Briefspiel:Ein Sommer in Rethis/Prolog
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Übersicht | Prolog | Auftakt | Niedlich | Lysia | Moussaka | Heimweh |
Landgut Trequerce, Phex 1040
Eilig huschte das Dienstpersonal durch das Gutshaus. Man erwartete Besuch, komplizierten Besuch und daher war man seit Tagen damit beschäftigt, das seit geraumer Zeit unbewohnte Gutshaus auf Hochglanz zu polieren. Es würde nicht ausreichen, das war jedem hier bewusst. Der Gast war gefürchtet, ihre Launen nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt. Und egal was man tat, man konnte ihr nichts recht machen und sich auch in keinster Weise auf sie vorbereiten.
„Habt ihr das Herdfeuer gelöscht?“, rief der Hausdiener nervös, „Und die Kerzen! Habt ihr die Kerzen weggeräumt? Und die...“
„Sie ist da!“, rief das Hausmädchen vollkommen aufgelöst und am Rande eines Nervenzusammenbruches, „Bei den Zwölfen. Sie ist da!“
Im Laufschritt lief sie zur Commodora. Vor Schreck ließ diese beinahe ihre Tasse Kaffee fallen, als das Hausmädchen in das Zimmer hineinstürmte.
„Sie ist da!“, wiederholt sie atemlos, „Euer Gnaden ist da!“
Da erschrak die Commodora erneut und verschüttete etwas von ihrem Kaffee. Das Hausmädchen wischte ihn eilig mit ihrer Schürze vom Boden auf.
„Die Kanne“, fiel der Commodora siedend heiß ein, „Wir müssen die Kanne verstecken. Schnell, die Kanne!“
Eilige stellte das Hausmädchen die Kanne Kaffee in einen der Schränke, schloss ab und lehnte sich atemlos dagegen. Unten hörte man bereits die harsche Stimme des Gastes: „Hier war es aber auch schon einmal ordentlicher und vor allem sauberer! Wann habt ihr zum letzten man Staub gewischt? Unter Holdur hätte es das nicht gegeben! Damals unter Holdur da...“
Ihre Schritte kamen näher, erst die Treppen hinauf, dann den Flur entlang. Immer näher und näher kamen sie und dröhnten in den Ohren der Commodora und des Hausmädchens gleichermaßen. Und dann stand sie vor der Tür und man hörte sie sagen: „.. mich abgeholt. Er hätte mich nicht alleine in dieser rumpelnden Kutsche hier herbringen lassen!“
„Die Tasse, Commodora!“, wisperte das Hausmädchen da entsetzt, „Commodora, die Tasse!“
Erst da begriff Karianna Degano, dass sie ja noch die Tasse in Händen hielt.
Jemand legte seine Hand an die Klinke, ein leises Knarren war zu hören. Panisch warf Karianna die Tasse samt Inhalt zum offenen Fenster hinaus. Da betrat Amene Degano das Zimmer.
„Efferd zum Gruße, Amene“, grüßte die Commodora, „Ich bin hoch erfreut Dich hier zu sehen!“
„Efferd mit Dir, Karianna“, hob die Geweihte an und schnupperte, „Riecht es hier etwa... etwa nach... Kaffee?“
„Amene, ich bitte Dich!“, erwiderte Karianna so entrüstet wie sie nur konnte, „Der Schutzpatron unserer Hauses ist der Herr Efferd und wie könnte ich, die auf sein Wohlwollen angewiesen bin, ein Gebräu trinken, dass man über dem Feuer, welches der Herr Efferd verabscheut, zubereiten muss? Gewiss wehte der Geruch von draußen herein...“
Amene blickte etwas skeptisch drein, sagte dann aber: „Dann wäre es besser wenn sie das Fenster schließt, nicht wahr?“
„Sehr wohl, Euer Gnaden“, entgegnete das Hausmädchen und machte sich daran das Fenster zu schließen.
„Und danach entferne sie sich“, fügte die Geweihte hinzu, „Und ziehe sie sich was sauberes an! Seit dem Holdur nicht mehr da ist, geht hier wohl alles zugrunde, nicht wahr?“
Die Commodora atmete tief durch. Warum noch mal hatte sie ausgerechnet Amene gebeten zu kommen? Ausgerechnet die launige Amene? Karianna versuchte abzulenken und fragte: „Wie war Deine Reise, Amene? Bist Du gut hier her gekommen?“
„Nun ja“, hob die Angesprochene an, „Meine Reise war, wie Reisen eben so sind. Nur dass mich niemand vom Hafen abgeholt hat, das hätte es früher unter Holdur nicht gegeben!“
Innerlich stöhnte Karianna auf und erklärte: „Dein Gepäck wird gerade in Dein Zimmer gebracht.“
Eilig verließ das Hausmädchen das Zimmer und war froh nicht mehr in Gegenwart der launischen Geweihten sein zu müssen.
