mit einer empörerischen Bürgerschaft, sie erreichte ein neues Maximum. Endlich konnte nur die erfolgreiche Suche einiger Schergen, welche spontan von den Herren angeworben wurden, das verschollene Haupt ausfindig machen.
Die Großmut der ‚Roten Liga’ aber, sie hatte ihren Kulminationspunkt endlich überschritten. Auf jenem Gerüste selbst, wo der Nupercanti hingerichtet worden war, wurde schon am Morgen nach dem glücklichen Einzug eine gar praiosgefällige Zeremonie abgehalten. Hier stand von einem schlichten Holzsarg umschlossen die Leiche des Edelmannes auf dem Katafalk, dort hatte man das Volk auf den Platz gerufen, wobei die Scharen von Bewaffneten die schweigende Menge stumm flankierten. Endlich nun schritt ein Praios-Geweihter mit dem Henkerbeil, solches den Edelmann zu Boron gebracht hatte, mitten auf das Gerüst, präsentierte es dem Volk und brüllte eine wilde Exsekrationsformel in die Menge hinein. Daraufhin warf er das Mordinstrument zu Boden und trampelte wild darauf herum. So hatte denn Praios gezeigt, dass er die Hinrichtung jenes Adeligen nicht leiden wollte, und jenes Henkerbeil sollte nie wieder Gerechtigkeit üben dürfen. Sodann aber begann der Geweihte mit einem eindringlichen und göttergefälligen Sermon, der – gleichwohl eher im allgemeinen gehalten – wahrlich ins Mark fuhr und Läuterung einforderte. Die Menge aber fuhr erschrocken zurück, schlug die Zeichen aller Zwölfe und war bald ganz stumm, bis dass nur noch betretene und demütige Gesichter den Platz verließen. Viele fragten hernach den Phex-Geweihten um Rat, die Blicke des Gerbondo Filotrin aber traute sich kaum noch jemand zu kreuzen.


Spaltung der Bürgerschaft

Die nächsten Tage, es mögen derer etwa drei gewesen sein, verliefen in großer Anspannung. Die praiosgefällige Zeremonie, das ehrbare Andenken des getöteten Signore von Nupercanti, es mochte dies alles wie eine Kriegserklärung der ‚Roten Liga’ an die junge Bürgerfreiheit gewirkt haben. Gerbondo Filotrin traf nicht mehr mit dem edlen Herrn von Streitebeck zusammen und von dem wohlreputierten und stolzen Herrn von Piastinza wurde er gar schroff abgewiesen. Auch trat der junge bürgerliche „Magistrat“ Sewamunds nicht mehr zusammen, wenigstens nicht öffentlich. Ritt aber einer der Adeligen mit einiger Bedeckung die Gassen entlang, so bot allseits sich ein Bild des Misstrauens und einer nur ungenügend verdeckten Ablehnung und gleichsam schwitzender Götterfurcht. Hier wurde ein Fensterladen zugeschlagen, dort endlich zog eine Mutter ihr spielendes Kind von der Gasse fort und verbrachte es, indem sie sich selbst misstrauisch umblickte, mit Eile ins Haus.
Bald tasteten sich vorsichtig Gerüchte durch die Gassen, bald ging eine verhaltene Rede, endlich aber wurde der Umschwung der städtischen Gärungen offenkundig. Was sonst wollte dem Betrachter der Umstand sagen, dass vor dem Quartier der Herren Streitebeck und Piastinza die Bürger mit Eifer zu antichambrieren begannen? Schritt dort nicht ein Handwerksmann mit gebeugter, bittstellerischer Haltung einher, sich von den Händeln des Gerbondo Filotrin loszusagen, abzulösen, reinzuwaschen? War es hier nur ein einfacher Handwerksmann, sah man dort nicht einen beleibten Kaufmann, wie er mit sorgenvoller Miene einen Teil seines Reichtums überantwortete, mit einer Handsalbe die Obödienz zu wechseln? Sprechen wir doch offen aus, dass sich die Bürgerschaft Sewamunds in den ersten Tagen nach der Totenfeier in honorem des ermordeten Signore von Nupercanti durchaus spaltete, schismatisch auseinanderstrebte. Hier standen die treuen Anhänger des Zunftregiments, mit dem Gerbondo Filotrin zu streiten und zu fallen, dort hingegen sammelten sich die geläuterten Elemente der praiosgefälligen Ordnung im Verein, begaben sich zu den Befreiern der Stadt, zu den Kriegsherren der ‚Roten Liga’.
Die Lage wollte, kaum für einige Zeit in dieser schwitzenden und tauben Stille verblieben, eine gewisse Entspannung erfahren, als der Herr Hesindiego Torrem sich nach Sewamund verfügte. Er hatte wohl vorerst – worauf jedoch nicht näher einzugehen ist – zu den erworbenen Ländereien der Torrems ein Rechtsgeschäft zum Abschluß bringen müssen und konnte sodann, selbst ein Gefährte der ‚Roten Liga’ (BB#26), Sewamund aufsuchen. Nun also zog auch er unter Bedeckung einiger Reiter in die Stadt ein. Mit dem gewichtigen Ausdruck, er sei recht eigentlich der Vertreter der Baronin von Efferdas und somit Vertreter der efferdischen Protection über Sewamund (BB#??), trabte er denn bis vor das Quartier seiner Kampfgefährten, und beinahe wollte aus den neugierigen Blicken der Einwohner die Hoffnung sprechen, jener könne abmildernd auf den nahenden Zusammenschlag zwischen Bürgerfreiheit und erneuerter Adelsherrschaft einwirken. Wäre es denn möglich, die Protection der Baronin von Efferdas zu erneuern, eine so entfernte, kraftlose Überformung der Bürgerschaft zu ertragen, nur um dessen unbeschadet die errungende „Ordnung“ zu pflegen und endlich gegen die ‚Rote Liga’ beizubehalten? Würde man, ein älteres Recht ins Werk setzend, den Streitebecker, den Piastinza abschütteln können? Dies dürften die Hoffnungen der Empörer um Gerbondo Filotrin gewesen sein.


