Archiv:Tragödie bei der Heldenprozession

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Auge-grau.png Quelle: Sheniloer Hesindeblatt, Nachtrag zum Bosparanisches Blatt Nr. 39*
Aventurisches Datum: Peraine 1035 BF



Tragödie bei der Heldenprozession
von Thersion Gedra

Wanka, Peraine 1035 BF
Nachdem es gerade erst vor wenigen Wochen auf der nahegelegenen Fuldigorsfeste zu mehreren Todesfällen gekommen war, ist jetzt erneut Trauriges, ja, Erschreckendes aus dem kleinen Dorf am westlichen Rande des Großen Waldes zu berichten.
Dem Leser mag die fehlende Distanz des Schreibers fremd erscheinen, aber sie ist aus tiefer Betroffenheit geboren, die dem göttergefälligen Berichterstatter die Unterdrückung menschlicher Ängste und Sorgen unmöglich macht.
Zum zwanzig-und-neunten-Male sammelten sich dieser Tage alternde Weggefährten, Verwandte und dankbare Sheniler des großen Gransignors Cordovan II. Dorén, der in der Nähe des Dorfes im Kampfe mit Gesetzlosen gefallen war, auf dem König-Khadan-Platz der Geronsstadt und machten sich schweigend auf, um beim Grab des Gefallenen diesem und seiner Getreuen zu gedenken. Der Kult Cordovans hat in den letzten Jahren eine recht eigentümliche Entwicklung durchgemacht steht der Gransignor doch seit dem Fund der Geibene des Heiligen Geron im Schatten seines heldenhaften Vorgängers. Zudem hat Cordovans Andenken, immerhin einstiger Patriarch der Dorén, die politischen Zwistigkeiten und Krisen der letzten Jahre nicht ganz unbeschadet überstanden, musste man doch einst befürchten, die Teilnahme am Zug werde vom Despoten Ludovigo als Parteinahme für Cordovans II. Enkel, Endor Dorén, dessen unversöhnlichen Widersacher aufgefasst.
In diesem Jahr aber hatten sich nicht nur zahlreiche Mitglieder des örtlichen Rondra-Kultes, darunter die Tempelvorsteherin Arana von Shenilo und deren Gatte Leandro Carson, sondern auch mehrere Mitglieder des Hauses Dorén, angeführt vom einstigen Gransignor Nestor, dem mittlerweile selbst greisen Sohn des Helden Cordovan, dem Zug angeschlossen. Wie Hohn muss es jetzt scheinen, dass die Größe des Zuges von dem Ausmaß der Katastrophe, von der ich nun zu berichten habe, schier übertroffen wird!
Besser als die Niederschrift der teilweise widersprüchlichen und wirren, in jedem Fall aber aus zweiter Hand stammenden Eindrücke dieses bescheidenen Berichterstatters vermögen vielleicht die Worte einer Betroffenen, die im letzten Augenblick von Golgaris Schwingen gesprungen ist, die Schrecken jener wankischen Nacht zu beschreiben:   „Ich weiß noch, dass ich durch die Wiesen an Wankas Waldrändern geschritten bin. Diese Gedenkzüge zu den Gebeinen meines Ahnen Cordovan machen mich immer nachdenklich. Erinnern mich an meinen eigenen Vater, den ich früh verlor. Viele sehen in Cordovan einen großen Helden und das war er sicher auch. Aber ich bin die letzten Jahre nicht nach Wanka geritten, weil ich immer daran denken muss, dass er nicht der einzige war, der da oben starb. Mein eigener Großvater, Aurelio, auch er fand an der Seite seines Bruders den Tod! Beide starben sie unter Feinden, fernab von ihren Familien, ihren Lieben, alleingelassen. Der Gedanke daran macht mich immer trübsinnig und so war es auch diesmal. Wir hatten die Messe gehört und gelesen, geschwiegen und einige waren noch in stiller Andacht am Grab zurückgeblieben, andere hatten sich ins Dorf aufgemacht, um einen guten Tropfen auf die gestorbenen Helden zu heben. Ich selbst hatte mich von der Grabstätte entfernt, um mein Denken zu ordnen.
Nachdem ich einige Zeit umhergelaufen war, merkte ich, wie meine Glieder schwerer wurden – kein Wunder, Trauer und Moor sind keine kraftspendenden Begleiter! Ich muss mich dann irgendwo zum ausruhen gelegt haben, war dann aber wohl rasch eingeschlafen. Soweit ich mich erinnere, ist mir der Gedanke, dass ich träumte, irgendwann selbst gekommen, aber die Eindrücke waren derart gestaltvoll, dass ich das Hirngespinst bald wieder abschüttelte.
Ich wurde von einer Horde gesichtsloser Gestalten über Felder und Wiesen gezerrt. Ein Reiter ritt vorneweg, an seinem Sattelknauf war ein Seil befestigt, dass kalt und hart um meinen Hals lag. An Flucht war nicht zu denken und meine Glieder schmerzten so sehr, weil ich meinen letzten Versuch mit harten Schlägen bezahlt hatte. Endlos lange lief ich, fiel ab und an und musste mich aus eigener Kraft wieder aufrichten, um nicht vom Seil erwürgt oder vom Boden zu Tode gerieben zu werden. Dann endlich erreichten wir unser Ziel und ich war für eine Weile von Glückseligkeit erfasst und schwelgte in trügerischer Ruhe. Doch dann wurde ich ins Wasser gestoßen, in einen Brunnen, einen Teich oder einen See und die Gestalten fluchten auf mich und lachten, als ich zu versinken begann. Ich stämmte mich zunächst gegen das nasse Ende, aber dann erkannte ich, dass man mir eine Last umgelegt hatte und ich am Ende verlieren würde. Also ergab ich mich in mein Schicksal und tauchte mit dem Kopf unter Wasser, wo ich die zornigen Gesichter nicht sehen und ihre bösen Worte nicht hören konnte. Um mich herum war nur noch ruhiges Wasser, das meine Wunden kühlte und mir endlich die wohlige Ruhe schenkte.
Die Götter seien gepriesen, dass mein Bruder Rondravio zur Stelle war, mich aus dem Morast zu ziehen. Boron weiß, dass ich sonst das Schicksal jener Unglücklichen geteilt haben würde und in jenem Loch in den Feuchtwiesen ertrunken wäre!“
- Aus den Aussagen Avessandra Doréns beim gransignoralen Leibmagus Valeran Menaris, Peraine 1035 BF

