Briefspiel:Feuer und Sturm

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Sheniloneu3k klein.png Briefspiel in Shenilo Sheniloneu3k klein.png
Beteiligte (irdisch)
Haus Calven klein.png Calven

Eine kleine Geschichte im Umfeld der Ponterranischen Landherrenhändel.

Ein Traum

"Rauschen. Weite, ein blaugrünes Meer, das sich zu allen Seiten breitet. Nein, kein Meer. Ein Fluss, ein gewaltiger Strom, die Ufer sind kaum zu ahnen. Glitzernd, in weiter Ferne säumt undeutlich ein grüner Streifen Landes das ewige Wasser. Zu den Füßen schäumt und gurgelt das Wasser; die Ruder links und rechts des Bootes klatschen in die Flut. Doch etwas stört. Die Schläge sind unrhythmisch, widerstreitend lenken sie das Boot, mal zur einen, mal zur anderen Seite. Nur die Strömung treibt das winzige Schiffchen über die kräuselnden Wellen. Da ist noch jemand, im Rücken, voller Vertrautheit wie auch voller Zorn. Immer wütender stoßen die Paddel, immer im Streit miteinander in den Strom. Ein Kampf der Zwerge in der Verlorenheit des Wassers. Da teilt sich das Wasser vor dem Bug. Eine bergige Insel strebt in die Höhe, schneller und schneller fährt das Boot auf das felsbesäte Ufer zu. Es wird zerschellen, es wird zerbersten. Da erscheint ein Mann mit einer Krone zwischen den Häusern auf dem Gipfel; er lacht. Er stößt ein Lachen zum Himmel, jagt es in die Sterne. Die Insel ist plötzlich in glutrote Dämmerung getaucht. Keine Dämmerung! Feuer, Magma stößt die Insel aus, die Häuser brennen, zerfallen zu Asche. Glutwind strebt dem Boot entgegen. Da wird die Vertrautheit größer und der Zorn geringer, mag sein, dass der Schrecken der brennenden Insel die Seelen berührt hat. Die Ruder gehen regelmäßiger, das Klatschen wird gleichmäßiger, der Takt wird eins. Das Schiff nimmt Fahrt auf. Dunkel ertönt von fern ein Donnern. Der Strom schwillt, langsam erst, dann immer stärker an. Doch davor gibt es keine Angst. Wie ein Kind von der Mutter wird das Boot sanft von der Welle getragen: Sie türmt sich haus-, baum-, berghoch auf. Das schrille Lachen des Bekrönten sticht immer lauter durch die Sphären. Im pupurnen Widerschein der Flammen ist er der Meister des dunklen Lichts. Da trifft See auf Land und Wasser auf Feuer. Die Welle überschwillt die Insel. Zischend verlischt die Küste, schmauchend saugt sich das Wasser in die Flanken des Berges. Und endlich, mit einem unendlichen, ungöttlichen Schrei ertrinkt der Bekrönte. Die Züge seines bleichen, toten Gesicht sind bekannt. So sehr bekannt. Er starrt ins Herz. Und dann kommt der Regen."

In kalten Schweiß gebadet erwachte Elaria di Selshed. Sie warf sich noch in der gleichen mondhellen Travianacht des Jahres 1033 BF auf ihr Pferd und jagte es nach Süden. Eine düstere Ahnung - nein, eine düstere Gewissheit - trieb sie nach Shenilo.

Eine Wirklichkeit

Elaria gab ihrem Pferd abermals die Sporen, obgleich sie keine besonders gute Reiterin war. Vor ihr lag die Stadt Shenilo. Majestätisch bäumte sich Burg Yaquirstein gegen den Abendhimmel. Drachen und Delphine zeigten die Flaggen auf seinen schlanken Türmen. Doch dies war es nicht, was Elaria in Angst versetzt hatte. Die westlichen Stadtteile, das war von Weitem zu sehen, standen lichterloh in Flammen. Was war geschehen? Rauch schlug ihr entgegen, als sie das verlassene Stadttor passierte. Rufe gelten durch die Straßen: "Wasser! Mehr Wasser!" Sie sah Menschen, die verzweifelt versuchten, eine Fachwerkhäuserfront vor den Flammen zu retten. Gebelaus hilf, was war hier geschehen? Ihr Pferd scheute, fast wäre sie gestürzt. Sie musste helfen, nur wo? Was sollte sie tun? Da hörte sie einen Schrei, der von ihrer linken Seite stammen musste. Durch die Rauchschwaden war nichts zu erkennen, was die Herkunft des Hilferufes zeigen konnte.