Zerschlagung der empörerischen Elemente

O Satinav, die Du den Wagen der Hoffnung ziehst und doch weißt, dass Boron einst das Rad wird brechen! O Ihr Götter, die Ihr der Sterblichen Mut mit zartem Tau besprengt und doch verderben wollt! – So wirkten denn die unsterblichen Mächte der kühnen Neuerung und der ewigen Ordnung auch in Sewamund. Wir wissen, was lege divina in nomine Praiu sich schicket, und natürlich kennen wir schon das Ende. Der Hesindiego Torrem, er wurde zum Hoffnungsträger der Bürgerschaft um Gerbondo Filotrin, doch trog das Vertrauen, das man in ihn setzte. Auch erwies sich, dass die Zunft der Spinner und Weber der kühnen Anwandlungen alsbald genug hatte, also dass die begonnene Verschiebung der Loyalitäten und praiosfrommen Obödienzen sich fortsetzen wollte.
Es bedarf nicht vieler Worte, die kommenden Geschehnisse zu umschreiben. Denken wir an einen tiefen Gewölbekeller. Hier schmiegt sich eine Holztreppe an die Wand, bis auf den lehmigen Boden herabsteigend, dort reiht sich eine Zahl von Bänken um einen Tisch, darauf sich ein staubiger Kandelaber findet. Da herum drängen sich Weinfässer und Kisten, in einer Ecke hängen Würste und Schinken von einem hölzernen Balken herab. In allem ist es kühl, die Hitze der Gassen ist ausgesperrt, mag nur bis an den oberen Treppenabsatz vorgedrungen sein. In allem auch ist es dunkel, fällt doch nur ein staubiger Schein von oben herab gegen das steinerne Gewölbe, während dort unten im Schoß des Kellers einige stille Kerzenflammen auf dem Kandelaber erstrahlen.
„Daß der Herr Hesindiego Torrem unsere hochwichtige Zusammenkunft auch wahrnimmt?“ Der Herr Gerbondo Filotrin stieg, indem er die Kreaturen seiner „Bürgerfreiheit“ hinter sich herzog, mit dumpfen Schritten die Holztreppe herab und steuerte sogleich auf den Tisch zu. – „So er sich um seiner Herrin in Efferdas willen für uns verwendet, uns das noble Pack vom Leibe zu halten, sind wir mit unserer Sache im rechten Hafen der Freude angelangt,“ erwiderte eine jener Kreaturen, doch erkennen wir ihr Gesicht nicht. Es war aber die Stimme des Phex-Geweihten. Offenbar gab es hier eine geheime Zusammenkunft des „Magistrats“, und man erwartete Hesindiego Torrem als einen guten Verbündeten gegen den Streitebecker und den Piastinza. Hatte man heimlich mit ihm verhandelt? Gewiss, denn seit seiner Ankunft hatte auch er manchen Bürger in anticamera gesprochen. So also mochte man ihn hier zu einer konspirativen Sitzung erwarten, um weitere Schritte abzusprechen. Und endlich also träufelten auch an jenem heißen Tage mehr und mehr die Mitglieder des „Magistrats“ zusammen, immer wieder zu durchaus heimlichen Sitzungen in dem Gewölbekeller vereint, während in den Gassen der Stadt weiterhin die größte Unklarheit herrschte. Es gab keine Bürgerfreiheit, es gab keine Herrschaft der ‚Roten Liga’, es gab aber auch keine Protection der Baronin von Efferdas mehr. Alles war unklar, alles harrte einer Entscheidung. Aber im Gewölbekeller, da traf man sich, und heute erwartete man in aller Heimlichkeit auch den Hesindiego Torrem, einen neuen Verbündeten.
„Wir sind, per Praion, gar froh, o Ihr Bürger, dass man Uns Unseren Degen gelassen,“ brachte denn der Herr Hesindiego vor, als er zum Ort der Zusammenkunft herabstieg und sich mit aristokratisch konventionalisierter Leutseligkeit zu jenem Grüppchen um Gerbondo Filotrin hinzugesellte. – „Wie wir auf Euer Wohlgeboren Ankunft warteten, so war es doch stets Vorfreude der kommenden und fürtrefflichen Konjunktion unserer Interessen,“ erwiderte ebenjener Gerbondo, indem er sich erhob und zugleich preisgab, dass er selbst nur einen Dolch führte. – „Wir sind zuversichtlich, die Herren Streitebeck und Piastinza aus dem wohligen Pelz der Stadt Sewamund entfernen zu können. Nur die Frau Elanor von Efferdas, die müsst Ihr zu ihrer Oberhoheit anerkennen.“ – „Allerliebst.“ Und so sprach man untereinander für eine kurze Weile, während derer die Kerzen auf dem Kandelaber wohl um einen Halbfinger schrumpften.
Die Blicke am Tisch versteinerten sich, augenblicklich troffen die Stirnen von kaltem Schweiß, die Herzen zogen sich zusammen. - „Das Spiel ist aus,“ ertönte denn endlich aus dem Obergeschoß eine barsche Stimme. Nur Hesindiego Torrem, der edle Verbündete zu fürtrefflicher Konjunktion der Sache, er erhob sich, dankte mit einer Verbeugung und trat neben den Treppenansatz zurück. „Verräter!“ fuhr der Gerbondo Filotrin ihn an, indem er mit den seinen die Dolche vom Leder zog, doch schon waren sechs bewehrte Knechte der ‚Roten Liga’ die Treppe herabgestürmt. Oben hingegen, wo der staubige Schein über eine Diele in das Gewölbe vordrang, dort stand der Signor Amaldo di Piastinza und betrachtete lächelnd eine schöne Blume, die er zwischen den Fingern hielt und am Stiel ein wenig drehte.
Fassen wir zusammen: Der Herr Hesindiego Torrem hatte sich allein mit dem „Magistrat“ um Gerbondo Filotrin in Konsulationen begeben, um den Ort der Zusammenkunft aufzuspüren und die empörerischen Bürger alsodann geschlossen an das Messer der ‚Roten Liga’ liefern zu können. Somit hatte der Torrem die Bürgerfreiheit von Sewamund verraten. Wir sehen es ihm nach.


