Briefspiel:Das Erbe des Siegelmeisters (Rondra 1046 BF) (2)

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Beteiligte (irdisch)
Familie Bolburri.png Philburri
FamiliaAranjuez1.jpg Der Sinnreiche Junker

Palazzo della Signoria, 15. Rondra 1046 BF

Autor: Familie Bolburri.png Philburri, FamiliaAranjuez1.jpg Der Sinnreiche Junker

Eiligen Schrittes ging Bassiano durch die Gassen der Stadt. Er war – trotz seines sehr hohen Alters – noch recht gut zu Fuß unterwegs. In den letzten Jahren war er zwar langsamer geworden, trotzdem hielt er mit vielen Stadtbewohnern Schritt. Bisweilen wunderte er sich über das langsame Tempo manches „Weg-Gefährten“. Jeglicher Müßiggang war dem Patriarchen der Familie Bolburri fremd und er nutzte jeden freien Moment, um seine Aufgaben und Pflichten zu erledigen. So hatte er es zu einigem Ansehen gebracht. Und nicht nur er persönlich, die ganze Familie war schon seit Generationen für ihren Fleiß stadtbekannt.

An diesem Tag achtete Bassiano jedoch kaum auf die Menschen auf der Straße. Er war angespannt und konzentrierte sich auf das vor ihm liegende Gespräch. Im Kopf ging er noch mal die Familienmitglieder durch, die er dem Centenario als neuen Siegelmeister vorschlagen wollte. Am ehesten hielt er seinen Enkel Riccardo für geeignet. Als Protocollario hatte er sich bisher bewährt und verfügte über einen guten Ruf in der Stadt. Bassiano müsste dann nur dafür sorgen, dass das einflussreiche Amt in den Händen der Familie blieb. Malvolio war nicht weniger fähig. Bassiano war sich aber unsicher, ob sich sein Enkel im Zehntamt genug würde durchsetzen können. Als drittes kam noch Quendan in Betracht, ein Enkel seines verstorbenen Bruders. Quendan erfüllte überaus fähig seine Aufgaben in der gräflichen Verwaltung in Bomed. Ein Wechsel nach Unterfels könnte aber nicht schaden, die Kontakte nach Bomed könnten sicherlich noch nützlich sein. Bei dem Gedanken an die erfolgreichen Laufbahnen der vielen Familienmitglieder wurde Bassiano stolz.

Als Bassiano das Gebäude den Palazzo della Signoria betrat, wurde ihm schlagartig bewusst, dass Therengar hier nicht mehr arbeitete. Wie oft hatten sie sich hier getroffen! Sein Herz füllte sich einen kurzen Moment mit Trauer über den Verlust seines Bruders. Schnell verdrängte er das Gefühl und ging eilig in Richtung Zehntamt. „Bitte wartet kurz.“ Der Secretario von Rafik von Aranjuez klopfte kurz am Zimmer des Centenario und öffnete nach einem laut vernehmbaren „Herein“ die Tür. „Entschuldigt, Signor, der Signor Bassiano Bolburri ist nun da.“

Der Advocatus erhob sich, als das Oberhaupt der Familia Bolburri sein Amtszimmer betrat, wenngleich auffällig war, dass sein Lächeln nicht die grauen Augen zu erreichen vermochte. „Dom Bassiano, seid mir willkommen“, hob er höflich an und trat hinter seinem Schreibtisch hervor. „Eine kleine Erfrischung?“ Er nickte zur Anrichte hin, wo sich in einer Kristallkaraffe der Farbe des Inhaltes nach zu urteilen Rotwein befand, dazu einige reichverzierte Kelche und Pokale. „Erlaubt mir noch einmal mein Beileid für den Verlust Eures Bruders auszudrücken…“, neigte er leicht das Haupt und wandte sich dann zur Anrichte um wahlweise einen oder zwei Kelche zu füllen. „Ein kaum zu ersetzender Verlust, sowohl für die Uffizien, wie auch für ganz Unterfels.“ Er reichte seinem Gast einen Kelch und wies mit der anderen Hand auf den Platz vor seinem Schreibtisch um dann seinerseits mit seinem Kelch wieder hinter selbigem Platz zu nehmen. „Also, was führt Euch hier, Dom Bassiano?“

Bassiano hatte mit genauso einer kühlen Begrüßung gerechnet. Und diese Anrede… Auf die Betonung seiner almadanische Abstammung konnte der Centenario wahrlich verzichten. Die war in den Augen Bassianos in der Stadt nichts wert. Im Gegenteil, sie machte deutlich, dass die Familie Aranjuez noch nicht lange der Stadt diente.

Aber er war erfahren genug, sich seine Verachtung nicht anmerken zu lassen. Er lächelte leicht und nahm Platz. „Vielen Dank für Eure tröstenden Worte, Signor Rafik. Ich möchte Euch nicht lange von der Arbeit abhalten. Ich bin hier, weil ich mit Euch über die Nachfolge von Therengar im Amt des Siegelmeisters sprechen möchte. Zuverlässig und verschwiegen wird die Familie Bolburri Euch und der Stadt weiterhin dienen. Mein Enkel Riccardo hat sich schon viele Jahre in der Stadtverwaltung bewiesen und wird Euch selbstverständlich gute Dienste als Siegelmeister leisten. Einer raschen Ernennung sollte also nichts im Weg stehen.“