Die junge Geweihte schwang sich von ihrem Pferd und eilte, so schnell es ihre Robe erlaubte in die Gassen Shenilos hinein in den Glutofen des Brandes. Wo der Qualm zu dicht wurde, musste sie sich die langen Ärmel der Robe vor Mund und Nase halten; trotzdem musste die junge Geweihte wiederholt hustend innehalten. Bald hatte sie dennoch einen kleinen Platz entdeckt. Einer der Ziegelbauten war bereits eingestürzt, die teils rauchenden, teils noch brennenden Trümmer verteilten sich über das Pflaster. Und ringsumher Feuer. Da sah sie, undeutlich durch die flimmernde Luft einen Menschen. Die herabstürzende Wand hatte seinen Unterleib unter sich begraben, ein Wassereimer war seiner Hand entglitten und hatten seinen rettenden Inhalt auf das Pflaster verteilt. Elaria eilte zu dem Verschütteten; ihre tränenden Augen machten sie fast blind. Als sie nach seinem Arm griff, um ihn aus der Notlage zu befreien, spürte sie etwas Bekanntes. Manschetten aus Blutrochenhaut! Ein Bruder in Efferd. Sie beugte sich zu dem bewusstlosen Geweihten nieder. Alle Himmel - es war ihr eigener Ehegatte. Blanke Angst um ihn, mit dem sie im Streit auseinander gegangen war, erfasste ihr Herz. Mit einem weit über ihre gewöhnlichen Kräfte hinausgehenden Ruck schaffte Elaria es, den Körper Marinos unter den Trümmern hervorzuziehen. Mochte es der Schmerz sein, mochte es die Anwesenheit der vertrauten Gattin sein, jedenfalls schlug Marino, als er auf dem Platz in Elarias Armen lag, die Augen wieder auf. "Du? Das ist gut. Warum sind Flammen in Efferds Reich?" "Noch ist es nicht so weit, Marino."

So sicher, wie sie sich bemühte zu klingen, war sich Elaria jedoch nicht. Sie wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Ringsumher nur noch Flammen, kein Ausweg. 'Ewiger Herr des Meeres, lass Deine Diener doch nicht ausgerechnet im Feuer sterben...', dachte Elaria für sich, mochte das frevelhaft sein oder auch nicht. Marino von Calven hatte sich etwas aufgerappelt, allerdings stand sein Bein in einem seltsamen Winkel ab und sein Brustkorb schmerzte. Er vermochte nicht, aufzustehen. Um ihn zu tragen, war die Elaria zu schwach. Doch auch ohne als Last ihn hatte die junge Geweihte keine Chance zu entkommen. Der Ring der Flammen hatte sich bereits dicht um die beiden geschlossen. Elarias Mund war staubtrocken, als sie vermeinte, ihre letzten Worte zu sprechen: "Marino, verzeih, wenn ich hochmütig war. Die Eingebung des Herrn gab mir auf, mit Dir aus einem Munde zu sprechen." "Nein, Elaria, es war mein Starrsinn, der uns entzweite. Die Niss hat uns beiden die Wacht über den Fluss angetragen. Nun werden wir sie nicht mehr ausüben können. Was mag das für die Stadt bedeuten?" Elaria schossen die Tränen in die Augen. Marino musste husten. Blass sprach Marino: „Geliebte… wie in dem Traum, die Flammen… Das ist das Ende.“ In diesem Moment loderte vor Ihnen das Feuer hell auf, als eine Mauer barst und Glutstücke in alle Richtungen flogen. Nur noch wenige Augenblicke, und sie wären auf ewig vereint.

Viele spätere Generationen sollten noch von dem Wolkenbruch sprechen, der Shenilos Altstadt rettete. Efferd schien vielen Menschen ein großes Wunder getan zu haben, um die frommen Sheniloer vor dem Unglück zu schützen. Mit gewaltigen Sturzfluten löschte der Himmel den Brand in kürzester Zeit. Es stellte sich heraus, dass nur Nuovo Ruthor und Porta Pertakia Verluste - wenn auch herbe - erlitten hatten. Etwa zwei Dutzend Todesopfer waren zu beklagen, unter ihnen vermutlich der selbsternannte Fürst der Ponterra, Ludovigo von Calven-Imirandi, dessen Leichnam aber nie gefunden werden konnte. Seine Tyrannei war damit zuende. Bei dem Dankgottesdienst zur Befreiung wie zur Rettung der Stadt ertönte erstmals der Choral "Wo Efferd mächtig g'waltet", den Marino und Elaria noch auf dem Krankenbett verfasst hatten. Ohne Scheu zeigten sich der jüngere Bruder des verschollenen Fürsten und seine Gemahlin bei dem Götterdienst dem Volk der Stadt. Sie konnten keine Scham für die Taten des Bruders und des Schwagers empfinden. Doch Seelenruhe war ihnen nicht vergönnt; in ihnen tobten viele Gefühle, seit sie dem Tode so knapp entronnen war. Trauer um die Gefallenen der Landherrenhändel, aber auch tiefe Dankbarkeit angesichts des göttlichen Wirkens und Ernsthaftigkeit, durch die Gefahr geboren; Sorge vor der Zukunft und doch Hoffnung für die kommenden Tage.