Statut zu Ehren des Herrn Praios

Über den weiteren Verbleib des Gerbondo Filotrin und seiner Getreuen, welche noch an jenem Tage des Verrats in Ketten gelegt wurden, wissen wir vorerst nichts zu berichten. Wohl aber wissen wir um das endgültige und geschlossene Überlaufen seiner Klientel, und diese Umorientierung des gemeinen Mannes und der Häupter der Stadt wurzelte endlich in einer fundamentalen Neuordnung der Verhältnisse zu Sewamund. Zwei Tage nämlich waren seit der Gefangennahme der Empörer vergangen, da schon ritt ein Herold der ‚Roten Liga’ über den Marktplatz und durch die Gassen, das wohlfeile »Statutum in honorem Domini Praiu« auszurufen und kundzutun, das »Statut zu Ehren des Herrn Praios«.
Die Denkfigur, mit welcher sich die Bürgerschaft Sewamunds künftig wird anfreunden müssen, sieht denn eine deutliche Präponderanz der siegreichen Kriegsherrn der ‚Roten Liga’ vor. So erwirkte das Statut, dass tatsächlich, wie es sich Gerbondo Filotrin erdacht, die efferdische Protection über Sewamund erneuert wurde, jedoch mit einer nicht unwesentlichen Veränderung. So wird zwar die Baronin von Efferdas abermals als Protectrix Suprema der Stadt gehandelt, die Ausübung dieser Funktion liegt jedoch stellvertretend in den Händen des Herrn Irion von Streitebeck und des Signore Amaldo Piastinza von Fostanova. Die Stadt, sie hat nun in deutlicher Übermacht einen Protector Civilis und einen Protector Militaris an der Statt der Frau Elanor, und dies praiosgefällige Werk freilich hat allseits aufrichtigen und ehrlichen Beifall gefunden. Zugleich jedoch wurde die Bürgerfreiheit im Magistrat durchaus fortgeführt, doch in stark veränderter Besetzung und unter dem lauteren Vorsitz eines weiteren Adelshauses. Eigens für diesen Zweck lud man das wohlbenamte Haus ya Mornicala nach Sewamund ein und bestellte es in diese wichtige Aufgabe, auf dass es ähnlich einer Kandare dem empörerischen Geist des bürgerlichen Magistrats angelegt werde. Und also herrschen nun drei Adelsfamilien in Praios über die Stadt, einträchtig und ganz gewiss auf alle Zeit friedlich.
Von Lamea Nupercanti hingegen, die wir verwaist wissen, mögen wir abschließend berichten, dass sie unter die gemeinsame Vormundschaft des Streitebeckers und des Piastinza geriet, ihres weiteren Schicksals zu harren. Und endlich wollen wir – was uns zuletzt nicht wird überraschen können – berichten, dass der Herr Hesindiego Torrem wenige Wochen nach der Neuordnung Sewamunds meuchlings ermordet wurde. Zu Unterfels ging er mit Boron ab, vielleicht, weil man ihm seine Ruhmestat und seinen Verrat in Phex und auch in Praios zu Sewamund nicht recht nachsehen wollte.