Rafik von Aranjuez hob ob der Unverblümtheit die Augenbrauen und hielt den an Lippen geführten Kelch einige Augenblicke länger dort als für den kleinen Schluck notwendig gewesen wäre. "Ohne Umschweife zur Sache, Signor Bassiano...", nickte er, die korrigierte Anrede, auf welche der Bolburri offensichtlich wert legte überbetonend. In aller Ruhe stellte er den Kelch vor sich ab und sah seinem Gegenüber in die Augen, derweil er betont langsam die Ellenbogen auf die Armlehnen stützte und die Fingerspitzen aneinander legte. "Euer Enkel Riccardo ist hier der Protocollarius im Hause, nicht wahr?" Der Großvater nickte bestätigend, musste sich aber wiederum gedulden, als sein Gastgeber über den Namen zu sinnieren schien. Schließlich nickte dieser und ließ lächelnd - wiederum nur die Lippen, nicht die Augen - die Hände sinken. "Gewiss, Signor Bassiano. Schickt ihn mir doch bitte in den nächsten Tagen herauf, damit wir uns kennenlernen können." Nur um dann noch hinzu zu setzen: "Gerne ziehe ich seine Bewerbung dann in Betracht."

„Ihr zieht eine Bewerbung in Betracht?“ Der alte Mann schüttelte verärgert den Kopf. „Therengar hat Euch loyal gedient und dies ist nun der Dank! Ich war davon ausgegangen, dass Ihr weiterhin auf die Zuverlässigkeit und die Fähigkeiten der Familie Bolburri setzt.“ Bassiano spürte, wie seine Wut und Verachtung immer größer wurden. Er atmete tief durch und versuchte sich zu beherrschen. „Aber nun wird mir klar, dass Ihr das anders seht. So wie Ihr in den letzten Jahren hier im Zehntamt die Positionen mit Euren Leuten besetzt habt. Es ist beschämend, dass Eure Interessen wichtiger sind als das Wohl der Stadt. Aber das ist von einem Hinzugezogenen wohl zu viel erwartet.“

Der Centenario hob die Augenbrauen, halb ob des Ausbruches seines Gegenübers halb ob der Behauptung sein ewig querulanter Bruder wäre ihm ein loyaler Mitstreiter gewesen. Gleichwohl hielt er es wohl für angebracht sich Bemerkungen zum einen wie zum anderen zu enthalten. Stattdessen erhob er sich und humpelte – für längere Wegstrecken benötigte der Almadaner bekanntlich einen Gehstock, doch konnte er diesen für wenige Schritte offensichtlich auch entbehren – halb um den Tisch herum zu einem Regal. Von dort griff er sich ein prachtvoll verziertes Buch und ließ es geräuschvoller als nötig vor Bassiano Bolburri auf den Tisch fallen. Der Buchdeckel bestand aus edlem, schwarzen Leder, auf welches in feinen Goldplatten der dreistufige Berg und das Wellenschildhaupt des Unterfelser Stadtwappens geschlagen war, dazu sechs gelbe Diamanten und drei schwarze Amethysten. „Die Stadtverfassung von Unterfels. Einschließlich aller Gesetze und Verordnungen.“ Gewisslich hatte sich der eitle Pfau diese Prachtausgabe anlässlich irgendeines von ihm erfolgreich eingebrachten Gesetzes anfertigen lassen. Er humpelte wieder auf seine Seite des Schreibtisches zurück um sich dort niederzulassen und sodann fragend die Hände zu heben: „Zeigt mir den Passus, Signor, in welchem geschrieben steht, dass das Amt des Siegelmeisters von Unterfels dem Hause Bolburri zusteht. Zeigt mir den Passus, Signor, in welchem geschrieben steht, dass irgendein Amt in Unterfels erblich wäre. Nur zu, nehmt Euch Zeit.“

Bassiano schaute kurz auf die Stadtverfassung, um dann zornig auf Rafik von Aranjuez zu blicken. „Wie könnt Ihr es wagen? Es geht hier nicht um ein geschriebenes Gesetz, sondern um die angemessene Berücksichtigung einer angesehenen Familie der Stadt.“ Er stand auf. So wütend hatte Rafik den sonst ruhigen Patriarchen noch nicht erlebt. „Aber ich hätte mir je denken können, dass Ihr Euch nicht viel aus dem Respekt gegen über der Leistung anderer macht. Ihr werdet schon sehen, wo Euch das hinführt!“ Mit einem letzten zornigen Funkeln wandte Bassiano sich zur Tür.

Kurz zuckten die Mundwinkel Dom Rafiks nach unten und beinahe schien es als wäre es nun an ihm einmal deutlich gegenüber dem alten Bolburri zu werden. Stattdessen aber legte er nach einem nur angedeuteten Durchatmen lediglich ruhig die Fingerspitzen aneinander, derweil der Patrizier sich erhob: „Große Worte führt Ihr im Mund, Signor. Und habt hier und heute doch nur gezeigt, wie es um Ansehen und Respekt Eurerseits bestellt ist. Und wenn schon nicht vor der Person, so zumindest vor dem Amt des Centenario.“ Er wies mit der Linken, gewisslich eine ganz bewusste Zurücksetzung, in Richtung der Türe: „Lasst Euch auf dem Weg hinaus nicht die Türe in den Rücken fallen.“ Dann senkte er den Blick wieder auf die Papiere vor sich und schien seinen Gast und dessen Besuch bereits wieder vergessen zu haben.

In der Tür drehte sich Bassiano noch einmal um, sein Gesicht wutverzerrt, und entgegnete mit lauter Stimme: „Respekt? Den muss man sich verdienen, Signor Rafik. Als Centenario dient Ihr der Stadt und seinen Bürgern. Aber das könnt Ihr als Landadliger aus Almada wohl nicht verstehen.“ Mit dieser spöttischen Bemerkung drehte sich Bassiano um und ging grußlos aus dem Zimmer.