Andere Bewohner Wankas und des Gedenkzuges hatten weniger Glück: Nach meinen Kenntnissen starben ein Akoluth des Sheniloer St. Geron-Tempels, drei Bewohner Wankas, darunter die ehemalige Hauptfrau der Burggarde, Oloranthe Kupferstein und ein junger Druckergeselle sowie schließlich der bemitleidenswerte Boronello Halthera. Das letzte erbberechtigte Mitglied des ehrenwerten Hauses Halthera hatte erst wenige Tage zuvor seine eigene Großtante, die in Wanka und der gesamten Ponterra in hoher Ehre gehaltene Ismiane, zu Grabe tragen müssen. Offenbar sind alle Genannten an verschiedenen Orten ertrunken – im Brunnenschacht der Fuldigorsfeste, im nahegelegenen, alten Fischteich Vascamo Haltheras, in einem Erdloch der Feuchtwiesen, in einem Wasserbehälter der Druckerei Altmeister und in einem bis zu den Regenfällen der vergangenen Wochen eigentlich versandeten Seitenarm des Arinkel.
Mindestens ebenso erschreckend wie die Berichte vom Ertrinken und über die Unglücklichen, die wirklich ertranken, ist aber der Zustand der Feuchtwiesen, wie man jenes morastige, teilweise versumpfte Gelände um die Fuldigorsfeste nennt, das mehr dem Reiche des Herren Efferd zugerechnet werden muss, als den Hainen Peraines. Wo einst froschbeherrschte Tümpel lagen drohen nunmehr vertrocknete Gruben, wo ein sprudelnder Bach Fisch und Reh Trank spendete, liegt nun ein totes, graues Bett und an seinen Rändern, wo sich einst manche Trauerweide im Wind wiegte, ragen nunmehr verdorrte Stümpfe aus der brüchigen Erde.
Was all das mit den Ereignissen auf der Fuldigorsfeste im abgelaufenen Phex-Mond zu tun haben mag (das SHB berichtete), ist nicht im Einzelnen zu klären. Und doch muss es scheinen, als habe die Sumpfhexe Yelaya, die tapfere Aristokraten für ihre Mordtaten ihrer gerechten Strafe zugeführt haben, aus anderen Sphären, wo sie in ewiger Marter liegen wird, mit rachsüchtiger Hand nach den Lebenden gegriffen!


(*)Aus redaktionellen Gründen wurde der vorliegende Artikel nicht abgedruckt und wird daher hier nachgereicht.