„Das ist ja auch wohl das mindeste, immerhin bin ich den ganzen langen Weg von Efferdas hierhergekommen um mit Dir über Holdurs älteste Tochter zu sprechen und um es kurz zu machen, er hat das Mädchen – wie heißt sie noch gleich?“
„Alesia“, entgegnete Karianna, „Das Mädchen heißt Alesia. Aber Amene, wollen wir uns nicht setzen?“ Die Commodora deutete zu der kleine Sitzecke hinüber. Sie setzen sich und währenddessen schimpfte Amene weiter: „Er hat...
„Alesia“, half die Commodora aus.
„... einfach zu sehr verwöhnt! Er hätte sie bereits als Mädchen versprechen sollen und dann, sobald sie alt genug gewesen wäre, verheiraten. Dann hätte ich jetzt nicht nach Sewamund reisen müssen um...“
„Du sprichst schlecht über Holdur?“, entfuhr es Karianna, „Ausgerechnet Du lässt etwas auf Holdur kommen?“
„Das war sein einziger Makel, Karianna, sein einziger, er hatte die Familie im Griff im Gegensatz zu...“
Und die Commodora ließ das Gejammer und Gemecker der Geweihten über sich ergehen – etwas anderes blieb ihr auch nicht übrig. Karianna kannte das allerdings auch nicht anders und jedes mal bereute sie es aufs Neue Amene eingeladen zu haben. Doch auch wenn man es der Geweihten nicht zutraute – sie war eine brillante Politikerin. Schlussendlich kam der Gast, dann doch zum eigentlichen Thema: „Weist Du, Karianna, wenn man ich es recht betrachte ist...“
„Alesia“, half Karianna erneut aus.
„... eine äußerst gute Partie, schließlich ist sie das zukünftige Familienoberhaupt und Holdurs Erbin dazu. Wo wir gerade über sie sprechen – wo ist sie eigentlich?“
„Sie weilt derzeit in Ramaúd, was uns nur zum Vorteil gereicht, denn das hier würde ihr gewiss nicht gefallen...“
„Nun, ich halte es für wenig sinnvoll, dass wir...“
„Alesia.“
„... in eine Familie oder ein Haus einheiratet, mit dem wir Deganos bereits im Travienbund stehen. Welche sind das denn?“
„Die Familie Luntfeld, mit den Vesselbeks stehen wir in Verhandlungen; Familie Kanbassa, des Weiteren die Familien Cirrention, Changbari und Raloff...“
„Raloff?“, entfuhr es der Geweihte da, sie stand auf und begann unruhig hin und herzugehen, „Das ist ja... entsetzlich! Einfach entsetzlich! Die sind ruiniert! Bankrott! Zuletzt kommen noch ein paar Steuereintreiber hier vorbei und versuchen das Geld von uns einzutreiben! Nein, nein, nein, wie konnten wir nur in so etwas hineingeraten!“
„... und das Haus Hoste“, endete Karianna unbeirrt.
Da blieb Amene plötzlich am Fenster stehen, blickte sichtlich irritiert hinaus und wollte etwas spöttisch wissen: „Das Haus Hoste? Wie konnte uns das denn passieren?“ Sie öffnete das Fenster, noch immer sichtlich irritiert und blickte hinaus: „Die Häuser sind doch sonst immer so darauf bedacht, nichts mit uns zu tun haben zu wollen. Ich meine, um ihre Schiffe zu bauen, dafür sind wir gut genug – Schiffe, die sie und die ihren sicher über das wogende Meer tragen – aber um ihre Söhne und Töchter an uns zu verheiraten, dafür reicht es nicht...“
„Amene“, hob die Commodora an, „Uns eilt ein Ruf voraus. Ein Ruf, der die Qualität und die Güte unserer Schiffe über alles stellt. Ein jeder, der sich von uns ein Schiff bauen lässt, der weiß, dass er mit uns nicht nur die besten sondern auch die fähigsten Schiffbauer hat. Dafür sind wir nun einmal bekannt, eben jener Ruf ist Grundlage unseres Wohlstandes und unseres Aufstieges, dagegen sind unsere Söhne und Töchter...“
„Karianna!“, unterbrach die Geweihte sie da plötzlich ziemlich harsch und deutete aus dem Fenster, „Ist das... ist das eine... eine...“
Und die Commodora wünsche sich nichts sehnlicher, als in ihren Sessel hineinkriechen zu können...
„... eine Tasse, die da unten im Garten liegt? Eine Kaffee-Tasse?“